Ende 1989 Low-cost-Terminals und neue Anwendungsgebiete

26.05.1989

Mit Helmut Ricke, Vorsitzender der Geschäftsführung der Loewe Opta GmbH, Kronach, sprach Helga Biesel

Für den Endgeräte-Hersteller Loewe Opta hat sich Bildschirmtext ja nun nicht als Flop erwiesen. Wohl kaum ein Unternehmen dürfte die positiven, aber auch die negativen Trends im Btx-Markt deutlicher zu spüren bekommen als Loewe. Deshalb an Sie, Herr Ricke, einige Fragen zu den Entwicklungen, die sich für Btx-Endgeräte durch die Einführung von ISDN ergeben. Erstens: Wie lange werden die alten Single-user-Geräte noch tauglich sein? Und: Welche Um- und Aufrüstempfehlungen kann man für sie geben?

Die ISDN-Einführung ist ohne je den Einfluß auf die gegenwärtigen Bildschirmtext-Endgeräte. Die Verwendung der im Einsatz befindlichen und derzeit von uns zur Auslieferung kommenden Bildschirmtextgeräte ist für die auch ferne Zukunft uneingeschränkt möglich. Dieses gilt für das analoge Telefonnetz wie auch für ISDN-Anschlüsse, für die die Post in Kürze Anschlußadapter anbieten will. Im Gegenteil: Trotz der anerkanntermaßen großen Vorzüge von ISDN auch für die Bildschirmtext-Übertragung wird sich das von uns für die nächsten Jahre prognostizierte Wachstum der Bildschirmtext-Nutzung in großem Maße im analogen Telefonnetz vollziehen.

þWie hoch ist das heutige Potential an multifunktionalen Geräten, gemeint sind auch PCs mit Btx-Decodern, und in welchem Maße wird es sich - bei vorsichtiger Markteinschätzung - verändern?

Die Nutzung des PCs als Bildschirmtext-Endgerät hat sich in den letzten zwei Jahren ständig vergrößert and dürfte gegenwärtig bei den stattfindenden Neuanschaffungen

einen Anteil von gut 50 Prozent ausmachen. Dieser Trend wird sich nicht noch weiter verstärken, weil wir in der zweiten Jahreshälfte mit ganz spezifischen niedrigpreisigen Endgeräten zu rechnen haben, die neue Anwendungsgebiete und vor allen Dingen mittelfristig den Privatmarkt erschließen dürften.

þHat sich die Einführung von ISDN überhaupt schon auf den Markt ausgewirkt, und, wenn ja, wie?

Die Einführung von ISDN konnte sich bisher konkret feststellbar nicht auswirken, wenn man nicht auf die mittelfristig und langfristig angelegten Planungen größerer Unternehmensorganisationsstrukturen abhebt. Im letzteren Fall wird die Nutzung von ISDN auch bei Bildschirmtext-Anwendungen konkret in die Planung einbezogen. Wirkliches Marktpotential sehen wir hier jedoch erst um die Mitte der neunziger Jahre.

þWerden eigentlich auch im Btx-Marktsegment spezielle Endgeräte für geschlossene Benutzergruppen entwickelt?

Ja. Beispielsweise produzieren wir ein ganz spezielles Bildschirmtext Telefon mit ergänzender Hard- und Software für bestimmte Anwendungen im Pharma-Handelsbereich.

þDie Dominanz der gewerblichen Anwendung von Btx hat die Rolle der Preisgestaltung verringert. Welche Kriterien sind heute und speziell im Hinblick auf ISDN höher zu bewerten.

Natürlich hat in den ersten Jahren nach der Einführung von Bildschirmtext das hohe Preisniveau der Endgeräte eine raschere Marktdurchdringung behindert und sich der Markt

im wesentlichen aus den gewerblichen Anwendungen generiert. Heute sind wir bei den Endgerätepreisen langst an dem Punkt, daß dieses Hemmnis für Bildschirmtext im analogen Netz nicht mehr existiert. Dieses gilt vorläufig nicht für ISDN.

Wenn in absehbarer Zeit die ersten wirklich ISDN-orientierten Bildschirmtext-Terminals oder Bildschirmtext-PCs verfügbar sein werden, beginnt dieser Kreislauf von vorne. Die Endgerätepreise, selbst wenn es sich um PC-gestützte Systeme handelt, werden die Öffnung auch dieses Marktfeldes über die gewerbliche Anwendung notwendig machen. Erst wenn durch Massenproduktion die Endgerätekosten und daraus sich ergebende Preise reduzierbar sind, ergeben sich die Öffnungschancen für die private Anwendung. Hieraus resultiert auch unsere Einschätzung, daß die größte Dynamik in der Anwendung von Bildschirmtext auf lange Sicht noch von Bildschirmtext im analogen Netz getragen wird.

