Messaging Systeme/Messaging in den neunziger Jahren

Elektronische Kommunikation läuft nicht ohne Standards

08.11.1996

Das Internet ist mehr als bloß eine modische Erscheinung. Es entwickelt sich zu einem Netzwerk, das bald genauso nützlich sein wird wie das gegenwärtige globale Telefonsystem. Die Möglichkeit, Mitteilungen schnell und einfach über das globale Datennetz zu verschicken, gehört zu den wichtigsten Leistungen dieser Technologie. Während sich immer stärker die Auffassung durchsetzt, daß es sich beim Internet um eine Technologie handelt, die auch kommerziellen Zwecken dienen kann, nimmt gleichzeitig die Bedeutung von E-Mails zu.

Die Geburtsstunde des Internet war verknüpft mit der vordringlichen Notwendigkeit, Daten zwischen Computern auszutauschen. Dies erforderte ein allgemeines Adressierungsschema, ein Sortiment von vereinbarten Transportdiensten sowie die Verfügbarkeit einer ganzen Reihe existierender Protokolle, um Daten über Kommunikationsmedien zu übertragen. Das Resultat war die Entwicklung der Standards TCP/IP und DNS (Domain Naming System), einer Methode zur Vereinheitlichung von Namen und Netzadressen. Diese einfachen Blöcke bilden noch immer die Basis für das Internet.

Für einige Zeit lief parallel zur Internet- auch die OSI-Entwicklung (OSI = Open Systems Interconnect), in der wie auch bei TCP/IP eine Sammlung von "lower layers" zur netzwerkweiten Datenübertragung definiert wurde. Harmonisiert wurden beide Welten durch den Internet-Standard Request for Comment (RFC) 1006. Dieser stellt Empfehlungen für das Mapping, also die logische Zuordnung von Adressen, zwischen den von TCP/IP und dem OSI-Äquivalent TP 0/2/4 benutzten Transport-Layer-Protokollen bereit. Erst über RFC 1006 wurden OSI-definierte Applikationen wie X.400 und X.500 (der Directory-Services-Standard, der als solcher auch vom Internet akzeptiert wurde) über Internet-Verbindungen ablauffähig.

Für einige Jahre wurde Internet-Mail nur zum Transfer von Textnachrichten verwendet, so daß das Simple Mail Transfer Protocol (SMTP) überwiegend zu diesem Zweck eingesetzt wurde. Um auch beliebige Daten (wie beispielsweise Tabellenkalkulationsdateien) mit SMTP übertragen zu können, wurden die Multipurpose Internet Mail Extensions (MIME) entwickelt. MIME erweitert die Nachrichtenfähigkeiten von SMTP und unterstützt Formate für Audio, Image, Video sowie Application Content Types mit verschiedenen Arten von Codierungsmethoden (zum Beispiel binäre Daten). Darüber hinaus gestattet MIME, multimediale und andere nichttextliche Formate zuverlässig zu verschicken. Ähnlich dieser Entwicklung wird allmählich auch das Konzept eines "Quality of Service" innerhalb des Internet standardisiert, mit Support für Delivery Status No- tifications (DSN), definiert in den RFCs 1891, 1892, 1893 und 1894.

Das Modell "Ein Kommando - eine Antwort", auf dem SMTP basiert, verliert bei langsamen Verbindungen an Nutzbarkeit, oft bis zu dem Punkt, daß ein Großteil der Verbindungszeit mit dem Absetzen individueller Kommandos verbracht wird. Idealerweise sollte daher in einfachen TCP-Sendeoperationen ein Kommando-Stapelbetrieb einsetzbar sein. Dies wird vom ursprünglichen SMTP-Standard aber nicht unterstützt. Die Antwort für das Internet heißt hier Command Pipelining, spezifiziert in RFC 1854, das mit einfachen TCP-Sendeoperationen erlaubt, mehrere Kommandos zu initiieren, was die SMTP-Leistung signifikant steigert. Entsprechend wichtig ist die Unterstützung von RFC 1854 in Messaging-Server-Lösungen.

