CW-Gespräch mit Stephen Gardner, Chairman und CEO von Peregrine Systems

Erfolgreich die Vielfalt verwalten

15.06.2001
Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit hat sich Peregrine Systems in den vergangenen Jahren zu einem großen Softwareunternehmen entwickelt. Die US-Firma bietet mittlerweile mehr als 100 verschiedene Tools an und tritt damit in unterschiedlichen Märkten auf. Stephen Gardner, CEO von Peregrine, sprach mit CW-Redakteur Alexander Freimark über die Strategie des Unternehmens.

CW: Peregrine Systems war noch vor Jahresfrist ausschließlich ein Anbieter von Tools für das Infrastruktur-Management. Inzwischen wurden mit Harbinger und Extricity zwei Unternehmen übernommen, die im B-to-B-Bereich aktiv sind. Wie passt das in Ihre Strategie?

Gardner: Wir sind derzeit in drei Geschäftsfeldern tätig, nämlich dem Infrastruktur-Management, dem Employee-Relationship-Management (ERM) und dem B-to-B-Segment. Jeder dieser Bereiche verfolgt eine andere Strategie. Während wir im Bereich Infrastruktur-Management expandieren und das Angebot ausweiten wollen, geht es uns beim B-to-B-Geschäft darum, künftig zu vereinheitlichen, was heute noch heterogen und ineffizient ist. Im ERM-Sektor schließlich müssen wir versuchen, Lösungen für einen neuen Markt zu definieren.

CW: Was bedeutet denn ERM?

Gardner: In den vergangenen Monaten hat es hierzu diverse Ankündigungen von einigen großen Anbietern gegeben. Peoplesoft bezeichnet ERM als die Human-Resources- und Benefit-Administration, für SAP handelt es sich um die Verbindung der Angestellten mit der Lieferkette. Der Siebel-Ansatz schließlich beschreibt ERM als Interaktion der Sales- und Marketing-Mitarbeiter mit dem Kunden. Wir hingegen sehen in ERM das Verhältnis der Angestellten zur gesamten Infrastruktur ihres Arbeitgebers, die von ihnen genutzt wird.

CW: Das klingt eher so, als seien sich die Anbieter noch nicht sicher, wie sie eine neue Marketing-Floskel mit Leben füllen wollen.

Gardner: Keineswegs. Wir haben hier die Möglichkeit, ein neues Segment der Softwareindustrie zu definieren, und vielleicht müs-sen dazu erst alle Ansätze vereint werden. Das Ziel ist jedenfalls eine komplette ERM-Suite, damit jeder Mitarbeiter auf alles zugreifen kann, was er benötigt, um seinen Job zu erledigen. Ich denke daher, dass das Segment ein guter Platz für Partnerschaften wäre, beispielsweise mit SAP oder Siebel. Beide Anbieter nähern sich dem Problem aus einer anderen Richtung als wir, daher ist die Überschneidung sehr gering und die Ergänzung dementsprechend hoch.

CW: Worum geht es funktional bei ERM?

Gardner: Die Technologie dahinter ist keine zwei Jahre alt, aber das Geschäftskonzept ist hinlänglich bekannt. Wir alle gehen seit 15 Jahren zum Geldautomaten, die Selbstbedienung ist heute in unserer Gesellschaft etabliert. Nun versuchen wir, das Modell auf das Verhältnis zu den Angestellten zu übertragen. Man sollte es ihnen leichter machen, sich zu informieren und dem Arbeitgeber mitzuteilen, wenn sie ein Problem mit der Infrastruktur haben, beispielsweise mit einem defekten Drucker, denn das hält den Mitarbeiter davon ab, produktiv zu sein. Aber er muss nicht nur berichten können, woran es fehlt, das Unternehmen muss auch in der Lage sein, ihm zu sagen, was unternommen wird. Nur durch diesen Prozess werden die Calls reduziert und die Zufriedenheit gesteigert. Das Problem lässt sich also effizienter lösen.

CW: Wie schätzen Sie den gegenwärtigen Bedarf an diesen Tools ein?

Gardner: Ich bin sicher, dass die Bedeutung von ERM signifikant zunehmen wird. Derartige Konzepte werden wegen der wirtschaftlichen Schwäche in den USA zwar zurzeit nur zögerlich angegangen, aber wenn wir die Durststrecke überwunden haben, zieht die Nachfrage an.

CW: Wann wird das Ihrer Meinung nach so weit sein, und welche ökonomischen Parallelen sehen Sie zwischen den USA und Europa?

