ERP-Kunden halten Taschen geschlossen

18.04.2005
Fehlende Investitionsbereitschaft und der Druck großer Anbieter wie Microsoft und SAP machen den mittelständischen Softwareherstellern das Leben schwer.

Für die mittelständischen Enterprise-Resource-Planning- (ERP-)Anbieter läuft es derzeit schlecht", beschreibt Christian Glas, Analyst von Pierre Audoin Consultants (PAC), die aktuelle Situation. Zwar würden viele Kunden gerne in neue Business-Software investieren. Sie leiden unter ihren zahlreichen Insellösungen, die eine Menge Geld kosten und es schwierig machen, die Geschäftsprozesse sauber abzubilden. "Für neue Software fehlt jedoch meist das nötige Kleingeld."

Dennoch rechnet PAC für das laufende Jahr mit einem Wachstum im deutschen ERP-Markt um fünf Prozent. Nach rund 1,86 Milliarden Euro im zurückliegenden Jahr könnten die Anbieter 2005 mit Einnahmen von zirka 1,95 Milliarden Euro rechnen. Profitieren werden davon wohl die Großen. So geht Torsten Frankenberger, Analyst von Droege & Comp., davon aus, dass gerade im gehobenen Mittelstand die Dominanz von SAP weiter zunimmt. Laut einer Umfrage unter 380 IT-Entscheidern in Unternehmen mit einem Jahresumsatz größer 100 Millionen Euro setzen bereits 65 Prozent der Befragten auf SAP-Software. Von den 27 Prozent, die ERP-Systeme kleinerer Anbieter laufen haben, wollen über die Hälfte in den kommenden drei Jahren auf ein anderes Produkt wechseln. Entspannung will deshalb unter den kleineren Softwareherstellern nicht so recht aufkommen. Bei vielen Verantwortlichen liegen die Nerven zunehmend blank. "Langsam ist uns das egal", kommentierte beispielsweise Hannes Merten, Vorstandsvorsitzender der Soft M AG, unwirsch die gesamtwirtschaftliche Situation. Man könne nicht länger nur auf den günstigen Wind der Konjunktur warten. "Dass die Kunden mit Investitionen zögern, hört man dauernd", wettert auch Alfred Keseberg, Geschäftsführer der Psipenta Software Systems GmbH. Wenn man als Anbieter darauf warte, dass sich der Markt irgendwann wieder belebe, dann gingen schnell die Lichter aus.

Mittelständische ERP-Anbieter trotzen den Prognosen

Die Nervosität ist verständlich. Die Geschäfte laufen bei den meisten Anbietern seit Jahren nicht mehr rund. Das hat Spuren hinterlassen. Manch ein Hersteller wie beispielsweise Bäurer musste sich nach einer Insolvenz unter den Schutz von Investoren begeben. Andere Firmen wie Baan, Brain oder Infor verschwanden durch die noch immer rollende Konsolidierungswelle von der Bildfläche. Zudem wuchs in den vergangenen Jahren der Druck von Seiten großer Softwareanbieter wie SAP und Microsoft, die sich bemühten, mit verschiedenen Kampagnen im Mittelstand Fuß zu fassen.

Das noch vor kurzem prophezeite Massensterben der kleineren Softwarehäuser ist bislang jedoch ausgeblieben. Zwar gibt es nach wie vor Übernahmen und Pleiten wie beispielsweise vor wenigen Wochen die Insolvenz des Münsteraner Systemhauses BOG, eines der größten Navision-Partner Microsofts (siehe CW 15/05, Seite 1 und 14). Von einer ERP-Apokalypse kann allerdings keine Rede sein.

Unter den bereits totgesagten Softwareherstellern macht sich währenddessen Trotz breit. Natürlich seien die Zeiten der Jahr-2000- und Euro-Umstellung vorbei, als die Kunden im Stakkato-Takt neue Software orderten, sagt Andreas Lied, Geschäftsführer der Wilken GmbH aus Ulm. Dennoch gebe es nach wie vor Branchen wie das Gesundheitswesen oder die Energiewirtschaft, in denen aufgrund neuer technischer und fachlicher Anforderungen ein Wechsel der Systeme zwingend erforderlich sei.

Branchenfokus bleibt für Hersteller unerlässlich

Dazu setzt Wilken verstärkt auf seine Open-Source-Strategie. Dieses Thema werde in absehbarer Zeit grundsätzlich jede Form von Lizenzgebühren in Frage stellen, prognostiziert Lied. Der Kern des Rechnungswesens der Ulmer sei Open Source, Zusatzmodule für kleinere Nischen seien dagegen nur als kostenpflichtige Produkte erhältlich. Wilken beschränkt sich auf Buchhaltungsfunktionen. Kernprozesse wie beispielsweise das Beitrags-und Leistungswesen von Krankenkassen überlässt der ERP-Anbieter den Spezialisten.

