Euro-Umstellung/Der Einzelhandel hat zu kämpfen

Eine Währungsumstellung mit Ach und Krach

25.11.1998
Von Johannes Kelch* Neues Geld bringt frischen Wind in die Wirtschaft? Die Einführung der Mark füllte 1947 auf einen Schlag die Geschäfte mit Waren und legte den Grundstein für das deutsche Wirtschaftswunder. Bei der anstehenden Währungsumstellung ist alles anders: Sie ist langwierig und zieht den Händlern das Geld aus den Kassen.

Den Einzelhandelsfirmen bleibt für die Umstellung ihrer DV-Systeme auf die neue Währung Euro eine Galgenfrist. Anders als die Banken, die schon ab 1999 in Euro und Mark rechnen müssen, können sie bis Ende des Jahres 2001 alles beim alten lassen und wie seit 50 Jahren in Mark rechnen. Eine Euro-Umstellung zum spätestmöglichen Zeitpunkt rechnet sich jedoch nicht für alle Sparten des Handels.

Robert Weitz, Geschäftsführer beim Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE), berichtet, große Handelshäuser und Hersteller hätten in Absichtserklärungen festgelegt, die Warenwirtschaft in 2001, dem Jahr vor der Ausgabe von Euro-Banknoten, umzustellen. Spätestens dann müssen auch die DV-Systeme der Unternehmen alles in Euro rechnen.

Gravierende Probleme sieht Weitz bei der Umstellung älterer Computersysteme. Im Einzelhandel seien Individualprogramme "weit verbreitet". Man müsse häufig die Programmierer alter Softwarebausteine zu Rate ziehen, um den Sinn und Zweck des Codes zu entziffern.

Große Unternehmen haben, so Weitz, Fachleute für die Umstellung eingekauft und Termine gesetzt. "Es ist aber noch nicht viel Konkretes passiert." Enorme Schwierigkeiten sieht der HDE-Geschäftsführer zudem in der Verknüpfung der Softwarebausteine im DV-System. Die unbeabsichtigte Mischung von Euro- und Mark-Beträgen könne zu "schlimmen Mißverständnissen" führen.

Anders als den Konzernen mit ihren komplexen DV-Systemen geht es einzelnen Sparten des Handels. Der Textileinzelhandel sei auf den Währungswechsel bereits gut vorbereitet, betont die Euro-Beauftragte Kirsten Reinhardt vom Bundesverband des Deutschen Textileinzelhandels in Köln. Immer mehr Unternehmen wollten sich für den Euro "schon ab 1999 starkmachen."

Mit der frühzeitigen Ausweisung der Endsumme auf den Kassenbons sowohl in Mark als auch in Euro wollen Bekleidungshäuser schon in der dreijährigen Übergangsphase "Preistransparenz" schaffen. Die Branche befürchtet, daß eine "brüske Umstellung" zum Jahresbeginn 2002 die Konsumenten überfordern und Kaufzurückhaltung zur Folge haben könnte.

Die Umstellung der DV-Systeme hinter den Kassensystemen bereitet manchem Textileinzelhändler erhebliche Schwierigkeiten. So lassen sich Warenwirtschaftssysteme unter MS-DOS nicht mehr umrüsten. Dies trifft sogar auf Systeme zu, die erst drei Jahre alt sind.

Laut Kirsten Reinhardt hat eine größere Umfrage des Verbands ergeben, daß "alle wesentlichen Hersteller der auf Textil spezialisierten Warenwirtschaftssysteme ihren Kunden Euro-Module anbieten - aber nur für Windows NT". Vor allem die Bekleidungsfilialisten haben inzwischen mit den Softwarehäusern Wartungsverträge abgeschlossen, "die sehr oft die Euro-Umstellung einschließen".

Ein sehr heterogenes Bild vermittelt der Lebensmitteleinzelhandel in Sachen Euro. Die Firmen sind "sehr unterschiedlich weit", sagt Klaus Warzecha, Geschäftsführer des Bundesverbands. Manche Unternehmen befinden sich noch "in den Anfängen", so Warzecha, andere sehen in der frühzeitigen Euro-Tauglichkeit einen "Wettbewerbsvorteil". Warzecha ist sich sicher, daß die Firmen in den kommenden drei Jahren "nicht alles schlagartig" umstellen werden. Dies sei aufgrund des "ungeheuren Aufwands" auch gar nicht möglich.

Ohne Hektik geht der in Fulda ansässige Lebensmittelfilialist Tegut die Euro-Umstellung an. Tegut erzielt in Hessen, Thüringen und Franken mit etwa 360 Filialen einen Umsatz von rund zwei Milliarden Mark im Jahr. DV-Leiter Wolfgang Müller warnt vor unüberlegtem "Aktionismus". Folgerichtig bereiten Projektgruppen mit dem Augenmerk auf politischen Vorgaben und dem Ohr an anderen Handelshäusern Konzepte, Abläufe und Szenarien vor. Bis 2002 will man pragmatisch alle nötigen Schritte zur Einführung des Euro durchziehen.

