Wissens-Management/Wissen ist die wichtigste Ressource

Ein hohes Ziel: die lernende Organisation

23.08.2002
Warum beginnt Knowledge-Management (KM) gerade jetzt wieder, ein Topmanagement-Thema zu werden? Die Verantwortlichen wollen die Positionierung ihrer Unternehmen in der Wertschöpfungskette und damit im Wettbewerb genau eruieren. Dabei helfen KM-Tools. Diese Erkenntnis beginnt sich durchzusetzten. Von Hans-Peter Erl*

In den vergangenen Jahren hat sich die Struktur vieler Industrien dramatisch verändert. Eine Vielzahl von Unternehmen wurde akquiriert oder ist Fusionen mit Konkurrenten eingegangen. Firmen waren gezwungen, ihr Geschäftsmodell und ihre Positionierung in der Wertschöpfungskette zu überdenken. Die Globalisierung der Wertschöpfung war und bleibt die aktuelle Kernherausforderung für Unternehmen.

Rasante Veränderungen in Informations- und Kommunikationstechnologien betreffen alle Unternehmen und Industrien. Noch nie existierte gleichzeitig eine solche Vielzahl von Produktvarianten, noch nie waren Kunden schneller und umfangreicher informiert über aktuelle Angebote, und noch nie waren effiziente interne Prozesse sowie die enge zeitnahe Kooperation mit Partnern und Lieferanten für Unternehmen wichtiger.

Um am Markt Wettbewerbsvorteile erzielen zu können, müssen Unternehmen

- Kunden überzeugen, dass durch die angebotenen Produkte ein Mehrwert für ihr Unternehmen entsteht,

- neue Produktionsverfahren einführen sowie optimierte Prozesse und Methoden weltweit adaptieren,

- Leistungen, die nicht der Kernkompetenz entsprechen, in enger Koordination mit Drittunternehmen und Technologiepartnern outsourcen,

- Forschungs- und Entwicklungs-Partnerschaften unter Einsatz von Collaboration-Plattformen intensivieren sowie

- Angebote von innovativen Dienstleistungen über neue Vertriebskanäle realisieren.

Der steigende Wettbewerbsdruck hinsichtlich immer kürzerer Time-to-Market-Zyklen und ein immer schneller zunehmendes Informationsvolumen erfordert ein Umdenken vom "Was wissen wir?" zum "Können wir jetzt nutzen, was wir bereits wissen?" Darüber hinaus ist eine zunehmende Fragmentierung beziehungsweise Spezialisierung des Wissens zu beobachten, was angesichts der technologischen Entwicklungen die Halbwertszeit von Wissen reduziert.

Der Motor für diese Innovationen ist Wissen, das Werkzeug dazu ist Wissens-Management. Durch zielorientiertes Management des Produktionsfaktors Wissen wird Nutzen auf drei Ebenen generiert:

Ebene 1: Die Mitarbeiter des Unternehmens müssen schnellen und direkten Zugang zu fachlichen Problemlösungen erhalten sowie Erleichterung bei der täglichen Arbeit durch praktische Hilfestellungen und Werkzeuge erfahren. Neue Ideen werden durch den entstehenden Wissensaustausch gefördert.

Ebene 2: Das Unternehmen kann durch die gezielte Aufbereitung von Inhalten wie beispielsweise durch Teilen von Erfahrungsberichten sowie schnelle Adaption von Wissen seine Wettbewerbsfähigkeit steigern. Insbesondere in Projekten mit einer Vielzahl von Geschäftspartnern und Kunden lassen sich sowohl die Qualität der Zusammenarbeit verbessern als auch die Reaktionszeit verringern.

Ebene 3: In der Beziehung zu Zulieferern und Kunden können Prozesse durch aktuelle und zeitnah benötigte Ausschreibungs- und Projektunterlagen und deren Austausch über Collaboration-Plattformen erheblich beschleunigt werden.

Bei der Einführung von Wissens-Management sind fünf unterschiedliche Dimensionen zu berücksichtigen, die häufig in KM-Projekten zugrunde gelegt werden:

1. Es gilt zu definieren, welche Inhalte eine Wissens-Management-Strategie aufweist und wie diese als Teil der Unternehmensstrategie verstanden wird.

