Wissensbasierte Systeme taugen nur für ganz bestimmte Einsatzfälle

Einsatz eines Expertensystems fordert exakte Problemanalyse

08.02.1991

Wissen gewinnt neben den klassischen Produktionsfaktoren für die betriebliche Aufgabenerfüllung zunehmend an Bedeutung. Dies gilt vor allem dort, wo Fachwissen beziehungsweise menschliche Expertise das eigentliche Produkt darstellt etwa bei der Anlageberatung oder der Wartung komplexen Machinen-Expertensysteme können dabei einen wesentlichen Wettbewerbsvorteil bedeuten. Ihr Einsatz jedoch erfordert sorgfältige Planung.

Die Entwicklung wissensbasierter Systeme ist aufgrund des innovativen Charakters dieser Technik für die meisten Unternehmen Neuland. Dem Unternehmen, das den Einstieg in die Wissensverarbeitung wagt, stellen sich bis zur Fertigstellung eines produktiven Expertensystems zahlreiche Barrieren in den Weg. Zur Reduzierung des

daraus resultierenden Risikos und zur Vermeidung konzeptioneller Fehler im Vorfeld der eigentlichen Systemerstellung ist in jedem konkreten Anwendungsfall die Frage nach der wirtschaftlichen Machbarkeit des wissensbasierten Ansatzes zu stellen.

Kriterien für die Auswahl der Anwendungsgebiete:

Expertensysteme sind kein Selbstzweck; vielmehr kommt es darauf an, sie gleichwertig, das heißt alternativ oder komplementär, neben anderen Methoden, Verfahren und Werkzeugen der Informationstechnik zur Lösung ganz bestimmter Probleme einzusetzen. Sie sollten in jedem Fall nur dort angewandt werden, wo sie aufgrund ihrer Charakteristika eindeutig allen konventionellen Verfahren überlegen sind.

Dies können zum Beispiel-Bereiche sein, die bislang nicht effizient lösbar waren. Ei ist jedoch auch denkbar, daß bestehende Systeme durch wissensbasierte Komponenten - im Sinne von Unterprogrammen - erweitert werden.

Eine dritte - jedoch eher theoretische - Möglichkeit ist die Reimplementierung bereits laufender Anwendungsprogramme in ein effizienter arbeitendes Expertensystem.

Die in der Literatur verwendeten Klassifikationen zur Beschreibung der Anwendungsfelder dienen in erster Linie der Systematisierung der bisherigen erfolgreichen Expertensystem-Einsätze. Die dabei unterschiedenen Einsatzgebiete werden in der Regel nach Fachgebiets-unabhängigen Aufgabenkategorien differenziert und können vereinfacht auf Analyse- und Synthesefunktionen zurückgeführt werden.

Handelt es sich im konkreten Anwendungsfall um ein solches Anwendungsgebiet - dies könnte zum Beispiel eine Diagnoseaufgabe im medizinischen oder im industriellen Bereich sein - dann kann daraus lediglich geschlossen werden, daß ein notwendiges Kriterium für die Machbarkeit erfüllt ist. Die Erfüllung der hinreichenden Einsatzbedingungen kann jedoch erst nach einer detaillierten Machbarkeitsuntersuchung bestimmt werden.

Die Beurteilung der Einsatzmöglichkeiten von Expertensystemen stellt sich als ein mehrdimensionales Problem dar, so daß es sinnvoll ist, die einzelnen Kriterien in Gruppen zusammengehörender Einsatzvoraussetzungen zusammenzufassen. Für jede Kriteriengruppe und innerhalb jeder Gruppe für jedes Einzelkriterium - ist die jeweilige Ausprägung innerhalb des spezifischen Anwendungsgebietes zu untersuchen.

Die folgende Einteilung in Kriteriengruppen ist vor allem an den Kriterienkatalog von David S. Prerau ("Selection of an Approprivate Domain for an Expert System, The AI Magazine, Summer 1985) angelehnt; er ist das Ergebnis einer Befragung von zirka 50 Managern und Experten der GTE-(General Telephone Electronics-)Laboratories. Danach lassen sich die folgenden Gruppen technischer wie auch nichttechnischer Einsatzkriterien für wissensbasierte Systeme unterscheiden.

Grundsätzliche Anforderungen:

- Zur Lösung des konkreten Problems ist - zumindest teilweise - die Anwendung von Expertenwissen insbesondere in Form von Heuristiken und Erfahrungswissen notwendig.