Unterschiedliche Modelle und Herangehensweisen

Solange der Euro nichts anderes als eine "Zweitwährung" sei, gebe es keine Probleme in der Datenverarbeitung, betont Müller. Im "Abrechnungsumfeld" sieht der DV-Leiter das Unternehmen Tegut durch den Einsatz von SAP R/3 auf der sicheren Seite der Mehrwährungsfähigkeit.

Dagegen wird Tegut im Warenwirtschaftssystem vorerst weitehin auf der Basis von Mark rechnen. Müller ist der Ansicht, es sei ein unvertretbarer Aufwand, das Warenwirtschaftssystem mehrwährungsfähig zu machen. Das Redesign aller Datenmodelle sei "nicht erwartbar". Der DV-Leiter hat daher zwei Szenarien für die Umstellung entwickelt.

Nach dem einen Modell wird intern weiterhin in Mark gerechnet und dafür gesorgt, daß Euro-Beträge "von außen" verarbeitet werden können. Diese Variante kommt in Frage, wenn das Umfeld von Tegut im Zeitraum bis 2002 auf Abrechnung in Euro drängt.

Nach dem anderen, über das Jahr 2002 hinaus tragfähigen Zukunftsentwurf wird die gesamte wertmäßige Umstellung des Warenwirtschaftssystems auf die neue Hauswährung Euro zu einem Stichtag vollzogen. Heute ist noch nicht entschieden, "wann und in welcher Form" eine solche Währungsumstellung ablaufen könnte.

Während es einige Sparten des Handels plötzlich eilig haben mit dem Euro, lassen sich andere bewußt Zeit bis Silvester 2001. Sie stellen die Währung Knall auf Fall um und vermeiden damit während der Übergangszeit eine doppelte Buchführung.

Beispiel Sortimentbuchhandel: Der betriebswirtschaftliche Ausschuß im Börsenverein des Deutschen Buchhandels hat den Branchenteilnehmern, das heißt auch den Verlagen, empfohlen, die Fakturierung untereinander bis Ende des Jahres 2001 in Mark fortzuführen. Eine klare Absage erteilte der Ausschuß der doppelten Preisauszeichnung in Mark und Euro, die einen unverhältnismäßig hohen Aufwand beim Umstellen der DV verursache.

Außerdem könne man durch den Währungswechsel an einem Stichtag "Unstimmigkeiten in der Buchhaltung und irrtümlich vertauschte Preisangaben umgehen". Allerdings warnt der betriebswirtschaftliche Ausschuß die Buchhändler, erst wenige Monate vor der Umstellung bei ihren Softwarelieferanten neue Euro-taugliche Versionen ihrer Programme oder Euro-Module anzufordern, da es zu Lieferengpässen kommen könne.

Der Geschäftsführer des Sortimenter-Ausschusses im Börsenverein, Jochen Grönke, animiert die Buchhändler, den Euro zur Chefsache zu erklären: "Schon jetzt gibt es viel zu tun, packen Sie es an!"

Der Diplomkaufmann argwöhnt, es sei typisch für den gesamten Einzelhandel, daß die Unternehmen "in der aktuellen Tagesarbeit untergehen, keine Kapazitäten für dispositive Arbeiten frei haben und die Euro-Umstellung auf die lange Bank schieben". Die Debitoren- und Kreditorenbuchhaltung sollte nach Grönkes Ansicht "spätestens" zum Jahresbeginn 1999 in der Lage sein, Rechnungs- und Zahlungsvorgänge sowohl in Euro als auch in Mark zu verarbeiten. Die frühzeitige Erweiterung der Software sollte "zumindest sicherstellen, daß auf jeden Fall erkannt werden kann, ob der Originalbeleg in Mark oder Euro vorliegt oder ob der in die Buchhaltung übernommene Wert der originale oder der umgerechnete Wert ist".

Weiter empfiehlt Grönke den großen und mittleren Sortimentsbuchhandlungen, die Umstellung der Warenwirtschafts- und betriebswirtschaftlichen Informations- sowie der Lohn- und Gehaltssysteme rechtzeitig vor dem Stichtag am 1. Januar 2002 vorzubereiten, um Überraschungen zu vermeiden. So müsse geprüft werden, ob eine Umstellung per "Knopfdruck" überhaupt möglich sei und ob das bisher eingesetzte Fremdwährungsprogramm mit dem Umrechnungskurs (fünf Stellen hinter dem Komma) rechnen könne.

