Thema der Woche

Emissionsbanken - die wahren Cashburner am Neuen Markt

22.12.2000
Seit Wochen quält der Neue Markt die Anleger mit Hiobsbotschaften. Verfehlte Umsatz- und Gewinnprognosen und in deren Folge der freie Fall der Kurse sind an der Tagesordnung. Doch die Frankfurter Hightech-Börse ist nicht nur Exerzierplatz für die offenkundig überforderten Management-Teams der betroffenen Firmen. Die Finger schmutzig gemacht haben sich vor allem die Strippenzieher im Hintergrund - die Emissionsbanken, die kräftig am Rad des Aktienhypesmitgedreht und den Investoren manch faules Ei ins Portfolio gelegt haben. Von Andrea Goder*

Dass es am Neuen Markt Verlierer, Trickser und offensichtlich auch Betrüger gibt, wussten diejenigen, die es wissen wollten, schon länger. Auch deshalb hat die seit Monaten zu beobachtende Talfahrt der Kurse an Frankfurts "Zockerbörse" einen anrüchigen Beigeschmack. Doch erst mit dem publicityträchtigen Absturz der Medien-Company EM.TV Anfang Dezember, dem offenkundigen Scheitern ihres Gründers und Vorstandschefs Thomas Haffa, bekam das Thema Pleiten, Pech und Pannen am Neuen Markt eine gesellschaftspolitische Dimension. Das "Wunderkind" der Münchner Medienszene hatte im wahrsten Sinne des Wortes Volksvermögen vernichtet, einige seiner Aktionäre vermutlich sogar ruiniert.

Tags darauf brachte die "Süddeutsche Zeitung" das eigentliche Problem, das hinter den Schwierigkeiten von Haffas Firma steckt, in ihrem Leitartikel auf den Punkt. "Der Vorwurf (...) richtet sich aber vor allem an die Investmentbanken, an Analysten und Fonds-Manager, die die Aktie zuerst in den Himmel und dann in die Hölle schrieben und spekulierten."

Mit anderen Worten: Auch diejenigen, die von Missständen und schwachem Management wissen mussten, haben versagt. Haben nicht genau hingeschaut oder geflissentlich weggeblickt - also wider besseres Wissen gehandelt. Und das längst nicht nur im Falle EM.TV. "Mittlerweile könnten wir einen ganzen Obststand mit ,Goldenen Zitronen'' bestücken", klagt Markus Straub, Vorstand der Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre e.V. (SdK). Seit 1999 verleihen die Esslinger Aktionärsschützer diese zweifelhafte Auszeichnung an Banken für die jeweils schlechtesten Neuemissionen eines Börsenjahrgangs. Besagte Zitronen gingen im letzten Jahr an die DG Bank (Netlife), HSBC Trinkaus & Burghardt (Gigabell) und an das Bankhaus Robert Fleming (Artnet.com). Dieses Jahr hat die SdK vor allem die Münchner Privatbank Merck Finck & Co. im Visier, die mit der Allgeier Computer AG einen der größten Flops am Neuen Markt überhaupt landete.

Kaum drei Monate an der Börse notiert, musste der in Bremen ansässige Spezialist für ERP- und DMS-Lösungen Mitte Oktober seine Prognosen massiv nach unten korrigieren. Demnach wird der für 2000 erwartete Umsatz sogar deutlich unter Vorjahresniveau liegen, und statt den in Aussicht gestellten Gewinnen prangt ein stattliches Minus in der Bilanz. Mit dem Emissionserlös wurden unter anderem rund zwei Millionen Mark Schulden für ein Firmengrundstück abgelöst. "Unternehmen, die nach nur kurzer Zeit mit ihren Prognosen so schief liegen, sind Abzocker", nimmt Aktionärsschützer Straub kein Blatt vor den Mund und fordert bei derartigen Vorkommnissen ein sofortiges Delisting von der Börse.

Schon in der Vergangenheit hatte Allgeier nicht unbedingt mit satten Umsatz- und Ergebniszuwächsen geglänzt. Anleger fragten sich deshalb zu Recht, inwieweit Merck Finck den Business-Plan im Rahmen der Due Dilligence auf Plausibilität geprüft hat und ob angesichts üppiger IPO-Provisionen - im Schnitt kassieren Banken zwischen fünf bis sieben Prozent des Emissionserlöses - nicht über so manche Schwäche des Unternehmens tunlichst hinweggesehen wurde. Immerhin räumten die Bremer in ihrem Emissionsprospekt selbst strukturelle Defizite in den Bereichen Rechnungswesen, Planung und Controlling ein. Um negative Entwicklungen im Unternehmen zu kaschieren, jagte der Börsenneuling zudem in den Wochen nach dem IPO vier kurstreibende Adhoc-Mitteilungen über die Nachrichten-Ticker. Sehr zur Freude des zuständigen Analysten bei Merck Finck, der jede dieser - inhaltlich alles andere als unternehmensrelevanten - Pflichtmitteilungen mit der Empfehlung "Outperform" bekräftigte. Heute wollen die Münchner Privatbankiers allerdings von ihrem ehemaligen Zögling nicht mehr viel wissen. Der Titel wurde nach der Gewinnwarnung herabgestuft und das so genannte Coverage - also die individuelle Betreuung durch einen Analysten - aufgegeben.

