IT in der Automobilindustrie/Endgeräte sind noch zu teuer

Ernüchterung im Telematiksektor

05.09.2003
Der Internet-Hype hatte auch die Prognosen für SOS-Dienste, Navigationshilfen oder mobile Infotainment-Applikationen in die Höhe geschraubt. Heute konzentrieren sich Automobilhersteller stärker auf fahrzeugbezogene Telematik. Vorrangig sind derzeit Standardisierung und Synchronisierung der Endgeräte mit der Fahrzeugelektronik sowie Geschäftsmodelle für Diensteanbieter. Von Gabi Visintin*

Unter dem Eindruck der New Economy prognostizierten im Jahr 2000 unter anderem McKinsey, UBS Warburg und die Deutsche Bank für das Jahr 2010 ein Telematik-Marktvolumen von bis zu zehn Milliarden Euro in Westeuropa. Eine Studie von Roland Berger Strategy Consultants ließ bereits ein Jahr später am "E-Vehicle Wonderland" zweifeln. Die Marktforscher erkannten "erhebliche Unsicherheitsfaktoren", die Ende 2002 zu einer Aktualisierung der Studie führten. Sagten die Berater aus München für das Jahr 2002 zunächst rund 0,6 Millionen Telematiknutzer voraus, liegt die Schätzung der neuen Studienfassung bei nur 0,2 Millionen Telematikabonnenten. "Es ist ein schwerer Markt, auf dem nicht so leicht Geld zu verdienen ist", fasst Jürgen Reers, Associate Partner im Competence Center Automotive bei Roland Berger in München, die Situation zusammen.

Die "Unsicherheitsfaktoren" wie die "3G-Infrastruktur" - UMTS lässt auf sich warten - , "unprofitable Geschäftsmodelle" oder "eingeschränkte Zahlungsbereitschaft der Autofahrer" haben Wirkung gezeigt. Trotzdem gehört die Automobilbranche zu den innovativsten und dynamischsten Branchen. Laut Mummert Consulting liegt sie beispielsweise an der Spitze des Mobile Business. Annähernd jeden zwölften Euro ihres Budgets will die Branche in den Mobilfunkbereich stecken. Auch Roland Berger betont, dass die Telematik sich zwar langsamer als erwartet entwickle, aus dem CRM- und VRM-Bereich (Customer- beziehungsweise Vehicle-Relationship-Management) aber langfristig große Chancen erwachsen. Reers: "Der Fokus der Automobilhersteller hat sich verändert, nicht die Richtung. Er liegt heute auf fahrzeugbezogenen Diensten wie Notfall-, Pannendienst oder Auskunftsdiensten, nicht mehr so sehr auf dem Infotainment."

BMW-Sprecher Jochen Müller aus München bestätigt das:"Wir konzentrieren uns auf mobilitätsrelevante Dienste, die den Fahrern einen Mehrwert bringen." So bietet der Hersteller seit 1999 für alle Modelle verschiedene Sicherheits- und Auskunftsdienste wie den Notrufservice, der bei einem Unfall automatisch eine SMS an den BMW-Diensteanbieter abschickt und die Position des Fahrzeugs mitteilt. Seit 2001 gibt es auch Online-Dienste wie den "dynamischen Parkraum-Suchdienst", der es dem Fahrer ermöglicht, ohne große Suchschleifen gezielt den nächstliegenden freien Parkplatz anzufahren. Während die Online-Dienste bisher nur im Premiumfahrzeug des 7er BMW zur Verfügung standen, planen die Bayerischen Motorenwerke inzwischen, ihr Angebot auch auf die 5er- und später die 3er-Reihe auszudehnen.

Den Durchbruch für die Telematikdienste sieht Reers allerdings erst, wenn die Preise der Endgeräte - heute noch bei mehreren 100 bis über 1000 Euro - auf 50 oder 100 Euro fallen. Damit rechnen die Münchner Berater in etwa drei Jahren. Diese Ansicht vertritt auch der Technologieexperte Christian Popp, verantwortlich für die Business Line Automotive bei der Xcc Software AG in Karlsruhe: "Derzeit fehlt noch die Killerapplikation."

Die Telematikwelt ist proprietär

Die Gründe dafür sind mehrschichtig. Während es heute kein Problem mehr ist, so Popp, Informationen von außen ins Auto zu bringen oder eine Verbindung zwischen Auto und Internet herzustellen, sind andere wichtige Fragen noch nicht zufrieden stellend beantwortet. So ist es kein leichtes Unterfangen, die verschiedensten Dienste und ihre Endgeräte ins Auto zu integrieren: "Zum einen sind sie in das jeweilige Bedienkonzept eines Herstellers einzubinden, zum anderen sprechen Sicherheitsgründe dafür, sie von den internen Systemen abzuschotten."

Ein Handicap ist für den Karlsruher Technologie-Experten immer noch die fehlende Standardisierung. Die Telematikwelt ist proprietär. Das beginnt bereits bei der Handy-Auto-Kombination:

Fahrzeugapplikationen funktionieren nur mit Mobiltelefonen bestimmter Marken.

