Eine Massenflucht bei Herstellern und Vertreibern findet nicht statt:Bie Karriere bei DV-Anbietern ist keine Sackgasse

01.11.1985

FRANKFURT - Von Personalflucht läßt sich noch nicht sprechen, einen Wandel in der DV-Industrie beginnen die Beschäftigten indes zu spüren. Mit strukturellen Änderungen und Sparmaßnahmen müssen nämlich auch große Anbieter ihren Tribut dem härter umkämpften Markt zollen. Knut Hofmann von der Personalberatung MSL Deutschland GmbH in Frankfurt registriert vorsichtige Umorientierungsversuche.

Personalbewegungen weg von der EDV-Branche lassen sich besonders gut im Vertrieb beobachten. In diesem Bereich haben in den expansiven Jahren zahlreiche altgediente EDV-Vertriebsbeauftragte Aufstiegsangebote aus Angst vor wachsender Verantwortung und zu erwartenden Einkommenseinbußen abgelehnt. Kein Wunder, denn die Spitze der Verkäufer kann zwischen 200 000 und 300 000 Mark und teilweise noch mehr pro Jahr verdienen. Mit einem guten und treuen Kundenstamm sichern sie sich ihr überdurchschnittliches Einkommen.

Nachdem sie erreicht haben, was finanziell erstrebenswert ist, stellen sie sich die Frage, ob sie noch weitere zehn oder zwanzig Jahre "niedrige" Vertriebsaufgaben wahrnehmen wollen oder ob sie doch Führungsverantwortung übernehmen sollen. Bedingt durch ihr Streuben in der Vergangenheit werden sie aber in ihrem bisherigen Unternehmen diese Chance nicht mehr erhalten, junge Verkäufer mit Hochschulausbildung drängen nach oben. Außerdem befürchten die "Altgedienten", daß ihre Supergehälter durch "Spar-Kommissare" reduziert werden. Häufig wurde auch gerade in der jüngsten Vergangenheit registriert, daß es Mitarbeitern in vielen Hierarchien gar nicht schmeckt, wenn "einfache" Verkäufer mehr als sie verdienen.

Neue Provisionsregelungen führen dann zum gewünschten Erfolg, aber auch zum Groll und Frust der Vertriebsbeauftragten. Kein Wunder also, daß viele von ihnen an einen Ausstieg aus der EDV-Branche denken und sogar von einer kapitalmäßigen Beteiligung an kleineren Unternehmen träumen.

Doch ist der Wechsel in eine andere Tätigkeit nicht ohne Risiko: Die "Super-Verdiener" und auch die neuen Arbeitgeber müssen dann erkennen, daß die Verkaufsleistungen in der EDV-Industrie nicht allein mit dem Talent des Vertriebsbeauftragten zu begründen sind - auf dem Nachfragemarkt EDV verkauften sich die Produkte teilweise beinahe von selbst.

Die meisten Versuche, in einer anderen Branche Fuß zu fassen, -münden so in einer Sackgasse. Die "EDV-Flüchtigen" wollen schon nach kurzer Zeit wieder zurück in ihren alten Tätigkeitsbereich. Doch nur wenige können ein Comeback schaffen: Innerhalb von zwei Jahren gibt es so viele Neuentwicklungen, daß wenige EDV-Anbieter bereit sind, Verkäufer einzustellen, die möglicherweise den Anschluß an die neuesten technischen Entwicklungen verpaßt haben.

Die einzige Chance ist der Gang zu "Exoten". Sie haben sich von einem großen Hersteller abgesplittet und wagen in Europa erste Gehversuche auf dem hart umkämpften Markt. Oder es sind Unternehmen, die in anderen Segmenten der Kommunikationsbranche groß geworden sind und nun via OEM-Verträge die Verbindung zur EDV suchen. Diese Anbieter sind froh, wenn sie Mitarbeiter gewinnen können, die ihre Erfahrungen in der Branche gesammelt haben und Erfolge im Verkauf nachweisen können. Doch auch diese "jungen" Anbieter merken bald, daß die "alten" Vertriebsbeauftragten nicht unbedingt immer das bringen, was man sich von ihnen verspricht.

