Entwickler bewerten Programmiersprachen IDC-Analysten sagen Smalltalk eine glorreiche Zukunft voraus

22.12.1995

MUENCHEN (CW) - Von den 80 objektorientierten Programmiersprachen ist C++ die am weitesten verbreitete, der Smalltalk-Markt waechst jedoch am schnellsten. Das liegt unter anderem daran, dass ein Teil der Cobol-Gemeinde dazu uebergeht, fuer das Unternehmen wichtige Projekte in Smalltalk zu realisieren. Grund genug fuer IDC, dem Thema eine Studie zu widmen, deren Quintessenz eine Empfehlung fuer diese Sprache ist.

Eines der Hauptargumente fuer den Einsatz von Smalltalk beziehungsweise Smalltalk-Tools ist die zu erwartende Produktivitaetssteigerung bei den Entwicklungsteams. Der Vergleich von Cobol und Smalltalk ergab bei Texas Instruments ein Verhaeltnis von drei zu eins, das kanadische Verteidigungsministerium berichtet, sogar Smalltalk sei sechsmal so effizient. Auch der Vergleich mit PL/1 faellt zugunsten von Smalltalk aus. So schrieb der IT-Dienstleister Electronic Data Systems (EDS) eine Applikation nach den 300 Seiten einer Spezifikation, die auch das PL/1-Team benutzt hatte, drei- bis viermal schneller (vgl. Kasten).

Fuer Smalltalk lassen sich heute, so die IDC-Studie, eine ganze Reihe geeigneter Klassenbibliotheken kaufen. Ausserdem werden die selbstentwickelten Bibliotheken mit jedem weiteren Projekt umfangreicher. Dadurch vermehrt sich die Anzahl wiederzuverwendender Module, wodurch die Effizienz der Entwicklungsarbeit weiter zunimmt.

Grundlage der Studie, die vom Smalltalk Industry Council (Stic) in Auftrag gegeben wurde, ist eine Telefonbefragung von etwa 300 Programmierern. Davon entwickeln 75 mit C++-Tools, 71 in Smalltalk, 75 in Cobol und 75 in 4GLs. Akzeptiert wurden nur Entwickler mit mindestens zwei Jahren Erfahrung in ihrer Hausmarke und Kenntnisse in den uebrigen Sprachen.

Als Vorteil von Smalltalk gilt gemeinhin die vergleichsweise leichte Erlernbarkeit der Sprache sowie die konsequente Umsetzung objektorientierter Paradigmen. IDC empfiehlt sogenannten Cobol- Shops, Unternehmen, die im wesentlichen Cobol-Applikationen einsetzen, zu Smalltalk und nicht zu C++ zu wechseln. Selbst wenn sich ein Unternehmen fuer die Hybridsprache C++ entscheiden sollte, sei den Entwicklern zunaechst das Erlernen von objektorientierten Konzepten anhand von Smalltalk zu empfehlen, so die IDC-Studie. Waehrend es nur 17,1 Monate in Anspruch nehme, zum 4GL-Experten zu avancieren, benoetigen Smalltalk-Entwickler 18,2 Monate, C++- Entwickler 23,2 Monate und Cobol-Programmierer 28,1 Monate. Selbst C-Entwickler bestaetigten, dass es sechs bis neun Monate dauere, bis C++ erlernt sei. Cobol-Programmierer wuerden dafuer vielleicht zwoelf bis 18 Monate brauchen, mutmasst Steve McClure, Autor der IDC- Untersuchung.

Ausserdem machen Semantic und Syntax nur etwa fuenfzig Prozent von Smalltalk aus, die andere Haelfte besteht aus Klassenbibliotheken. IDC schaetzt, dass dadurch etwa 95 Prozent des Codes der zur Zeit auf dem Markt befindlichen Produkte verschiedener Hersteller kompatibel sind.

Die Syntax leitet sich vom Englischen und nicht von Symbolsprachen ab. Es gibt nur fuenf reservierte Woerter, die mit einer Handvoll Entities korrelieren: self, nil, true, false und super. Die grundlegende Kontrollstruktur besteht einfach darin, dem Objekt eine Nachricht zuzusenden. Alles, auch Zahlen, sind Objekte. In Smalltalk gibt es anders als etwa in C++ nur das Prinzip der Einfachvererbung (single inheritance). Dadurch ist jedes Objekt die Instanz einer Klasse, und die ist eine Subklasse einer anderen bis hinauf zur Wurzel.

Smalltalk unterstuetzt das Konzept von Metaklassen. Das heisst, dass ein Objekt, das zur Laufzeit eine Klasse repraesentiert, dynamisch nach Attributen und Operationen abgefragt und abgeleitet werden kann. So koennen sich Metaklassen zur Laufzeit aendern.

Die Smalltalk-Umgebung ist bottom-up aus einem kleinen Set einfacher Objekte zusammengesetzt, die auf der virtuellen Maschine aufsetzen. Diese Schicht ist die Verbindung zum jeweiligen Betriebssystem und stellt fuer alle Plattformen eine einheitliche Schnittstelle zur Applikationslogik zur Verfuegung. Urspruenglich wurde Smalltalk-Code durch Interpreter uebersetzt, heute werden die meisten Anwendungen kompiliert, so dass sie schneller werden und sich sogar fuer Embedded-Echtzeitsysteme eignen.

Weil jedes Objekt fuer den Anwender einer Art Black box mit externer Kommunikation entspricht, lassen sich interne Methoden und Datenstrukturen leicht und ueberschaubar aendern. Andere Objekte bleiben dabei unberuehrt. Das macht das Programmieren und Verwalten zuverlaessiger und transparenter.

Die Vorteile von Smalltalk gegenueber anderen objektorientierten Sprachen, insbesondere gegenueber Hybridsprachen wie objektorientiertem Cobol oder C++, fuehren in den kommenden drei Jahren zu einem enormen Wachstum von etwa 350 Prozent, prognostiziert IDC. Im Jahr 1994 beliefen sich die Einnahmen aus dem Verkauf von Smalltalk-Produkten weltweit noch auf etwa 56 Millionen Dollar. Damit waren die Umsaetze um 60 Prozent hoeher als 1993. Mit zirka 280 Millionen Dollar rechnet IDC jedoch im Jahr 1998