Nach den Office-Paketen leiden auch die Browser unter Fettsucht

Erleichtern immer mehr Features wirklich das Surfen im Netz?

30.05.1997

Wie bei den zahlreichen Office-Suiten scheint im Browser-Markt derzeit das Motto "Nur Masse bringt Klasse" zu gelten. Dienten die ersten Browser noch zum einfachen Surfen im Netz und verfügten vielleicht über einen integrierten E-Mail-Client, so präsentiert sich die vierte Generation als eierlegende Wollmilchsau, die alle Aspekte der Internet-Kommunikation erschlagen soll.

Was Netscape dabei recht ist, scheint Microsoft nur billig zu sein. Nachdem die Internet-Enterpreneurs bereits heftig mit Betas die Werbetrommel für ihren Communicator schlagen, ging jetzt auch Microsoft mit einem Preview seines Internet Explorer 4.0 in die Offensive. Vor rund 100 Journalisten erläuterte die Software-Company ihre Sicht des künftigen Arbeitens im Internet mit der nächsten Browser-Generation.

Dabei steht für Microsoft mit dem IE 4.0 vor allem die Integration von PC und Web im Vordergrund. So kann sich der Anwender beispielsweise künftig die Dateien und Ressourcen seines Rechners als Webview im Browser anzeigen lassen. Auf der Internet-Seite liegt der Fokus auf einem benutzerfreundlicheren Aufbau, mehr Anpassungsmöglichkeiten, erweiterten Multimediafähigkeiten sowie einer Leistungssteigerung. Laut Rolf Kertsen, Produktmanager Internet Explorer, liefert Microsoft mit seinem Browser "die schnellste Java-Implementation" aus.

In Sachen Multimedia unterstützt der IE 4.0 als Client "Netshow" und "Netmeeting". Netmeeting ist als Lösung zur Realisierung von Internet-Konferenzen konzipiert und erlaubt neben Internet-Telefonie auch Videokonferenzen, wobei gängige Standards wie H.323 unterstützt werden. Dabei ist das Netmeeting-Konzept nicht auf den IE4 beschränkt. Wie es in Unterschleißheim heißt, lizenzieren Sony, Intel, Siemens und andere Unternehmen diese Technologie ebenfalls, um darauf Telefonielösungen aufzubauen.

Netshow dagegen dient zum Empfangen und Abspielen multimedialer Inhalte, womit sich unter anderem interaktive Schulungen realisieren lassen. Die Interaktion geht dabei so weit, daß innerhalb eines Videos Dinge angeklickt werden können und dann beispielsweise weitere Erklärungen oder Filme aufgerufen werden. Darüber hinaus können dem Anwender auch über sogenannte "Channels", wie Microsoft seine mit Netscapes "Netcast" vergleichbare Push-Technologie bezeichnet, Inhalte geboten werden. Hierzu hat die Gates-Mannschaft das Channel Definition Format (CDF) spezifiziert. Um dem User die Wahl der entsprechenden Channels zu erleichtern, will Microsoft die Inhaltsanbieter in drei Kategorien untergliedern. Derzeit sind "Basic"-, "Gold"- und "Platinum"-Channel im Gespräch. In der nächsten Preview-Version des IE, die für Juni angekündigt ist, sollen dann zehn Channnels der Platinum-Provider voreingestellt sein. Über das eigene Push-Verfahren hinaus unterstützt der IE die Grundfunktionen der Content-Anbieter Ma- rimba, Pointcast sowie Backweb. Mit entsprechenden Agents der jeweiligen Anbieter läßt sich der Funktionsumfang erweitern.

Neben diesen grundlegenden Neuerungen investierte Microsoft auch in das Feintuning des IE. Beispielsweise kann der Anwender künftig seine favorisierten Web-Seiten vom Browser automatisch auf Änderungen untersuchen lassen. Im Falle einer Änderung informiert dieser ihn dann automatisch per E-Mail darüber. Weitgehend überarbeitet wurde auch das Kapitel E-Mail. Mußte der User beim IE3 noch ein eigenes Messaging-Programm installieren, so ist die abgespeckte Version "Outlook Express" nun ein integraler Bestandteil des neuen Browsers. Diese unterstützt nun mehrere E-Mail-Accounts auf verschiedenen Servern und erlaubt die Anlage mehrerer Postfächer. Dank des LDAP-Support ist ein weltweites Suchen nach Mail-Adressen möglich.

Neben der Suche nach Mail-Adressen wurde auch die Suche nach Internet-Inhalten vereinfacht. Der Browser verfügt über Verweise zu gängigen Suchmaschinen wie Lycos, Yahoo oder Altavista. Dabei zeigt er die gefundenen Seiten in einer Vorschau an und ermöglicht ein Hin- und Herspringen zwischen Suchergebnis und kompletten Seiteninhalten.

Tools wie "Front Pad" zum Erstellen von HTML-Seiten, ein "Personal Web-Server" oder das "Internet Explorer Administration Kit" runden den Lieferumfang ab. Angesichts der Featurities und zahlreicher Push-Technologien - selbst der Bildschirmschoner läßt sich mit Web-Seiten füttern -, dürfte jedoch schnell der Wunsch nach einer Standleitung ins Internet und einem Prozessor-Upgrade sowie mehr RAM aufkommen.

Wer dem Browser-Overkill von Microsoft und Netscape entkommen will, und nur ein einfaches Werkzeug zum Abruf von Internet-Seiten sucht, für den könnte "Opera 2.12" ein Ausweg sein. Das Shareware-Tool, das nur ein MB an Festplatten-Platz beansprucht, ist im Internet unter der Adresse "traviata.nta.no" zu finden. Gegen eine Registrierungsgebühr von 30 Dollar bekommen Puristen hier einen Browser, der auf modischen Firlefanz wie Ac- tive X, Java oder animierte Gif-Bildchen verzichtet.

Zur Grafik: RUNDUMSCHLAG: Vom E-Mail-Client bis zur Videokonferenz reicht der Funktionsumfang des Internet Explorer 4.0. Quelle: Microsoft