Wie sieht es in anderen Funktionsbereichen aus? Ob in der Werbung im Personalbereich, im Controlling oder Support - der Wechsel fällt leichter, weil die Qualifikation in der EDV vergleichbar der in anderen Branchen ist. Lediglich der Wechsel aus dem Produkt-Marketing in eine andere Branche ist als unmöglich einzuschätzen, weil die Tätigkeit dort absolut Software-orientiert und auf die EDV speziell ausgerichtet ist.

Gute Chancen für Controller

Führungskräfte im Bereich des Controlling können ohne Schwierigkeiten von Branche zu Branche wechseln. Wer das US-Accounting beherrscht, ist für viele Tochtergesellschaften amerikanischer Unternehmen ein interessanter Mann. Ausgesprochen gute Chancen haben Controller aus vertriebsorientierten Gesellschaften: Die Wechselmöglichkeiten in andere Branchen sind als hervorragend zu bezeichnen.

Ähnlich ist die Situation im Personalbereich einzuschätzen. Personalleiter aus der EDV-Industrie sind grundsätzlich in anderen Branchen gefragt und haben in der Wirtschaft einen sehr guten Ruf.

Support- und Software-Manager wechseln manchmal vom Anbieter in die Position des EDV-Leiters beim Anwender und ehemaligen Kunden. Allerdings ist der umgekehrte Weg in den meisten Fällen die Regel, weil er finanziell weitaus attraktiver ist. Die stärkste Gruppe der EDV ist im Service zu finden: Etwa 40 bis 50 Prozent aller Mitarbeiter in einem EDV-Unternehmen gehören dieser Abteilung an. Führungskräfte im Service-Bereich haben sehr gute Wechselmöglichkeiten, besonders verstärkt innerhalb der Elektronik- und elektrotechnischen Industrie.

Weg von der EDV-Branche

Die letzte Gruppe ist das General-Management, die oberste Führungsebene. Ein fähiger Manager aus der EDV-Industrie kann in jeder anderen Branche seinen Weg machen, weil er in einer harten Branche seine Qualifikation nachgewiesen hat. Doch für fähige Führungskräfte gibt es auch innerhalb der EDV-Industrie immer wieder höherwertige Aufgaben, also besteht grundsätzlich keine Veranlassung zum Wechsel.

Derzeit laßt sich feststellen, daß erste Ansätze für eine steigende Fluktuation weg von der EDV-Branche zu erkennen sind, von einer "Flucht" in andere Branchen aber nicht geredet werden kann. Die EDV ist immer noch eine der am stärksten prosperierenden Branchen, die qualifizierten Führungskräften in allen Bereichen neue Herausforderungen bieten kann. Solange sich der EDV-Markt nicht grundlegend ändert und die Perspektiven und finanziellen Anreize erhalten bleiben, werden die Fluktuation im Führungskräftebereich der EDV-Industrie auf ein Mindestmaß beschränkt bleiben.

Vorsicht Rutschgefahr!

Altgediente DVer tragen sich nicht selten mit dem Wunsch, die Branche zu wechseln. Denn junge Hochschulabsolventen drängen im Unternehmen nach, aber auch die Führungsausgabe auf einem neun Feld lockt. Der Karieresprung - etwa bei Verkäufern - ist jedoch nicht ohne Risiko. Im Nachfragemarkt EDV verkaufen sich - mit oder ohne Talent - die Produkte bisher beinahe von selbst. Häufig endet so ein Seitensprung in einem Ausrutscher. Kräften aus der Werbung, dem Personalbereich, dem Controlling oder Support fällt der Wechsel dagegen leichter. In diesen Funktionsbereichen sind die Qualifikationen in der DV mit denen anderer Marktsektoren vergleichbar. Begehrt in der Industrie sind allerortens Topmanager aus dem Sektor neue Technik: Sie hatten sich nämlich in einer harter Branche bewährt.