Gardner: Ich denke, dass sich die wirtschaftliche Situation in den USA gegen Ende des Kalenderjahres verbessern wird. Ob sich in Europa ein ähnlich starker Abschwung ereignet, kann ich nicht abschätzen. Viele Probleme in den USA sind durch eine dramatische Verschwendung von IT-Ausgaben verursacht worden. Als dort die Dotcom-Blase platzte, kam es zu einschneidenden Budgetkürzungen. Eine solche Verschwendung haben wir in Europa nicht bemerkt, daher fällt der Kater nach der großen Internet-Party hier wohl auch nicht so schmerzhaft aus.

CW: Wie wird sich dies auf die Ergebnisse von Peregrine auswirken?

Gardner: Die Quartale, die im Juni und im September enden, werden gut, aber nicht spektakulär ausfallen. Ende Dezember und Ende März sind die Ergebnisse naturgemäß viel besser.

CW: Welche finanziellen Ziele streben Sie für das laufende Geschäftsjahr an?

Gardner: Wir prognostizieren rund 800 Millionen Dollar Umsatz, was einem Wachstum von 40 bis 45 Prozent entspräche.

CW: Dafür müssten Sie im Bereich Infrastruktur-Management konstant wachsen. Ist dieser Markt nicht langsam gesättigt?

Gardner: Eine unsere größten Chancen der kommenden zwölf Monate liegt im Bereich Wireless-Infrastruktur. Wenn Geräte auf den Markt kommen, die Handys und Handhelds in sich vereinen, werden diese drei Jahre später die gängige Client-Plattform in Großunternehmen sein. Aus Sicht der Infrastruktur-Manager entsteht dadurch ein interessantes Problem, denn sie sind es bislang gewohnt, Systeme zu verwalten, die an ein Netz angeschlossen sind. Was ich lokalisieren kann, lässt sich auch verwalten. Das Handy hingegen bewegt sich mit dem Nutzer. Ich kann nie sicher sein, wo es gerade ist und wer es einsetzt. Allerdings muss dafür gesorgt werden, dass es in den richtigen Händen immer funktioniert. Das ist das nächste Infrastruktur-Problem, das wir lösen müssen.

CW: Wie beurteilen Sie die Entwicklung in Ihrer traditionellen Infrastruktur-Disziplin, der Verwaltung von Gütern und Anlagen?

Gardner: Um Marktanteile im Enterprise-Segment zu gewinnen, haben wir im vergangenen Dezember das Geschäftsfeld "Service-Desk" von Tivoli gekauft. Darüber hinaus wollen wir im Vertriebsbereich aus eigener Kraft zulegen und Partnerschaften wie jetzt mit Fujitsu-Siemens ausbauen.

CW: Seit gut einem Jahr sind Sie durch die Übernahme des EDI-Spezialisten Harbinger auch im E-Business aktiv. Glauben Sie nach dem Crash immer noch an das Potenzial des elektronischen Handels?

Gardner: Ja, und zwar mehr denn je. Die Pleitewelle wurde von Firmen verursacht, die keine ausgereiften Produkte hatten, die niemals ein wirkliches Business-Problem gelöst haben und die zu schnell an zu viel Geld gekommen sind. Zur Zeit des Hypes wurde Peregrine von den Analysten nicht als attraktives Investment gesehen, doch nun hat sich das Blatt gewendet. Auch die Kunden wollen verlässliche Geschäftspartner, über die sie ihre Transaktionen abwickeln. Daher denke ich, dass die Abkühlung des Hypes unsere Wettbewerbsposition gestärkt hat.

CW: Auf dem Höhepunkt der Internet-Euphorie haben Sie Harbinger für 2,1 Milliarden Dollar gekauft. Forrester Research kommentierte seinerzeit, der Preis sei "unfassbar hoch" gewesen. Das klingt nach schlechtem Timing.

Gardner: Der Preis war wirklich unbeschreiblich hoch, doch auch unser Aktienkurs war zu dieser Zeit unvorstellbar hoch. Die Märkte haben auf das Geschäft nicht positiv reagiert. Interessanterweise konnten wir aber im Jahr nach der Übernahme stets unsere Gewinnvorgaben erfüllen, selbst in den Monaten des wirtschaftlichen Abschwungs.

CW: Wieso haben Sie mit der Übernahme nicht gewartet?

Gardner: Unsere Kristallkugel funktionier-te nicht perfekt. Aber im Ernst, wer konnte schon wissen, dass der gesamte Markt binnen weniger Monate zusammenbricht. Im Nachhinein bedaure ich zwar das schlechte Timing und den hohen Preis, aus strategischen Gesichtspunkten würde ich heute aber genau so handeln.

CW: Was bedeutet die Übernahme aus technischer Sicht für Peregrine?

Gardner: Harbinger bildet inzwischen die Grundlage unserer Angebote im B-to-B-Bereich, denn nun können wir die traditionellen Infrastruktur-Tools über elektronische Marktplätze direkt mit den Lieferanten der Produkte verbinden.

