Anwender brauchen mehr Flexibilität und Agilität

ERP in Zeiten der Digitalisierung

10.08.2016
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Mit der Digitalisierung steigen die Anforderungen an das Enterprise Ressource Planning (ERP). Doch wer seine Systeme auf Vordermann bringen möchte, braucht den richtigen Plan dafür und muss das Ganze strategisch angehen.

Systeme für das Enterprise Ressource Planning (ERP) bilden nach wie vor das Herzstück in der IT vieler Unternehmen. Erfolg und Misserfolg hängen vielfach maßgeblich daran, wie gut oder schlecht die ERP-Applikationen funktionieren. Schließlich bilden sie die Schaltzentrale für fast alle Kernfunktionen rund um Finanzverwaltung, das Kundenmanagement, die Produktionsplanung, die Logistik sowie die Verwaltung und Steuerung sämtlicher wichtiger Ressourcen im Unternehmen. Läuft dieser Softwaremotor nicht rund, gerät auch der Geschäftsbetrieb schnell ins Stocken.

Gerade in großen Konzernen sind Heerscharen von Controllern, Account-Managern und Analysten damit beschäftigt, Klarheit in allen finanziellen Dingen des Unternehmen zu schaffen – um Investoren zufrieden zu stellen, Steuern und Abgaben pünktlich und richtig zu begleichen und überhaupt alle finanziellen Reglements und Aufgaben zu erfüllen. Das ist allerdings kein Selbstläufer und macht oft Schwierigkeiten. Grund sind veraltete Systeme, die mit ungenauen Daten arbeiten und entsprechend unsaubere Reports produzieren. Dabei wäre genau das die Kernaufgabe eines gut funktionierenden ERP-Systems. Denn auch wenn sich immer noch viele Entscheider auf ihr Bauchgefühl verlassen, wirklich fundierte Entscheidungen lassen sich nur auf Basis korrekter Finanzdaten treffen. Was also erwarten die Finanzmanager von ihren Systemen?

Flexibilität: ERP-Applikationen müssen beispielsweise mit der wachsenden Komplexität innerhalb der Firmenstrukturen mithalten können. Gerade im Zuge von Akquisitionen beziehungsweise Veränderungen im Geschäftsmodell kann es passieren, dass ein älteres ERP-System mit einem Mal nicht mehr zur veränderten Situation des Unternehmens passt. "Der frühere Ansatz in Sachen ERP sah so aus, dass man feste Prozesse in Unternehmen in Software gepresst hat", erläutert Keith Mattioli, Analyst von KPMG. Das habe über viele Jahre hinweg funktioniert. Doch nun verändere sich die Welt. Diese fest im ERP zementierten Prozesse funktionierten nicht mehr ohne zusätzliche ergänzende Prozesse, die drum herum gestrickt werden müssten.

Korrektheit: Obwohl die Unternehmen jedes Jahr viel Geld in ERP- und andere Business-Software stecken, werden etliche – auch unternehmenskritische – Finanz­angelegenheiten immer noch mit Excel-Sheets erledigt. Makros und Tabellen laufen in aller Regel unter dem Radar der IT-Abteilungen. Entsprechend fehlt das eigentlich notwendige Qualitäts-Management. Das kann zu gewaltigen Problemen führen. Finanzexperten von F1F9 wollen herausgefunden haben, dass neun von zehn Excel-Tabellen Fehler beinhalten – auch in großen Unternehmen, die es eigentlich besser wissen müssten. 2014 hatte "The Telegraph" berichtet, dass Milliarden-Verluste der Investment-Bank JP Morgan in erster Linie auf fehlerhafte Excel-Tabellen zurückzuführen seien. Viele Finanzchefs realisierten mittlerweile, dass ihre aktuellen Prozesse und Tabellen nicht so recht zu den Anforderungen moderner Finanzsysteme passten, konstatiert Mattioli. "Manuelle Prozesse stellen auch immer ein Risiko für die eigene Finanz-Compliance dar."

Orientierung: Von einem Chief Financial Officer (CFO) und seiner Abteilung wird erwartet, dass sie Budgets genau panen, neue Geschäftschancen identifizieren und genaue Berichte ablieferen. Das alles basiert auf korrekten Daten sowie einer soliden Verarbeitung und Analyse dieser Daten. Soweit die Theorie. In der Praxis stammen die Daten der Finanzabteilungen meist aus den unterschiedlichsten Quellen und variieren daher in der Konsequenz auch in ihrer Qualität. Neue ERP-Systeme können dabei behilflich sein, die Qualität der für die Analysen herangezogenen Daten zu verbessern. Das schafft eine solide Ausgangsbasis für Auswertungen und damit die Entscheidungsfindung. Und davon hängt letztlich das Schicksal eines jeden Unternehmens ab.

Neue ERP-Optionen ausloten

Wer sich jetzt überlegt, sein ERP-System gegen ein Neues abzulösen beziehungsweise die bestehende Software auf den neuesten Stand zu bringen, sollte jedoch strategisch vorgehen und das entsprechende Projekt genau planen. Das beginnt schon mit der Diskussion in der eigenen Finanzabteilung. Dafür sollte man den richtigen Zeitpunkt abpassen. Um Rückendeckung für ein größeres ERP-Projekt zu bekommen, sollten die IT-Verantwortlichen nicht genau dann beim Finanzchef vorstellig werden, wenn dieser gerade in der heißen Phase für den Quartals- oder Jahresabschluss steckt. Hier ist Gefühl für das richtige Timing gefragt.

Hat man das Go, müssen sich die Verantwortlichen überlegen, wie sich ihr ERP auf Vordermann bringen wollen. Dabei können auch Cloud- und Software-as-a-Service-Angebote (SaaS) eine interessante und durchaus überlegenswerte Alternative bilden. Die geringen Anfangsinvestitonen seien beispielsweise ein großer Vorteil von Cloud-ERP, erläutert Eric Kimberling, Managing Partner beim auf ERP-Beratung spezialisierten Unternehmen Panorama Consulting. Allerdings würden derzeit vor allem kleinere Firmen entsprechende Cloud-ERP-Lösungen einsetzen, konstatiert der Analyst. „Ich sehe eine große Zahl kleiner Firmen, die Cloud-ERP einsetzen, aber nur eine kleine Zahl großer Firmen, die das tun.“

Ein Grund, warum gerade große Unternehmen noch davor zurückschreckten, ihre Finanzsysteme einer Cloud-Lösung anzuvertrauen, sind Sicherheitsbedenken, erläutert Mattioli von KPMG. Diese bildeten den Kern jedes Unternehmens und dürfen daher unter gar keinen Umständen ausfallen, beschreibt der Analyst die in vielen Finanzabteilungen vorherrschende Skepsis gegenüber Cloud-Lösungen. Falsche oder verlorene Finanzdaten könnten schließlich jedes Unternehmen in Konflikt mit regulatorischen Vorschriften bringen. Dem Gesetz zufolge müssen die verantwortlichen Manager dafür gerade stehen und wandern für Fehler im schlimmsten Fall sogar ins Gefängnis. Cloud-Lösungen von vornherein per se als potenzielle Risikofaktoren zu verteufeln sei jedoch falsch, warnt ERP-Spezialist Kimberling. Für die Anbieter entsprechender Lösungen besäße die Sicherheit der Kundendaten allerhöchste Priorität. "SaaS-Provider könnten ihr Geschäft dicht machen, wenn sie keinen sicheren Service liefern könnten", so der Analyst. Der Anreiz, einen sicheren und verlässlichen Softwareservice abzuliefern sei also hoch.