EU-Richtlinie setzt Hersteller unter Druck

Entsorgungskonzepte bleiben Mangelware

05.01.2001
MÜNCHEN (CW) - Seit Anfang der neunziger Jahre wird in Deutschland an einer Elektronik-Altgeräteverordnung gebastelt - bislang ohne konkrete Ergebnisse. Eine entsprechende EU-Richtlinie soll voraussichtlich in diesem Jahr verabschiedet werden. Mittlerweile haben sich viele Unternehmen unbeeindruckt von Politik und Herstellergepflogenheiten eigene Entsorgungsstrategien zurechtgezimmert. CW-Bericht, Katharina Friedmann und Joachim Wendler

"Uraltteile werden bei uns von der Hoftruppe im Elektronikschrott entsorgt", beschreibt ein Mitarbeiter der Benteler Automobiltechnik GmbH die Altgeräte-Entsorgungsstrategie seines Unternehmens. Ansonsten habe man mit ausgedienter Hardware kein Problem, denn nahezu alle 3000 PCs des Betriebs seien geleast.

Für zunehmend mehr Unternehmen scheint der Abschluss von Leasingverträgen das Ende jeglicher Entsorgungsprobleme zu bedeuten. "Im Wesentlichen wird unsere Hardware geleast", erklärt Klaus Thoma, Pressesprecher der Deutschen Bank, die - bei Investitionen im Dreijahresrhythmus - hierzulande pro Jahr durchschnittlich 12000 PCs austauscht. "Entsorgung sowie eventuelle Weitervermarktung liegen damit in den Händen der Eigentümer, sprich: unserer Leasinggeber." Auch Großanlagen-Hersteller ABB, der weltweit 150 000 Mitarbeiter beschäftigt, hat das Problem über die Leasingoption vorwiegend ausgelagert. "Unser Leasingpartner, in diesem Fall die IBM, nimmt uns die Arbeit ab", frohlockt Erhard Kurras, Leiter der DV-Abteilung des deutschen ABB-Forschungszentrums. "Die holen die Geräte nach 36 Monaten wieder ab, und wir haben nichts mehr damit zu tun."

Diese Haltung spiegelt die Grauzonen auf Gesetzesseite wider. Trotz jahrelangen Ringens um umweltpolitische Erleuchtung ist die Rechtsprechung bislang weder auf nationaler noch auf EU-Ebene über das Diskussionsstadium hinaus gediehen. Zum Jahresende kam das leidige Thema zum wiederholten Mal auf den Tisch. Auf Grundlage des jüngsten Vorschlags der EU-Kommission beriet der Umweltministerrat über ein für die Mitgliedsstaaten verbindliches Regelwerk für die Entsorgung und Wiederverwertung elektonischer Geräte (siehe Kasten "Elektronikschrott-Verordnung").

Mittlerweile jedoch scheinen sich die Anwender ihre Strategien für die Entsorgung ausgemusterter Hardware selbst zurechtgezimmert zu haben. Dass es dabei in der Praxis ebenso uneinheitlich zugeht wie bislang auf Gesetzesebene, zeigen die verschiedenen Marschrichtungen deutscher Unternehmen.

Die Betriebe, die ihre IT-Ausstattung kaufen, fahren in Sachen Ablösung meist eine Mischstrategie. Eine langfristige Planung hinsichtlich des mit den einzelnen Entsorgungsgepflogenheiten verbundenen Kostenaufwands ist hierbei allerdings kaum erkennbar.

Obwohl Marktexperten im Sinne einer TCO-Reduktion eine detaillierte Ablösestrategie wärmstens empfehlen, tappen viele Unternehmen sowohl hinsichtlich der mit der Entsorgung verbundenen Gesamtkosten als auch des finanziellen Aufwands für die einzelnen Methoden im Dunkeln. Im Business-Bereich scheinen diese Entscheidungen vielerorts eher aus dem Bauch heraus als auf Grundlage einer detaillierten Kostenaufstellung getroffen zu werden.