Und die ADAC-Telematikdienste können zum Beispiel nur mit dem "GPService Pilot" von Siemens oder dem "Travel Pilot DX-N online" von Blaupunkt genutzt werden. Denn trotz großer Bemühungen schreitet der Spezifikationsprozess der Standardisierungsgremien wie HIS oder 3G nur langsam voran. "Die IT-Technik eines Automobils, in dem zahlreiche Elektronik- und Steuerkomponenten zusammenspielen, ist eine äußerst komplexe Angelegenheit", erklärt Popp.

Ohne Kooperationen geht im Telematikmarkt nicht viel: Die ausgefeiltesten Endgeräte nützten wenig, stünde im Hintergrund nicht ein Diensteanbieter bereit, der den Autofahrer mit ziel- und personengenauen Informationen versorgt. Doch gerade dieser Komfort der "dynamischen" Telematikdienste macht sie so kostspielig und hat die Automobilhersteller veranlasst, sich mit strategischen Servicepartnern zusammenzutun. Wer einen Datenfundus aus Branchenbüchern und Geografiekatalogen bereithält, eine Vielzahl von GPS-Panels an den Straßen und Staumelder-Infos auswerten muss, automatische Notrufe organisiert und viele Nutzer verwaltet, benötigt nicht nur funktionierende Funkverbindungen, sondern auch mächtige Call-Center mit einer gut organisierten IT-Infrastruktur im Hintergrund.

Die Mautpflicht ist ein Wegbereiter

So verfügt zum Beispiel der Telematikdienst des ADAC, der seit fünf Jahren existiert, über zwei Call-Center in Deutschland. Mehrere Millionen Euro jährlich fließen in die Lohnbuchhaltung, die IT-Infrastruktur- und den Content-Zukauf. Laut Peter Menzel, Leiter mobile Kommunikationsdienste in München, arbeitet der Dienst des größten Automobil-Mitgliedsverein Deutschlands aber kostendeckend. "Mit der großen ADAC-Leistungsinfrastruktur im Rücken sind wir für den Telematikdienst prädestiniert." Andere tun sich da schwerer: So wurde der strategische Partner von BMW, die Vodafone Passo GmbH, gerade erst vom amerikanischen Telematikanbieter ATX North America, Dalla, aufgekauft. Tegaron, der Diensteversorger für Daimler-Chrysler-Fahrer, ist wieder in den Schoß von T-Mobile zurückgekehrt. "Die Geschäftsmodelle sind noch nicht ausgereift", kommentiert Roland-Berger-Mann Reers und fordert attraktive Preismodelle. Dazu gehören für ihn monatliche Gebühren - für das Vorhalten der Notruf- und Pannenorganisation -, Pay-per-Use-Modelle, wie sie zum Beispiel der ADAC bevorzugt, und Partnerschaften zu Telekommunikationsunternehmen, um effiziente Abrechnungsmodelle wie das Micropayment aufzubauen.

Doch grundsätzlich sind alle Player überzeugt, dass Telematikdienste ihre Zukunft noch vor sich haben. Vielleicht sorgt auch der Nutzfahrzeug-Bereich für Bewegung. XCC-Manager Popp: "Die Mautpflicht für Lkws könnte der Wegbereiter für die gesamte Telematikindustrie werden." (bi)

*Gabi Visintin ist Journalistin in Tübingen.

Ferndiagnose für das Fahrzeug

Alles, was als Content ins Auto fließt, subsumieren die Roland-Berger- Berater unter den Begriff Telematik. Dabei wird zwischen fahrzeugbezogenen Diensten und Infotainment unterschieden. Die fahrzeugbezogenen Dienste lassen sich in drei Gruppen unterteilen:

- Sicherheitsdienste wie automatischer Notruf und Pannendienste (zweikanalige Verbindung)

- Auskunftsdienste: vom Verkehrsinformations und Navigationsdienst über die Parkplatzsuche bis zur Arztnummer;

- Security-Dienste wie Diebstahlverfolgung etc. Diese Dienste spielen in Deutschland noch keine Rolle. In Italien zahlen Fahrer, die einen solchen Service abonniert haben, weniger Gebühren an die Versicherung.

Trends: Als vielversprechend schätzen Diensteanbieter und Berater Telematikdienste ein, die CRM und VRM (Customer- und Vehicle-Relationship-Management) unterstützen. So ermöglichen beispielsweise übermittelte Telemetriedaten aus dem Fahrzeug eine Ferndiagnose, die die Kundenbeziehungen zwischen Fahrern und Händler- sowie Servicepartnern fördern können. Stark in der Diskussion ist auch das VRM, das mittels eines elektronischen Chips alle relevanten Informationen - Fahrzeugwechsel, große Reparaturen etc . - sammelt und das Auto lebenslang begleiten soll. Mit dem WLAN hat sich außerdem ein neues automobiles Nutzenpotenzial entwickelt: Die Kommunikation der Fahrzeuge untereinander, die sich über Staus, Nebelbänke, Unfälle gegenseitig informieren, ohne dass über eine Zentrale kommuniziert wird. Auch Auto-Haus-Kombinationen werden getestet. So arbeitet etwa BMW mit der Future-Life-Haus AG in Zürich zusammen.