Endbenutzersprachen: Nicht abwarten und Tee trinken

07.06.1985

Wenn es um den Einsatz von Endbenutzersprachen geht, klaffen Benutzerwünsche und Realität oft weit auseinander. Eines der Hauptprobleme dabei sieht Gerd Vogt, geschäftsführender Gesellschafter der OSP Metra GmbH, in Verständigungsschwierigkeiten zwischen DV-Experten und Laien. Das Spannungsfeld zwischen Datenverarbeitung und Fachabteilung nimmt Organisationsleiter Rolf-Udo Reinholdt, Maschinenfabrik Goebel; unter die Lupe. Seiner Ansicht nach können benutzerfreundliche Tools einer Verhärtung der Fronten entgegenwirken. Wolfgang Laatsch, Leiter Qualitässicherung und Methodik bei Schmalbach-Lubeca, plädiert dafür, den Anwender von Anfang an in die Entwicklung dieser neuen Arbeitshilfen einzubeziehen. Das Warten auf noch benutzerfreundlichere Sprachen, die auch erst erlernt werden müßten, hält er für sinnlos: "Probleme lassen sich üblicherweise nicht aussitzen." kul

Rolf-Udo Reinholdt Leiter Organisationsstelle, Maschinenfabrik Goebel

GmbH, Darmstadt

Die Personalkapazität im Bereich der DV-Entwicklung unterliegt einer vorgegebenen Grenze. Eine Vielzahl von Wünschen an die Datenverarbeitung kann der Endbenutzer selbst realisieren, wenn ihm ein geeignetes Werkzeug zur Verfügung steht.

Durchaus im wohlverstandenen eigenen Interesse der Organisationsabteilung haben wir seit etwa 1982 nach geeigneten Endbenutzersystemen gesucht. Die Betrachtung bezog sich dabei auf ein Spektrum von beispielsweise APL bis hin zu den mehr oder weniger bekannten Dateiabfragesystemen und Listgeneratoren. In einzelnen Fällen hat es Probe-lnstallationen gegeben.

Festzuhalten bleibt zunächst, daß die wirklich guten Produkte für die bei uns in Frage kommende Anwenderzahl im allgemeinen zu teuer waren. Betrachtet man die gegenseitigen Erwartungen, welche mit dem Übergang auf individuelle DV (Endbenutzersysteme) verbunden sind, lassen sich zumindest nach meiner Feststellung interessante Gegensätze aufzeigen.

In den ersten Überlegungen und Diskussionen wurde von seiten der Fachbereiche vereinzelt zum Ausdruck gebracht, daß sie nicht bereit seien, solche Arbeiten durchzuführen. Dafür gebe es die Organisations- und Datenverarbeitungsabteilung. Auch bestehe nicht die Absicht, eine wenn auch noch so einfache Kommando- oder Formuliersprache zu lernen.

Aus Sicht der DV wiederum erschien bei geeigneter Problemstellung die Formulierung einer Anforderung mit Mitteln der individuellen Datenverarbeitung derart bestechend einfach, daß zunächst die Illusion bestand, die Systeme führten sich von selbst ein.

Auf beiden Seiten ist inzwischen eine gewisse Ernüchterung eingetreten, so daß im Rahmen eines geeigneten Benutzerservice das Interesse in dieser Richtung wieder zunimmt.

Durch den Einsatz von SQL besteht eine schnelle Reaktionsmöglichkeit, auf Ad-hoc-Anfragen. Eine ergänzende Eigenentwicklung ergab eine sehr einfach zu handhabende Endbenutzeroberfläche. Sie erlaubt, im Moment noch auf das mit hohen Lizenzgebühren behaftete QMF zu verzichten das auf SQL aufbaut.

An bestimmten Stellen unseres Hauses hat sich der Mikrocomputer-Einsatz als sehr wirkungsvoll und erfolgreich gezeigt. Die Planung sieht nun vor, in begrenztem Rahmen die Verbindung zwischen Mikros und Großrechenanlage zu realisieren, um verdichtete Daten von der DV-Anlage einem bestimmten Personenkreis zur weiteren Verarbeitung auf dem Arbeitsplatzrechner verfügbar zu machen. Die ersten Anfänge auch auf dem zentralen System erscheinen erfolgversprechend. Die Erwartungen gehen dahin, daß die Durchgängigkeit und Einheitlichkeit der Benutzeroberfläche zwischen zentralen und dezentralen Einrichtungen auch softwaremäßig zunehmend abgedeckt wird.