Ob Merck Finck, West LB Panmure, DG Bank oder Deutsche Bank - jede der hierzulande renommierten Emissionsbanken hat mittlerweile mehr als eine Leiche im Keller. "Die Emissionsqualität hat dermaßen abgenommen, dass Banken ihren Ruf gar nicht mehr weiter ruinieren können", macht SdK-Sprecher Straub aus seiner Kritik keinen Hehl. Vor allem für Kleinaktionäre ist das Zusammenspiel zwischen Unternehmen, Banken und Analysten oftmals undurchsichtig. Wird Anlegern in Emissionsprospekten zunächst noch die große Vision verkauft, stellt sich die vermeintliche Equity-Story - also ein fundiertes Bild von den Zukunftschancen des Unternehmens - allzu oft als heiße Luft heraus.

Brummt die Börse, haben fast alle Analysten Recht. Dann gewinnen auch Anleger, die bei der Zusammenstellung ihres Depots "mit dem Dartpfeil auf den Kursteil einer Wirtschaftszeitung werfen", heißt es spöttisch unter Insidern. Doch wehe, wenn die Kurse ins Bodenlose fallen. Dann kommt heraus, was offenbar in vielen Fällen gang und gebe war: Tricksen und Täuschen gehörte nicht nur zum Handwerkszeug einiger Protagonisten der New Economy, sondern auch der Analysten. Die schwäbische USU AG etwa, ein IT-Dienstleister und Softwareentwickler mit ebenfalls 23-jähriger Firmenhistorie, präsentierte sich beim Börsengang im Juli dieses Jahres als "Wissens-Company". Dass das Unternehmen allerdings im neuen Geschäftsfeld Knowledge-Management zum Zeitpunkt des IPOs erst zehn Kunden hatte und demzufolge dort nur marginale Umsätze erzielte, verschwieg die konsortialführende Württembergische Landesbank.

Um beim Börsengang ordentlich Kasse zu machen, unterstützen die Konsortialbanken ihre Schützlinge aber nicht nur beim Etikettenschwindel. Lukrativ sind auch vorbörsliche Beteiligungen, um beim IPO oder zu einem späteren Zeitpunkt abzusahnen. Doch lange nicht jede Investition traf ins Schwarze. Unter Federführung der Commerzbank feierte beispielsweise im Februar dieses Jahres die Hamburger Popnet AG ihr Debüt am Neuen Markt. Vom damaligen Internet-Hype - die Aktie lag in der Spitze bei 80 Euro - konnte die Commerzbank-Tochter Commerz Beteiligungsgesellschaft mbH, die 14,15 Prozent an der Web-Company hält, bis heute nicht profitieren. Eine Sperrfrist von sechs Monaten hinderte die Frankfurter Banker zunächst am Verkauf. Heute liegt der Kurs von Popnet nur mehr bei fünf Euro.

Um "Ausfälle" wie diese zu vermeiden, konzentrierten sich in den vergangenen Wochen und Monaten die Geschäftsinteressen der mächtigen Investmentbanken stark auf die "Kurspflege". Kaufen, kaufen, kaufen - nahezu jeder Tiefstkurs, jeder Niedergang einstiger Hoffnungswerte wurde von den einschlägigen Research-Abteilungen stets mit einer weiteren Empfehlung zum Einstieg bedacht. Ein Vorgang, der in zweierlei Hinsicht problematisch ist: Zunächst raten Analysten vielfach zum Kauf von Aktien von Firmen, die zugleich Kunden der betreffenden Bank sind. Auch wenn immer wieder behauptet wird, dass es keine Kontakte zwischen Kredit- und Research-Abteilung geben darf - in deutschen Geldhäusern herrschen diesbezüglich lockere Sitten.

So genannte "Chinese Walls", wie man sie in den USA vorfindet, sind hierzulande noch weitgehend unbekannt. Zudem preisen die Banken Aktien natürlich nicht aus purer Selbstlosigkeit an: Sie verdienen, wie erwähnt, kräftig mit, und die Analysten auch.

