Bull: Zusammenarbeit "aus der Position der Stärke":

Ermutigende Zwischenbilanz nach einem Sommer

07.10.1983

PARIS (eks) - Die Reorganisation von Frankreichs größtem EDV-Hersteller, nämlich "Bull", früher Honeywell Bull, macht nach Meinung der Geschäftsleitung gute Fortschritte. Konzentration der Aktivitäten, neue Tochterfirmen und internationale, vor allem aber europäische Zusammenarbeit sind die neu deklarierten Unternehmensziele.

Wenn gute Planung Erfolg garantiert, kann Frankreichs (nach einigen Statistiken: Europas) größter EDV-Hersteller beruhigt in die Zukunft blicken. Nach Übernahme der Aktienmehrheit durch den französischen Staat und der Schrumpfung des amerikanischen Anteils auf 19,9 Prozent im Zuge der Umorganisation wurde auch der erste Teil des seinerzeitigen Doppelnamens Honeywell-Bull gestrichen.

Drei strategische Prinzipien

Basis aller Aktionen, Bull wieder in die schwarzen Zahlen zu führen, ist eine Art Staatsvertrag zwischen dem Eigentümer Frankreich und der neuen Unternehmensleitung. Dieser Vertrag garantiert Bull zunächst Unabhängigkeit von ministerieller Einmischung und eine Kapitalzufuhr in Höhe von 1,5 Milliarden Francs.

Dafür setzt sich die neue Führung, Präsident Jaques Stern und General Manager Francis Lorenz, ehrgeizige Ziele.

Zusätzlich zu den traditionellen Aktivitäten als Hersteller mittlerer und großer Computer richtet Bull einen neuen Geschäftsbereich für Büroautomation, Mikros und Distributed-Data-Kurse ein. Stern erwartet, daß die neuen Aktivitäten bis 1986 ebenso bedeutsam sein werden wie alle bisherigen. Das vorhandene Know-how bei Großrechnern soll in der "erbarmungslosen" Konkurrenz auf dem DDP-Markt "von besonderem Nutzen sein". Der neue Geschäftsbereich wird ab 1. Januar '84 unter dem Namen Bull-Transac aktiv sein.

Die Mikroaktivitäten mit den Rechnern Questar/M und Micral werden künftig als Bull-Micral geführt. Transac und Micral sollen 1983 einen Umsatz von 2,5 Milliarden Francs erreichen. Eine weitere Tochter soll für die Vermarktung der Chip-Karte CP 8 gegründet werden.

Da Hardwarespezifikationen immer weniger interessieren, muß ein Weg vom "Produkt-Ansatz" zum "Lösungs-Ansatz" gefunden werden. Hierfür wird Bull seine Aktivitäten auf den Gebieten "Technische Unterstützung", "Anwendungsentwicklung" und "Ausbildung" verstärken. Eine neue Marketing-Organisation mit Spezialisten für Marktsegmente soll dies gewährleisten.

Während beim Marketing die Bedeutung bei globalen Lösungen liegt, sollen die finanziellen und technischen Hilfsmittel selektiv eingesetzt werden.

Lorenz will sich auf Produkte konzentrieren, für die Bull über das Know-how verfügt sowie auf Produkte, die wichtig für Bulls künftige expansive Marktposition sind, mit den Worten: "Wir werden nicht alles tun, und wir werden nicht alles allein tun", verspricht Lorenz künftig technische, industrielle und kommerzielle Zusammenarbeit. Er läßt aber keinen Zweifel daran, daß dies aus einer Position der Stärke passieren muß.

Technologische Unabhängigkeit ist das Wunschkind der Franzosen. Auf dem JFJP-Kongreß hatte Stern mahnend ein US-Kongreß-Dokument von 1982 zitiert: "Führend zu sein bei Hochleistungsrechnern und ihren Anwendungen, ist unabdingbar für nationale Sicherheit und ökonomische Entwicklung." Für einen europäischen Supercomputer fehlt laut Stern vor allem der politische Wille. Technische Kapazität und Wissen seien vorhanden. Schließlich stammten die wichtigsten Erfindungen der Informationstechnik aus Europa. Abhängigkeit sei nicht nur gefährlich für die DV-Industrie selbst, sondern schließlich auch für den Anwender, der alternativenlos politischen und kommerziellen Zwängen ausgesetzt sei.

Mini 6 bleibt Kernstück

Wichtigster Partner ist jedoch auch weiterhin Honeywell. Das vorjährige Abkommen, das Honeywells Kapitalanteil auf 19,9 Prozent reduzierte, sichert für weitere zehn Jahre technische Zusammenarbeit. Vor allem das System Mini 6 bleibt Kernstück des Bull-Mini-Angebots.

In Europa will Bull Lokomotive für verschiedene Kooperationen sein. Wichtige Beispiele hierfür sind das gemeinschaftliche Forschungszentrum von Bull, ICL und Siemens, das in Bayern beheimatet werden sollen, sowie die Errichtung eines Computerwerks zwischen Bull, ICL und Siemens, GEC, Olivetti sowie der INRIA (Institut National de Recherche Informatique et Automatique).

Einen siebenprozentigen Anteil hält Bull an dem neuen "Amdahl-Unternehmen" "Trilogy", dessen Gründer Gene Amdahl in der Vorwoche eine /370 auf einem Chip ankündigte. Weitere Beteiligungen bestehen an Convergent Technology, Verten und Magnetic Peripherals.

Ein Gesprächspartner

Stern bekannte ganz offen, daß die bisherige Organisation (Cll-HB) schwerfällig und unangepaßt war. Die vielen neuen Divisionen werden eigene Ergebnisverantwortung für Entwicklung und Produktion übernehmen. Die bisher selbständigen Verkaufsorganisationen von CII-HB, Transac, Sems und R2E hingegen werden bis Jahresende verschmolzen, um dem Kunden jeweils einen einzigen Gesprächspartner für alle Bull-Leistungen zu geben. Eine eigene Abteilung "General Assistance" wird für Vertrieb von Mikros und

Büroautomationsprodukten durch Distributoren und Softwarehäuser zuständig sein. Zur Steuerung und Kontrolle der Marketing-Organisation der Divisionen und Tochterfirmen wird eine neue eigene Führungsorganisation eingerichtet. Um sie auch psychologisch von der bisherigen Bürokratie abzusetzen, bezieht die neue Führungsmannschaft ein neues Büro nahe dem Arc de Triomphe.

Als Ermutigung und Bestätigung des bisherigen Weges sieht Lorenz einen 21 Prozent höheren Auftragseingang, 29 Prozent mehr Umsatz und 30 Prozent mehr Auslieferungen im ersten Halbjahr '83 gegenüber dem Vorjahres-Vergleichsraum.