Wolfgang Laatsch Leiter Qualitätssicherung und Methodik, Schmalbach-Lubeca AG, Braunschweig

Was man vernünftigerweise von einer Sprache der vierten Generation erwarten kann, hängt vom jeweiligen Standpunkt des Betrachters ab.

Die Fachabteilung erhofft sich von diesen Sprachen eine Unterstützung in ihren täglichen Arbeiten. Insbesondere ist sie an einer schnellen, präzisen und flexiblen Auswertung von Datenbeständen interessiert - und dies, ohne ständig auf die Hilfe eines DV-Spezialisten angewiesen zu sein.

Die DV-Abteilung erhofft sich eine Produktivitätssteigerung bei der Erstellung der vielen Listen und Auswertungsprogramme, die einen großen Teil ihrer Kapazität in Anspruch nimmt. Auch bei der Programmwartung sowie beim Testen rechnet man mit Zeiteinsparungen.

Wie aber lassen sich diese Erwartungen in die Realität umsetzen? Die DV-Abteitung kann in relativ kurzer Zeit die erhofften Produktivitätssteigerungen realisieren, wenn sie nach der Einführung einer Sprache der vierten Generation konsequent deren Vorteile nutzt. Der Aufwand für die Schulung und bei der Einführung sollte jedoch auch von der DV-Abteilung nicht unterschätzt werden. Denn selbst erfahrene Programmierer haben anfänglich Schwierigkeiten beim Umsteigen von einer prozeduralen auf eine nichtprozedurale Sprache, weil eine Umstellung der gewohnten Denkweisen erforderlich ist.

Die Fachabteilung muß erheblich mehr Vorleistung erbringen, bevor sich ihre Erwartungen erfüllen können. Der Schulungsaufwand ist um einiges höher und die Einarbeitungszeit erheblich länger als bei den DV-Spezialisten. Trotzdem bleibt der Gesamtaufwand relativ gering, weil mehr als grundlegende Kenntnisse der Datenverarbeitung nicht vermittelt werden müssen. Die Schulung durch den Anbieter sollte in jedem Fall durch interne Schulungen und Workshops ergänzt werden, in denen firmenspezifische Eigenarten ausführlich zur Sprache kommen.

Eine gute Schulung ist eine wesentliche Voraussetzung für den erfolgreichen Einsatz einer Sprache der vierten Generation. Eine weitere ist die Unterstützung durch DV-Spezialisten, die im Bedarfsfall sofort verfügbar sein müssen. Dieser Support kann über ein Information-Center oder einen sogenannten Benutzerservice koordiniert und geplant werden.

Wesentlichste Voraussetzung für einen Erfolg sowohl in der Fachabteilung als auch in der DV-Abteilung ist das Vorhandensein einer anwenderfreundlichen Datenbasis Idealerweise ist sie auf einer Datenbank mit relationaler Benutzersicht in Verbindung mit einem Data-Dictionary implementiert. Als weniger gute Alternative ließe sich mit Hilfe einer Sprache der vierten Generation die relationaleu Benutzersicht auf den gängigen Dateitypen abbilden.

In welcher Umgebung auch immer die Datenbasis erstellt werden soll, verantwortlich für den Aufbau zeichnet die DV, die in enger Zusammenarbeit mit den Fachabteilungen die erforderlichen Aktivitäten durchführt.

Um nicht unnötig Zeit zu verlieren, besteht die Möglichkeit, die Anwender schon vor dem Aufbau der Datenbasis mit Mikrocomputern auszustatten und sie auf diese Art mit den neuen Arbeitstechniken vertraut zu machen. Die heutzutage für Mikros verfügbaren Softwarepakete wie Lotus oder dBase III sind für diese Aufgabe durchaus geeignet.

Diese Vorgehensweise bringt einige Vorteile mit sich. Zunächst einmal wird Zeit gespart. Ferner verhält der Anwender sich dieser Art von Neuerungen gegenüber aufgeschlossener und bleibt dadurch motivierter, als es bei dem mit mehr Restriktionen verbundenen Arbeiten mit dem Terminal der Fall wäre. Dieses Verhalten resultiert aus der Tatsache, daß der Anwender zunächst seine Unabhängigkeit beibehält, wenn der Mikro als reiner Arbeitsplatzrechner eingesetzt wird.

Zusätzlich motivierend ist die Aussicht, daß sich mit dem Mikrocomputer arbeitsplatzspezfische Probleme lösen lassen kann, die in absehbarer Zeit nicht auf dem Zentralrechner hätten realisiert werden können.

