Enduser-Sprachen: Vor übertriebenem Enthusiasmus wird gewarnt

03.02.1984

Sprachen für Endanwender, die dem User auch in verteilten Systemen Zugang zu zentralen Ressourcen verschaffen, erhöhen die Produktivität, aber auch die Anforderungen an DV- und Fachabteilungsmanagement. Um wirkungsvoll eingesetzt zu werden, müssen derartige Lösungen nach Ansicht von Experten auf die speziellen Gegebenheiten des Unternehmens ausgerichtet sein. Als Vorteil einer solchen Konzeption sehen viele User die Entlastung der häufig mit Arbeit geradezu überladenen Systementwicklungsabteilung. Diese bewirke denn auch den Abbau des derzeitigen Anwenderstaus. Ferner wird es als angenehm empfunden, auf computerunterstützte, schnell verfügbare Entscheidungshilfen zurückgreifen zu können. Vor übertriebenem Enthusiasmus, darin sind sich Softwarespezialisten einig, ist jedoch zu warnen: Das stark vereinfachte Handling führt zu Mißverständnissen zwischen Enduser und Rechner. kul

Wolfgang Laatsch

Leiter Qualitätssicherung, Software und Methodik, Schmalbach-Lubeca

AG, Braunschweig

In den Händen von Programmierern sind Sprachen der vierten Generation hervorragende Werkzeuge zur Steigerung der Produktivität. Sie ermöglichen die Erstellung von Programmen geringer bis mittlerer Komplexität in erheblich kürzeren Zeiträumen als es konventionelle Programmiersprachen zulassen. Wie ist es aber um ihre Einsatzmöglichkeiten beim Anwender bestellt?

Zunächst einmal ist der Begriff "Anwender" zu klären. Wenn hier vom Anwender gesprochen wird, ist die Fachabteilung gemeint, die schon einiges an EDV-Wissen besitzt und damit auch umgehen kann und nicht der einzelne Sachbearbeiter. Dieser ist überfordert, wenn er nach dem Besuch eines mehrtägigen Seminars die programmtechnische Lösung einer mittelschweren Auswertung mit Hilfe der dort erlernten Sprache selbständig realisieren soll.

Selbst einfache Problemlösungen sind auch mit Sprachen der vierten Generation nur dann möglich, wenn die notwendigen Grundkenntnisse über Datenverarbeitung vorhanden sind und zumindest zeitweilig die Beratung und Unterstützung eines DV-Spezialisten zur Verfügung steht. Das dürfte auch der Grund sein, warum bisher keine der auf dem Markt befindlichen Sprachen dieser Art den Durchbruch beim Anwender geschafft hat.

Voraussetzung hierfür ist zum einen, daß die Sprachen noch anwenderfreundlicher werden. Zum anderen sind von der DV-Abteilung entsprechend aufbereitete Datenbestände für die jeweils anfallenden Auswertungen bereit zu stellen und die notwendige Unterstützung bei der Realisierung von Problemlösungen zu gewähren. Die Anwenderfreundlichkeit der Sprachen muß zumindest den Grad der auf dem PC-Sektor angebotenen Softwarepakete wie Visicalc, Multiplan und Lotus erreichen, um eine ähnlich hohe Akzeptanz zu erzielen. Wenn dann noch ein technisch und organisatorisch geregelter Zugriff auf die relevanten Datenbestände sichergestellt ist, steht den Aktivitäten der Fachabteilungen in Bezug auf eigenständige programmtechnische Lösungen nichts mehr im Wege. Voraussetzung hierfür sind jedoch nicht unbedingt die Sprachen der vierten Generation allein.

Bei Schmalbach-Lubeca werden derzeit die Möglichkeiten des koordinierten Einsatzes von PCs und Sprachen der vierten Generation untersucht. Ziel ist es, die Fachabteilungen in die Lage zu versetzen, einfache Probleme ohne die direkte Hilfe der DV-Abteilung selbst zu lösen und damit die DV-Abteilung von der Bearbeitung dieser Probleme zu entlasten.

