Entwickler Frank Soltis zur Zukunft von IBMs Mittelklassesystem: "Auf der AS/400 kann theoretisch jedes Programm genutzt werden"

11.08.1995

MUENCHEN (wm) - "Die AS/400 ist ein Rechner, der anders konstruiert wurde als normale Systeme..." Frank Soltis, IBMs Entwicklungschef fuer die AS/400, erklaerte im Gespraech mit der CW- Schwesterpublikation "Computerworld Australia", wie das Midrange- System heute funktioniert und welche Weiterentwicklung in naechster Zeit moeglich ist.

Am 21. Juni dieses Jahres hat IBM auch fuer seine Midrange-Rechner offiziell das RISC-Zeitalter eingelaeutet. An diesem Tag wurden sieben AS/400-Modelle "Advanced Series" vorgestellt, deren Prozessorkern auf der 64-Bit-Power-PC-CPU von Apple, IBM und Motorola basiert. Dieser Kern verarbeitet die gleichen Befehle wie der Power-PC 620 - speziell fuer die AS/400 hat IBM allerdings einige Befehle hinzugefuegt, die die Arbeitsgeschwindigkeit erhoehen sollen.

Diese Power-PC-AS-Sprache hat sogar Chancen, eines Tages in die Standard-Power-PC-Prozessoren eingebaut zu werden, mutmasst das Fachblatt "Microprocessor Report". Zwar koenne IBM auch in Zukunft den 64-Bit-Kern des Power-PC-Prozessors an die AS/400 anpassen, doch das koste Zeit, und die AS/400 wuerde damit immer hinter der Konkurrenz herhinken. Wenn IBM dagegen Apple und Motorola davon ueberzeugen koenne, die Power-PC-AS-Befehle in die Standard-Power- PC-Chips zu uebertragen, dann wuerde die Herstellung der Prozessoren fuer die AS/400 wesentlich billiger.

Die Power-PC-Varianten "A30" und "A10" ersetzen die bisherige "IMPI"-CISC-CPU in der AS/400. Internal Microprogrammed Interface hatten IBMs Entwickler den Befehlssatz getauft, den

die CISC-Prozessormodule der AS/400 verarbeiten konnten. Dazu Soltis: "Wir haben bei der AS/400 zuerst die Schnittstelle zwischen Soft- und Hardware entworfen, heute wuerde man das Programmier-Schnittstelle nennen, damals war es fuer uns eine Maschinen-Schnittstelle. Erst danach haben wir uns an die Konstruktion der Hardware und des Betriebssystems gemacht."

Jedes Programm auf der AS/400 muss sich an diese Schnittstelle wenden - es kommuniziert nie direkt mit der Hardware. Deshalb muesse man ein Programm erst von einem Compiler in Bits und Bytes uebersetzen lassen, die der Prozessor versteht. Die Schnittstelle trennt also Hard- und Software, so dass die Programmierarbeit nicht verlorengeht, wenn eine andere Hardware hinter der Schnittstelle arbeitet.

Soltis weiter: "Die Idee dahinter ist: Das Programm wird unabhaengig von der Hardware. Deshalb koennen wir heute zu unseren Kunden gehen und die Hauptplatine einer bestehenden AS/400 austauschen. Wir stecken eine Platine mit einem 64-Bit-Power-PC- Prozessor hinein, und der Kunde erhaelt mehr Rechenleistung und Speicherkapazitaet."

Tatsaechlich bereitet der Wechsel von CISC auf RISC wenig Probleme, solange die Software mit dem Standard-Compiler der AS/400 uebersetzt wurde. Dieser Compiler erzeugte nicht nur das ausfuehrbare Programm, sondern uebersetzte den Quellcode zusaetzlich auch in eine Zwischensprache, im IBM-Jargon "Program Creation Template". Existiert diese Template-Datei noch, dann kann das Programm sofort auf der AS/400 Advanced Series genutzt werden. IBM hat intern einen Compiler in das Betriebssystem eingebaut, der aus den Template-Dateien alter IMPI-Anwendungen direkt und fuer den Benutzer unsichtbar Power-PC-AS-Befehle erzeugt. IBM nennt als Beispiel das Softwarehaus Software 2000, das zwei grosse Applikationen mit mehr als 1500 Einzelprogrammen innerhalb von zwei Tagen portiert hat.