Der wesentliche Vorteil dieser Vorgehensweise erwächst aus den sich ergänzenden Aktivitäten der DV und der Fachabteilungen. Während auf der einen Seite die Datenbasis geschaffen wird, lernt die andere Seite bereits grundsätzlich den Umgang mit den neuen Arbeitstechniken kennen und ist schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt in der Lage, mit präzise formulierten Forderungen und Vorschlägen die entstehende Datenbasis mit formen zu helfen.

In jedem Fall ist diese Art des Vorgehens besser als das Warten auf noch benutzerfreundlichere Sprachen, die im übrigen dann auch erst erlernt werden müssen. Aüßerdem ist Warten die wohl schlechteste Strategie, denn die zu lösenden Probleme lassen sich üblicherweise nicht aussitzen.

Gerd Vogt Geschäftsführender Gesellschafter OSP Metra GmbH, Essen

Um eine Aussage zum Thema "Endbenutzersprache: Erwartung - Realität" machen zu können, ist es zweckmäßig, vorerst die Frage zu klären: Was ist eine Endbenutzersprache?

Ist der Endbenutzer ein Kaufmann, Ingenieur, Wissenschaftler oder Schüler, so läßt sich nicht erwarten, daß alle diese Personen die gleiche Sprache beherrschen, um ihrem Computer problemlos Fragen stellen zu können, zum Beispiel in den Sprachen Cobol oder Fortran, die dieser interpretieren kann. So eine Erwartung ist praxisfern und aus

technisch-wissenschaftlichen Gründen auch zukünftig nicht Realität.

Die Mikrocomputer-Welle hat Möglichkeiten der individuellen Datenverarbeitung in einem Ausmaß gebracht, die Großrechner trotz ihrer High-Technik nicht bieten konnten. Mit Hilfe leicht erlernbarer, funktionsorientierter Techniken erstellt der Kaufmann seine Monatsübersicht in Tabellen oder in Grafiken, der Wissenschaftler seine Analysen und Berichte, der Schüler seine Hausaufgaben. Endbenutzer sprechen hier mit ihrem Computer, ohne vorher DV-Spezialisten befragen zu müssen. Sind hier Endbenutzersprachen, zugeschnitten auf die zu lösenden individuellen Kommunikationsprobleme, eine Realität? Wird die Erwartung der Endbenutzer erfüllt? Keinesfalls.

Die hohe Zahl der in den Lagern und Kaufhäusern unbenutzt herumstehenden Mikros und die wirtschaftlichen Schwierigkeiten manch nommierter Hersteller zeigen, daß die Erwartungen der Endbenutzer beziehungsweise die Erwartungen an die Endbenutzer hinsichtlich des Problems: "Wie sag' ich es meinem Computer" mit Hilfe der Mikrocomputer nicht erfüllt worden sind.

Einfache Probleme aus dem persönlichen Umfeld können sicherlich mit einem Grundwissen über Programmierung und Handhabung von DV-Techniken gelöst werden. Bei komplexen Aufgabenstellungen ist es ratsam, einen Fachmann hinzuzuziehen, besonders wenn die Lösung mit großen wirtschaftlichen Konsequenzen und technischen Garantieversprechen verbunden sind. Der Fachmann hat finden Endbenutzer den Nachteil daß er eine Fachsprache spricht - die des Systemanalytikers und des DV-Spezialisten.

Es ist nicht realistisch, zu erwarten, diesen Engpaß durch eine Endbenutzersprache überbrücken zu können, um Übersetzungsfehler zwischen Endbenutzer- und Fachsprache auszuschalten. Fachsprachen gelten in allen Gebieten der Wissenschaft und Technik als unumgänglich für methodisches Vorgehen und Systematik.

Fehler durch Mißverständnisse lassen sich vermeiden, wenn der Endbenutzer eine Sprache spricht und eine Darstellungstechnik wählt, die der Fachmann eindeutig interpretieren und übertragen kann. Voraussetzung dafür ist die Verwendung einer für beide verbindlichen Methode und Fachsprache. Ferner muß ein Werkzeug vorhanden sein, das die Vorgehensweise maschinell unterstützt, alle Arbeitsschritte analysiert und überprüft, um die Konsistenz von der Entstehung der Ur-Information über die mehrfache Transformation bei den Phasenübergängen bis hin zur Programmiersprache des Softwareentwicklers zu gewährleisten.