Erfahrungen von Mittelständlern mit Telearbeit

Erfahrungen von Mittelständlern mit Telearbeit Pragmatiker umgehen bürokratische Hürden

22.01.1999
Von CW-Mitarbeiterin Alexandra Glasl Eine Förderinitiative hilft kleinen und mittelständischen Betrieben, Telearbeit einzuführen. Das Motiv der Firmen: Sie sparen Geld.

Als Lothar Krenge vor sieben Jahren seine erste Angestellte zu Hause arbeiten ließ, hatte er von Telearbeit noch nichts gehört. Erst 1995 schnappte der Fuhrunternehmer den Begriff bei einer Tagung auf. Doch damals gehörte Krenge mit der Krefelder Spedition Bönders schon zu den Pionieren. Von den 50 Mitarbeitern im kaufmännischen Bereich arbeitet inzwischen jeder Fünfte abwechselnd im Büro und zu Hause.

Telearbeit war für Krenge damals der Weg, der am Kauf einer neuen DV-Anlage vorbeiführte. "Wir wollten nicht nach fünf Jahren schon wieder in eine neue Anlage investieren, nur weil die alte entgegen allen Versprechungen aus den Nähten platzte. Durch das Telearbeitsmodell konnten wir Tätigkeiten entzerren und die DV- Anlage länger laufen lassen", beschreibt der Spediteur. Die Bedenken der Mitarbeiter konnte er in zahlreichen Gesprächen zerstreuen. Die Telearbeit sicherte indirekt das Überleben der Firma: "Mit einer neuen DV wären so hohe Kosten auf uns zugekommen, daß wir vom Markt verschwunden wären."

So pragmatisch das Vorgehen des Mittelständlers ist, so wenig scheint es in größeren Unternehmen umsetzbar zu sein. Bis auf wenige Vorreiter wie IBM oder BMW tun sich viele Unternehmen noch schwer, Telearbeit im großen Stil einzuführen. Oft vergehen Jahre, bis eine entsprechende Betriebsvereinbarung abgesegnet ist, die strittige Punkte klärt: angefangen vom Status als Arbeitnehmer über die Freiwilligkeit der Telearbeit bis hin zum Rückkehrrecht auf den alten Arbeitsplatz. Zu regeln sind daneben die Beschaffung der Arbeitsmittel, die Gestaltung der Arbeitszeit, das Zutrittsrecht des Arbeitgebers zur Privatwohnung des Telearbeiters, Datenschutz und -sicherheit sowie die Haftung.

"Auch aufgrund der rechtlichen Diskussion haben wir in Deutschland so wenig echte Telearbeitsplätze", weiß Thomas Goerke, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Darmstadt. So gebe es immer noch kein Gesetz, das die Telearbeit regele. Das Heimarbeitsgesetz aus dem Jahr 1911 träfe zwar in weiten Teilen auf den Telearbeiter zu, werde aber nicht angewandt. Zu stark werde Heimarbeit immer noch mit unqualifizierter Arbeit assoziiert.

Umstritten ist etwa die Frage, ob auch Telearbeiter, die nur noch gelegentlich zu Besprechungen ins Büro kommen, die üblichen Rechte eines Arbeitnehmers beibehalten können.

Entscheidend für die Abgrenzung zum freien Mitarbeiter sind Kriterien wie Weisungsabhängigkeit und Eingliederung in das Unternehmen.

Ungeachtet der rechtlichen und organisatorischen Schwierigkeiten scheint die Schaffung von Telearbeitsplätzen für kleinere und mittelständische Unternehmen kein großes Problem zu sein. Zu diesem Schluß kommt die Begleitstudie zum Förderprojekt "Telearbeit im Mittelstand", die am 18. Februar 1999 in Köln vorgestellt wird (siehe Kasten). Mit insgesamt 20 Millionen Mark haben Bundeswirtschaftsministerium und die Deutsche Telekom 400 kleineren und mittleren Betrieben einen finanziellen Anstoß gegeben, damit sie ein Konzept für Telearbeit entwickeln und dieses auch ein Jahr lang testen. "Schon in der Planungsphase waren wir von den vielen kreativen Ansätzen überrascht", erinnert sich Carsten Klinge, Projektleiter beim Beratungsunternehmen TA Telearbeit GmbH, Geilenkirchen.

Auch nach der einjährigen Testphase bleibt das Fazit positiv. "Die Firmen sind sehr pragmatisch an das Thema herangegangen und haben bei der Umsetzung von den kurzen Entscheidungswegen profitiert", erläutert Klinge. In der Regel mußten sich nur Telearbeiter und Vorgesetzter einigen, da viele der beteiligten Unternehmen keinen Betriebsrat haben. Die gegenseitige Abstimmung funktionierte auch während der Testphase, so daß sich die Telearbeit in den meisten Fällen nicht wie oft angenommen negativ auf die Zusammenarbeit auswirkte.

"Durch die Telearbeit kommunizieren wir sogar besser", behauptet Spediteur Krenge. So würden die Angestellten im Büro die Information in geballter Form an die Kollegen zu Hause weitergeben, was wiederum zu mehr Effizienz führe. Das kann auch Rüdiger Hartmann bestätigen. Seit der technische Geschäftsführer der Augsburger Internet-Werbeagentur Interad im Zuge des Förderprojekts von seiner Wohnung aus das System verwaltet und programmiert, hat er gelernt, sich unmißverständlich auszudrücken: "Wenn man vor allem per E-Mail miteinander kommuniziert, ist man gezwungen, genauer zu formulieren."

