ERP: Neues Outfit für Frontends

05.03.2007
Software-Anbieter renovieren ihre Clients mit rollen- und prozessorientierten Konzepten.

Von CW-Redakteur Frank Niemann

Hier lesen Sie ...

• wie die künftigen Clients für ERP- und CRM-Software aussehen;

• warum rollen- und prozessorientierte Oberflächen wichtig sind;

• welche Frontend-Strategien Microsoft, SAP, Oracle und andere Anbieter verfolgen;

• was unter "Enterprise Mashups" und "Composite Applications" zu verstehen ist.

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Bisher taugten die Frontends von betriebswirtschaftlicher Standardsoftware nicht viel. Zwar erfüllten die ERP-Clients wie etwa SAPs "Sapgui" oder "Fin.exe" von Microsofts "Dynamics NAV" (vormals "Navision") lange Zeit ihren Zweck, doch inzwischen wünschen sich Kunden vermehrt auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Endbenutzersoftware.

Häufige Veränderungen der Abläufe und die Einführung neuer Prozesse macht diese neue Flexibilität der Frontends erforderlich. Eine starre Client-Software steht dem jedoch im Weg. Ein weiterer Grund: Nicht mehr nur Buchhalter bedienen ERP-Systeme, sondern zum Beispiel Sachbearbeiter verschiedener Fachabteilungen, die für ihre Aufgaben sowohl buchhalterische Transaktionen benötigen als auch zusätzlich Zugriff auf Dokumente und Daten aus Drittsystemen sowie Auswertungen von Geschäftsdaten - Funktionen also, die über die Hoheit der ERP-Software hinausgehen. Die heute auf den PCs der Benutzer installierte Client-Software bietet dagegen oft nur eine Navigation, die sich starr nach den Programmmodulen wie Finanzbuchhaltung, Einkauf, Verkauf und Logistik richtet.

Neue Benutzerkreise

Wie sehr die Firmen unflexible Software stört, machte unter anderem die ERP-Zufriedenheitsstudie 2006 deutlich, die das Aachener Beratungs- und Marktforschungshaus Trovarit AG in Kooperation mit der computerwoche anfertigte. Darüber hinaus nennen Experten als Gründe für zahlreiche gescheiterte Customer-Relationship-Management-Projekte unter anderem die Frontends, die nicht auf Gegenliebe bei den Anwendern stießen. Vertriebsleute, die mitunter ihren kompletten Arbeitstag in Outlook verbringen, ließen sich nur schwer von anderen Client-Konzepten überzeugen, die nicht ihrer Arbeitsweise entsprachen.

Dem Bedürfnis der Kunden nach mehr Flexibilität und Prozessorientierung versuchen zahlreiche Unternehmen der ERP- und CRM-Branche mit neuen Client-Konzepten nachzukommen. Die Softwarehäuser hoffen zudem, dass Anwenderunternehmen wegen der neuen Benutzeroberflächen geneigt sind, für mehr Mitarbeiter als bisher ERP-Lizenzen anzuschaffen: Leichter bedienbare und optisch ansprechende Interfaces sollen auch solche Nutzer erreichen, die noch nicht in ERP-Prozesse eingebunden sind. Die Strategie könnte aufgehen, denn laut einer Studie des Marktforschungsunternehmens IDC zählt bei Firmen aus der Prozess- und Fertigungsindustrie, die ERP-Lösungen verwenden, die Ausdehnung der Nutzergruppe im Unternehmen zu den höchsten Prioritäten. Im Handel sieht es ähnlich aus.

An solche Anwender richtet sich zum Beispiel die SAP mit dem "Netweaver Business Client", dem Nachfolger des "Sapgui". Mit dem Netweaver Business Client sowie einer neuen Oberfläche für das "Netweaver Enterprise Portal" schafft die SAP ein Frontend für die Produktgeneration "Mysap ERP 2005". Nach der Lesart der SAP kommuniziert der Client dabei nicht mehr mit einem monolithischen Backend-Programm, sondern verknüpft den Desktop des Nutzers mit Softwarediensten.

Bisher greifen SAP-Nutzer über das Sapgui oder das Enterprise Portal auf die Geschäftsanwendungen zu.

