Erneutes Prüfungsdesaster bei IT-Berufen

29.05.2002
Von Katja Müller
Die neuen IT-Berufe gelten als Vorzeigeobjekte des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Doch das jährliche Dilemma bei den Abschlussprüfungen könnte den Ausbildungsgängen nachhaltig schaden.

"Diese Prüfungskataloge der Industrie- und Handelskammern decken alles und nichts ab", klagt Berufsschullehrer Stephan Tillmann vom Berufskolleg Hilden, Kreis Mettmann. Hätte der Diplomkaufmann und Wirtschaftsingenieur an der Abschlussprüfung für Fachinformatiker vom 14. Mai teilgenommen, wäre sein Ergebnis wahrscheinlich ebenso schlecht ausgefallen wie das seiner Auszubildenden, erklärt er.

Bereits im vergangenen Jahr machten die Abschlussprüfungen der IT-Auszubildenden negative Schlagzeilen. So schickten die Industrie- und Handelskammern am 15. Mai 2001 über 9500 Lehrlinge nach Hause, weil im Internet eine Liste mit den aktuellen Prüfungsaufgaben kursierte. Nun stehen die Kammern erneut vor Schwierigkeiten. Auf den einschlägigen Web-Seiten www.it-system-kaufleute.de und www.fachinformatiker.de beschweren sich weit über 100 Auszubildende über "praxisferne Aufgaben und viel zu knappe Zeit". Einige wollen die Prüfungen bei der IHK sogar anfechten: "Es ist sehr verwunderlich, dass selbst unsere Fachbereichsleiter uns unterstützen. Sie waren der Meinung, dass eine solche Prüfung bisher nicht stattgefunden hat." Unzulässige Frage bei Prüfungsaufgaben So taucht nach Angaben eines Berufsschullehrers das abgefragte Thema "reines Faktenwissen zur digitalen Signatur" weder im Stoffkatalog der Zentralstelle für Prüfungsaufgaben (ZPA) noch in der Ausbildungsordnung respektive im Rahmenlehrplan auf: "Für den IT-Systemkaufmann ist das eine unzulässige Frage bei der Ganzheitlichen Aufgabe 1". Ebenso "irritierend" sei unter anderem eine geforderte Berechnung einer Bildschirmdiagonalen aus Pixeln mit dem Satz des Pythagoras: "Das wird so nicht praktiziert und entspricht auch nicht dem Ausbildungsprofil eines IT-Systemkaufmanns", schimpft der Berufsschullehrer.

Besonders ärgere ihn die knappe Prüfungszeit. So errechnete er, dass die Auszubildenden für die 90-minütige Prüfung etwa zwölf Minuten zum Lesen brauchen und eine knappe Stunde zum Niederschreiben der Musterlösungen. Für das Einlesen, die Arbeit mit dem IT-Handbuch und das Durchdenken komplexer Rechenaufgaben bliebe nur mehr eine Viertelstunde.

Zwar habe die Kammer im vergangenen Jahr Besserung gelobt, so der Berufsschullehrer, passiert sei aber nichts, obwohl der Prüfungsausschuss jährlich Stellungnahmen zu den Vorfällen schreibe. "Es ist uns bekannt, dass es Probleme gibt. Aber ich denke nicht, dass wir es so grob falsch eingeschätzt haben", erklärt Andreas Bähre, ZPA-Geschäftsführer in Köln, zu den Vorwürfen. Durchfallquoten von 50 Prozent?

Unter seiner Regie erstellen zumeist Ausbilder und Lehrer aufgrund des Ausbildungsrahmenplans (Unternehmen) und des Rahmenlehrplans (Schule) die bundesweiten Prüfungskataloge, mit Ausnahme für Baden-Württemberg. "Genau die Kritiker sind es, die die Aufgaben fachlich und zeitlich planen." Schließlich lege die Zentralstelle für Prüfungsaufgaben die vorläufigen Fragen wiederum Ausbildern und Lehrern vor, nach deren Vorschlägen dann die endgültige Prüfungsfragen und -modalitäten entworfen werden.

Hella Lüth, Ausbildungsbetreuerin der kaufmännischen und Dienstleistungsberufe beim deutschen Industrie- und Handelkammertag (DIHK), Bonn, kann die Aufregung um die von der Kammer berufene ZPA nicht verstehen: "Häufig werden selbst die Veränderungen, die aufgrund der Beschwerden vollzogen wurden, im Folgejahr kritisiert." Bis etwa Ende Mai werden bei der ZPA eingegangene Stellungnahmen auswertet.

Doch das wird den Prüflingen nichts mehr nützen. Einige Berufsschullehrer rechnen damit, dass 50 Prozent der angehenden Fachinformatiker und IT-Systemkaufleute durchfallen, wenn die Prüfungsausschüsse nicht eingreifen und die Bewertung ändern.