Expertensysteme sind gerade für die effiziente Abbildung dieses Wissenstyps prädestiniert.

- Es ist nötig, nichtkonventionelle Methoden einzusetzen, da eine algorithmische Lösung keine wirtschaftliche Problemlösung zuläßt.

Nach dem heutigen Stand der Technik eignen sich vor allem strukturierte Analyseaufgaben (wie zum Beispiel ein System zur Fehlerbestimmung in einer technischen Apparatur) besonders gut für die Anwendung von Expertensystemen, während die Lösung umfangreicher Planungsprobleme noch Schwierigkeiten bereitet, da auch die zugehörigen Problemlösungsparadigmen noch nicht genügend entwickelt sind.

- Das benötigte Expertenwissen ist für das Unternehmen ein wichtiger Engpaßfaktor und deshalb teuer.

Konzentriert sich das Fachwissen auf einen sehr engen Personenkreis oder gar auf eine Einzelperson, besteht die latente Gefahr, daß das Wissen verloren geht.

- Das fertiggestellte Expertensystem läßt einen signifikanten

- quantitativen und/oder qualitativen - Nutzen für das Unternehmen erwarten.

Insbesondere bei betrieblichen wissensbasierten Systemen sind Kosten-Nutzen-Analysen unabdingbar - in diesem Fall jedoch auch äußerst schwierig. Kosten und voraussichtlicher Nutzen sind sehr schwer prognostizierbar, und auch der tatsächliche Nutzen des fertigen Systems ist nur eingeschränkt nachzuweisen. Die folgenden Nutzengrößen verdeutlichen diese Schwierigkeit: Produktdifferenzierung, Beherrschbarkeit von mehr Komplexität, Normierung, Rationalisierung, Wissens-Sicherung, Qualifikationsanhebung, Reduzierung von Schulungsmaßnahmen, Wissensmultiplikation, bessere Wartbarkeit, effizientere Systementwicklung innerhalb bestimmter Aufgabenkategorien etc.

- Es besteht ein ausgewogenes Verhältnis zwischen dem zu erwartenden Pay-off und dem einzukalkulierenden Fehlschlagsrisiko.

Stehen mehrere Projekte zur Disposition, sollte das mit der günstigsten Quote realisiert werden.

- Expertensysteme müssen ein integraler Bestandteil der langfristig angelegten und an der Unternehmensstrategie ausgerichteten Informationssystem-Planung sein.

Dies erfordert zunächst eine Analyse der Ausgangssituation; einem Unternehmen, das in seinem Lernprozeß im Umgang mit der Informationstechnik nicht genügend fortgeschritten ist, fehlt unter Umständen die Basisarchitektur (Anwendungen, Daten, Organisation) und der notwendige Reifegrad für den Einsatz von Methoden und Techniken der fünften Generation.

Anforderungen an den Problemtyp:

- Zur Aufgabenlösung ist vor allem auch symbolisches Schlußfolgern notwendig. Mathematische Berechnungen sollten nicht im Vordergrund stehen.

- Die vom Expertensystem zu bearbeitende Problemdomäne ist sehr eng abgrenzbar, nicht zu heterogen, semistrukturiert und kann auf die Anwendung von menschlichem Alltagswissen beziehungsweise "gesundem Menschenverstand" verzichten.

- Das Projektziel ist entweder F& F, oder die Realisierung einer konkreten betrieblichen Anwendung, keinesfalls aber beides.

- Das gesamte zur Problemlösung notwendige Wissen läßt sich so formalisieren, daß es dem Expertensystem als Input - in Form von fallbezogenen Daten oder als generelles Problemlösungswissen - zur Verfügung gestellt werden kann, wie etwa die Formalisierung vagen Wissens mit Hilfe von Wahrscheinlichkeitsfaktoren.

- Die Problemdomäne ist relativ stabil; andernfalls kann selbst ein funktionsfähiges Expertensystem daran scheitern daß der Wartungsumfang zu umfangreich ist; dies führt entweder dazu, daß das System zu schnell "veraltet" oder aber sein Einsatz wegen des notwendigen Pflegeaufwandes unwirtschaftlich wird.

