Philosophin Barbara Strohschein

"Entwertung macht Menschen krank"

28.06.2015
Von 
Christiane Pütter ist Journalistin aus München.

CIO.de: Woran orientieren sich diese Themen?

Barbara Strohschein: Unter anderem an der Tatsache, dass jeder Mensch Sinnerfahrungen braucht, um gern zu leben und zu arbeiten. Das sind nicht nur Ergebnisse aus wissenschaftlichen Untersuchungen, sondern zudem Erfahrungswerte. Ich bringe in meinem Buch Fallbeispiele, wie auch gestresste Führungskräfte sich fragen: Warum tue ich das alles?

Chefs sind keine Therapeuten

CIO.de: Gerade Menschen in Führungspositionen beklagen oft, heute würden zu hohe Anforderungen an sie gestellt: man soll einerseits klare Vorgaben machen, also durchaus Autorität zeigen, dann aber soll man wieder Coach und Mentor sein, außerdem Verständnis aufbringen für die Sorgen der Mitarbeiter…

Barbara Strohschein: Man darf nicht die Ebenen verwechseln: Ein Chef ist kein Therapeut! Er muss sich doch nicht die Aufgabe zuschreiben, seine Mitarbeiter zu coachen. Wenn ein Vorgesetzter über Menschenkenntnis verfügt, empathisch ist, auf authentische Weise Autorität ausübt, wird er gut führen können und von seinen Mitarbeitern geschätzt werden. Das kann man durchaus lernen, wenn man bereit ist, die eigene Persönlichkeit weiterzuentwickeln.

CIO.de: Glauben Sie, dass Frauen anders führen?

Barbara Strohschein: Frauen wird vielleicht mehr Kompromissbereitschaft zugetraut. Aber trifft das wirklich durchweg zu? Sicher nicht. Ich finde, wir können uns langsam von den tradierten Männer- und Frauenbildern verabschieden, weil sie den Blick auf die Qualitäten jedes einzelnen Menschen verstellen. Wir können außerdem nicht davon ausgehen, dass in jeder Frau ein mütterlicher Beschützerinstinkt steckt und die Bereitschaft, immer nachzugeben. Warum auch? Frauen haben im System genauso zu funktionieren wie Männer.

Der Einfluss der Generation Y

CIO.de: Zurzeit ist in Deutschland viel von Wertewandel die Rede. Insbesondere die jungen Menschen der so genannten Generation Y suchen im Arbeitsleben mehr nach Sinn und Wertschätzung, weniger nach konventioneller Karriere und Status, so die These. Das Y steht ja auch für "Why". Was denken Sie darüber?

Barbara Strohschein: Dieser Trend zeigt an, dass künftig andere Werte gefragt sind, und das sehe ich positiv. Ich beobachte bei jungen Leuten, gerade auch bei digitalen Entscheidern, Interesse für neue Formen des Miteinanderumgehens und auch viele offene Sinnfragen. Generation Y kann jedoch die Arbeitsstrukturen nicht nachhaltig verändern. Nach wie vor gelten Leistungserbringung und Profitmaximierung als oberste Ziele. Deshalb wir müssen uns als Gesamtgesellschaft die Sinnfrage stellen. Diese Sinnfragen lassen sich nicht allein durch gleitende Arbeitszeiten, durch scheinbar familiär eingerichtete Büroräume und Wellnessmöglichkeiten am Arbeitsplatz beantworten.

CIO.de: Warum ist eigentlich das Thema Kränkung so stark tabuisiert? Was wünschen Sie unserer Gesellschaft für den künftigen Umgang damit?

Barbara Strohschein: Kränkung ist immer a-kommunikativ. Wer offen zugeben würde, gekränkt zu sein, läuft Gefahr, als "schwach" abgewertet zu werden. Kränkungen schluckt man eben einfach herunter und lässt sich nichts anmerken. Doch dabei bleibt es eben nicht: Wer gekränkt wird, kontert im Gegenzug damit, den anderen zu entwerten, um sich dann etwas "mächtiger"zu fühlen. Das setzt eine negative Spirale in Gang. Eine der schlimmsten Effekte von Entwertung ist Mobbing.

CIO.de: Was ja nicht nur psychische Schäden verursacht

Barbara Strohschein: Wenn ein Unternehmen Mobbing als eine der schlimmsten Formen der Entwertung nicht ernst nimmt, wird es einen hohen Preis - auch ökonomisch - in Kauf nehmen müssen. Entwertung macht Menschen krank. Entwertung verursacht hohe Kosten, Anerkennung kostet nichts. Anerkennung kann man allerdings nicht abfordern. Aber man kann sich nach und nach bewusst machen, wie furchtbar Entwertungen wirken und wie förderlich Akzeptanz und Respekt sind. Also wünsche ich mir vor allem einen Bewusstwerdungsprozess.