Eine weitere wichtige Funktion der auf dem Internet basierenden Mail-Services ist der effiziente Fernzugriff auf Message-Stores. Das hierfür zuständige Internet Message Access Protocol (Imap) in der Version 4 gestattet einem Client den Zugriff auf und die Manipulation von E-Mails auf dem Server. Imap 4 unterstützt daneben unterschiedliche Folder und Statusanzeigen, die auf die Anordnung jeder Nachricht hinweisen (seen, answered, deleted, draft, flagged etc.). Entfernte Message-Folders lassen sich hierbei in der gleichen funktionalen Weise manipulieren wie lokale Mailboxen: Die Clients können auf dem Server Folder-Operationen wie zum Beispiel Search oder Sort durchführen, ohne die entsprechende Message herunterzuladen. Daneben läßt sich mit Imap 4 ein Offline-Client mit dem Server resynchronisieren. Das bisher dominierende Point to Point Protocol 3 (POP 3) hat gerade beim Einsatz über langsame Leitungen schwere Nachteile, insbesondere bei der Handhabung von großen Nachrichten.

Gerade für Remote-Anwender, die via Modem, ISDN oder GSM arbeiten, ist die Unterstützung von Imap 4 besonders wichtig. Mit POP 3 und den Remote-Protokollen der meisten Hersteller von proprietären Mail-Systemen werden immer alle Nachrichten geladen, der Anwender kann also die Nachrichten-Header und den Text nicht betrachten, bevor er Anhänge lädt. Verglichen damit, kann Imap 4 in vielen Applikationen die Übertragungskosten kräftig senken.

Standards versus proprietärer Lösungen

Bedingt durch die Kostenentwicklung im DV-Sektor, ist die Nachfrage nach gut und billig zu verwaltenden Mail- und Web-Servern stark angestiegen. Aus diesem Grund werden auch bei E-Mail-Systemen verstärkt standardbasierte Lösungen angestrebt. Die Grundlagenarbeit dazu leisten drei Gremien: die International Standardization Organization (ISO), die International Telecommunication Union (ITU) und die Internet Engineering Task Force (IETF).

Organisationen wie die ISO und die ITU obliegt die Verantwortung, mit dem Blick auf sich entwickelnde globale Märkte allgemeine Richtlinien zu entwerfen. In der IETF hat die Internet-Community in enger Zusammenarbeit mit der Unix-Community eine Körperschaft zur Herleitung von Richtlinien. Diese bereits erwähnten, als RFCs bekannten Standards beinhalten Mechanismen betreffend Publikation, Konzeptprüfung sowie abschließende Genehmigung und ähneln der Methodologie der ISO. Daneben setzen sich aber - bedingt durch die Marktdominanz einzelner Hersteller - immer wieder ursprünglich proprietäre Lösungen als De-facto-Standards durch. Offizielle Reglementierungen des globalen Datennetzes, internationale Standards und die große Zahl proprietärer Systeme, wie sie beispielsweise in den E-Mail-Lösungen von Microsoft oder Lotus auftauchen, ergänzen sich, widersprechen sich aber auch.

Im Gegensatz zu den frühen Tagen des Internet, als es nur wenige Vereinheitlichungen gab, schränken jetzt die weitblickend definierten ISO-Datenkommunikations-Standards wie auch die verwandten Richtlinien der ITU die anfängliche Flexibilität ein. So schreibt zum Beispiel X.400, der Electronic-Messaging-Standard der ITU, analog zu traditionellen Postdiensten eine hohe Dienstgüte (Quality of Service = QoS) fest. X.400 eignet sich daher besonders für auftragskritische Nachrichten. Im Gegensatz zu SMTP hat X.400 von Anfang an ein sehr leistungsfähiges und flexibles Dienstmodell definiert. Für moderne Organisationen gilt, beide Optionen einsetzen zu können: X.400 für kritische und kommerzielle, Low-cost-Internet-Messaging für weniger wichtige Nachrichten. Beide Lösungen müssen aber in jedem Fall mit einem zentralen Management zur Administration der Kernfunktionen verbunden sein.

Es ist somit klar, daß Internet-Dienste einige der Eigenschaften von X.400-Services benötigen, damit sich das globale Datennetz von einem Mail- und File-Transfer-System zu einer kompletten Messaging-Umgebung entwickeln kann. Daher muß zum Beispiel die Möglichkeit gegeben sein, alle Arten von digitalen Daten zu verwalten. Auch ein Electronic Business Center muß realisierbar sein, von dem aus geschäftliche Transaktionen vorgenommen und Nachrichten ausgetauscht werden können.