- Das Aufgabengebiet sollte so strukturierbar sein, daß eine modulare Systementwicklung möglich wird. Damit lassen sich die Entwicklungsarbeiten teilweise parallelisieren und die Test- und Wartbarkeit wesentlich erhöhen.

Anforderungen an die Experten:

- Es gibt im Unternehmen anerkannte Experten, die in der Lage sind, die auftretenden Probleme aufgrund jahrelanger Erfahrungen besser als alle anderen Mitarbeiter zu lösen. Es wird häufig übersehen, daß Expertensysteme nur das Wissen enthalten können, das ihnen vom Knowledge-Engineer in Zusammenarbeit mit dem Fachexperten eingegeben wurde. Für die Glaubwürdigkeit und Akzeptanz des wissensbasierten Systems ist die Reputation des Experten im Unternehmen von wesentlicher Bedeutung.

- Der Experte wird in einem ausreichenden Umfang für die Mitarbeit im Projekt freigestellt.

- Der Experte ist bereit und in der Lage, sein - unter Umständen hochgradig verdichtetes - Wissen weiterzugehen.

- Angesichts der gegenseitigen Abhängigkeit und auch wegen der vielen gemeinsam zu verbringenden Arbeitszeit, ist ein angenehmes Arbeitsklima zwischen dem Knowledge-Engineer und dem Experten unverzichtbar. Bei unüberbrückbaren persönlichen Differenzen ist die Entwicklung wahrscheinlich zum Scheitern verurteilt.

- Für den Fall, daß mehrere Experten als Wissenquelle fungieren, ist es notwendig, daß einer von ihnen die fachliche Entscheidungsautorität hat.

Anforderungen an die zu lösende Aufgabe:

- Die Aufgabe ist weder trivial noch zu schwer, das heißt, die notwendige Durchführungszeit für einen menschlichen Experten beträgt nicht nur einige Minuten, aber auch nicht mehr als wenige Stunden. Aufgabenumfang und -komplexität sollten so beschaffen sein, daß "harte" Entscheidungstechniken, wie zum Beispiel Entscheidungstabellen, weniger geeignet sind und daß, kein vollständiger Algorithmus für die Problemlösung existiert.

- Die Anzahl der zur Wissensrepräsentation und Inferenz notwendigen Konzepte muß mit den State-of-the-art-Werkzeugen zu bewältigen sein; sind beispielsweise mehr als tausend Wissenselemente wie Regeln, Objekte, Kontexte, Parameter, Wertedefinitionen, Steuerungsanweisungen etc. notwendig, kommt möglicherweise nicht nur der Knowledge-Engineer an seine (intellektuellen) Grenzen, sondern auch das verwendete Tool.

- Die Transparenz des Lösungsweges und die Rekonstruktion der Problemzusammenhänge ist von wesentlicher Bedeutung, das heißt, die Repräsentation des Problemlösungsverhaltens steht im Vordergrund.

- Die Aufgabe ist begrenzt und kann grundsätzlich klar definiert werden, auch wenn sich unter Umständen die Anforderungsspezifikation aufgrund zu hoher Komplexität erst im Projektverlauf (evolutionär) vervollständigen läßt.

Anforderungen an die Anwender:

- Die künftigen Systembenutzer sind "entmystifiziert" hinsichtlich ihrer Erwartungen an Expertensysteme; hierzu kann nur entsprechende "Aufklärung" beitragen. Die Benutzer sollten weder überzogene Erwartungen an die Leistungsfähigkeit roch Angst vor überzogenen Rationalisierungspotentialen haben, die ihre Arbeitsplätze in Gefahr bringen könnten. Die künftigen Anwender müssen vom Nutzen des geplanten Systems überzeugt sein. Sachliche beziehungsweise emotionale Widerstände müssen frühzeitig erkannt und einvernehmlich beseitigt werden. Dies setzt eine offene Informationspolitik und Vorbereitung der Nutzer, beispielsweise durch Schulungen, voraus

- Es gibt für die Förderung des Projektes nicht nur Fachpromotoren, wie den Experten selbst, sondern auch Machtpromotoren mit hoher hierarchischer Stellung, die dem Projekt entsprechende Rückendeckung geben. Es ist sowohl Unterstützung durch den Vorgesetzten des Experten, als auch durch das Topmanagement erforderlich. Mit der Einrichtung eines Steering Committees läßt sich die Identifikation der involvierten Entscheidungsträger steigern und gleichzeitig der Projektfortschritt transparenter machen.

