Interview auf der Comdex Fall '96

Ellen Hancock glaubt an Apple

13.12.1996

CW: Waren Sie zufrieden mit der Reaktion auf Ihre strategische Ankündigung?

HANCOCK: Ja, ich war sehr zufrieden. Ich konnte zwar nicht persönlich mit Zuhörern sprechen, aber Christopher (Anm. d. Red.: Christopher Escher, Vice-President Corporate Communications, Eröffnungsredner) hatte Gelegenheit dazu und meinte, die Reaktionen seien sehr positiv gewesen.

CW: Benötigt Apple wirklich ein neues Betriebssystem?

HANCOCK: Ja, wir glauben in der Tat, daß wir etwas ganz Neues brauchen.

CW: Im Zusammenhang etwa mit der Keynote Speech von Jim Barksdale stellt sich die Frage, ob nicht schon bald die Internet-Programmiersprache Java Betriebssysteme in ihrer heutigen Form überflüssig macht. Könnte Apple schon davon profitieren?

HANCOCK: Ich wünschte, das wäre bereits heute so. Ich glaube aber, daß wir noch vier bis fünf Jahre darauf warten müssen, und für genau diese Zeit brauchen wir eine brauchbare Strategie.

CW: Eine kurzfristige Lösung wäre dann der Zukauf beispielsweise des Be-OS?

HANCOCK: Die kurzfristige Lösung besteht darin, ein Betriebssystem von Apple bereitzustellen. Wir wissen noch nicht, was das sein wird. Es kann entweder etwas sein, das wir von der Industrie kaufen, oder eine Eigenentwicklung. Diese Frage ist noch offen, wir werden sie bis zum Januar klären.

CW: Was steckt hinter den Gerüchten, sie befänden sich in Verhandlungen mit Be?

HANCOCK: Das ist kein Gerücht. Be ist allerdings nur eine von vielen Firmen, mit denen wir kooperieren. Sie nehmen teil an unseren Messen, und wir unterstützen sie genauso, wie wir auch Microsoft oder anderen Entwicklern Support bieten.

CW: Was halten Sie denn persönlich vom Be-OS, das ohne "Legacy Burdens" komplett neu entwickelt wurde?

HANCOCK: Teile gefallen mir sehr gut, andere weniger.

CW: Welche Teile mögen Sie denn weniger?

HANCOCK: Ich möchte dazu keine Stellungnahme abgeben, da es sich bei Be um einen Geschäftspartner von uns handelt.

CW: In Ihrer Rede haben Sie die Notwendigkeit betont, daß Apple wieder engeren Kontakt zum Firmenmarkt bekommt. Mit welchen Mitteln wollen Sie das erreichen?

HANCOCK: Sie brauchen nur ins Web zu schauen: 64 Prozent aller Firmenseiten wurden auf einem Macintosh erstellt. Das bedeutet, daß 64 Prozent aller Unternehmen irgendwo Macintosh-Rechner einsetzen. Viele Webmaster arbeiten mit Apple-Software. Zum zweiten liegen Apple-Server beim Web-Einsatz an zweiter Stelle. Drittens setzen viele Unternehmen im Fortbildungsbereich Macintosh-Systeme ein. Wann immer es um Multimedia geht, beispielsweise Quicktime, werden Macs verwendet. Zudem haben wir festgestellt, daß in Sun-Solaris-Umgebungen häufig Macintosh-Clients genutzt werden. Das war einer der Gründe für unsere Allianz mit Sun.

CW: Glauben Sie, daß bestimmte Bestandteile ihres künftigen Betriebssystems zu "Killerapplikationen" werden könnten, die ihnen den Weg zurück auf die Firmenschreibtische erleichtern könnten?

HANCOCK: Quicktime ist auf jeden Fall solch ein strategisches Produkt. Unsere Opendoc-Strategie halte ich ebenfalls für einen Kernpunkt. Dies dürften die Bereiche sein, die unseren Erfolg im Firmengeschäft sicherstellen.

