Nixdorf zwischen MDT und IBM

Eine deutsche Erfolgsstory - vom Einmannbetrieb zum internationalen Super-Systemhaus (Teil 2)

13.11.1987

Die Nixdorf Computer AG, Darling der schwachbrüstigen bundesdeutschen DV-lndustrie, ist auch in der anhaltenden Branchenkrise nicht aus dem Tritt geraten - ihre Dienstleistungen und Lösungspakete sind beim Mittelstand mehr denn je gefragt. Und auch bei Banken und beim Handel finden die Paderborner immer wieder Möglichkeiten, dem amerikanischen Computer-Multi IBM Aufträge abzujagen. Zur Belastung für das Unternehmen könnte jedoch die Abhängigkeit von japanischer und amerikanischer Technologie werden: Nixdorf entwickelt kaum noch selbst. Den Werdegang des Familienbetriebes von der Kellerwerkstatt bis an die Börse schildert CW-Redakteurin Beate Kneuse in einer mehrteiligen Serie.

Heinz Nixdorf versprach sich wie alle anderen von der Datel "wirkliche Innovationen auf dem gesamten Datenfernverarbeitungssektor", aber auch ein "Feedback auf Gebühre n- und Vorschriftenpolitik der Bundespost ". Darüber hinaus wollte die Vereinigung ein Service-Angebot für Klein- und Mittelbetriebe anbieten, um sie über die Neuerungen in der Datenfernverarbeitung an die gesamte Datenverarbeitung heranzuführen. Außerdem hätte der Einstieg der Datel in die Online-TP-Lösungen den Paderbornern einen nicht zu unterschätzenden Umsatz über den Verkauf von Terminals gebracht. Doch die hochgestellten Erwartungen Nixdorfs erfüllten sich nicht. Im Gegenteil: Das Engagement bescherte dem Paderborner Unternehmer "kräftige Verluste", wie er einige Jahre später gegenüber der COMPUTERWOCHE zugab. Allerdings konnte Nixdorf einem noch größerem Fiasko entgehen, indem er bereits am 5. November 1973 als erster der drei Partner den Ausstieg seines Unternehmens aus der Datel verkündete.

Ähnlich verlief ein weiterer Kooperationsversuch von Nixdorf. Am 1. Januar 1972 gründeten die Paderborner mit der Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft AEG-Telefunken, Berlin/Frankfurt, eine neue Gesellschaft, die Telefunken Computer GmbH in Konstanz. Beide Unternehmen waren daran zu je 50 Prozent beteiligt. Den Vorsitz der Geschäftsführung übernahm Heinz Nixdorf.

BMFT hilft den Partnern auf die Sprünge

Unterstützt wurden die beiden Partner mit nicht gerade geringen Mitteln des Bundesforschungsministerums in Bonn. Ziel der neuen Gesellschaft sollte sein, die Forschung auf dem Gebiet der Großrechenanlagen voranzutreiben wie auch die Entwicklung, Fertigung und den Vertrieb des AEG-Großrechensystems "TR 4404 sowie dessen Nachfolgesysteme zu forcieren. Darüber hinaus sollten Grund- und Anwendungssoftware, die erforderlichen Sprachen und die zugehörigen Peripheriegeräte sowie Belegverarbeitungsanlagen zum Arbeitsprogramm gehören. Die AEG-Telefunken, die ihren gesamten Fachbereich Informatik in die neue Gesellschaft einbrachte, erhoffte sich von dieser Zusammenarbeit, endlich ihre Datenverarbeitungsanlagen im Markt plazieren zu

können. Bislang hatte man in diesem Bereich eher erfolglos operiert Heinz Nixdorf hingegen schwebte mit dieser innerdeutschen Kooperation vor, einerseits ebenfalls den Sprung ins Großrechnergeschäft zu schaffen und andererseits ein Gegengewicht zu den übermächtigen amerikanischen Konkurrenten bilden zu können.