Anwender, insbesondere Telearbeiter, sind darauf angewiesen, konstanten Zugang etwa zu Nachrichten und Unternehmensproduktdaten zu haben - und das rund um die Uhr, im Unternehmen selbst oder von außerhalb. Organisationen, die hierfür ein Messaging-System verwenden, müssen in der Lage sein, native Mail-Oberflächen (LAN-basiert für lokale Post, via Internet für nicht-kritische, persönliche Post und X.400 für kritische und geschäftliche Nachrichten) zu nutzen und diese als Teil des gesamten Geschäftsprozesses in die Software zu integrieren. Da Mail aber immer stärker auch in wichtigen Geschäftsvorgängen eine Rolle spielt, sind Anforderungen wie zentralisiertes Management, Accountability, Performance, Zuverlässigkeit und Sicherheit heute selbst schon für mittelgroße Unternehmen essentiell.

Die diversen Oberflächen und Dienste, die heterogenen Gruppen von Anwendern auf unterschiedlichen Systemen zur Verfügung stehen, müssen sich zentral verwalten lassen, möglichst über eine benutzerfreundliche grafische Schnittstelle. Eigenschaften wie Fernkonfiguration, Routing-Konfiguration, Fehlerbenachrichtigung, Leistungsüberwachung, System-Management und Nachrichtenverfolgung sollten nicht fehlen.

Das Server-Management muß dabei kompatibel sein zum weitverbreiteten Simple Network Management Protocol (SNMP) und der damit verknüpften Management Information Base (MIB), um eine einfache Integration in übergeordnete Management-Systeme zu erlauben. Die auf dem System verwendete Information muß zudem mittels eines Accounting-Modules in einem Format portabel sein, das die Nutzung durch Billing Packages zuläßt, die in der Regel auf die individuellen Kundenanforderungen zugeschnitten sind.

Daneben spielt die Leistungsfähigkeit eines Servers eine große Rolle, da die Anzahl der E-Mail-Schreiber und der Nachrichten pro Anwender steigt. Hinzu kommt, daß sich die Durchschnittsgröße der Messages konstant erhöht. Lag dieser Wert vor fünf Jahren noch unter 1 KB, werden heute bereits 15 KB erreicht. Für die nahe Zukunft rechnen Experten gar mit mehr als 100 KB pro E-Mail: Eine Entwicklung, die auf das verstärkte Versenden von Attachments mit den Nachrichten zurückzuführen ist.

E-Mail ist inzwischen wichtiger als Fax

Der Trend zu einem erhöhten Gesamtvolumen an Post ist besonders augenfällig angesichts der ebenfalls steigenden Bedeutung von E-Mail für Unternehmen und Organisationen: Bei vielen verursacht ein Zusammenbruch oder Stillstand des E-Mail-Systems einen größeren Schaden als der Ausfall von Faxgeräten. Entsprechend wichtig sind Performance und Zuverlässigkeit der Mail-Systeme. Wichtig ist daher auch, Hersteller auszuwählen, die nicht nur Public-Domain-Quellen überarbeiten und als Produkt verkaufen, sondern eine eigenständige Entwicklung betreiben und alle wesentlichen Komponenten selbst unter Kontrolle haben.

Angesichts der gezeigten Trends werden leistungsfähige und robuste Internet-Messaging-Switches benötigt. Im X.400-Bereich werden in der Regel X.400-Mail-Switch- und SMTP-Gateway-Komponenten erforderlich. Der X.400- Mail-Server (Message Transfer Agent = MTA) ist hierbei verantwortlich für Empfang, Übertragung und Weitergabe der Nachrichten. Für die Kommunikation mit anderen X.400-Netzwerken, zum Beispiel öffentlichen Service-Providern oder anderen Organisationen mit eingerichtetem X.400, wird das Server-to-Server-Protokoll P1 eingesetzt, wobei auf die Konformität mit den X.400-Standards 1988 und 1992 unbedingt geachtet werden sollte.

