Einstellungskrise

29.08.1980

Es gibt keine Softwarekrise - es gibt nur eine Ausbildungskrise. Denn, grotesk: Wer mit allen Weihen versehen als Diplom-Informatiker (zum Beispiel) von der Uni kommt, muß sich beim Hersteller spezialisieren oder bei Waschküchen-Programmierern (und dies bezieht sich nur auf die Größe des Unternehmens) seine Software-Karriere starten. So richtig schöne Anwendungs-Programmierung is' nicht. Zumindest mehren sich die Stimmen gegenüber der COMPUTERWOCHE: Besonders führende Softwarehäuser und Beratungsunternehmen könnten (oder wollten?) sich den Luxus des training on the job nicht leisten. Aber selbst Anwender mit eingefahrener, großer EDV suchten mehr und mehr "Altgediente".

Denn bei den einen sei die Berater-Stunde zu teuer, bei allen aber die Aufgaben, die akut gelöst werden müßten zu komplex, als daß ein frischgebackener Akademiker, eben ein Berufsanfänger, auf so ein Applikations-Problem losgelassen werden dürfte.

Dieses Argument leuchtet dem Kunden ein und bringt den Lizenz-Denkern wettbewerbliche Vorteile: Wer nur ausgefuchste Profis einstellt, kann Design-Routine und geringeren Debugging-Aufwand mit Sicherheit als höhere Produktivität verbuchen. Daß nebenbei der Know-how-Abstand zum nächsten Anbieter vergrößert wird, weil der mit Berufsanfängern arbeitet, daß für qualifizierte DV-People die Anziehungskraft solch eines Ladens immer größer wird, all dies ist dann nur noch ein wünschenswerter Nebeneffekt.

Klar auch, daß der Anwender besser ins feine "DV-Rat"haus geht, wo an der Brust der Hohepriester der Systemanalyse die Prüfbits blinken, wie Orden am Wams eines sozialistischen Helden der Arbeit.

Ob's aber die Not an der Front lindert - dieses elitäre Engagier-Verhalten? Oder kann Ausbildungsbetrieb auch in dieser Branche nur sein, wer wirtschaftlich solide dasteht und genügend Rentabilität erzielt, um diese Personal-Investition finanzieren zu können.

Zu vermuten ist jedenfalls, daß die learning-curve eines Berufsanfängers im großen Softwarehaus progressiver verläuft als im Drei-Mann-Betrieb, wo die Codier-Zeit die Diskutier-Zeit frißt.

Nun wird aber das Wachstum der Datenverarbeitung mehr denn je vom Personalangebot bestimmt werden. Nur das Know-how-Gap bremst die Integration der Informations-Elektronik. Es besteht also höchstes volkswirtschaftliches Interesse, diese Einstiegsphase zu beschleunigen. Zumal auf den DV-Mannen immer breitere Verantwortung lastet: Hängt doch von ihrer Effektivität künftig mehr die Prosperität der Gesamtwirtschaft ab als von der Fingerfertigkeit im produzierenden Gewerbe und der Schulden-Konjunktur der öffentlichen Hand.

Sollte nicht auch deshalb die spezialisierte universitäre Beschäftigung, sagen wir mit Zufallsgraphen, vernachlässigt- oder auf wenige konzentriert - werden, um das Gewicht der DV-Ausbildung vor dem Eintritt in den Beruf auf die handfesten Probleme der Anwender zu legen?

Konkret: Ist die theoretische Ausbildung der künftigen DV-People "interdisziplinär" genug, oder muß sich auch künftig die Praxis selbst die Fachidioten zurechtbiegen?

Der Bedarf an Praxisnähe ufert ja ohnehin aus: Denn mit jedem Prozent besseren Preis-/Leistungsverhältnisses der Hardware werden dann mehr Anwendungen erschlossen, für die es erneut noch keine Software gibt oder bei denen Software von gestern Organisation von vorgestern konservieren würde.