Tatsächlich jedoch wurde das Konstanzer Abenteuer ebenso ein Reinfall wie das Datel-Engagement. Die Telefunken Computer GmbH kam aus den roten Zahlen nie heraus, und die Weiterentwicklung der Rechenanlage TR 440 ging auch nicht voran. Im April 1974 wurde mit Unterstützung des Bonner Forschungsministeriums, das sein Geld nicht sinnlos investiert wissen wollte, schließlich ein neue Eigner der Konstanzer Gesellschaft gefunden. Die Siemens AG erklärt, sich bereit, das Unternehmen am Bodensee zu übernehmen. Seit ihrer Gründung hatte die Telefunken Computer GmbH an die 86 Millionen Mark Verlust gemacht. Immerhin kam Heinz Nixdorf auch in diesem Fall mit einem blauen Auge davon.

Trotz der beiden gescheiterten Kooperationsvorhaben gab Nixdorf allerdings die Hoffnung nicht auf, doch noch in das Großrechnergeschäft einsteigen zu können. Sein Wunsch schien sich endlich zu erfüllen, als er 1972 mit Gene Amdahl Kontakt aufnahm. Der Amerikaner, lange Zeit in den Forschungslabors von IBM beschäftigt, versuchte gerade, ein eigenes Unternehmen auf die Beine zu stellen mit dem Ziel, Großrechner zu bauen, die zum einen leistungsfähiger als IBM-Maschinen, darüber hinaus aber auch IBM-kompatibel sein sollten. Auf der Suche nach Anlegern, die sein Unternehmen mitfinanzierten, konnte Amdahl erst den japanischen Konzern Fujitsu gewinnen, der sich mit 11,2 Millionen Dollar beteiligte. Heinz Nixdorf, der eine neue Chance für seine Großrechnerpläne sah, kam schließlich mit sechs Millionen Dollar hinzu. Doch auch dieses Engagement verlief letztendlich im Sande. 1977 verkaufte Nixdorf seine Amdahl-Aktien an der New Yorker Börse.

Neue Rechnerserie endlich in Sicht

Nach diesen turbulenten ersten siebziger Jahren schien Nixdorf sich wieder ganz auf sein Unternehmen konzentrieren zu wollen. Immerhin hatten die kleineren und größeren Katastrophen der Nixdorf Computer AG zumindest keine Umsatzeinbrüche beschert. Auch in jenen harten Jahren war der Paderborner Computerbauer umsatzmäßig stetig gewachsen So konnte das Unternehmen 1974 einen Umsatzanstieg von 21,8 Prozent auf 581 Millionen Mark verzeichnen. 1975 wuchs der Umsatz allerdings nur um 6,2 Prozent auf 616,3 Millionen Mark. Der Gewinn hielt sich in beiden Jahren um die 20 Millionen Mark. Auch hatte Nixdorf im November 1974 den Grundstein zu einer neuen Fabrik in Paderborn gelegt, die schon wenige Monate später produzieren sollte.

Doch noch immer fehlte ein neues, technisch angepaßtes Produkt. Endlich - am 1. Januar 1975 - präsentierten d e Westfalen das Nachfolge-System für den Magnetkonten-Computer 820: den Plattenrechner 8870 mit den Hauptaufgaben Datenerfassung, Verarbeitung und Ausgabe. Dieses System, dessen Hardware zum Teil erneut in den USA, nämlich bei der Digital Computer Controls, eingekauft worden war, stellte den ersten Rechner der künftigen Nixdorf-Serie "88" dar, die man sowohl nach unten wie auch nach oben durch weitere Systeme ergänzen wollte. Der monatliche Mietpreis für die Minimalkonfiguration - bestehend aus einer Zentraleinheit, zwei Platteneinheiten, einem Nadeldrucker und einem Bildschirm - lag bei 4000 Mark.

Neben der Hardware hatte Nixdorf auch bei der Software einiges aufzuweisen. So standen für die Anwenderprogrammierung ANS-Cobol und RPG II zur Verfügung. An Anwendersoftware boten die Paderborner das Datenerfassungs- und Abfragesystem "Degas" für vereinfachte Standardlösungen, das Programm "Sobas" für die individuelle Auswertung von Plattendateien, das Datenbanksystem "Nidas" und das kaufmännische Abrechnungssystem "Inves" an. Zum Einsatz kommen sollte die 8870 vor allem in Klein- und Mittelbetrieben, aber auch in Großfirmen, die Computer dezentralisiert in Fachabteilungen einsetzen. Ziel der Paderborner mit dieser Rechnerfamilie: in den kommenden vier bis fünf Jahren rund 2000 Systeme jährlich abzusetzen.