Der Einsatz von PCs verschafft dem Anwender die nötige Flexibilität für Problemlösungen, die er vor Ort mit der Vielzahl der vom Markt angebotenen Softwarepakete bewältigen kann, wenn ihm der Zugriff auf Datenbestände des Zentralrechners ermöglicht wird.

Die Aufbereitung dieser Datenbestände ist mit Hilfe der Sprachen der vierten Generation ohne großen Aufwand durchführbar und kann vom Anwender bei entsprechender Unterstützung häufig selbst erledigt werden.

Die derzeit vorliegenden Erkenntnisse lassen den Schluß zu, daß dieser Ansatz dann zum Ziel führen kann, wenn die notwendigen Aktivitäten über ein Informationscenter koordiniert werden.

Wulf Upmeier

Hauptabteilungsleiter DV/Org., BAT-Cigaretten-Fabriken GmbH, Hamburg

Neben dem Einsatz von Standardsoftwareprodukten und der Entwicklung von Individualsoftware mittels Softwareengineerings wird derzeit die Verlagerung der Softwareentwicklung in die Fachabteilung als dritte Möglichkeit gesehen, um den immer stärker werdenden Druck der Anwender auf die DV-Abteilung zu mindern. Dieser Druck entstand im wesentlichen durch den Pflege- und Wartungsaufwand an den laufenden Anwendungen, dem ständig steigenden Informationsbedarf der wachsenden Zahl von Benutzern, sowie neue Aufgabengebiete wie Telekommunikation, Büroautomation, um nur einige Schlagworte zu nennen. Selbst kleinere Probleme der Fachabteilungen müssen in die oft mehrjährige Warteschlange der Systementwicklung eingereiht werden. Sicherlich eine Erklärung dafür, warum viele Fachabteilungen auf Personal Computer ausweichen und damit Insellösungen realisieren, die keine Verbindung zu den Basisdaten auf dem Zentralrechner haben.

Mit Hilfe von entsprechend komfortablen Entwicklungstools soll der Anwender jetzt in die Lage versetzt werden, sich selbst mit Informationen aus der Unternehmensdatenbasis zu versorgen. Diese Möglichkeit wird zur Zeit in Fachkreisen diskutiert und befindet sich sicherlich in vielen Unternehmen erst im Anfangsstadium. Eine für alle Unternehmen gültige Patentlösung läßt sich momentan nicht anbieten, sondern es kann lediglich das grundsätzliche Für und Wider skizziert werden. Derartige Lösungen müssen immer auf die speziellen Gegebenheiten des Unternehmens ausgerichtet sein.

Bekanntlich gibt es mehrere Stufen und Möglichkeiten der Intensität der Werkzeuge, ausgehend von reiner Abfrage bestehender Datenbestände über Erstellung von Auswertungen (Listgeneratoren) bis zur möglichen Eigenprogrammierung von Basisanwendungen, deren Ergebnisse bestehende Unternehmensdaten verändern können. Der Einsatz der erstgenannten Werkzeugarten ist sicherlich relativ unproblematisch. Kritisch wird der Einsatz von Werkzeugen in den Fällen, wo ein Verändern von Daten zugelassen werden soll, die als Unternehmensbasisdaten zu bezeichnen sind, beispielsweise Finanzbuchhaltung oder verabschiedete Plandaten. Hier bedarf es einer sehr starken organisatorischen Führung und Kontrolle. Trotzdem können als Vorteile genannt werden: Entlastung der häufig mit Arbeit geradezu überladenen Systementwicklungsabteilung und damit Abbau des Anwenderstaus. Die durch die Fachbereiche kurzfristig erstellbare individuell angepaßte Informationsaufbereitung erleichtert schnell zu treffende strategische Entscheidungen.