Von den sechs Angestellten der Agentur sind drei Teleworker, die zum Teil nur zu Hause arbeiten und einmal im Monat für Besprechungen ins Büro kommen. Die Erfahrungen mit der Telearbeit waren bisher so gut, daß man sie ausdehnen will. "Dadurch können wir weiter wachsen, ohne in ein größeres Büro umziehen zu müssen", führt Hartmann auch den wirtschaftlichen Vorteil an. Eine ganze Etage hat sich auch das Münchner Ingenieurbüro Kühn eingespart, seit vier Mitarbeiter das Büro gegen ein Home-Office eingetauscht haben. "Da sich die TK-Kosten bei unserer Tätigkeit in Grenzen halten, rechnet sich das Modell wirklich", sagt Statiker und Firmeninhaber Roland Kühn. Von geringeren Raumkosten kann Spediteur Krenge zwar nicht profitieren, da jeder Telearbeiter seinen Schreibtisch in der Firma behält. Indirekt habe das neue Arbeitsmodell aber dazu beigetragen, daß im kaufmännischen Bereich alle Arbeitsplätze erhalten und der gewerbliche Bereich ausgebaut werden konnte.

Telearbeit lohnt sich. Diese Botschaft verkündet auch Berater Klinge. Über 80 Prozent der an der Studie "Telearbeit im Mittelstand" beteiligten Unternehmen haben die eingeführte flexible Arbeitszeit als wirtschaftlich beurteilt. In vielen Fällen seien Einsparungen bei Raumkosten oder eine höhere Produktivität dazu genutzt worden, um zu expandieren. Die Firmen hätten 1700 Telearbeitsplätze eingeführt und dabei 500 neue Mitarbeiter eingestellt.

In der Regel hatten aber nur ausgewählte Mitarbeiter die Chance, zu Hause und im Büro zu arbeiten. Die Unternehmer sind sich einig, daß sich nicht jeder für Telearbeit eignet. Meistens fällt die Wahl auf erfahrene Mitarbeiter, die sich gut selbst organisieren können. In den Augen von Klinge ist es kein Zufall, daß 60 Prozent der im Zuge des Förderprojekts geschaffenen Telearbeitsplätze mit Akademikern besetzt sind: "Im Studium hat man sich schließlich auch die ganze Zeit organisieren müssen. Mit dieser Erfahrung ist der Einstieg in die Telearbeit leichter."

Auch Programmierer Hartmann gibt zu, daß er sich an das Arbeiten zu Hause erst gewöhnen mußte. Zu stark verschwammen die Grenzen zwischen Arbeits- und Freizeit, so daß er oft kein Ende fand und gegen Mitternacht immer noch vor seinem Computer saß. "Hat man dann aber seinen Rhythmus gefunden, kann man zu Hause wesentlich produktiver arbeiten", ist der Augsburger Manager überzeugt. Er selbst nimmt sich gern die komplexen Aufgaben in den eigenen vier Wänden vor. "Allerdings darf man sich nicht ablenken lassen und sich vor den Fernseher setzen."

Umdenken müssen auch die Führungskräfte, wenn ihre Mitarbeiter zu Teleworkern werden. "Das Hauptproblem in Großunternehmen ist oft die Einstellung des mittleren Managements, das fürchtet, die Kontrolle zu verlieren", hat Berater Klinge beobachtet. In der Tat sind Vorgesetzte bei Telearbeit stärker in ihren Führungsqualitäten gefordert. So müssen sie genau einschätzen lernen, wieviel Zeit die jeweilige Aufgabe in Anspruch nimmt, ohne sich ständig persönlich davon überzeugen zu können. "Die Teamleiter müssen die Berater, die zwischen Kunden und Home-Office pendeln und nur noch einmal im Monat im Büro sind, erheblich mehr betreuen", erzählt Claudia Gluchow, Personnel Resource Manager bei der Dr. Seidel Informations-Systeme GmbH, München.

Wenn sich die Chefs auf den höheren Aufwand einlassen, hat Telearbeit zumindest im Mittelstand Zukunft - davon ist auch Klinge überzeugt. Die abschließenden Zahlen aus der Studie versprechen ein ungeahntes Potential. 60 Prozent der beteiligten Firmen geben an, daß nach den guten Erfahrungen 40 Prozent ihrer Mitarbeiter sich für die alternierende Telearbeit entscheiden könnten. "Bleibt nur noch die große Frage, wann diese Pläne umgesetzt werden", sagt Klinge.

Anwender berichten

Mit ihren Erfahrungen nach einem Jahr Telearbeit setzen sich die Teilnehmer der Förderinitiative "Telearbeit im Mittelstand" am 18. Februar 1999 in Köln auseinander. Bei der Abschlußkonferenz stellen einzelne Anwender ihre Projekte vor. Zudem werden die Ergebnisse der Begleitforschung bekanntgegeben. Als Referenten werden Wirtschaftsminister Werner Müller sowie der Vorsitzende der Deutschen Postgewerkschaft, Kurt van Haaren, erwartet. Die Veranstaltung ist zugleich Start der Telejob-Börse, die Stellen und Aufgaben für Telearbeiter virtuell vermitteln will. Noch bis zum 5. Februar 1999 nimmt die TA Telearbeit GmbH unter der Rufnummer 024 51/ 95351-0 Anmeldungen entgegen.