Erstmals Nixdorf-Rechner mit Floppy-Disk

Daß Heinz Nixdorfs Herz dennoch weiterhin an dem erfolgreichen Magnetkontencomputer 820 hing, zeigte sich schon wenige Wochen später: Die Paderborner kündigten mit dem System 8830 einen weiteren Rechner der 88-Familie an. Dabei handelte es sich jedoch keineswegs um eine reine Neuentwicklung, sondern vielmehr um eine Weiterentwicklung auf Basis der 820, ausgestattet mit zwei Floppy-Disks. Somit bestätigte sich die bereits ein Jahr zuvor erklärte Strategie von Heinz Nixdorf, das neue Speichermedium Floppy-Disk in seinen Systemen einzusetzen, aber auch weiterhin an dem Magnetkonto festzuhalten. Die Floppy-Disk ermöglichte den Benutzern nunmehr auch eine integrierte Fakturierung, die die begrenzte Speicherkapazität des Magnetkontos bis dahin nicht erlaubt hatte.

Mit dem neuen Modell 8830 stellte Nixdorf dem Anwender die Weiterentwicklung des Softwarepaketes Firm zur Verfügung: Nunmehr konnten nicht nur generell mit Hilfe einer Checkliste und eines Programmgenerators individuelle Anwenderprogramme zusammengestellt werden. Auch der programmierunkundige Sachbearbeiter sollte jetzt in der Lage sein, die von ihm benötigten Programm-Komplexe für sein Arbeitsgebiet an seinem Bildschirm selbst zu erstellen. Dieses Softwarepaket wurde in den darauffolgenden Jahren konsequent weiterentwickelt. 1980 kam schließlich eine neue Version unter der Bezeichnung Comet auf den Markt. Noch heute ist dieses Programmpaket das erfolgreichste Softwareprodukt der Paderborner.

Mit ihrer neuen und erweiterten Hard- und Software-Palette wollten die Paderborner noch weiter in den arbeitsplatzorientierten Markt vordringen. So sahen sie nicht nur den ungebrochenen Trend zum DV-Einsatz in Klein- und Mittelbetrieben, sondern auch die steigenden Dezentralisierungsbestrebungen der Großunternehmen, die wiederum eine wachsende Nachfrage nach Terminalsystemen erwarten ließen. Experten prognostizierten denn auch, daß der Terminalmarkt bis 1985 um mehr als das Zehnfache wachsen werde. Dies bedeutete aber auch, der zunehmenden Bedeutung der Datenfernverarbeitung, also dem Auf- und Ausbau von Rechnerverbund-Netzen, Rechnung tragen zu müssen.

Schon war die IBM, die auch auf dem Datenfernverarbeitungs-Sektor (DFV) eine uneingeschränkte Vormachtstellung besaß, mit der Ankündigung ihres Netzwerkes SNA (Systems Network Architecture) vorgeprescht. Auch sah sich Nixdorf immer mehr dem Druck der Mitbewerber im sogenannten MDT-Markt ausgesetzt. Reaktion der Paderborner: Im März 1976 stellte Nixdorf sein DFV-Konzept unter der Bezeichnung "Nixdorf Communication Network" (NCN) vor, mit neuen Terminalsystemen der 88er-Serie als wichtige Komponenten. Dieses Konzept, das die Paderborner als ersten Schritt zu mehr Herstellerunabhängigkeit im

DFV-Geschehen anpriesen, sollte mit dazu beitragen, Nixdorfs Position im Bereich der Datenfernverarbeitung gegen die steigende Zahl von Konkurrenten auszubauen.