Einen Beweis für mangelnde Transparenz beziehungsweise Vermengung von Geschäftsinteressen lieferte auch Goldman Sachs. Vorbörslich beteiligte sich das renommierte US-Investmenthaus mit 18,7 Prozent an der Grasbrunner Ixos AG. Gemeinsam mit der Deutschen Bank wurde der R/3-Archivierungs-Spezialist dann im Oktober 1998 aufs Börsenparkett gehievt.

Beide Banken pushten mit aggressiven Kaufempfehlungen den Wert bis März 2000 auf über 90 Euro. Dass das Unternehmen damals schon aufgrund widriger Marktumstände, vor allem aber in Folge interner Management-Probleme auf eine existenzielle Krise zusteuerte, war Insidern längst bekannt. Als dann die entsprechende Gewinnwarnung im April über den Ticker lief, die das ganze Ausmaß der Misere deutlich machte, hatten sowohl Goldman Sachs als auch die Ex-Ixos-Chefs Eberhard Färber und Hans Strack-Zimmermann längst Kasse gemacht.

Laut "Aktiencheck.de", einer Online-Börsen-Site, auf der auch Kursempfehlungen zu finden sind, stellte Merck Finck im letzten Jahr allein die Augsburger Infomatec Integrated Information Systems AG zwölfmal auf "Kauf". Stolze 300 Euro wurden noch im Mai 1999 als Kursziel ausgegeben. Über die Motive für diese Art von Rückendeckung für das bisher wohl schwärzeste Schaf an der Frankfurter Wachstumsbörse schweigen sich die Münchner Privatbankiers aus.

Haltlose Analystenkommentare mit abenteuerlichen Bewertungen, Kaufempfehlungen für auffällige Cashburner - in den Research-Abteilungen deutscher Banken finden sich unzählige andere Fälle dieser Art. Etwa Brokat: Die Aktie des Stuttgarter E-Finance-Spezialisten wurde von der West LB Panmure in diesem Jahr bereits achtmal zum Kauf empfohlen. Noch im August gab deren Analyst Wolfgang Fickus als Kursziel 230 Euro aus. Eine Fehleinschätzung, wie sich heute selbst bei wohlwollender Betrachtung zeigt. Zwar kamen aus der Düsseldorfer Großbank zuletzt auch kritischere Töne, zum Beispiel, was das Kosten-Management der schwäbischen Softwareschmiede angeht. An seiner letzten Kaufempfehlung - Kursziel 120 Euro - hält Experte Fickus allerdings bis dato fest. Augen zu und durch, lautet für ihn offenbar das Motto. Mit 29,50 Euro ist die Brokat-Aktie jedenfalls derzeit meilenweit von ihrem Allzeithoch im Februar (190 Euro) entfernt.

Immer mehr Marktbeobachter kritisieren deshalb, dass es im Umfeld des Neuen Marktes nur wenige unabhängige Analysten gibt. Nach den Einbrüchen an den Finanzmärkten und unzähligen Fehleinschätzungen ist mittlerweile eine ganze Zunft in Verruf geraten. "Treue Diener ihres Arbeitgebers" sind nach den Worten von Ulrich Hocker, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), vor allem die Analysten, die sich im Dunstkreis des Emissionskonsortiums bewegen. Die Düsseldorfer Aktionärsschützer fordern deshalb schon seit längerem, dass die gewöhnlich einen Börsengang begleitenden Bankenstudien und Prognosen Teil des Emissionsprospekts sind. Nur so könnten Banken in die viel zitierte Prospekthaftung genommen werden, wenn Unternehmen mit ihren Zahlen beziehungsweise Prognosen völlig daneben liegen.

Davon will man in den einschlägigen Research-Abteilungen natürlich nichts wissen. Doch damit nicht genug: Tatkräftig stehen Banken ihren Schützlingen auch bei Kapitalerhöhungen zur Seite, an denen ebenfalls tüchtig mitverdient wird. Ein beliebtes Verfahren, um von klammen Firmen bereits gewährte Kredite zurückfordern zu können. Hartnäckig hält sich im Markt das Gerücht, dass beispielsweise die Augsburger Infomatec noch im Februar 1999 - übrigens analog zum Fall EM.TV - auf Geheiß des Konsortialführers West LB das Kapital erhöht hat. Die Kassen des schwäbischen "Softwarekonzerns" dürften zu diesem Zeitpunkt, wie man heute weiß, infolge einer kaum nachvollziehbaren Business-Strategie sowie eines katastrophalen Managements längst leer gewesen sein. Ein (damals noch) hoher Aktienkurs rettete den Börsen-Highflyer des Jahres 1998 somit vermutlich vor einem Insolvenzverfahren.