Das Gateway verbindet die Internet-Mail-Services mit dem X.400-MTA. Bei der Nachrichtenübermittlung zwischen X.400 und SMTP hat es die Aufgabe, die Protokolle zu übersetzen und X.400- in SMTP-Adressen umzuwandeln. Außerdem muß es die automatische Codierung und Decodierung von Nachrichten im MIME-Format unterstützen. Die Verbindung des X.400-MTA mit anderen MTAs wird über X.25, TCP/IP und APS (Protokoll-Stack über asynchrone Modemverbindungen) abgewickelt.

Eines der allgemein zu lösenden Probleme in großen Netzen, aber auch speziell im Internet, ist das Auffinden bestimmter Anwender, Organisationen oder allgemeiner Ressourcen. Während anfangs in kleineren Netzen lokale Verzeichnisse ausreichend waren, erkennen immer mehr Anwender die Notwendigkeit eines verteilten Directory-Services.

Die vorrangige Aufgabe solcher Directories besteht in der Umwandlung von Netzadressen in Namen, so daß ein Benutzer nur letzteren angeben muß statt einer komplexen Mail-Adresse. Jede Adresse darf dabei nur einer Ressource zugeordnet sein, auch wenn diese ihrerseits mehrere Namen aufweist. Die Ressourcen selbst können über ein Netzwerk hinweg verwendet werden, und der Wechsel von Adressen verursacht keine sichtbaren Unterbrechungen für die Nutzer von Mail-Systemen.

Der X.500-Standard wurde im Rahmen des ISO/OSI-Modells als universeller, verteilter Directory-Service entwickelt und wurde schon früh auch innerhalb des Internets als Standard anerkannt. Daneben wurde das Light Weight Directory Access Protocol (LDAP) entwickelt, das heute allgemein als Standard für den Zugang zu Directory-Services akzeptiert ist. X.500 mit LDAP als Protokoll für den Zugang von Clients erfüllt hier praktisch alle Anforderungen an Directories wie zum Beispiel Flexibilität und Erweiterbarkeit der Datenstrukturen, unbeschränkte Verteilbarkeit und Unterstützung globaler Verzeichnisse, Sicherheit der gespeicherten Informationen, Zuverlässigkeit, Skalierbarkeit und Interoperabilität.

X.500: Einfach und komfortabel sollte es sein

Ein X.500-System beinhaltet drei zentrale Komponenten. Die Directory Information Base (DIB) dient zur Ansammlung von Informationen, die vom Directory zu verwalten sind. Diese Informationen liegen auf verschiedenen Servern, bezeichnet als Directory System Agents (DSAs). Die Client-Seite wird repräsentiert durch den Software Directory User Agent (DUA), wobei ein spezieller DUA, benannt als Administrative Directory User Agent, unter anderem eingesetzt wird, um Datenbankeinträge hinzuzufügen beziehungsweise zu löschen.

Wichtig für den Anwender ist die einfache und komfortable Bedienung. In heutige Client-Systeme müssen daher, damit die Benutzer sie akzeptieren, Directory-Lösungen homogen integriert sein. Auf Windows-basierten Client-Systemen werden Messaging Application Programming Interfaces (MAPIs) immer wichtiger.

Als verteiltes Directory definiert X.500 Strategien für die Handhabung von Partitionierung, Replikation, Caching, Synchronisation und Verbreitung der Daten. Alle diese Methoden sorgen zusammen für mehr Genauigkeit und störungsfreiere Abläufe. Empfehlenswert ist die Verbindung mit grafischen Benutzer-Schnittstellen für die Datenbankadministration.

Angeklickt

Das Messaging ist eine der wichtigsten Funktionen, die das Internet hervorgebracht hat, und zusehends gewinnt sie vor allem innerhalb von Unternehmen an Bedeutung. Zu den Kernelementen, die das Funktionieren dieser Kommunikationsform garantieren, zählen Standards, wie sie von Gremien wie ISO, ITU oder IETF entwickelt werden. Hierzu gehören Protokolle wie zum Beispiel TCP/IP, LDAP oder IMAP, aber auch Verfahren wie das Domain Naming System.

*Bernd Grohmann ist Mietglied der Geschäftsleitung der Net CS Informationstechnik GmbH.