Die epische Erzählbreite soll aus den Manualen verschwinden

Eine Minimalsprache für technische Dokumentationen

13.10.1989

Mit nur etwa 1000 Wörtern und Redewendungen können bereits technische Dokumentationen erstellt und verstanden werden. Ungeachtet der wirtschaftlichen Vorteile einer "Kontrollierten Sprache" steht die Sprachwissenschaftlerin Marita Tjarks-Sobhani* einer solchen Wortschaftreduzierung skeptisch gegenüber.

Wenn ein neues Produkt Einzug hält in Wohnzimmer, Garagen, industrielle Unternehmen oder sonstwo, dann zieht noch etwas anderes mit ein: die "produktbegleitende Information". Solche Unterlagen, auch Handbücher oder Manuale genannt, gehören zum gesetzlichen Lieferumfang eines Produkts. Führt der Frust über die oftmals so unverständliche Sprache in den Handbüchern dazu, daß diese bald nicht mehr in "normalem Deutsch" geschrieben werden, sondern in einem "Kontrollierten Deutsch"?

Was versteht man nun unter Kontrolliertem Deutsch und wie komme ich auf die Idee, es könne so eine neue Sprachvariante geben? Kontrolliertes Deutsch zeichnet sich im wesentlichen durch zwei Dinge aus: Der Wortschatz ist begrenzt und einfach gehalten.

Man kann mit der Einführung einer solchen Sprachvariante rechnen, wenn man davon ausgeht, daß die Ereignisse, die in Amerika geschehen, mit einiger Verspätung auch bei uns eintreten. Und in Amerika ging es in den 60er Jahren los: Die "Caterpillar Tractor Company" entwickelte ein Kontrolliertes Englisch. Sie nennt es "Fundamental English". NCR und McDonnell Douglas zogen nach und mindestens diese drei Firmen haben bereits ein Lexikon für das Fundamental Englisch herausgegeben. Caterpillar entwickelte auch einen Leitfaden für Verfasser dieser "neuen Sprachvariante".

Nach der bitteren Erkenntnis, daß diese Unternehmen keine erfahrenen Autoren fanden, die diese Sprachvariante beherrschten, mußten sie erst einmal Leute darin ausbilden. Mittlerweile schreiben auch andere Firmen, wie zum Beispiel Eastman Kodak, Handbücher in dieser Sprachvariante, die als "International Service Language" bezeichnet wird.

Glossar enthielt die notwendigen Begriffe

Wer in der Schule im Englischunterricht aufgepaßt hat, kann diese Art von Dokumentation gleich lesen. Die unbedingt notwendigen Fachbegriffe werden in einem Glossar mitgeliefert. Wer Englisch nie gelernt hat, für den bieten die Firmen ein Sprachlernprogramm für Kontrolliertes Englisch an.

Laut Caterpillar brauchen die Benutzer 30 bis 60 Stunden Training, um deren Manuale lesen zu können. Kodak errechnet, daß das Service-Personal, für das ihre "International Service Language" gedacht ist, etwa zwei bis drei Monate braucht, um fit in Sprache und Technik zu sein. Wer solche Schulungen nicht besuchen kann, für den soll es möglich sein, sich an Hand des Wörterbuchs zum Kontrollierten Englisch in die Sprache und Materie einzuarbeiten.

Der Ursprung des Kontrollierten Englisch liegt in dem Export von Produkten und dem daraus regulierenden Problem, ihnen eine lesbare Dokumentation mitzugeben.

Die für den Benutzer angenehmste Lösung wäre sicherlich eine Übersetzung gewesen, aber diese ist allzu zeit- und kostenaufwendig. Außerdem ist es für viele Sprachen schwierig, Übersetzer zu finden. Eine maschinelle Übersetzung ist auch nur bei gängigen Sprachen möglich und braucht zudem noch eine "menschliche" Nachbearbeitung, so daß dieses Verfahren auch nicht zeit- oder kostengünstiger ist. Als Lösung wurde eine vereinfachte englische Sprache entwickelt - oder besser - zusammengestellt, die sich offensichtlich großer Beliebtheit erfreut.

Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Firmen brauchen für das Produkt nur eine einzige Dokumentation zu erstellen; Übersetzungen fallen also nicht mehr an, hohe Kosten werden eingespart. Aber viel wichtiger ist noch, daß neue Produkte viel schneller auf den Markt kommen können.

Magenkrämpfe für deutschsprachige Autoren

Nachteile dieser Methode bekommen vor allem die Technischen Redakteure zu spüren. Für sie ist es oft schwierig, zu entscheiden, welche Teile ihrer Muttersprache sie während ihres Arbeitstages beim Verfassen von Texten einfach ignorieren müssen und außerdem ihre Sprache immer unter Kontrolle zu haben. Daher wohl auch der Ausdruck "Kontrolliertes Englisch". Ihre Arbeit dürfte frustrierend sein, weil sie unter dem Druck stehen, lesbare, aber stilistisch schlechte Handbücher schreiben zu müssen. Angeblich

sollen sich diese Erscheinungen aber mit der Zeit durch Geduld und Erfahrung legen - wie beruhigend!