- Es gibt in Unternehmen häufig die Tendenz, "politische Lösungen" aus taktischen Gründen zu bevorzugen, beispielsweise weil man in der betroffenen Fachabteilung den geringsten Widerstand erwartet. Es ist größter Wert darauf zu legen, daß dabei die sachlogischen Argumente nicht in den Hintergrund gedrängt werden.

- Organisatorische Auswirkungen des Expertensystems auf die Aufbau- oder Ablauforganisation können auf erhebliche Widerstände stoßen, insbesondere wenn es sich um gewachsene Strukturen handelt. Unter Umständen handelt es sich um mitbestimmungspflichtige Änderungen, so daß der Betriebsrat und gegebenenfalls auch die Personalabteilung rechtzeitig einzuschalten sind.

- Das im System enthaltene und damit dokumentierte Wissen darf nicht politisch sensibel sein. Beispielsweise wäre es möglich, daß ein Expertensystem zur Bonitätsprüfung für die Kreditvergabe so gesteuert wird, daß bestimmte Personengruppen eindeutig benachteiligt werden. Würde eine solche Unternehmenspolitik bekannt, stünde nicht nur die weitere Machbarkeit des Projektes sondern auch das Image des betroffenen Kreditinstituts auf dem Spiel.

Je mehr dieser Anforderungen bei einem geplanten Anwendungsprojekt erfüllt sind, desto eher eignet es sich für die Realisierung mit Hilfe wissensbasierter Systeme. Die relative Bedeutung der Kriterien ist in jedem Anwendungsfall gesondert zu bewerten.

Im Rahmen einer Studie, bei der die Projektleiter von 18 Expertensystemprojekten im deutschsprachigen Raum befragt wurden, sind die folgenden Faktoren als grundlegend für den Erfolg eines Expertensystemprojektes identifiziert worden:

- relativ stabiles Wissensgebiet;

- Hardware und, Werkzeug wurden nicht als das eigentliche Problem gesehen;

- gelungene Organisationsintegration (die Datenintegration gelang immer, wenn sie erforderlich war);

- erfolgreiche Wissenserfaßbarkeit;

- Einigkeit zwischen den Experten;

- Gewährleistung der Wartung;

- die Beteiligung des Managements beschränkte sich nicht nur auf die Bewilligung des Budgets;

- hoher Nutzen erwartet oder eingetreten;

- geringes Entwicklungsrisiko durch intensive Durchführbarkeitsstudien oder den Bau von Prototypen.

Für zukünftige Expertensystemprojekte wurden als die wichtigsten Kriterien Integration, Wartbarkeit und Akzeptanz genannt.

Diese Anforderungen wie auch die Ergebnisse der empirischen Studie machen deutlich, daß bei Expertensystemprojekten keinesfalls allein die technischen Probleme im Vordergrund stehen.

Ziele und Ergebnisse einer Machbarkeitsuntersuchung:

Ziel der Machbarkeitsstudie ist die Prüfung, inwieweit sich eine Problemstellung für die Entwicklung eines Expertensystems eignet. Sie umfaßt das erste Sammeln von Informations- und Wissensquellen sowie eine erste Spezifikation des Funktionsumfangs und der Einsatzumgebung des zu erstellenden Anwendungssystems.

Eine oberflächliche Durchführung dieser Untersuchung kann das Unternehmen teuer zu stehen kommen, etwa wenn sich später herausstellt, daß die Einführung des Systems an Hindernissen scheitert, die einfach übersehen wurden.

Die Machbarkeitsuntersuchung sollte bereits die erforderlichen Informationen für eine: Grobschätzung des Entwicklungsaufwands liefern, um erste Aussagen zur Wirtschaftlichkeit dieser Technik im konkreten Fall treffen und sie mit alternativen Lösungen vergleichen zu können. Die Entscheidung über die Realisierung muß "Chefsache" sein, da die Durchführung eines Expertensystemprojektes in aller Regel auf die Zuweisung beträchtlicher Ressourcen angewiesen ist

- ein Expertensystem läßt sich mit Sicherheit nicht in Mannmonaten erstellen. Bei den in der Literatur beschriebenen Expertensystemen lag der Entwicklungsaufwand oft bei 20 und mehr Mannjahren! Schon allein daraus ergibt sich, daß neben dem oder den Experten und Knowledge-Engineer(s) das (Top-)Management des Unternehmens einzubeziehen ist.