SAPs Business Client vereint Mechanismen von Windows-Anwendungen und Browser-Software. Er wird unter dem Microsoft-Betriebssystem laufen und sich dort wie eine native Applikation verhalten. Zum Beispiel kann ein Nutzer per Drag and Drop eine Tabelle mit Geschäftsdaten in ein separates Tabellenkalkulationsprogramm einfügen. Gleichzeitig erinnern Features wie Karteireiter an das "Tabbed Browsing" der Web-Browser. Die Reiter (Tabs) dienen dazu, mehrere parallele Sitzungen zu öffnen und rasch zwischen ihnen zu wechseln. Ferner gibt es Favoriten, in denen Benutzer beispielsweise häufig benötigte Dialoge hinterlegen können.

Der für dieses Jahr in Aussicht gestellte SAP-Client soll dem Anwender einen rollenbasierenden Zugriff auf ERP-Inhalte gewähren - ein Ziel, das auch die Initiativen der anderen Softwarehäuser verfolgen. Gleich nach der Anmeldung bietet das SAP-Frontend dem ERP-Nutzer die Elemente, die er für seine tägliche Arbeit benötigt. Er muss sich somit nicht erst durch Menüs hangeln. Der Softwarekonzern nennt als Beispiel einen Angestellten der Personalabteilung, der eine Liste mit Datensätzen aus dem Personalstamm sieht und dem ein Link zu der Funk- tion "Einstellen eines neuen Mitarbeiters" geboten wird. Für einen Nutzer, der im Unternehmen Fertigungsaufträge disponiert, sähe der Einstiegsbildschirm ganz anders aus.

Client-Optionen für Nutzer

Mit der zweiten Client-Entwicklung, der Ajax-fähigen Web-Oberfläche, will SAP ein runderneuertes Frontend für das Portal liefern. Im Gegensatz zum Business Client erfordert diese Schnittstelle keine Installation. Alles, was zur Laufzeit benötigt wird, lädt sich der Browser automatisch vom Server. Nach Ansicht der SAP richtet sich der Business Client eher an Nutzer, die täglich mit dem ERP-System arbeiten. Für Gelegenheitsanwender böte sich der Browser-Zugriff an.

Eine solch scharfe Trennung widerspricht jedoch der Praxis, denn möglicherweise nutzt dieselbe Person beide SAP-Frontends. "Wenn der Anwender im Büro sitzt, will er rasch Funktionen abrufen oder Transaktionen auslösen, viele verwenden hierzu Tastaturbefehle statt der Maus. Unterwegs im Zug oder am Rechner zu Hause genügt ihm hingegen das Browser-Interface, auch wenn dies weniger komfortabel ist", so Christian Glas, Senior Consultant bei Pierre Audoin Consultants (PAC) in München.

Office und ERP verschmelzen

Einige Anbieter von Geschäftsapplikationen bemühen sich darum, ihre Clients mit Office-Programmen am Desktop zu verzahnen. SAP und Microsoft entwickeln hierzu das gemeinsame Produkt "Duet". Nutzer von Outlook stellen so zum Beispiel einen Reiseantrag, der zugleich ins SAP-Backend übertragen wird. Im Gegensatz zur heute üblichen Arbeitsweise muss der Nutzer hierzu die Microsoft-Umgebung jedoch nicht verlassen.

Microsoft selbst forciert die Kopplung seiner Office-Produkte mit dem "Dynamics Client". Letzterer stellt Daten und Funktionen der Business-Software, Inhalte aus Office (Dokumente, E-Mails und Termine) und Auswertungen von Geschäftsdaten in einer rollenbasierenden Oberfläche zur Verfügung. Der Konzern nennt solche Szenarien "Office Business Applications". In vollem Umfang nutzbar sind die Konzepte jedoch nur, wenn der Kunde die für dieses Jahr angekündigte Version 5.1 von "Dynamics NAV" (vormals "Navision") sowie Windows Vista und Office 2007 nutzt. Mit Hilfe des "Office Sharepoint Server 2007" sollen Anwender eigene Office Business Applications bauen können.