Im gleichen Jahr brachten die Westfalen weitere Mitglieder der Systemfamilie 88 auf den Markt. Dazu gehörten Anfang 1976 das für den Banken-Bereich konzipierte Terminalsystem "8864" sowie noch im gleichen Jahr das speziell für den Handel entwickelte System "8862" und die neuen elektronischen Online-Kassenterminals "8812", eine Weiterentwicklung der Datenkasse "710". Gerade mit den neuen Bankenterminals konnten die Paderborner Computerbauer noch 1976 große Erfolge erzielen, indem sie Aufträge von der Sparkasse Koblenz und den Raiffeisen-Informationszentralen in Frankfurt und Mutterstadt erhielten.

Branchengeschäftsstellen für bessere Kundenpflege

Mittlerweile war auch der Ausbau des innerdeutschen Nixdorf-Produktions- und Vertriebsnetzes vorangeschritten. Noch 1975 hatten die Paderborner ihre Berliner Aktivitäten n der "Nixdorf Computer GmbH, Berlin" zusammengefaßt. Neben dem Hauptwerk in Paderborn und den Produktionsstätten in Wuppertal und Köln sollten in der ehemaligen Reichshauptstadt künftig alle Produktionsaufgaben für den Bereich der Datensammelsysteme bewältigt werden. Auch hatten die Westfalen inzwischen diverse Branchengeschäftsstellen geschaffen. 1976 eröffnete Nixdorf, nach Frankfurt und Köln, die dritte Branchengeschäftsstelle für den Bereich Banken und Versicherungen in München. Mit der neuen Gliederung der Vertriebsorganisation in einzelne Branchen die ab 1978 durch das neue Vorstandsmitglied Arno Bohn weiter forciert werden sollte, erhofften sich die Paderborner eine noch bessere Betreuung ihrer Kunden. Nixdorf hatte dazu schon 1975 erste Ansätze gezeigt, als für die Bereiche Handel sowie Versicherungs- und Kreditwirtschaft eigenständige Einheiten gegründet wurden.

Auch im Ausland verstärkte Nixdorf seine Aktivitäten. 1976 wurde der Vertrieb in Skandinavien neu strukturiert, indem man der Logtron, einer Tochtergesellschaft der dänischen Bording-Gruppe, sämtliche Nixdorf-Aktivitäten in Dänemark, Norwegen und Schweden übertrug. In Irland baute Nixdorf 1977 eine neue Produktionsstätte in der Nähe von Dublin zur Fertigung von Einzelmodulen auf. 1978 streckte man die Hand gar nach Brasilien aus. Mit der Labo Eletronica S.A. in Sao Paulo, einem Tochterunternehmen des brasilianischen Mischkonzerns Forsa, unterzeichneten die Paderborner einen Lizenz- und Unterstützungsvertrag. Ziel der Brasilianer war, mit Hilfe des Nixdorf-Know-hows eine nationale Computerindustrie aufzubauen. Der Vertrag umfaßte neben direkten Lieferungen vor allem die Übertragung von technischem Know-how für die Produktion, den Vertrieb und den Service von Systemen der Serie 8870. Mit dem Bau einer eigenen Fertigungsstätte scheiterte das Unternehmen allerdings wenige Jahre später, und Heinz Nixdorf war froh, als er 1982 die brasilianische Fazenda wieder abstoßen konnte.

Mit neuem Mut ins US-Geschäft

Das größte Ereignis auf internationalem Parketl: fand jedoch im Mai I 977 in den USA statt: Nixdorf Überzahm den langjährigen amerikanischen Partner Entrex Corp., Burlington/Massachusetts. Schon 1975 hatten die Paderborner ihr US-Engagement verstärkt, indem sie in der neuen Produktionsstätte Schaumburg/ Chicago die Fertigung aufnahmen. Damit wollte Nixdorf nicht nur die Zusammenarbeit mit den amerikanischen Lieferanten wie Intel, Pertec, Digital Computer Control (DCC) und Entrex intensivieren, sondern auch Zölle sparen. Zu jenem Zeitpunkt konnte Heinz Nixdorf in den USA an die 3000 installierte Systeme und einen Umsatz von rund 17 Millionen Dollar ausweisen.