So werden Systeme vor der endgültigen Notschlachtung häufig zum Einsatz an anderen Arbeitsplätzen im Unternehmen weitergegeben und danach - je nach Verfallsdatum - bis hin zum Print-Server degradiert. "Für die Einrichtung benötigen wir etwa ein bis zwei Arbeitsstunden sowie Zeit für den Papierkram", fasst Jürgen Neumann, Mitarbeiter im Benutzerservice der Hamburger Flughafen GmbH, den Aufwand für die Mehrfachnutzung der IT-Geräte zusammen. Obwohl sicherlich im Sinne des Umweltgedankens, identifizierten Analysten die Weitergabe älterer Geräte innerhalb des Unternehmens bislang als eine der teuersten Ablösestrategien. Demnach kämen zusätzliche Dienstleistungen für Konfiguration sowie eine eventuell notwendige Aufrüstung der Altsysteme die Betriebe häufig teuer zu stehen.

Verkäufe an Mitarbeiter sind ebenfalls üblich, und nicht selten findet ausgemusterte Hardware als Spende ihren Weg in Schulen oder soziale Einrichtungen. Den Aufwand etwa für das Löschen unternehmenskritischer Daten vor der Weggabe der Systeme bezeichnet Neumann als nicht unwesentlich. Einen konkreten Anhaltspunkt für die Höhe der Kosten kann er jedoch nicht geben. Meist werde die Arbeit von Aushilfskräften erledigt, der finanzielle Aufwand hierfür jedoch nicht separat erfasst.

Die IT-Leichen werden vielerorts direkt über Recyclingunternehmen entsorgt. "Pro Kilo zahlen wir zwischen 50 und 70 Pfennige an unsere Recyclingfirma", gibt Ludwig Bayer von der Rechenzentrale Bayerischer Genossenschaften (RBG) ein Preisbeispiel. Teurer sei die Entsorgung problematischer Geräte wie Bildschirme: Pro Monitor fallen laut Bayer Gebühren zwischen 25 und 30 Mark an.

Auffallend ist die geringe Inanspruchname der Rücknahmeleistungen der Hersteller - bei Großkunden meist ein fester Bestandteil des Kaufvertrags. "Wenn man beim Kauf eines Geräts die Rückgabemöglichkeit mit integriert, dann schlagen einem die Hersteller das gleich auf den Preis auf", wehrt der RBG-Mitarbeiter ab.

Warum also einen Rücknahmevertrag mit dem IT-Lieferanten schließen, wenn es Wege gibt, sich seines E-Abfalls auch kostengünstiger zu entledigen? Eine solche Möglichkeit nutzt etwa das Versicherungsunternehmen LVM. "Wir entsorgen sämtlichen E-Schrott über das Umweltamt der Stadt Münster", erklärt Peter Engberting, Bereichsleiter Warenwirtschaft bei LVM. Früher sei das auch über Verträge mit Herstellern gelaufen. Die Entsorgung auf kommunaler Ebene, die von der Stadt subventioniert werde, sei jedoch der deutlich günstigere Weg. "Wir liefern das einfach bei der Entsorgungsstelle ab, alles Weitere erledigt die Stadt für uns."

An der Herstellerfront, die sich bereits seit Jahren für die ins Haus stehende, gesetzliche Entsorgungspflicht rüstet, geht man hingegen davon aus, dass ein Großteil der Industriekunden die Rücknahmeangebote in Anspruch nimmt - konkrete Zahlen kann seltsamerweise jedoch niemand nennen. "Etwa 70 Prozent unsere Kunden", mutmaßt Ferdinand Hermann, Umwelt-Manager Europa bei Compaq. Seit Jahren bietet Compaq unter dem Motto "Return & Invest" ein Rücknahmeprogramm, das nach Angaben des Umwelt-Managers vorrangig im Server-Bereich genutzt wird. Dabei erhält der Kunde für das ausgediente Gerät einen entsprechenden Restwert - vorausgesetzt, er entschließt sich zum Kauf eines Compaq-Neugeräts.