CW: Mitte März haben Sie 168 Millionen Dollar für die Übernahme des EAI-Spezialisten Extricity gezahlt, gemessen an Harbinger sozusagen ein Schnäppchen. Was versprechen Sie sich davon?

Gardner: Über die Extricity-Technologie können wir neue Services jenseits von Dokumentenaustausch und B-to-B-Katalogen anbieten. Erstens wird dadurch die Kommuni-kation unterschiedlicher Applikationen vereinfacht, zweitens ermöglicht es uns die Integration von Geschäftsprozessen. Wenn ich beispielsweise mit meinem SAP-System 1000 Teile bei Ihrem Peoplesoft-Tool bestelle und nur 200 Einheiten momentan lieferbar sind, tritt ein spezielles Prozess-Skript in Aktion. Zwischen zwei Maschinen wird nach vorher definierten Regeln automatisch entschieden, ob auf die restlichen 800 Einheiten gewartet oder ein zweiter Lieferant beauftragt werden soll. Wir konnten also durch die Extricity-Übernahme unser Angebot für die Kommunikation mittels Dokumenten und Katalogen um Applikationen sowie Prozesse ergänzen.

CW: Ihr Unternehmen ist jetzt in vielen Bereichen des Softwaremarktes tätig. Sehen Sie nicht die Gefahr, dass Sie sich in einer Art Mehrfrontenkrieg verzetteln?

Gardner: Gegenwärtig ist die Umsetzung vielleicht wichtiger als die Strategie selbst. Zwar adressieren wir Märkte, die hungrig nach neuen Lösungen sind, aber wir müssen sicherstellen, genügend Ressourcen für die Aufgaben zu haben. ERM und der Infrastrukturbereich hängen eng zusammen, dort können wir die gleichen Vertriebs- und Marketing-Teams einsetzen. Das andere Standbein des Konzerns bildet unsere B-to-B-Abteilung. Beide Gruppen sind für sich betrachtet große Softwarefirmen, die sich auf ihren Markt konzentrieren und expandieren können.

CW: Wie lange werden Sie diese breit gefächerte Expansionsstrategie durchhalten?

Gardner: Peregrine beschäftigt gegenwärtig rund 3000 Mitarbeiter weltweit. Vor vier Jahren waren wir 160 Leute, da hätte mir diese Strategie schlaflose Nächte bereitet. Es wäre verrückt gewesen, diese 160 Mitarbeiter auf drei Märkte aufzuteilen. Im Laufe der Zeit sind wir aber von vier auf mehr als 100 Produkte gewachsen, und wir hatten das Glück, die richtigen Leute zur richtigen Zeit einzustellen. Inzwischen haben wir die Ressourcen, um in allen Bereichen zuzulegen.

CW: Wollen Sie mit den Übernahmen in diesem Jahr fortfahren, oder wurde bei Peregrine eine Konsolidierungsphase eingeläutet?

Gardner: Momentan sehen wir einen attraktiven Käufermarkt, weil sich unsere Aktie und damit die nötige Währung relativ gut entwickelt hat. Zudem sind viele Firmen mittlerweile realistischer bewertet. Wir prüfen gerade einige Angebote, aber sie müssen in unsere Strategie passen.

CW: Für den Einsatz Ihrer Tools benötigen Anwender integrierte Systeme. Wie schätzen Sie den Markt für Enterprise Application Integration (EAI) ein, und erwarten Sie nicht steigenden Wettbewerbsdruck seitens der einschlägigen Anbieter?

Gardner: EAI ist einer der künftigen Wachstumsmärkte schlechthin, denn die meisten Unternehmen weltweit und auch in Deutschland haben ihr Backend nicht integriert. Anbieter wie Tibco zählen spätestens seit unserer Extricity-Übernahme zu den Wettbewerbern, aber wir haben auch schon mit ihnen zusammen-gearbeitet. Der Markt verhält sich in der Tat seltsam. EAI schafft jedoch einen besseren Return on Investment für Technologien, die man sich vielleicht vor fünf Jahren gekauft hat. Wenn Sie alles integrieren, üben Sie eine stärkere Kontrolle über die Anwendungen aus. Dann ziehen Sie einen besseren Nutzen und eine produktivere Informationen aus den Applikationen. Der Markt ist heiß, denn die Anwender müssen dank EAI nicht alles neu erfinden.

CW: Erleben wir durch die Integration eine Renaissance der traditionellen Datencenter?

Gardner: Zwischen Integration und Zentralisierung besteht ein entscheidender Unterschied. Die Tage der riesigen Datacenter sind wohl endgültig gezählt, denn es herrscht ein Gleichgewicht zwischen dem Verlangen zur Kontrolle der Anwendungen und der Anforderung, Teile des Geschäfts verteilt ablaufen zu lassen. Die Zusammenarbeit der Zentraleinheit und ihrer Umgebung bestimmt häufig darüber, wie produktiv ein System funktioniert. Das interessanteste Problem dabei ist die Integration von mehreren Datacentern in einem Unternehmen sowie zwischen Geschäftspartnern, denn dort liegt der höchste Return on Investment.

