Beispiel: Vom Expertenteam zum Expertensystem

Elektronische Stellwerke wissensbasiert projektieren

10.07.1992

Im Bereich Bahnen der SEL AG, Stuttgart, werden elektronische Stellwerke für Bahnanlagen und Bahnhöfe projektiert. Bisher bestimmte ein Expertenteam von Hand das benötigte Material und legte die Konfiguration fest. Heute arbeiten die Projektoren mit einem Expertensystem.

Die Arbeiten werden nach folgendem Schema durchgeführt: Grundlage für die Projektierung der Bahnanlagen ist der sogenannte "Element-Verbindungs-Plan", kurz EVP genannt. Darin sind die für die Außenanlage notwendigen Weichen, Signale und Gleise sowie deren logische Verbindungen abgebildet.

Bevor die Anlage konfiguriert wird, müssen die Daten des Verbindungsplans überprüft werden.

Danach werden die Bauteile der Außenanlage bestimmt und die Steuerung der Gleisanlage komplett konfiguriert.

Die Ergebnisse dieser Arbeiten sind Konfigurations- und Materiallisten der Innen- und Außenanlage sowie eine Strombedarfsrechnung.

Fundiertes Know-how und Erfahrungswerte sind wichtige Voraussetzungen für diese zeitaufwendigen und komplexen Aufgaben.

Um in Zukunft die Aufträge schneller zu bearbeiten und die Projekteure entlasten zu können, entstand die Forderung nach dem Einsatz eines wissensbasierten Systems zur automatischen Projektierung der Bahnanlagen.

Die Realisierung oblag einem externen Softwarehaus. In der Zeit von September 1990 bis Dezember 1991 wurde ein Expertensystem für die Projektierung und Materialisierung (Promat) entwickelt. Im Rahmen dieser Tätigkeiten entstand auch eine integrierte Datenbankanwendung (Oracle). Das System wurde auf VAX 3100 und VAX 6320 unter VMS implementiert.

Die Aufgaben des neuen Systems lauten im einzelnen:

1. Überprüfung des EVP

2. Materialisierung der Außenanlage

3. Materialisierung und Konfigurierung der Innenanlage (die Steuerung der Bahnanlage)

4. Durchführung der Strombedarfsrechnung

Die Regeln sind in Klassen strukturiert

Zur Überprüfung des Elementverbindungsplans (EVP) werden Regeln eingesetzt. Die Bedingungen sind sehr komplex. Neue Bedingungen, die von der bisher bekannten Komplexität und Beschaffenheit abweichen können, sind mit Regeln leicht zu definieren. Durch die Verwendung von Regelklassen können diese Regeln besser strukturiert werden, was zudem eine bessere Übersichtlichkeit schafft.

Alle für die Außenanlage benötigten Bauteile materialisiert das System selbständig. Grundlage hierfür sind die Daten des EVP.

Bei der Materialisierung und Konfigurierung der Innenanlage fügt das System für Projektierung und Materialisierung die ermittelten Bauteile zu einem Gesamtsystem zusammen. Dabei werden die technischen Randbedingungen berücksichtigt. Dies stellt die eigentliche Konfigurationsaufgabe dar. Die interne Verkabelung wird danach festgelegt. Weiterhin werden Daten zur Stromversorgungsdimensionierung ermittelt.

Hierbei ist eine Vielzahl von Konventionen und Randbedingungen zu beachten.

Die Konfigurations- und Materiallisten für die Innen- und Außenanlage sowie die Ergebnisse der Strombedarfsrechnung werden für die Weiterverarbeitung und zur Archivierung in die Datenbank abgelegt. Das Expertensystem berücksichtigt bei der Projektierung auch die kundenspezifischen Merkmale, die zu verschiedenen Bauformen führen können. - Zum Beispiel für die Deutsche Bundesbahn oder für den Export.

Kern des Expertensystems ist die Wissensbasis, die detailliertes Wissen über die Materialisierung und die Konfigurierung von Elektronischen Stellwerken beinhaltet.

Die Anwender des Systems arbeiten jeweils an VAX-Workstations 3100, die über Decnet miteinander und mit dem Host-Rechner verbunden sind. Folgendes Wissen ist dargestellt:

- Wissen über die zu projektierenden Anlagen (Beschreibungswissen). Aus welchen Bauteilen bestehen elektronische Stellwerke? Welche Beziehungen existieren zwischen den Bauteilen?

- Wissen über die Vorgehensweise beim Materialisieren/Konfigurieren und der Angebotserstellung. Wie wird konfiguriert/materialisiert? Wie werden Sonderfälle bearbeitet (zum Beispiel Export)? Wie wird die EVP-Prüfung durchgeführt?

Die Datenbank-Schnittstelle realisiert den Datentransfer zwischen dem Expertensystem und der Datenbankanwendung.

Das Expertensystem benötigt folgende Informationen aus der Datenbank: Kundendaten, Informationen bezüglich des Angebots beziehungsweise des Auftrags sowie weitere Informationen, die interaktiv in das System über die Benutzerschnittstelle eingegeben werden.

Die Realisierung dieses Projekts zeigt, daß mit wissensbasierten Systemen wirtschaftliche Lösungen erstellt werden können, wenn die Aufgabe klar definiert ist und die Entwicklung professionell durchgeführt wird. Dies gilt insbesondere für Aufgaben der Projektierung und Angebotserstellung komplexer Systeme.

Die Arbeitseinsparung der SEL-Projekteure, so der zuständige Bereichsleiter, beträgt heute 30 Prozent, ferner sei eine konstant gute Qualität erreicht worden.

Die wissensbasierten Techniken erlaubten es darüber hinaus auf veränderte Bedingungen und Zusammenhänge einzugehen, ohne den Programmcode dafür anpassen zu müssen.

*Klaus Groth ist Projektleiter bei der Teknon Ges. für wissensbasierte Systeme mbh in Darmstadt.