Seit gut zehn Jahren betreibt der Hersteller ein eigenes Zerlegezentrum in Holland, das Compaq-Geräte aus der gesamten EU sammelt. Auf nationaler Ebene arbeitet das Unternehmen mit Entsorgungsgesellschaften zusammen. Dabei stehe nicht so sehr die Verschrottung, sondern die Wiederverwendung im Vordergrund. Geräte oder Komponenten, die sich weiter verwenden lassen, gelangen über einen speziellen Remarketing-Kanal als Second-Hand-Produkte wieder in den Markt zurück. Über die Menge der Geräte kann Hermann jedoch keine Angaben machen.

Hersteller Fujistu-Siemens Computer (FSC), der sich ebenfalls den Umweltschutz auf die Fahnen geschrieben hat, lässt sich lediglich zu Gewichtsangaben hinreißen: Etwa 6000 Tonnen Altgeräte nimmt das Unternehmen pro Jahr zurück. Nach dem Motto "Wiederverwendung vor Wiederwertung vor Beseitigung" hat FSC im Jahr 1992 in Zusammenarbeit mit einem eigenen Wiedervermarktungs- und Recyclingcenter ein Dreistufenkonzept entwickelt. Erklärtes Ziel sei dabei, so Pressesprecher Lothar Lechtenberg, den Großteil der zurückgenommmen FSC-Altgeräte als Komplettgerät, als Einzelkomponente oder als Wertstoff wieder in den Markt zurückfließen zu lassen. Die Wiedervermarktung der Gebrauchtgeräte übernimmt ein Werksverkauf- und PC-Shop in Paderborn.

Die IBM betreibt vier Rücknahmezentren in Europa. Der Rücklauf der IBM-Produkte steigt: Waren es 1999 noch 5191 Tonnen, rechnet Big Blue in diesem Jahr mit insgesamt 5800 Tonnen an heimkehrenden Altgeräten. Das Rücknahmeangebot des Herstellers umfasst sowohl das Abbauen der ausgedienten Systeme beim Kunden als auch den Rollout der ablösenden IT. Die Abholung der Altgeräte übernimmt Big Blue zum Selbstkostenpreis, der Kunde hat lediglich die Transportkosten zu tragen. Nach Angaben des Unternehmens belaufen sich diese Kosten - je nach Gewichtsklasse - auf 25 Mark für einen PC bis zu etwa 2200 Mark bei Großgeräten. Anders als bei FSC und Compaq, bei denen die Rücknahmekonditionen Teil des Kaufvertrags sind, wird die Vereinbarung bei Big Blue meist erst nachträglich getroffen. "Wir wissen ja nicht, wann oder ob es zum Tragen kommt", heißt es.

Über die jährlichen Kosten für die Rücknahme lassen die Hersteller nichts verlauten. Diese seien in ihrer Gesamtheit schwer zu ermitteln, heißt es. Damit bleibt unklar, ob sich die Branche aufgrund eines lukrativen Geschäfts nicht in die Karten sehen lassen will, oder ob man sich wegen eines defizitären Prozesses nicht nicht blamieren möchte. Wie das Geschäft ohne detaillierte Kalkulation funktionieren soll, bleibt jedenfalls schleierhaft. Für die Unternehmen dürfte eine gesetzliche Rücknahmepflicht der Hersteller zunächst keine drastische Veränderung bedeuten. Denn im kommerziellen Bereich haben sich die Beteiligten mittlerweile meist auf entsprechende Kooperationsmodelle geeinigt. Zudem lässt der Richtlinienentwurf der EU-Kommission den Vertragspartnern der Industrie bei ihren Vereinbarungen größere Freiheiten.

Dass die Hersteller die zusätzlichen Kosten in irgendeiner Form an den Kunden weitergeben werden, scheint indes außer Frage zu stehen. Denn spätestens, wenn die Verantwortung für die Altgeräte per Gesetz beim Produzenten liegt, wird dieser seine Entsorgungstätigkeiten nicht mehr wie bisher als zusätzliche, meist kostenpflichtige Dienstleistung anbieten können. Damit dürfte das Thema für den Anwender jedoch an Transparenz verlieren. Es sei denn, die Hersteller weisen den Aufschlag für die Entsorgungskosten als "Visible Fee" auf der Rechnung aus. Ansonsten wird sich die Zusatzgebühr versteckt in erhöhten Produktpreisen niederschlagen.