Aufwandsschätzungen für das Projekt erweisen sich als ausgesprochen schwierig, da in der Regel Erfahrungen bezüglich der Kostenwirksamkeit verschiedener Handlungsalternativen im Entwicklungsprozeß fehlen.

Die zahlreichen Verfahren zur Aufwandsschätzung bei konventionellen Entwicklungsprojekten sind hier nur begrenzt tauglich, da sie eine lineare Phasenabfolge und bestimmte, Bezugsgrößen voraussetzen, die sich unmittelbar nicht auf die Erstellung wissensbasierter Systeme übertragen lassen.

Angesichts dieser Probleme empfiehlt es sich, vor allem solche Systeme zu entwickeln, die einen sehr hohen Pay-off versprechen: Sie sind auch dann noch rentabel, wenn das Entwicklungsbudget innerhalb gewisser Grenzen überschritten wird.

Ablauf der Machbarkeitsuntersuchung:

Die Machbarkeitsanalyse, stellt die erste Phase im Rahmen des Entwicklungsprozesses dar. Wie Abbildung 2 zeigt, kann sie auch selbst als ein Prozeß betrachtet werden.

- Zusammenstellung aller potentiellen Kandidaten für die Expertensystementwicklung.

In dieser Phase wird von allen Beteiligten höchste Kreativität gefordert. Die Einbeziehung der Fachbereiche ist unerläßlich, da sonst die Gefahr besteht, daß Probleme verdrängt werden und der eigentlichen Anwendungsbedarf nicht offengelegt wird.

Eine gute Gelegenheit, das Maximum an kreativem Potential auszuschöpfen, sind Workshops auf der Grundlage der Metaplantechnik, in denen Entscheidungsträger und Fachbereichsvertreter gemeinsam versuchen, erfolgversprechende Expertensystemkandidaten zu ermitteln. Eine solche Diskussionsrunde sollte sorgfältig vorbereitet werden. Beispielsweise sollte der voraussichtliche Knowledge-Engineer zumindest grob mit dem gesamten unternehmerischen Umfeld vertraut sein. Auch sollten die eingeladenen Fachbereichsvertreter bereits mit den grundlegenden Konzepten der Expertensystemtechnik vertraut gemacht worden sein (beispielsweise in einer vorhergehenden Einführungsveranstaltung), um selbständig erkennen oder zumindest nachvollziehen zu können, wo deren Einsatzpotential für das eigene Unternehmen liegt.

- Erste Sichtung und Aussortierung von "Losern" anhand von K.o.-Kriterien (Lerneffekte).

Bei einer ersten Sichtung der vorselektierten Expertensystem-Kandidaten, beispielsweise auf der Grundlage von vertiefenden Diskussionen mit den jeweiligen Fachbereichs-Experten, ergeben sich sehr schnell Hinweise auf nicht erfüllte K.o.-Kriterien, so daß sich die Anzahl der potentiellen Anwendungsgebiete recht schnell reduziert.

- "Nachnominierung" aussichtsreicher Kandidaten, die bei der Vorauswahl nicht berücksichtigt wurden.

Häufig wird mit dem erstmaligen Aufgreifen des Themas "Expertensysteme" im Unternehmen ein Lernprozeß in Gang gesetzt, der dazu führt, daß das vollständige Einsatzpotential erst nach und nach erkannt wird. Dieser Tatsache muß Rechnung getragen werden und die Nachnominierung aussichtsreicher Kandidaten möglich, sein.

- Konsolidierung der Kandidatenliste.

Nach einer, begrenzten Zeit sollte die Suche nach neuen Anwendungsbereichen abgeschlossen werden. Die Anzahl der übrig gebliebenen Anwendungsgebiete sollte nicht größer als drei bis fünf sein.

- Detaillierte Untersuchung der selektierten Anwendungsbereiche anhand eines strukturierten Kriterienkataloges.

Die einzelnen Kriterien sind nun auf die möglichen Einsatzgebiete anzuwenden, um deren spezifische Ausprägung zu ermitteln. Ergibt sich keine Alternative, die allen anderen Mitbewerbern überlegen ist, sind die Kriterien anwendungsspezifisch zu gewichten, um eine eindeutige Rangfolge zu ermitteln.

- Endgültige Auswahl.