Was aus dem Geld der Infomatec-Anleger inzwischen geworden ist, braucht nicht mehr näher beleuchtet zu werden. Doch nicht nur die Tatsache solcher schwer verständlichen Kapitalerhöhungen, sondern auch die näheren Umstände werfen Fragen auf. Noch einmal Infomatec: Während der drei Tage dauernden Bookbuilding-Phase, in der die neuen Aktien des Unternehmens platziert wurden, stellte West-LB-Analyst Adrian Hopkinson den Wert zweimal auf "Outperform". Und die Querverbindungen zwischen West LB und Infomatec reichen noch weiter. Im Juni 1999 wurde Volker Müller-Scheessel, Niederlassungsleiter der West LB Frankfurt, zum Aufsichtsratsvorsitzenden der Augsburger Skandal-Company bestellt - zu einem Zeitpunkt also, als die beiden Infomatec-Vorstände Gerhard Harlos und Alexander Häfele inmitten ihrer "kreativsten Phase" waren, was das Erfinden wenig stichhaltiger Adhoc-Mitteilungen angeht. Aufgabe eines Aufsichtsrates wäre es an sich, darauf zu achten, dass sich der Vorstand korrekt verhält. Rückblickend drängt sich zumindest die Frage auf, ob der Aufsichtsrat die Machenschaften des Augsburger Unternehmens teilweise gedeckt hat oder aber bewusst irregeführt und ausgebootet wurde.

Gegen letztere Annahme spricht allerdings ein öffentlicher Zwischenfall, der zumindest kritischen Begleitern des Unternehmens hätte zu denken geben müssen. Auf der Infomatec-Hauptversammlung 1999 schlug der Aufsichtsrat die Verlängerung des Mandats der im Hause Infomatec tätigen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Haarmann, Hemmelrath & Partner GmbH vor. Aufgrund der bestehenden Mehrheitsverhältnisse wurde aber der Aufsichtsrat von den beiden Vorständen Häfele und Harlos überstimmt. Mit der neuen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BTR Beratung und Treuhand Ring GmbH setzten die beiden Firmengründer ihren Willen durch.

Zumindest im Fall Infomatec sind Staatsanwaltschaft und das Frankfurter Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel (BAWe) bekanntlich in in sehr dramatischer Weise in Aktion getreten. Häfele und Harlos befinden sich seit Anfang November wegen des Verdachts auf Insider-Handel und Kursbetrug in Untersuchungshaft. Ermittelt wird von der Staatsanwaltschaft aber auch, inwieweit Häfele und Harlos gegen Paragraph 400 des Aktiengesetzes verstoßen haben - sprich: die Verhältnisse im Unternehmen unrichtig wiedergegeben oder verschleiert haben. Aktionärsschützer erwarten im Fall Infomatec ein schnelles und hartes Durchgreifen.

Trickser und Täuscher hatten am Neuen Markt allerdings bislang ein leichtes Spiel. In den meisten Verdachtsfällen, bei denen die Frankfurter Aufsichtsbehörde ihre Ermittlungen aufnahm, wurden die Verfahren bereits wieder eingestellt (siehe Kasten "BAWe-Präsident Georg Wittich im CW-Gespräch"). Fakt ist zudem, dass sich für das BAWe die Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft oft jahrelang hinzieht. Die Frankfurter Behörde leidet unter einem chronischen Mitarbeitermangel, der die Arbeit zu einem Kampf gegen Windmühlen macht. In Börsenkreisen, vor allem aber unter den leidgeprüften Anlegern gilt das Amt als Papiertiger.

Während man beim BAWe also alle Hände voll zu tun hat, scheint das Emissionsgeschäft zuletzt ins Stocken geraten zu sein. Mit dem Qualitätsverlust an der Frankfurter Hightech-Börse ging auch für die Banken der Schuss nach hinten los. Nur fünf IPO-Kandidaten hat die Frankfurter DG Bank im zweiten Halbjahr 2000 an den Neuen Markt begleitet; 14 waren es noch im ersten Halbjahr. Kein Wunder angesichts der wenig berauschenden Bilanz. Von den 325 am Neuen Markt gelisteten Firmen hat das Geldhaus 51 Companies als Konsortialführerin an die Börse gebracht, 26 notieren derzeit unter ihrem Emissionskurs. Vorstandsmitglied Uwe Flach räumte vor kurzem immerhin "Fehleinschätzungen" bei der Auswahl der Kandidaten ein. In Zukunft wolle man deshalb von Firmen, die erst in drei, vier oder fünf Jahren Gewinne in Aussicht stellen, die Finger lassen. "Das ist eine Erfahrung aus dem Internet-Zeitalter", glaubt Flach.