Der Wegfall des hemmenden, aber unumgänglichen Formalismus (Projektantragsverfahren, Prioritätenvergabe) fördert beim Benutzer kreative Alternativlösungen, steigert die Flexibilität der Fachabteilungen und damit auch die Identifikation mit den Ergebnissen. Bei diesen offensichtlichen Vorteilen müssen die sich für das Unternehmen ergebenden Nachteile mit in die Entscheidungsfindung einbezogen werden. Hier sei noch einmal betont, daß dies speziell für den Einsatz von höheren Programmiertools gilt, die die Veränderungen von Basisdaten zulassen.

Unzureichend kontrollierbare Dokumentation bei Anwendung dieser Werkzeuge kann Datensicherheit und Datenschutz gefährden. Unsachgemäßes Handling der Tools kann selbst Großsysteme schnell an den Rand ihrer Kapazität bringen. Hardwarekapazitäten sind in solchen Fallen nicht mehr zuverlässig planbar. Eine Weiterverrechnung der DV-Kosten, ermittelt über ein komfortables Job-Accountingsystem, ist unbedingte Voraussetzung beim Einsatz derartiger Tools. Beim Abwägen der Vor- und Nachteile bietet sich im ersten Schritt eine Lösung an, über die dokumentierte Vergabe von Zugriffsberechtigungen Tools zur Verfügung zu stellen, die ausschließlich ein Lesen der Zentraldaten zulassen und dem Benutzer darüber hinaus die Möglichkeit geben, Simulationen und Planungsmodelle auf einem separaten Datenhaltungssystem unter Berücksichtigung der Bestimmungen des Datenschutzes selbst zu erstellen. Dies möglichst noch über eigene Host-kompatible PCs, um die zentrale Hardware zu entlasten und die notwendigen Ressourcen den Fachabteilungen in ihren Budgets sichtbar zu machen.

Ausbildung, Koordination, Beratung und die zur Verfügungstellung der informationstechnischen Infrastruktur müssen jedoch im Verantwortungsbereich einer Abteilung liegen. Nur so ist ein wirtschaftlicher Einsatz gewährleistet. Aus dem Verständnis um die Probleme und Anforderungen heraus bietet sich hierfür die Datenverarbeitung an, auf die damit auch neue Anforderungen hinzukommen, die sie erfüllen muß.

Konrad Supper

Abteilungsleiter datenbankgestützte Informationssysteme, Mathematischer Beratungs- und Programmierungsdienst (mbp) GmbH, Dortmund

Endanwender, wer ist das eigentlich? Typischerweise doch Mitarbeiter, die schon seit Jahren mit beiden Beinen im Berufsleben stehen. Mit ihren Alltagsproblemen sind diese Endanwender mehr als

vertraut, DV-Fragen sind bisher kaum an sie herangetragen worden.

Will man diesen Mitarbeitern die Chance eröffnen, bestimmte spezielle Fragen selbst zu lösen, setzt dies mindestens ein "computergerechtes Denken"- voraus. Die Mitarbeiter müssen wissen, daß der Computer im Gegensatz zu einem Kollegen nur in speziellen Fällen in der Lage ist "mitzudenken". Im Regelfall verlangt er sehr präzise, auf einer analytischen Durchdringung des Problems, basierende Eingaben.

Betrachtet man spezielle Programmiersprachen wie etwa APL oder GIS, so sind die se im wesentlichen noch prozedural. Anders ausgedrückt heißt dies, man muß dem Computer genau sagen, wie er die Aufgaben lösen soll. Es reicht nicht zu wissen was man als Lösung benötigt. Eine derartige präzise Beschreibung des Wie gelingt natürlich nur, wenn man sehr genaue Kenntnisse über die Arbeitsweise der ein gesetzten Sprache und die Strukturen der Daten oder gar über die Hardwarekonfiguration hat, die einem für die Lösung der Aufgaben zur Verfügung stehen. Dies kann man von DV-Spezialisten und einigen wenigen mathematisch technisch geschulten Anwendern (etwa Physikern in experimentellen Umgebungen) erwarten. Letztlich sind diese Anwender jedoch meist sogar in der Lage, ihre Probleme mit konventionellen Hilfsmitteln selbst zu lösen. Der Einsatz derartiger Sprachen erweitert also weniger den Kreis der potentiellen "DV-Direktanwender", als daß er die Produktivität der heutigen Anwender erhöht.