Der Schutz jener Investitionen, die langjaehrige AS/400-Kunden erbracht haben, scheint also perfekt, doch die Zukunft von IBMs Mittelklasserechner ist damit noch nicht gesichert. "Die AS/400 muss offener werden", lautete eine Forderung, die auf Anwendertreffen immer wieder zu hoeren war. Es muesse moeglich sein, PCs statt Terminals an die AS/400 anzuschliessen und von Windows, DOS oder OS/2 auf die Datenbank der Maschine zuzugreifen.

Inzwischen kann IBM ein Hardwaremodul anbieten, mit dem die Netz- Betriebssysteme Novell Netware oder IBM LAN Server auf der AS/400 laufen. Im Prinzip hat IBM einen PC in das schwarze Gehaeuse der AS/400 eingefuegt. "Wir bauen seit einigen Jahren Ein- und Ausgabeprozessoren in die AS/400 ein. In der Vergangenheit dienten sie nur zur Ein- und Ausgabe von Daten. Wir hatten jeden Chip mit einem winzigen Betriebssystem ausgestattet, das in Echtzeit den Datentransfer steuert", erklaert Soltis.

Innerhalb der AS/400 gibt es dazu eine Einheit, die diese Ein- und Ausgabe-CPUs kontrolliert. Der Informationsaustausch fand fuer den Anwender unsichtbar zwischen dem Hauptprozessor sowie dem Ein- und Ausgabechip statt. Das Betriebssystem entschied damit auch darueber, wie die Daten am Bildschirm dargestellt werden, die von einem Peripheriegeraet kamen.

Soltis weiter: "So kam uns die Idee, dass wir auch Spezialprozessoren fuer andere Betriebssysteme einbauen koennten, solange der AS/400-Kern dabei die Oberhand behaelt. Zuerst haben wir einen Intel-Prozessor genommen und OS/2 eingespielt. Unsere erste Applikation war das Netz-Betriebssystem LAN Server."

Die Vorteile dieser Loesung liegen auf der Hand: Kein AS/400- Besitzer muss sich jemals mit OS/2 abgeben - er sieht nur die Ergebnisse von LAN Server oder Novell Netware auf seinem Bildschirm. Hinzu kommt, dass es vergleichsweise einfach war, mit diesem Verfahren von OS/2 einen Zugang zur Datenbank der AS/400 zu oeffnen.

Technisch sei damit auch die Portierung weiterer Applikationen oder Betriebssysteme kein Problem, so Soltis. Bei den Betriebssystemen favorisiere man eine Unix-Variante wie IBMs AIX, man habe aber auch an Windows NT gedacht. Beruehrungsangst gebe es da nicht: "Microsoft ist selbst an einer Portierung von Windows NT interessiert." IBM werde sich aber erst dann an die Arbeit machen, wenn ein Kunde eine Anwendung auf die AS/400 portieren will, die nur unter NT laeuft.

Die Moeglichkeit besteht also, jedes Programm auf die AS/400 zu bringen, doch steht dieser Weg nicht den Anwendern, sondern allein IBM offen. Big Blue muss dazu das noetige Betriebssystem auf einen Spezialprozessor portieren und OS/400 die Kontrolle ueber das Betriebssystem geben. Erst dann kann die Applikation eingespielt und an die grafische Benutzeroberflaeche angepasst werden. Die freie Wahl des Softwarelieferanten bleibt also fuer AS/400-Besitzer weiter ein Wunschtraum.

Neue PC-Programme kann nur IBM portieren

Der einzige Weg, die AS/400 und PC- oder Unix-Programme zusammenzubringen, fuehrt heute ueber die Netz-Schnittstelle der AS/400. Ein Programm wie die Dokumentationssoftware "Framemaker" muesste auf jedem PC im Netz installiert werden, um in eine technische Dokumentation die Daten aus der Datenbank der AS/400 einzubauen.

Der direkte Zugriff auf die AS/400-Datenbank ist seit Herbst vergangenen Jahres einfach: "Die Version 3.1 des AS/400- Betriebssystems arbeitet erstmals mit einem integrierten Dateisystem, mit dem Client-Rechner die Daten auf der AS/400 so sehen, wie sie es gewohnt sind", erlaeutert Soltis. "Die Bibliotheken der AS/400 entsprechen ziemlich genau dem Dateisystem eines DOS-PCs, die Fundstelle setzt sich aus Pfadname, Schraegstrich, Pfadname, Schraegstrich und Dateiname zusammen."

Die Bibliotheken der AS/400 mussten nur um ein Hauptverzeichnis (Wurzel) ergaenzt werden. Damit sei es dann auch moeglich, mit einem Unix-Rechner die Daten auf der AS/400 zu lesen.