Wie viele andere Firmen entledigen sich zahlreiche große und mittlere Handelsunternehmen einer aufwendigen Euro-Umstellung durch die Einführung einer Standardsoftware, die bereits vom Hersteller auf neue Anforderungen ab dem Jahr 2000 getrimmt wurde. Neubert, ein Unternehmen, das zwischen Würzburg und Bamberg in zwei Möbelhäusern und zwei Möbelabholmärkten insgesamt 1500 Mitarbeiter beschäftigt, löste zur Jahresmitte 1998 kurzerhand das in die Jahre gekommene Warenwirtschaftssystem durch eine neues Pro- dukt ab.

Die Buchhaltung des Einrichtungsspezialisten wurde ebenfalls durch die Beschaffung aktueller Standardsoftware in die Lage versetzt, Rechnungen mit parallel ausgewiesenen Euro- und Mark-Beträgen zu schreiben. DV-Koordinator Bernd Blümert berichtet, daß an der individuellen Anpassung der Software etwa sechs bis sieben Leute aus der DV-Abteilung und der Buchhaltung mitgewirkt haben.

Ähnlich unkompliziert und unspektakulär wird die Mehrwährungsfähigkeit beim Elektronik-Discounter Conrad erzielt, der neben der Zentrale in Hirschau zahlreiche Filialgeschäfte unterhält. "Parallel zum Fahrplan der Europäischen Union", so ein Firmensprecher, wird derzeit die gesamte Warenwirtschaft mit Software von SAP gründlich neugeordnet. Im gleichen Schritt wird nicht nur die Jahr-2000-Problematik, sondern auch die Euro-Umstellung bewältigt. Der Abschluß der Modernisierungsarbeiten ist für 1999 geplant.

Schäfer Shop: peu ê peu

Schon ab Januar 1999 wird der Büro- und Werkstatt-Ausstatter Schäfer Shop mit Hauptsitz in Betzdorf/Sieg seinen Kunden Rechnungen mit Euro- und Mark-Beträgen zuschicken. Das Unternehmen hat im vierten Quartal 1997 mit der Umstellung auf den Euro begonnen und die Arbeiten weitgehend abgeschlossen.

Bei Schäfer Shop wird nun schon ab Januar 1999 "nach außen" in Euro fakturiert, die Kunden erhalten Rechnungen mit Mark- und Euro-Beträgen. Intern wird nach wie vor mit Mark gerechnet, die Umstellung des internen Rechnungswesens auf den Euro wird sukzessive bis 2002 erledigt.

Die rund 50 Mann starke Informatikabteilung bewältigte die Ergänzung des R2-Systems von SAP im Zuge der laufenden Wartung der Software sowie der Jahr-2000-Anpassung. Etwa zehn bis 20 Personen - auch aus anderen Abteilungen - waren mit der Euro-Umstellung befaßt. Um diese Aufgabe exakt nach Zeitplan zu bewältigen, wurden einige andere Projekte zurückgestellt.

Wie Michael Debus, Leiter der Informatik-Produktion, schildert, stand am Anfang eine umfangreiche Untersuchung, mit der sich die DV-Abteilung einen Überblick über die gesamte Software verschaffte, die in der Zentrale und in den Filialen genutzt wird. Anschließend wurde mit einem Software-Scanner recherchiert, wo in der Software Betragsfelder existieren. In einem weiteren Schritt wurden dann die Euro-Betragsfelder eingefügt. Parallel dazu hat Schäfer Shop Formulare für die Faktura mehrwährungsfähig gestaltet.

Rückblickend meint Debus, das größte Problem sei gewesen, die Fachabteilungen - beispielsweise Einkauf, Verkauf und Logistik - "für die Problematik zu sensibilisieren". Es sei sehr wichtig, zu vermitteln, "daß die Euro-Problematik nicht von der Informatik allein, sondern nur in Zusammenarbeit aller Abteilungen gelöst werden kann".

Angeklickt

Die meisten Handelsunternehmen sind die Umstellung ihrer DV auf den Euro zu zögerlich angegangen. Immerhin haben es etliche geschafft, ihre Buchungs- und Abrechnungssysteme so zu verändern, daß sie ab 1. Januar 1999 Rechnungen und Kassenbons mit Mark- und Euro-Beträgen ausstellen können. Die Umstellung der Warenwirtschaftssysteme, der Lohn- und Gehaltssysteme ist jedoch noch weitgehend ungelöst. Manche wollen die Kosten durch einen Währungswechsel zum letztmöglichen Termin auf ein Minimum begrenzen. Die Gefahr, daß es zu DV-Problemen kommt, ist noch nicht gebannt.

*Johannes Kelch ist freier Journalist in München.