Ein Marktsegment wird auf unsensible Weise vergrault

10.07.1992

Anke Höbelmann, Studentin der Betriebwirtschaft, Göttingen

Alle sprechen von Kundenorientierung, die Computerbranche macht da keine Ausnahme. Indes scheint in dieser schlauen Branche kaum einer das Marketing-Schlagwort wirklich verstanden zu haben.

Beispiele dafür sind die zahlreichen Prospekte der unterschiedlichen Drei-Buchstaben-Riesen, die potentielle Kunden ohne Produktkenntnisse informieren sollen.

Die armen Neugierigen werden mit Schlagworten, technischen Details und Abkürzungen erschlagen. Woher soll der schlichte homo noncomputerus zum Beispiel im Zuge des Booms der RISC-Architektur wissen, ob es sich dabei um eine besonders gefährliche und risikobehaftete Maschine oder lediglich um eine Zentraleinheit mit reduziertem Instruktionensatz handelt?

Die Kundenorientierung bleibt auf der Strecke. Prospekte, die das Vorwissen eines Branchenprofis voraussetzen, stiften nur Verwirrung.

In jeder Ecke hört der branchenkundige Anwender von Migration, das scheint in diesem Jahr neben Steghosen wirklich der Renner zu sein. Die Vielfalt der Bedeutungen von Migration ist grenzenlos: Sie reicht vom Vogelzug über die Völkerwanderung bis hin zur ausgelagerten Datensicherung. Dabei handelt es sich, lieber Leser, eben nicht um die Hunnenwanderung, sondern um eine Bewegung von Anwendungen von einem Rechnersystem auf ein anderes, dem Trend folgend auf ein offenes System. Und in diesem Zusammenhang stellt sich dann wiederum die Frage, was ist eigentlich ein offenes System?

Wer hat sich nicht schon ein mal von einem neunmalklugen angeblichen Berater, der eher jede nur erdenkliche Detailinformation abspult, als wirklich zu beraten, wie ein dummer Junge behandelt gefühlt. Die Fachausdrücke prasseln gnadenlos auf den Klienten nieder. Sprechen doch Mann und Maus von Applikationen. Daß sich hinter diesem Begriff banalerweise eine einfache Anwendung verbirgt, könnte doch schon Licht in das Dunkel unseres geschätzten potentiellen Anwenders bringen.

Zur Zeit erscheint am Himmel der Fachwelt immer häufiger der Begriff des Client-Server-Konzeptes. Folgt man dem englisch-deutschen Wörterbuch, so landet man mit einem Servierbrett für den Klienten in der sprachlichen Sackgasse. Wir bitten um Aufklärung!

Die Basis für das Client-Server-Konzept bildet die verteilte Datenverarbeitung, die es ermöglicht, rechenintensive Operationen, zum Beispiel Grafikanwendungen oder Simulationen, zur Entlastung des Hauptrechners auszulagern. Über das Netz erfolgt eine Trennung von der Rechenleistung auf dem Server (dem Datenbutler) und der Ergebnisdarstellung auf der Arbeitsstation. Soweit die Erleuchtung in Sachen Client-Server !

Auch die sogenannten MIPS fliegen einem nur so um die Ohren; wer nicht weiß, daß es sich lediglich um das Maß für die Verarbeitungsgeschwindigkeit einer DV Anlage handelt, das angibt, wie schnell die CPU (Entschuldigung, die Zentraleinheit) Instruktionen verarbeiten kann, würde vielleicht annehmen, daß es sich um ein neues Kaubonbon oder gar ein Waschmittel handelt.

Auch die einschlägigen Printmedien tragen bei dem weit verbreiteten DBW, dem Dreibuchstabenwahn, zur allgemeinen Verwirrung kräftig bei, so daß eigentlich in jede Ausgabe der geballten Informationen ein Abkürzungsverzeichnis gehören würde

So zeigt sich jeden Tag aufs neue, wie in dieser Branche überhaupt keine Rücksicht auf denjenigen Anwender genommen wird, der noch kein eingefleischter homo computerus ist. Die DV-Marketing-Leute scheinen immer noch nicht gelernt zu haben, mit den Augen des Kunden zu sehen und aus dessen speziellem Blickwinkel Nutzen zu ziehen. Nach dem Motto: "Ein Ei wie das andere" gibt sich jeder Anbieter von dem hohen technischen Standard seines Produktes überzeugt.

In diesem Technologie-Urwald sucht der Kunde dann nach irgendeinem Sahnehäubchen der DB-(Dreibuchstaben) Technologie, und wenn es der biologisch abbaubare PC oder das Notebook für den Raucher Ist Oder handelt es sich dabei wieder einmal um ein sprachliches Mißverständnis? Hieß es nicht ganz deutlich im Prospekt, "mit Anschluß für Zigarettenanzünder". Warum muß man sich auslachen lassen, wenn man nun auch noch folgert, daß ein zusätzlicher Aschenbecher vielleicht einen echten Zusatznutzen in die Marketing-Sauce bringen würde. Daß ein Notebook ein portabler PC im Notizblockformat für unterwegs sein soll, dürfte auch dem unwissendsten Anwender einleuchten. Den Anschluß für einen Zigarettenanzünder als Netzanschluß im Auto zu interpretieren, wäre für unseren homo noncomputerus eine Meisterleistung.

Diese Mißverständnisse zeigen, wie wenig die Branchenspezialisten die Nöte der Nicht-Insider kennen und würdigen Bietet der Markt langfristig noch ein so hohes Absatzpotential wie bisher, daß man es sich leisten kann, dieses Marktsegment auf unsensible Weise zu vergraulen?