Ursprünglich sollte das Kontrollierte Englisch nur für Benutzer geschrieben werden, deren Muttersprache nicht Englisch ist. Inzwischen wird auch für englische Leser in dieser Sprachvariante geschrieben. Die Begründung dafür ist, daß man beachten solle, daß auch viele der Englisch-lesenden Benutzer einen ähnlichen Lesestandard haben wie die nicht-englischen.

Da die deutsche Sprache noch viel komplexere Strukturen als die englische hat, kann ich mir vorstellen, daß deutschsprachige Autoren sogar Magenkrämpfe bekämen, wenn sie in Kontrolliertem Deutsch schreiben sollten. Um die Gesundheit unserer technischen Redakteure nicht zu gefährden, wäre folgender Umweg denkbar:

Stufe 1: Ein Redakteur schreibt sein Handbuch in "normalem" Deutsch. Dieses Handbuch wird in eine Brückensprache wie Esperanto übersetzt, um Wortwahl und Satzbau zu vereinfachen, und dann wieder zurückübersetzt. Nun liegt ein verständliches Handbuch vor, das zudem noch leicht in andere Sprachen übertragen werden kann.

Stufe 2: Für die Dokumentation von Folgeversionen oder zum Einbauen von Änderungen muß der Redakteur wiederholt auf sein Handbuch zurückgreifen, das heißt, er lernt ganz nebenbei die neue Sprachvariante.

Stufe 3: Der Redakteur kann nun gleich in Kontrolliertem Deutsch schreiben.

Da wir in einer humanen Gesellschaft leben, wird es für seine Firma höchste Zeit, ihm ein Kommunikationstraining anzubieten, damit seine kommunikativen Fähigkeiten außerhalb seines Arbeitsplatzes nicht gleichsam verarmen und sich somit seine bisherigen sozialen Bindungen auflösen! Sprachästheten mag es nach diesem Artikel vor der Zukunft schaudern, Funktionalisten müßten jubeln. Ich persönlich weiß nicht, was ich tun soll.

Einerseits erscheint mir der Gedanke schrecklich, daß die Sprache, die technische Informationen vermittelt, so zurechtgestutzt wird. Denn das, was wir lesen und schreiben, hat Einfluß auf unser persönliches Sprachverhalten und damit auch langfristig auf das Sprachverhalten unserer Gesellschaft.

Schon jetzt sind unsere kommunikativen Leistungen im Durchschnitt so gering, daß die Hälfte aller Erwachsenen gesprochenen Sätzen mit mehr als 13 Wörtern nicht mehr folgen kann. Viel besser dürfte es beim Lesen wohl auch nicht aussehen.

Kein Ort für literarische Ergüsse

Andererseits ist technische Dokumentation nicht der Ort für literarische Ergüsse, sondern für klare, leicht verständliche Informationsübermittlung. Sätze sind das Vehikel, um Informationen zum Leser zu transportieren. Und je komplizierter die Informationen fachlich sind, desto wichtiger ist es, daß das Vehikel keine Probleme verursacht.

Wenn man sicher sein könnte, daß die Benutzer die Zeit, die sie beim Lesen der Handbücher in Kontrolliertem Deutsch sparen, für sinnvolle Kommunikation nutzen würden, dann wäre die Entscheidung leicht.

Aber es gibt keine Gründe für diese Annahme. Deswegen sollten alle Beteiligten genau überlegen, ob die Wirtschaftlichkeit der neuen Sprachvariante nicht einen zu hohen Preis fordert.

Liste der verbotenen Wörter

Es gibt ja auch noch Kompromisse, die zwar schwieriger zu finden sind, aber in Deutschland sind die technischen Redakteure auf Grund ihrer Arbeitsbedingungen noch gewohnt, mit Schwierigkeiten fertig zu werden! Auf keinen Fall kann man sich auf den Standpunkt zurückziehen, daß das Kontrollierte Deutsch noch eine reine Zukunftsvision sei. So bekommt zum Beispiel ein großer deutscher Automobilhersteller schon aus Amerika Listen von Wörtern und Ausdrücken zurückgesandt, die er tunlichst nicht mehr in seinen Betriebsanleitungen verwenden möchte. Dazu gehören zum Beispiel Gepäck, Blinker oder Armlehne. Wahrhaft teuflische Wörter!

* Dr. Marita Tjarks-Sobhani ist Industriedozentin. Unter anderem bildet sie technische Redakteure aus.