Sofern die Ergebnisse der bisherigen Schritte die Bestimmung eines eindeutigen "Siegers" ermöglichen, kann die Überleitung in die nächsten Phasen der Systementwicklung erfolgen. Erfüllt keiner der geplanten Einsatzbereiche die Anforderungen ausreichend, ist der Auswahlprozeß entweder erneut einzuleiten oder die Entscheidung zu treffen, kein Expertensystem zu entwickeln.

Es wurde bereits wiederholt darauf hingewiesen, daß vornehmlich solche Expertensystem. Anwendungen ausgewählt werden sollten, die von hoher strategischer Bedeutung für das Unternehmen sind und die die Wettbewerbsposition des Unternehmens verbessern können; dies rechtfertigt die unter Umständen beträchtlichen Mittelzuweisungen und erhöht die Motivation aller Beteiligten.

Das Konzept der "Value-chain"

Das Value-chain-Konzept (Michael Porter) bietet eine Möglichkeit solche strategisch relevanten Anwendungen zu identifizieren. In einem nächsten Schritt wäre dann zu überprüfen, ob diese Anwendungen zu den von einem Expertensystem lösbaren Aufgaben gehören. Kann diese Frage positiv beantwortet werden, hat man einen erfolgversprechenden Kandidaten ermittelt der nun einer detaillierten Machbarkeitsuntersuchung zu unterziehen ist.

Das Modell der Value-chain oder Wertkette ist ein analytisches Instrument, um ein Unternehmen in strategisch relevante Aktivitäten zu gliedern und dadurch Hinweise auf Differenzierungs- oder Kostensenkungspotentiale zu erhalten (siehe Abbildungen 3 und 4).

Die Wertaktivitäten lassen sich in primäre und unterstützende Aktivitäten unterteilen. Während die primären Aktivitäten sich mit allen Stufen des Wertschöpfungsprozesses von der eigentlichen Produktherstellung bis zum Verkauf und der Verteilung befassen, dienen alle unterstützenden Aktivitäten dem Zweck der Aufrechterhaltung der primären Aktivitäten. Dazu gehören zum Beispiel die Beschaffung von Input für den Produktionsprozeß, der Technikeinsatz oder die Bereitstellung menschlicher Ressourcen für das ganze Unternehmen.

Ist ein Unternehmen in der Lage, diese strategisch wichtigen Unternehmensaktivitäten kostengünstiger oder besser als seine Konkurrenten durchzuführen, verschafft es sich einen Wettbewerbsvorteil.

Informations- und Kommunikationstechnologien beeinflussen immer mehr die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens. Insbesondere für die Differenzierung gegenüber anderen Unternehmen ist zunehmend eine bessere Ausnutzung der Informationstechnologien verantwortlich. Die Verfügbarkeit der relevanten Informationen im richtigen Umfang und zur rechten Zeit sowie deren zielorientierte Auswertung entscheiden wesentlich über die Effizienz des Ressourceneinsatzes und die Position des Unternehmens im Konkurrenzkampf.

Expertensysteme verkörpern hier ein besonderes Potential zur Realisierung von Wettbewerbsvorteilen. Einerseits können sie, wie die meisten DV-Systeme, zur Kostensenkung beitragen. Viel wesentlicher jedoch sind die Nutzeffekte mit denen Expertensysteme zur Differenzierung eines Unternehmens beitragen (mit der Differenzierungsstrategie bemüht sich ein Unternehmen, Wettbewerbsvorteile gegenüber seinen Konkurrenten durch mehr oder weniger "einmalige" Leistungen zu realisieren).

Um nun strategisch relevante Anwendungsfelder für den Einsatz von Expertensystemen innerhalb eines Unternehmens zu entdecken, ist zunächst eine Wertkette für das Unternehmen zu erstellen. Anschließend müssen alle Wertaktivitäten entlang der Wertkette selektiert werden, die auf menschliche Expertise angewiesen sind und zur Differenzierung des Unternehmens geeignet sind. Da jede Wertaktivität im Unternehmen Informationen hervorbringt und verwendet, durchdringen die Einsatzmöglichkeiten von Informationstechnik respektive von Expertensystemen die gesamte Wertkette. Abbildung 5 zeigt exemplarisch, wo innerhalb der Wertkette eines Unternehmens Expertensystemanwendungen liegen können (ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben).