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Ein überstrapaziertes Schlagwort

08.11.1985

Wenn es je Schlagwörter gegeben hat, welche Politiker, Wirtschaftsbosse und Stammtischstrategen bis zum Überdruß strapazieren, dann sind es , "Technologie" und "High Technology" - auf Neudeutsch "High-Tech". Technologie, die Lehre von der Technik oder das Wissen um die Technik, wird absolut hoffnungslos unverdrossen mit Technik gleichgesetzt oder verwechselt.

High-Tech ist schlicht nichts anderes als die allgemein übliche Technik von morgen. Als vor hundert Jahren Gottlieb Daimler und Carl Benz das Benzinauto erfanden, war das High-Tech. Gleiches gilt für die Erfindung der elektrischen Zündung des Anlassers oder des automatischen Getriebes. Im Laufe der Zeit werden diese Erfindungen zu einer Alltäglichkeit Selbstverständlichkeit. Mit High-Tech hat das alles nichts mehr zu tun. Also ist die Hoch-Technologie gar nichts Besonderes, für dessen Darbietung mit öffentlichen Geldern große Zentren eingerichtet und alte Industriellen-Villen wie das Haus von August Thyssen in Mülheim/Ruhr geräumt werden.

Das ändert nichts an der Tatsache, daß die Forschung und Entwicklung von High-Tech auf einigen Gebieten heute irrsinnig teuer wird, daß nur noch ganz große finanzkräftige Konzerne oder reiche Staaten, beziehungsweise Diktaturen sie sich leisten können. Man denke nur an die Raumfahrt oder die Raketentechnik. Ob die Menschen davon wirklich jene Vorteile haben, die einige Politiker immer so gerne anpreisen, sei dahingestellt. Wer in den übervölkerten Regionen dieser Erde kaum das tägliche Brot findet, wer gar hungern oder verhungern muß, wird zweifellos anderer Meinung sein. Die Menschheit jedenfalls wird eher von dem ganz normalen technisch-wissenschaftlichen Fortschritt weitergebracht, der sich nicht einer High-Tech rühmt und der dafür auch keine Milliarden-Gelder kassiert.

Süddeutsche Zeitung, 19.Oktober 1985