Anläßlich der Entrex-Übernahme erklärte Heinz Nixdorf in New York: "Die Präsenz auf dem größten Computermarkt der Welt ist die wichtigste Voraussetzung für einen langfristig abgesicherten Unternehmenserfolg." Der Paderborner Unternehmer investierte in das Geschäft rund 22 Millionen Dollar. Der Personalbestand in den USA stieg auf rund 1000 Mitarbeiter, das Vertriebs- und Servicenetz erweiterte sich auf 130 Städte. Mit dem hinzugewonnenen Entrex-Jahresumsatz von 25 Millionen Dollar aus dem Jahr 1976 kam Nixdorf 1977 immerhin schon auf einen Umsatz von 60 Millionen Dollar in den USA. Bis 1980, so Heinz Nixdorfs Plan, sollte dieser auf 100 Millionen Dollar anwachsen. Schließlich konnten die Paderborner durch den Entrex-Coup den Anspruch erheben, weltweit Marktführer bei Datensammelsystemen zu sein. Endgültig abgeschlossen war die Entrex-Übernahme rund zehn Monate später: Der amerikanische Hersteller von Datensammelsystemen wurde vollständig in die US-Tochter der Paderborner integriert, die seitdem als Nixdorf Computer Corp., Burlington, firmiert. Kurz zuvor, zum Jahresauftakt, hatte man auch einen Auftrag von einer amerikanischen Sozialversicherung über Datenerfassungssysteme im Wert von neun Millionen Mark einfahren können.

Nicht zuletzt mit dieser Transaktion konnte die Nixdorf Computer AG 1977 ihre Jahresbilanz kräftig verbessern. Nach den eher mageren Umsatzsteigerungen von 6,5 beziehungsweise 11,5 Prozent in den beiden Jahren zuvor, kletterte der Gesamtumsatz 1977 wieder um 22 Prozent auf 839 Millionen Mark. Das Inlandsgeschäft machte dabei 484 Millionen Mark aus, wovon 206 Millionen Mark aus dem Mietgeschäft stammten. Auch die Mitarbeiterzahl war nach dem Tiefpunkt 1976 mit durchschnittlich 7303 Beschäftigten wieder angewachsen. 1977 stellte das Unternehmen kräftig ein und verzeichnete Ende des Jahres mit weltweit 8668 Mitarbeitern einen ähnlich hohen Personalbestand wie in den Jahren vor der Krise. Darüber hinaus erhoben die Paderborner inzwischen auch offiziell den Anspruch, nicht mehr Hardware-Hersteller, sondern aufgrund der Schwerpunktsetzung in Software und Service vielmehr ein Dienstleistungs-Anbieter zu sein: ein Unternehmen, das ein Gesamtangebot mit Rechnersystemen, organisatorischen Problemlösungen, Kundenschulung und technischem Kundendienst offeriert.

BMFT unterstützt auch Nixdorf

Längst standen bei den Paderbornern wieder alle Zeichen auf Expansion. Dabei war Nixdorf zweifelsohne zugute gekommen, daß der Markt für Kleincomputer und Terminals 1976 in der Bundesrepublik überproportional gewachsen war. So stellte die Frankfurter Marktforschungsgesellschaft Diebold fest, daß dieser Bereich von 28 000 zusätzlich installierten Anlagen allein 21000 Systeme stellte. Zu der Zeit hatten die Paderborner bundesweit rund 23 000 Systeme installiert, was ihnen im MDT-Markt den ersten Platz mit einem Marktanteil von 33 Prozent vor Philips ( 12,5 Prozent) und Kienzle (12,1 Prozent) bescherte.