CW: Opendoc hat sich bis heute nicht richtig durchsetzen können. Was sind Ihrer Ansicht nach die Gründe dafür?

HANCOCK: Es fehlt noch an brauchbaren Produkten. Dies ändert sich aber, ich habe mir gestern einige interessante Dinge angesehen. Ich glaube auch, daß die Ankündigung von Apple und Sun bezüglich der Interoperabilität zwischen Java und Opendoc der Entwicklung sehr förderlich sein wird. Am wichtigsten ist aber in jedem Falle, daß Firmen Produkte auf den Markt bringen, die Opendoc unterstützen.

CW: Sie haben gesagt, Apple habe sich mit seinen Entwicklungen aus dem Mainstream hinausmanövriert. Wollen Sie nun auf ihre teilweise technisch überzeugenden Erfindungen verzichten?

HANCOCK: Nein, wir werden nichts davon fallenlassen. Es geht nur darum, daß wir künftig stärker darauf achten, was der Rest der Industrie tut. Speziell in unserer Zusammenarbeit mit Sun, Netscape oder IBM wollen wir dem Rechnung tragen. Ich glaube, daß solche gemeinsamen Entwicklungen besser sind als das, was wir in der Vergangenheit im Alleingang auf die Beine gestellt haben.

CW: Apple steht bisher klar zum Power-PC-Chip als Hardwareplattform der Wahl. Gilt dies auch für die Zukunft?

HANCOCK: Ja, absolut. Wir haben dies auch gestern nochmals bestätigt.

CW: Wann können wir die ersten Maschinen auf Basis der Common Hardware Reference Platform erwarten?

HANCOCK: Die ersten Geräte von Motorola wird es im April geben, und sie werden unter Mac-OS laufen.

CW: Und wann kommen Apples erste CHRP-Maschinen?

HANCOCK: In der zweiten Hälfte 1997.

CW: Gab es bei Ihnen Überlegungen, die Newton-Technologie an andere Firmen zu lizenzieren? Gerade durch die Ankündigung von Windows CE dürfte der Markt ja unter erheblichen Druck geraten.

HANCOCK: Sicher besteht immer eine gewisse Gefahr, wenn eine so große Firma wie Microsoft etwas ankündigt. Ich habe keine Informationen darüber, ob wir zur Newton-Lizenzierung Anfragen erhalten oder selbst Kontakte geknüpft haben. Ich weiß nur, daß wir die "Pippin"-Konsolentechnologie lizenziert haben. Ich kann allerdings betonen, daß wir künftig sehr viel mehr dazu bereit sein werden, unsere Technologien an andere Unternehmen zu lizenzieren, als dies früher der Fall war. Wir haben dafür sogar eine spezielle Licensing Group geschaffen, die sich mit nichts anderem beschäftigt.

CW: Es gab am Montag Gerüchte, Ihr bisheriger Betriebssystem-Chefentwickler Nassi habe das Handtuch geworfen. Hängt das mit Ihrer Reorganisation zusammen, oder gab es Unstimmigkeiten über die künftige Entwicklung?

HANCOCK: Nein, wir hatten keinerlei Streit, und es gibt keinen Zusammenhang mit unserer Umstrukturierung. Es war lediglich der richtige Zeitpunkt für ihn gekommen, etwas anderes zu tun. Er war übrigens auch nicht COO oder in vergleichbarer Position, sondern Senior Vice-President und mir unterstellt.

CW: Eine persönliche Frage: Ist Ihnen der Übergang aus der IBM-Kultur zu Apple schwergefallen?

HANCOCK: Der schwierigste Schritt für mich war der zu National Semiconductor. Von IBM, wo ich für mehrere Systeme verantwortlich war, zu einem Chiphersteller zu wechseln, war ziemlich schwierig. Als ich dann zu Apple ging, fühlte ich mich wieder richtig zu Hause.