Hoffen auf die Lernfähigkeit der Banken also, die viel Unheil angerichtet haben. Vielen Beobachtern reicht dies jedoch nicht aus; sie fordern zum Beispiel strengere Regeln für den Insider-Handel und bessere Sanktionsmöglichkeiten bei Verstößen. Etwa Befugnisse für das BAWe, die denen der US-Börsenaufsicht Securities and Exchange Commission (SEC) entsprechen. Die kann eigenhändig Strafen verhängen, ohne überhaupt die Staatsanwaltschaft einschalten zu müssen. Doch an der Realität des Börsengeschehens wird auch das nicht viel ändern können.

*Andrea Goder ist freie Journalistin in München.

BAWe-Präsident Georg Wittich im CW-GesprächCW: Die Fälle von Insider-Geschäften am Neuen Markt häufen sich. Mit der Frankfurter Handelsüberwachungsstelle hat man doch die Infrastruktur, um auffallende Kursbewegungen zu überwachen.

Wittich: Die Frankfurter Handelsüberwachungsstelle ist ein Organ der Börse, das börsengesetzlich vorgeschrieben ist. Sie überwacht die Preisbildung an der Börse. Daneben ist unser Haus für die Verfolgung von Insider-Delikten zuständig. Wir arbeiten zudem sehr eng mit den Handelsüberwachungsstellen der einzelnen Börsen und den Börsenaufsichtsbehörden der Länder zusammen. Unabhängig davon analysieren wir selbst auffällige Kurs- und Umsatzbewegungen.

CW: In den USA sind Firmenchefs und Insider gesetzlich verpflichtet, Aktienverkäufe der Börsenaufsichtsbehörde SEC zu melden. Wäre eine solche Regelung nicht auch in Deutschland längst überfällig?

Wittich: In Deutschland ist derzeit jeder, der eine bedeutende Beteiligung an einer im amtlichen Handel notierten Gesellschaft hält, verpflichtet, dies unserer Behörde mitzuteilen. Zudem muss die betreffende Aktiengesellschaft diese Mitteilung veröffentlichen. So muss bereits derjenige, der eine Beteiligung von fünf Prozent erreicht, überschreitet oder unterschreitet, dies bekannt geben. Diese Transparenzpflicht soll im Vierten Finanzmarktförderungsgesetz auf die Unternehmen am Neuen Markt und im Geregelten Markt ausgedehnt werden.

CW: Sollte sich der Verdacht des Insider-Handels und der Kursmanipulation bestätigen, mit welchen Strafen haben dann die Ex-Infomatec-Vorstände Gerhard Harlos und Alexander Häfele zu rechnen?

Wittich: Insider-Handel wird nach dem Wertpapierhandelsgesetz mit bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug oder Geldstrafen geahndet. Kursmanipulation ist ebenfalls ein Straftatbestand nach dem Börsengesetz, bei dem ein Strafrahmen von drei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafen drohen. Insofern ist in beiden Fällen eine Ahndung nicht unmittelbar durch das BAWe möglich. Vielmehr muss erst ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren betrieben werden, das zu einer Anklage führen kann.

CW: In wie vielen Fällen hat das BAWe seit Bestehen des Neuen Marktes Strafen verhängt?

Wittich: Das BAWe kann als Verwaltungsbehörde keine Strafen verhängen, sondern in den dafür gesetzlich vorgesehenen Fällen Ordnungswidrigkeiten mit Bußgeldern ahnden. Bislang wurden wegen Verstoßes gegen die Regeln der Adhoc- Publizitätspflicht acht Bußgelder in Höhe zwischen 50000 und 100000 Mark verhängt.

Aufgrund von Insider-Untersuchungen des BAWe kam es bislang zu 14 gerichtlichen Verurteilungen - 13 Strafbefehle und eine Verurteilung nach öffentlicher Hauptverhandlung. Es wurden in der Regel Geldstrafen verhängt, in zwei Fällen Freiheitsstrafen von einem Jahr zur Bewährung. In weiteren 36 Fällen sahen die Staatsanwaltschaften davon ab, öffentliche Anklage zu erheben, und beendeten das Verfahren mit der Auflage, dass die Beschuldigten eine in Einzelfällen sehr hohe Geldzahlung leisteten.

Abb: Geldvernichtungsmaschine: Seit Februar hat die Marktkapitalisierung der am Neuen Markt gelisteten Firmen mehr als zwei Drittel an Wert verloren. Quelle: Deutsche Börse AG