Verstärkt profitieren konnte Nixdorf aber inzwischen auch von Bonner Förderungsgeldern. In den ersten beiden DV-Förderungsprogrammen des Bundesforschungsministeriums war das Paderborner Unternehmen nur wenig berücksichtigt worden, weil das BMFT bevorzugt Hersteller im Universalrechner-Bereich unterstützt hatte. Das dritte DV-Forderungsprogramm vom BMFT (1976 bis 1979) mit Schwerpunkt mittlere Datentechnik bescherte aber auch der Nixdorf Computer AG endlich ein ordentliches finanzielles Zubrot. Aus den ersten beiden Förderungsprogrammen hatte das Unternehmen nur geringfügige Zuschüsse zu den Rechnern "820" und "900" beziehungsweise zur Peripherie wie etwa den Ein-/Ausgabegeräten erhalten, sich also im Gegensatz zu Unternehmen wie Siemens oder AEG-Telefunken weitgehend aus eigener Kraft entwickelt. Im Rahmen des dritten DV-Programms, in dem den Kleinrechnern die Schlüsselrolle der Förderung zufiel, konnten die Paderborner 1976 rund 17 Millionen Mark, ein Jahr später 22 Millionen Mark staatliche Mittel einstreichen. Bis 1980 summierten sich diese Gelder aus allen drei DV-Förderungsprogrammen für die Nixdorf Computer AG auf 150 Millionen Mark. Zum Vergleich: Siemens erhielt von 1969 bis 1979 rund 995 Millionen Mark aus dem Bonner Fördertopf, was Heinz Nixdorf immer wieder veranlaßte, den Münchner Elektrokonzern als "Subventionsempfänger" anzuprangern.

Überhaupt übte der Paderborner Unternehmer wiederholt herbe Kritik an der Bonner Förderungspolitik. Schon 1970 hatte Heinz Nixdorf bei einem Hearing zum zweiten DV-Förderungsprogramm betont, daß man mit den knappen Mitteln weniger die Hersteller von EDV-Anlagen unterstützen, sondern in erster Linie die Verbreitung der Anwendungen fördern sollte. Dazu gehöre auch die verstärkte Entwicklung von anwenderfreundlichen Programmen und zudem die Förderung von Pilotanwendungen auf neuen Gebieten. Doch auch im zweiten Förderungsprogramm fielen dem Universalrechner-Bereich die umfangreichsten Gelder zu. So erklärte der OstwestfaIe 1975 gegenüber der COMPUTERWOCHE: "Der Schlüssel, nach dem der Bund seine Förderungsmittel verteilt, ist töricht und ungerecht. Es hat eine gigantische Fehlsteuerung der Förderungsmittel der letzten Jahre gegeben." Allerdings hoffte Nixdorf auch, daß jetzt "der Groschen gefallen sei".

Daß die Kritik des Paderborner Unternehmers keineswegs ungerechtfertigt war, beweist auch die Studie "Programmbewertung der DV-Förderung des BMFT 1967 bis 1979". Sie wurde 1981 von der Arbeitsgemeinschaft "Programmbewertung der DV-Förderung", bestehend aus Mitarbeitern von SRI International, Bonn und Arthur D. Little International Wiesbaden, im Auftrag des BMFT erstellt. Die Arbeitsgemeinschaft stellt darin unter anderem fest, daß die gesamte DV-Förderung der siebziger Jahre speziell hinsichtlich industriepolitischer Ziele nur bedingt erfolgreich war. So sei es zwar den meisten Unternehmen technologisch gelungen, den internationalen Stand zu erreichen. Dies habe aber nicht unbedingt zu einer unternehmerischen Umsetzung in günstige Wettbewerbspositionen geführt. Daraus folgerten die Analysten, daß die Förderung eher an Gesamtstrategien der Unternehmen (also auch Ausbau von internationalen Service- und Vertriebsorganisationen) hätte orientiert sein müssen als nur an den technologischen Vorhaben. Auch sei dem Segment der Universalrechner zulange zu viel "Förderungsgewicht" beigemessen worden, so daß neue Produkt- oder Systemsegmente (zum Beispiel die mittlere Datentechnik) dadurch vernachlässigt wurden.