CW: Früher wurde dafür EDI genutzt, heute scheint es nur noch XML zu geben. Ist EDI als Standard tot?

Gardner: Ich glaube, dass wir uns in der Hightech-Industrie häufig in IT-Technologien verrennen und darüber das Business vergessen. Jeder Standard steht einmal in seinem Lebenszyklus an erster, zweiter oder dritter Stelle. Als Schlüssel für den Einsatz von Technologien muss man jedoch verstehen, dass es niemals nur einen einzigen Standard geben kann. Der Erfolg liegt darin, die Vielfalt zu verwalten, wie etwa bei SNA, OSI und TCP/IP in Netz-werken.

CW: Wer geht denn als Sieger aus dem E-Business hervor?

Gardner: Die wahren Gewinner im Netzwerkbereich waren Firmen wie Cisco, denen die Standards letztlich egal sein konnten, weil sie so gut wie alles unterstützt haben. Im E-Business ist es genauso: Vor 20 Jahren hat es mit EDI begonnen, nun ist XML an der Reihe. Der Gewinner wird nicht diejenige Firma sein, die bestimmt, welche der verschiedenen XML-Ausprägungen der wahre Standard ist. Siegen wird hingegen der Anbieter, der seinen Kunden die Wahl lassen und dadurch die Last der Standards erleichtern kann.

Zur Person

Stephen Gardner ist seit vier Jahren bei Peregrine Systems tätig, seit drei Jahren in der Position des CEO. Zuvor war Gardner Marketing-Chef von Data General und Gründer der Beratungsgruppe Integris im Hause Bull. Dort landete er durch die Übernahme von Honeywell, wo er für das Minicomputer-Geschäft verantwortlich war. In seiner letzten Stellung vor Peregrine fungierte Gardner als Mitgründer und President der eigenen Angaben zufolge "winzigen" Internet-Softwarefirma Thunder and Lightning.

Das Unternehmen

Peregrine Systems, 1981 gegründet mit Hauptsitz in San Diego, hat im Geschäftsjahr 2001 (Ende: 31. März) insgesamt 564 Millionen Dollar umgesetzt. Verglichen mit dem Vorjahr belief sich die Steigerung auf 123 Prozent. Angesichts der wirtschaftlichen Schwächephase in den USA geht CEO Stephen Gardner für das laufende Fiskaljahr von einer durchschnittlichen Umsatzsteigerung von rund 45 Prozent aus.

Vor Abschreibungen, Zinsen und Steuern betrug der Gewinn des Unternehmens 116,5 Millionen Dollar, 130 Prozent mehr als im Vorjahr. Durch die Übernahmen von Harbinger (für 2,1 Milliarden Dollar), Tivolis Service-Desk-Geschäft (für 105 Millionen Dollar) und Extricity (für 168 Millionen Dollar) fielen jedoch hohe Kosten an, weshalb sich der Nettoverlust im Gesamtjahr auf 852 Millionen Dollar belief. Pro Anteilschein betrug das Minus 5,80 Dollar.

Die Produktpalette von Peregrine ist in den vergangenen Jahren stetig breiter geworden. Standen ursprünglich Infrastruktur- und Asset-Management-Tools im Mittelpunkt, bietet das Unternehmen inzwischen auch Programme für die Fahrzeugflotten- sowie die Immobilienverwaltung an. Mit Harbinger ist im vergangenen Jahr zudem ein Anbieter von E-Business-Plattformen übernommen worden. Über die EAI-Werkzeuge der letzten Neuerwerbung Extricity sollen schließlich die Prozesse und Anwendungen der Kunden in die B-to-B-Plattform integriert werden.

Zu den wichtigsten Partnern des Unternehmens zählt IBM. Peregrine hat im Dezember 2000 das Service-Desk-Geschäft von Big Blues Tochter Tivoli einschließlich der weltweit rund 1000 Kunden übernommen. Zeitgleich mit der Akquisition von Tivolis Helpdesk-Tools vereinbarten die Firmen auch eine engere Bindung Peregrines an die Dienstleistungsdivision IBM Global Services. Seit Mai ist es nun auch offiziell, dass die EAI-Technologie von Extricity eine zentrale Rolle in IBMs neuer Middleware "Websphere Business Integrator" spielen wird.

Abb: Kursentwicklung

Die Internet-Krise der Aktienmärkte ging auch an Peregrine nicht spurlos vorüber. Allerdings konnte sich das Unternehmen relativ schnell wieder erholen. (Quelle: fnet)