Enterprise Mashups

Mit neuen Anwendungsoberflächen beschäftigt sich auch SAP-Rivale Oracle. Unlängst hatte der Konzern die "Webcenter Suite" freigegeben. Das ist ein Entwicklungspaket, mit dem Softwareexperten eigene Benutzeroberflächen für Geschäftsapplikationen bauen können. Es bietet gleichzeitig ein moderneres Web-basierendes GUI für die eigenen Business-Software-Produkte.

Dem Datenbankprimus zufolge bringe Webcenter "Web 2.0" in die Unternehmen. Darunter verstehen die Kalifornier, im Rahmen von Geschäftsprozessen die Applikationen und Datenbanken, sei es von Oracle oder von Drittanbietern, flexibel miteinander zu verweben. Darüber hinaus lassen sich diese betriebswirtschaftlich strukturierten Funktionszusammenhänge mit eher unstrukturierten Systemen wie Content-Management, Wikis, Diskussionsforen und Search Engines verknüpfen. Aus diesen Komponenten sollen Webcenter-Nutzer zusammengesetzte Anwendungen (Composite Applications), auch "Enterprise Mashups" genannt, bauen können.

Ajax modernisiert Web-Clients

Eine Reihe anderer Softwarefirmen entwickelt ihre bisherigen Web-Clients weiter. Sie sprechen zwar noch nicht von Enterprise Mashups, sind aber dabei, mit Hilfe von Ajax (Asynchronous XML and Javascript) für den Alltagseinsatz taugliche Web-Oberflächen zu erzeugen. Bisher waren Browser-Frontends mit einigen Einschränkungen verbunden: Ändern sich Daten im Backend, muss der Anwender warten, bis der Browser die Seite vom Web-Server nachgeladen hat. Zudem schränkt das HTML-Format die Gestaltungsspielräume von Oberflächen ein. Einige Hersteller behelfen sich mit aktiven Komponenten (Java-Applets oder Active X Controls). Beispielsweise wird die "Suite 2008" von Wilken, einem Hersteller von betriebswirtschaftlicher Software aus Ulm, einen Ajax-Client erhalten.

Anwender vertikalisieren selbst

Dem Wilken-Anwender soll es möglich sein, Menüpunkte ein- und auszublenden sowie Links auf häufig verwendete Buchungsmasken zu legen. Das Frontend arbeitet Hand in Hand mit einer Workflow-Komponente. Über Einstellungen seien Anwenderunternehmen in der Lage, sowohl Abläufe als auch die entsprechenden Benutzerschnittstellen ohne Programmierung nach ihren Vorstellungen anzupassen. So entstünden Funktionen, die über eine Prozesssteuerung des ERP-Systems hinausgehen.

Eine höhere Anpassbarkeit entlastet in gewisser Weise auch den Hersteller. "Über modulare Frontends und Workflows sind Anwender beziehungsweise Partner des Softwarehauses fähig, gewünschte branchenspezifische Funktionen selbst hinzuzufügen", erläutert Frank Naujoks, Leiter Enterprise Application bei IDC. Zwar gibt es bereits heute vielerorts Branchenlösungen, doch selbst die sind für die Bedürfnisse vieler Kunden noch zu grob geschnitten. Ein ERP-Hersteller würde Naujoks zufolge künftig beispielsweise generische Branchenfunktionen für die Serienfertigung liefern, ein Anwender könnte mit Hilfe der genannten Einstelloptionen spezielle Funktionsausprägungen für den Fensterbau erzeugen.

Wenig begeistert von den neuen Client-Konzepten der verschiedenen Hersteller von Business-Software ist Eric Scherer, Partner und Geschäftsführer des Beratungs- und Marktforschungsunternehmens Intelligent Systems Solutions (i2s) in Zürich. Seiner Meinung nach wissen einige Softwareanbieter, aber auch viele Berater inzwischen nicht mehr, wie die Endbenutzer arbeiten. Hinzu komme, dass schöne User-Frontends den Herstellern vortrefflich als emotionales Verkaufsargument dienen. Benutzer-Interfaces sind jedoch nur nützlich, wenn sie den Anwender produktiv machen. Den Beweis, ob ihre neuen Clients dazu führen, müssen die Hersteller erst noch erbringen. (fn)