Welche Endgeräte, die auf den ersten Blick mit Btx nichts zu tun haben, können Sie sich in Zukunft auf der Basis von Btx-Rechnerverbund und des heutigen Btx-Trägermediums vorstellen?

Das Bildschirmtext-Endgerät für ISDN-orientierten Einsatz wird mit Sicherheit ein multifunktionales Gerät sein, in dem zumindest das Telefon und die Bildschirmtext-Funktion vereinigt sind. Es wird sicherlich auch neben Bildschirmtext jede gängige Datenkommunikation ermöglichen und stellt letztlich eine Herausforderung dar für den Einfallsreichtum der Entwickler in bezug auf wirklich sinnvolle Multifunktion eine wirklich bedienbare Bedieneroberfläche und nicht zuletzt eine Miniaturisierung der Komponenten für ein wirklich schreibtischgerechtes Endgerät. Da man nicht immer die Miniaturisierung in den Vordergrund stellt, wird dieses Endgerät natürlich auch sehr häufig ein PC sein.

Welche Konsequenzen zieht Loewe daraus?

Wir arbeiten mit Hochdruck an solchen Gerätekonzepten, unter anderem auch auf europäischer Ebene im Rahmen eines Race-Projektes mit europäischen Partnern.

Welche Strategien, Entwicklungen halten Sie für falsch oder schädlich?

Für verhängnisvoll halten wir die Schnittstellenvielfalt bei ISDN-Endgeräten. Ich meine eben die von der Post zu Recht forcierte einheitliche So-Schnittstelle auf der einen Seite und die von den Telekommunikationsanlagen-Herstellern geförderten unternehmenseigenen Schnittstellen-Philosophien, die der Entwicklung zu ökonomischen Endgeräten von der Schnittstellenseite her schon entscheidend im Wege stehen. Auch ISDN wird - ähnlich wie Bildschirmtext, nur natürlich in viel größerer Dimension - erfolgreich durchgesetzt über Gebrauchernutzen und die Erschließung dieses Nutzens durch bezahlbare Endgeräte.

Was ist an Btx Vergangenheit und was wird bleiben?

Vergangenheit bei Bildschirmtext ist manches an Unzulänglichkeit, die Systemarchitektur - unser deutsches System betreffend, natürlich auch die hinderlichen hohen Endgerätekosten. Wir erwarten mit Recht größere Dynamik in der Verbreitung des Mediums - und ich wiederhole es - , im analogen Netz in erster Linie und eine wachsende Dynamisierung in das nächste Jahrzehnt hinein.

Bleiben wird, daß wir in Frankreich auch in Zukunft mit einem anderen Standard zu tun haben als in nahe zu allen europäischen Ländern, wo Cept, also der in Deutschland angewandte Standard, wirklich eine europäische Verbreitung erfahren wird. Bleiben wird allerdings auch - und das gilt dann für ISDN und die Nutzung von Bildschirmtext in diesem Netz - , daß wir weit früher die technischen Voraussetzungen in der Lage zu schaffen sind für neue, wirklich faszinierende Nutzen, aber die Erschließung des Nutzens und die Überzeugung des in Frage kommenden Anwenders für diesen Nutzen der technischen Entwicklung nacheilt.

Und sicherlich wird auch bleiben, daß zu optimistische Wachstumsprognosen von der Realität eingeholt und zur verunsicherten kritischen Wertung neuer Dienste und Medien führt, die in der Regel aber den Erfolg und die letztliche Durchsetzung zwar behindert, aber nicht verhindert. Dafür ist Bildschirmtext bis heute ein deutlicher Beleg.

Wachstum im analogen Netz

Die Bildschirmtext-Nutzung wächst langsam, aber sicher, sicher jedoch nicht schneller durch die Einführung von ISDN, prognostiziert in nebenstehendem Interview Helmut Ricke, Geschäftsführer der Loewe Opta GmbH, Kronach, des mittelständischen Elektronikunternehmens, das in den Anfängen des umstrittenen Postdienstes als Pionier hervorgetreten war. Wenn weiteres Wachstum, dann in großem Maße im analogen Telefonnetz, heißt es aus Kronach. Häufig wird es auch der PC sein, der Btx "vorantreibt", in der Hälfte aller Btx-Neuzulassungen sozusagen. Hinderlich für die gesamte Entwicklung, ob Btx, ob ISDN, sei indes nach wie vor die Schnittstellenvielfalt bei ISDN Endgeräten: Unternehmensseitige Schnittstellen-Philosophien verbauen den Weg zu ökonomischen Endgeräten.

Trost: Zwar würden zu optimistische Prognosen von der Realität eingeholt werden und wiederum zu einer verunsicherten kritischen Wertung neuer Dienste und Medien führen, was ihre Durchsetzung zwar behindere, letztlich aber nicht verhindere: "Dafür ist Bildschirmtext bis heute ein deutlicher Beleg."