Der Konkurrenzdruck unter den Herstellern bei Inkrafttreten der Elekronikschrott-Verordnung wird jedoch dazu führen, dass diese bei der Geräteproduktion künftig den Voraussetzungen für eine rasche und umweltgerechte Entsorgung stärker Rechnung tragen. Der Wettbewerbsvorteil liegt auf der Hand: "Je Recycling-gerechter die Hersteller produzieren, desto geringer sind die Entsorgungskosten, und desto günstiger können sie ihre Ware anbieten", erklärt Mario Tobias, Referent für Umwelt und Entsorgung beim Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und Neue Medien (Bitkom), die Logik des Markts.

Elektronikschrott-Verordnung: Stand der DingeDie Umsetzung einer Elektronik-Altgeräteverordnung in Deutschland in nationales Recht ist bisher vor allem am massiven Widerstand aus den Reihen der Wirtschaft gescheitert. Zwar wurde 1998 eine abgespeckte Version, die "IT-Altgeräte-Verordnung" (ITV), vom Bundestag verabschiedet, diese liegt aber seitdem im Bundesrat auf Eis. Im Juni 2000 legte die EU-Kommission einen Richtlinienentwurf vor, der sich mit Fragen der Rücknahme und Verwertung von Elektronik-Altgeräten befasst sowie die Verwendung gefährlicher Substanzen bei der Herstellung in den EU-Mitgliedsstaaten regeln soll. Demnach sollen die Hersteller demnach per Gesetz dazu verpflichtet werden, ausgediente Elektrogeräte kostenlos zurückzunehmen und umweltgerecht zu entsorgen.

In einigen Punkten scheinen sich die Diskutanten allerdings auf dünnem Eis zu bewegen, denn verlässliche Zahlen zum tatsächlichen Schrottaufkommen existieren offenbar nicht: "Das mit den Daten im Abfallbereich ist eine einzige Katastrophe", beschreibt ein Sprecher des Bundesumweltministeriums die Lage. "Die aktuellsten Zahlen, die wir haben und schon seit Jahren herunterbeten, sind von 1993. Und selbst bei diesen handelt es sich lediglich um grobe Schätzungen, die anhand von Verkaufszahlen und der vermutlichen Gerätelebensdauer hochgerechnet wurden." Das Umweltbundesamt (UBA) geht davon aus, dass in Deutschland jährlich etwa 1,8 Millionen Tonnen Elektrogeräte zu Hightech-Schrott mutieren. Davon entfallen rund zehn Prozent auf den IT-Bereich - Tendenz steigend. Das UBA rechnet für die nächsten zehn Jahre mit einem Anstieg um jährlich etwa fünf bis zehn Prozent. Nach Schätzungen der EU-Kommission beläuft sich das jährliche Aufkommen in ihrem Zuständigkeitsbereich auf zirka sechs Millionen Tonnen.

Auch bei der Frage, welche Kosten künftig auf die Verantwortlichen, sprich: die Hersteller, zukommen werden, sind sich die Fachleute uneinig: So geht der Zentralverband Elektrotechnik und Eletronikindustrie (ZVEI) davon aus, dass sich die Gesamtkosten für ein Entsorgungssystem allein in Deutschland anfänglich auf drei bis vier Milliarden Mark im Jahr belaufen werden. Für die EU-Mitgliedsstaaten seien es etwa 15 Milliarden Mark. Die EU-Kommission hingegen rechnet lediglich mit Aufwendungen von insgesamt 1,5 Milliarden Mark. Wann die Richtlinie auf nationaler Ebene greifen wird, steht zunächst noch in den Sternen. Vorausgesetzt, dass die Verordnung vom Europäischen Parlament noch in diesem Jahr verabschiedet wird, ist es Experten zufolge frühestens in fünf Jahren soweit.