Eine Prozeß-Sprache entwickelt sich\Warten auf Pearl

13.06.1975

Seit vier Jahren wird von deutschen Hochschulinstituten und Firmen die Prozeßsprache Pearl (Process and Experiment Automation Real Time Language) entwickelt. Die Bundesregierung fördert im zweiten DV-Programm diese gemeinsame Entwicklung im Projekt "Prozeßlenkung mit Datenverarbeitungsanlagen" (PDV).

Während die Entwicklung von Pearl einigermaßen abgeschlossen ist und bei BBC in Mannheim die Erstimplementierung eines Subsets für eine PDP-11 durchgeführt wird, beginnt jetzt der typisch deutsche Kampf um die theoretische Absicherung des entwickelten Gebildes. So lautet jetzt die Fortschreibung des Projektes: "Modellbildung und Formalisierung der semantischen Konzepte in Pearl". In einer dritten Phase, die 1977 beginnen wird, soll die konkrete Syntax von Pearl beschrieben werden.

KARLSRUHE - Das Programm eines Prozeßrechners zur Führung eines technischen Prozesses kann entweder in einer maschinen-orientierten oder in einer problemorientierten Programmiersprache abgefaßt werden. Für die Übertragbarkeit von Prozeßrechnerprogrammen ist Maschinenunabhängigkeit Voraussetzung. Eine solche Sprache aber unabhängig von einem Rechner zu gestalten ist nur sinnvoll, wenn der zu erwartende Nutzen die hohen Aufwendungen rechtfertigt. Die Erfahrungen die bei BBC bei der Entwicklung der Prozeßsprache PAS 1 gemacht wurden, zeigen daß durch die Senkung von Programmier- und Testkosten und die Verkürzung der Realisierungsdauer von Projekten die wirtschaftliche Rechtfertigung gegeben ist.

Hardware-unabhängige Systemanalyse

Die Benutzung von maschinenunabhängigen Programmiersprachen hat außerdem erheblichen Einfluß auf die Systemanalyse. Nicht mehr

die speziellen Eigenschaften des verwendeten Rechners stehen im Mittelpunkt der Konzeptionierung sondern die Gegebenheiten des

Prozesses und der Programmiersprachen. Die Konzepte werden dadurch allgemein gültig und weitgehend hardwareunabhängig. Die

Übertragbarkeit (Portability) von Prozeßsprachen wird dadurch erreicht, daß wie im kommerziellen Bereich unterschiedliche Compiler zur Verfügung stehen. Diese übersetzen das gleiche Quellenprogramm in den Code der jeweils verwendeten Maschine. Im Ergebnis sollen dann die unterschiedlichen Maschinen genau das gleiche tun.

Maschinenunabhängigkeit einer Sprache oder eines Programms wird erkauft durch erhöhten Aufwand bei der Übersetzung hinsichtlich Zeit und Speicherbedarf und durch größere Zielprogramme mit längerer Ausführungszeit gegenüber in Assembler geschriebenen rechnerorientierten Systemen.

Laufzeitprobleme

Die Erhöhung des Speicherplatzes ist bei kleineren Prozeßrechnern dadurch aufzufangen, daß die Übersetzung zunächst auf Großrechnern durchgeführt wird und nur das erzeugte Maschinenprogramm auf den Prozeßrechner übertragen wird.

Häufig ist die Ausführung einer Aufgabe in einer vom Prozeßgeschehen vorgeschriebenen Zeitspanne abzuschließen. Daher ist die Laufzeitverlängerung, die bei übersetzten Programmen gegenüber Assemblerprogrammen entsteht, das eigentliche Problem. Diese Situation läßt sich beheben durch verbesserte Compiler und Betriebssysteme.

Für die Auswahl von Pearl als Prestige-Projekt staatlicher DV-Förderung sprach die Geschlossenheit seines Konzepts. Eine technischwissenschaftlich orientierte Programmiersprache - etwa Fortran - zu erweitern hätte bedeutet, daß die Erweiterungsanteile ein Mehrfaches der Grundsprache umfaßt hätten oder daß die Grundsprache im Hinblick auf die Erzeugung optimaler und sicherer Programme hätte geändert werden müssen.

Fortran-Typ mit PL 1 Syntax

Pearl hat alle Vorteile von Programmiersprachen für technisch-wissenschaftliche Zwecke, wobei die Syntax sich an PL 1 anlehnt. Ein Pearlprogramm besteht aus einem Problemteil und einem Systemteil. Der Problemteil enthält die Lösung des jeweiligen Problems. Im Systemteil wird die Verbindung zur jeweiligen Hardware hergestellt.

Bisher ist Pearl nur versuchsweise im Einsatz. Hier scheint BBC mit der Implementierung auf PDP 11-10 bisher am erfolgreichsten zu sein, Siemens implementiert auf einer 330, AEG auf 80-40 und 80-60.

Zwei Arbeitskreise haben sich die Realisierung von Pearl zur Aufgabe gemacht. Der eine, ASNE (Universität Erlangen, die Firma FEG in München und das Institut für Dampfkesselwesen der Universität Stuttgart), versucht die Systemunabhängigkeit auszubauen. Der andere, PFK ("Pearl für Kleinrechner"), den die Firmen Krantz, Krupp Atlas, Dietz, die Technische Universität Aachen und wiederum das Institut für Dampfkesselwesen der Uni Stuttgart tragen, versucht Pearl auf Kleinrechnern zu realisieren.

Soweit die Probleme der Praxis, die der Theorie kommen noch hinzu.