Andere Anbieter wollen ihren Kunden dagegen einen Komplettservice anbieten. Psipenta profitiere dabei von der engen Kooperation mit den anderen Einheiten des PSI-Konzerns, erläutert Geschäftsführer Keseberg. Beispielsweise betreue das Segment BT ganze Prozessketten in der Stahlindustrie. Neben der Software biete Psipenta Projektbetreuung und eigene Dienstleistungen an. Damit könne der Softwarehersteller Keseberg zufolge flexibler mit den Kunden umgehen.

"70 Prozent der mittelständischen Kunden haben den Alles-aus-einer Hand-Anspruch", ergänzt Ralf Gärtner, Vorstand für Marketing und Vertrieb bei Soft M. Daher bleibe es die Strategie der Münchner, ihren Kunden neben der Software auch Services und Hardware zu liefern.

Die enge Bindung von Anbietern wie Soft M zu den Kunden sei nicht zu unterschätzen, berichtet PAC-Analyst Glas von seinen Erfahrungen. "Es klingt vielleicht abgedroschen, aber es gleicht einer großen Familie." Gerade unter den mittelständischen Kunden gebe es kaum Berührungsängste. Die Anwender redeten miteinander und tauschten ihre Erfahrungen aus. Konzerne wie Microsoft und SAP täten sich schwer, eine ähnliche Atmosphäre zu schaffen.

Kunden zurückgewinnen kostet Zeit und Geld

Allerdings geht das Vertrauen der Kunden auch schnell verloren. Diese Erfahrung musste die Bäurer AG nach der Insolvenz im Oktober 2002 machen. "Wir haben viel Zeit und Geld investiert, um den Kunden zu erklären, dass Bäurer wieder da ist", erläutert Rafael Laguna, für den Investor Adastra tätiger Beiratsvorsitzender bei Bäurer. 2003 hatte die Münchner Adastra Erste Beteiligung GmbH die Regie bei dem gestrauchelten ERP-Unternehmen übernommen. Trotz der auch von Laguna attestierten Investitionszurückhaltung zeigt sich der Investor mit dem Erreichten zufrieden. Für 2004 rechnet man mit Einnahmen von rund 20 Millionen Euro im deutschsprachigen Raum.

Für das laufende Geschäftsjahr 2005 hat sich Bäurer ein Umsatzziel von 24 Millionen Euro gesteckt. Um dies zu erreichen, wollen sich die Badener verstärkt als kompletter Lösungsanbieter im Markt positionieren. Häufig schrecke die Komplexität einer ERP-Entscheidung die Kunden ab, erläutert Laguna. Diese müssten oft mit mehreren Lieferanten zusammenarbeiten, was die Projektrisiken exponentiell erhöhe. "Wir sehen immer weniger Bereitschaft der Kunden, sich darauf einzulassen."

Infor und SSA Global müssen sich beweisen

Auf ruhige Zeiten können die ERP-Kunden in Deutschland kaum hoffen. Für Unruhe haben in den vergangenen Jahren vor allem Unternehmen wie Infor Global Solutions, ehemals Agilisys, und SSA Global gesorgt. Namhafte ERP-Anbieter wie Brain, Infor und Baan sind deren Akquisitionsplänen zum Opfer gefallen. Die Strategie, kränkelnde Firmen aufzukaufen und diese durch ein hartes Kosten-Management wieder flottzumachen, funktioniere, gesteht Glas den mit potenten Investoren im Rücken gut aufgestellten Konsolidierungstreibern zu. Probleme hat der Analyst jedoch mit deren Produktstrategie. Es sei nicht schwierig, Integrationspläne auf Powerpoint zu präsentieren. Wie das Ganze umgesetzt werden soll, sei eine ganz andere Sache. Vor allem mit jeder weiteren Übernahme würden die bislang aufgestellten Pläne wieder über den Haufen geworfen.

Infor konzentriere sich nicht nur auf Zukäufe, sondern entwickle auch die Produktlinien weiter, widerspricht CEO Jim Schaper. Man sei nicht nur darauf aus, sich möglichst breit im Markt aufzustellen und Wartungseinnahmen zu kassieren. Die zusammengekauften Produkte würden integriert.

Ob die Kunden diesen Versprechungen blindlings Glauben schenken, ist fraglich. Glas zufolge prüfen sie zurzeit verstärkt ihre ERP-Lieferanten auf Zukunftssicherheit. Das spiele Firmen wie SAP und Microsoft in die Hände. Zwar sei davon auszugehen, dass es Firmen wie Infor und SSA Global in fünf Jahren auch noch geben werde. Für deren Lösungen gelte dies jedoch nicht.

Neben der Sicherheit spielt aber auch der Preis eine entscheidende Rolle. In der Endausscheidung zwischen Microsofts Navision und einer Lösung von Wilken hätten letztendlich die Kosten den Ausschlag für das Wilken-Produkt gegeben, berichtet Ingo Strahl, Projektleiter bei der Direvo Biotech AG in Köln. SAP hatte bei Strahl von Anfang an keine guten Karten: "Die Kosten standen in keinem Verhältnis zum Nutzen."