Einzigartige Ausbildungsmaßnahmen

Doch nicht nur das BMFT geriet regelmäßig in die Schußlinie des Paderborner Unternehmers. Sehr unzufrieden war Heinz Nixdorf auch mit der Ausbildung von qualifizierten Mitarbeitern im DV-Bereich. Vor allem in den sechziger Jahren, als man

den Grundstein für Fachkräfte einer sich schnell entwickelnden Branche hätte legen müssen, gab es in der Bundesrepublik Deutschland für den DV-Bereich keine direkten Ausbildungswege und kein einheitliches Berufsbild. Da auch eine systematische und gezielte Informatikforschung an den deutschen Hochschulen und Informatikinstituten in den sechziger Jahren fehlte, konnte sie lange Zeit in Deutschland kein Impulsgeber für Lehre, Ausbildung und industrielle Entwicklung sein. Dabei muß allerdings berücksichtigt werden, daß auf dem Gebiet der Informatik bis Mitte der fünfziger Jahre durch Verordnungen der Alliierten nur sehr eingeschränkt gearbeitet werden konnte.

Somit existierte an den Hochschulen eine EDV-spezifische Ausbildung nur vereinzelt in Form von EDV-bezogenen Nebenfächern an den mathematisch -naturwissenschaftlichen

Fakultäten und in den Ingenieurwissenschaften. Der Ausbildungsbedarf für die Entwicklung von EDV-Anwendungen in Wirtschaft und Verwaltung wurde überwiegend durch Kurse bei Herstellern von EDV-Anlagen und in betrieblichen Bildungsstätten gedeckt. Heinz Nixdorf hatte diesen "Fehler im System" schon früh erkannt und begann, dem drohenden Mangel an qualifizierten Mitarbeitern im Hard- und Software Bereich auf seine Weise vorzubeugen. 1969 baute er in Paderborn seine eigene Schule für Datenverarbeitung Dort wurden in jenem Jahr insgesamt 788 Mitarbeiter in Programmierung, Organisation und Vertrieb ausgebildet.

Schon ein Jahr später hatten die Paderborner die DV-Schule zu einem Unterrichtszentrum für alle Berufe der elektronischen Datenverarbeitung ausgebaut. Am 1. Juli 1970 wurde die Nixdorf-Schule für Datenverarbeitung zur staatlich anerkannten

"Fachschule für elektronische Datenverarbeitung" ernannt. Gearbeitet wurde mit dem Nixdorf-Lehrsystem "Baccalaureus". Hinzu kam eine firmeneigene Berufsschule. Auch diese Schule wurde staatlich anerkannt. Der Paderborner Computerbauer bildete 1970 an die 1900 Programmierer, Organisatoren und EDV-Vertriebskaufleute sowie 1156 Computer-Servicetechniker aus beziehungsweise weiter. Die Zahl der Aus- und Weiterzubildenden stieg stetig. Nixdorf eröffnete schließlich 1975 in Mainz und 1978 in Wiesbaden weitere Ausbildungszentren.

In den nachfolgenden Jahren verstärkten die Paderborner noch ihre Bemühungen im Ausbildungsbereich. Seit 1980 sind die Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen in Mainz konzentriert, in Paderborn entstand 1982 eine neue Berufsschule. Deren Ziel sollte sein, allen Auszubildenden in jeder Hinsicht allgemeine Grundkenntnisse zu vermitteln. So wollte Nixdorf die angehenden Feinmechaniker, Werkzeugmacher oder Teilezurichter, aber auch den Industriekaufmann an die Datenverarbeitung heranführen, den Informationselektronikern hingegen ein entsprechendes Wissen in der Feinmechanik vermitteln. Damit sollte eine allzu frühzeitige Spezialisierung verhindert werden. Bis heute hat eine derartige Werksberufsschule bei DV-Unternehmen keinen Nachahmer gefunden. Darüber hinaus hinken die traditionellen Berufsschulen mit der DV-Ausbildung weit hinterher. Es besteht ein gravierendes Ausbildungsdefizit, das die Paderborner bereits 1982 voraussahen. So erklärte das damalige Vorstandsmitglied Helmut Rausch in einem Interview mit der COMPUTERWOCHE: "Ich frage mich, wie diese Branche den Mut aufbringt, die 80er und 90er Jahre gestalten zu wollen, mit ständig neuen Umschulaktivitäten und nicht mit einer beruflichen Erstausbildung. Das darf doch wohl nicht sein, daß man erst einen ganz anderen Beruf erlernt und dann die Datenverarbeitung - die den Beruf wesentlich bestimmt - aufpfropft; möglicherweise viel zu spät"