Eine völlig neue Dimension eröffnen die sogenannten deskriptiven oder nicht-prozeduralen Sprachen. Hier beschreibt der Endanwender nur noch, was er will. Beispiele hierfür sind insbesondere Abfragesprachen (englisch: query), aber auch einige der Programmentwicklungsumgebungen der vierten Generation.

Diese Sprachen verlangen meist nur noch, daß der Endanwender die Namen von Dateien und Feldern sowie deren Zuordnung zueinander kennt. Damit werden Abfragen bezüglich einer Datei sehr einfach. Kann eine Frage jedoch nur durch Zugriff auf mehrere Dateien gelöst werden, müssen die Endanwender schon sehr viel stärker geschult werden. Verlangt wird hier zumeist ein Verständnis für mengentheoretische Fragen (Join-Operator relationaler Sprachen).

Das wesentliche Risiko bei der Anwendung derartiger Sprachen ist, daß sie mit dem Ziel entworfen wurden, möglichst immer eine Antwort zu geben. In Extremfällen führt das dazu, daß der Endanwender glaubt, das gewünschte Ergebnis vorliegen zu haben, der Computer ihn jedoch mißverstanden hat. Damit ist das Ergebnis falsch.

Eine zusätzliche Schwierigkeit ergibt sich daraus, daß nur das Suchen in mehreren Dateien gleichzeitig möglich ist, Änderungen jedoch mit getrennten Befehlen in jeder Datei einzeln durchgeführt werden müssen.

Eröffnet man den Endanwendern derartige Möglichkeiten sind selbstverständlich erhöhte Anforderungen an Datenschutz, Wiederanlauf und gegebenenfalls Verarbeitungsprotokoll zu stellen.

Für den DV-Bereich stellt der Einsatz von Endanwendersprachen eine Herausforderung dar. Werden die neuen Hilfsmittel zu begeistert aufgenommen oder unreflektiert bis unqualifiziert eingesetzt, kann es passieren, daß damit die gesamte Maschine lahmgelegt wird. Dies läßt sich nur durch eine sehr sorgfältige (nicht immer DV-technisch mögliche) Steuerung der Ressourcennutzung verhindern.

Hier kann auch die Verteilung der Intelligenz Abhilfe schaffen. In diese Richtung zielen die als Information Database oder ähnlich angebotenen Konzepte unter Einschluß von mit den Zentralrechnern verbundenen PCs. Diese bieten häufig zusätzliche Funktionen, die in der zentralen Umgebung in dieser Form nicht unterstützt wurden (Grafik, Tabellen- und Textverarbeitung).

Je stärker Hardware und Daten verteilt werden, desto höher werden die Anforderungen an eine sehr sorgfältige Datenanalyse. Es gibt Fälle, in denen bestimmte Fragen nicht mehr zu beantworten waren weil die Datenspeicherung zu unglücklich war.

Sprachen für Endanwender die diesen auch in verteilten Systemen Zugang zu zentralen Ressourcen, insbesondere Datenbanken verschaffen, sind nicht mehr aufzuhalten. Sie erhöhen die Produktivität, aber auch die Anforderungen an DV- und Fachabteilungsmanagement. Letztlich ist das Fachmanagement und damit ist auch der Vorstand gemeint dafür verantwortlich, ob die Endanwender diese Sprache akzeptieren, den Umgang mit ihr als Höherqualifizierung empfinden oder aber die Nutzung ablehnen. Zu häufig glauben die Mitarbeiter, sie sollten die Aufgabe von Datentypistinnen übernehmen, wo es sich in Wirklichkeit um hoch qualifizierte computerunterstützte Sachbearbeitung handelt.