2. Es muss erarbeitet werden, welcher Inhalt (Content) strategisch und operativ relevant ist und wie dieser empfängerorientiert zu strukturieren und aufzubereiten ist.

3. Es gilt zu bestimmen, wie Prozesse und Rollen zum Generieren, Klassifizieren, Verteilen und Nutzen von Wissen aussehen sollen.

4. Eine Kultur zur Nutzung von Inhalten und Wissen muss geschaffen werden. Barrieren zur Bereitstellung von Wissen gilt es zu überwinden; die Bereitschaft zum gemeinsamen Nutzen von Wissen muss das Unternehmen durch Anreize unterstützen.

5. Es ist zu erarbeiten, welche leicht bedienbaren und integrationsfähigen IT-Plattformen zur technischen Umsetzung des Knowledge-Managements eingeführt werden müssen.

Die KM-Strategie muss zu den Zielen und Strategien des Unternehmens oder des Geschäftsbereichs konsistent sein. Unternehmensziele und Anforderungen an das Geschäftssystem müssen bekannt sein; klare Vorstellungen, wie Wissen-Management hierbei unterstützen kann, sollten bestehen oder entwickelt werden.

Darüber hinaus ist erforderlich, dass die Mitarbeiter diese Strategie verinnerlicht haben; notwendig ist nicht nur Konsens, sondern eine klare Befürwortung durch das Topmanagement. Hierzu ist es notwendig, gemeinsam ein klares Zielszenario für das Unternehmen zu entwickeln sowie den Weg dorthin zu eruieren.

Der "Content" - der Inhalt - ist das Herzstück des Wissens-Managements. Wissen kann nach Inhaltsgruppen zusammengefasst und nach Nutzen beziehungsweise Beitrag zur Wertschöpfung sowie Risiko und Kosten grob beurteilt und priorisiert werden.

Der CIO spielt eine Hauptrolle

Weiterhin muss eine unternehmensweit gültige Wissensstruktur - das Skelett des Wissens-Managements - zur Ablage von relevantem Wissen aufgebaut werden. Die Struktur wird anhand möglicher Wissens-Cluster erarbeitet, beispielsweise

- Märkte (Beispiel: Wie entwickelt sich der Markt für Kabelbetreiber in Großbritannien?),

- Produkte (Beispiel: Welche Produkte werden zu welchen Konditionen in der Vertriebsregion Südwesteuropa angeboten?),

- Projekte (Beispiel: Welches Projektportfolio kann durch welche Abteilung abgedeckt werden?),

- Wettbewerber (Beispiel: Auf Basis welcher Technologie vertreiben Konkurrenten Produkte und Dienstleistungen?),

- Prozesse des Unternehmens (Beispiel: Wer ist zuständig für die Passwortvergabe von Online-Spesenabrechnungen?) sowie

- interne und externe Know-how-Träger (Beispiel: Wer verfügt über Kenntnisse über die aktuelle Technologie Imode?).

Nur durch optimal definierte Prozesse hinsichtlich Generierung, Kodifizierung, Bewertung und Nutzung von Wissen sowie durch eine dafür verantwortliche Organisation des Wissens-Managements kann Wissen effektiv zum Optimieren der Leistung eingesetzt werden.

Dem Global Information Officer, der oft eine Querschnittsfunktion ausübt, fällt hier die Hauptrolle zu, da er nicht nur für die kontinuierliche Umsetzung des Wissens-Managements verantwortlich ist, sondern es federführend konzeptionell weiterentwickelt.

Weiterhin werden in den Fachabteilungen regionale Wissens-Manager etabliert, die als erste Anlaufstelle in den einzelnen Geschäftsbereichen beziehungsweise Abteilungen dienen. In diesem Gremium werden Entscheidungen über die fachliche und technische Weiterentwicklung der KM-Plattform getroffen.

Prinzipien des Gebens und Nehmens

Der Web-Master ist für Bereitstellung, Aufbau und Betrieb der Wissens-Management-Plattform sowie für den Entwurf von Vorlage-Objekten, den Templates, und Workflows zuständig.

Eine Kultur für Wissens-Management muss auf klaren Prinzipien des Gebens und Nehmens aufbauen. Hierbei haben alle Mitarbeiter das Recht, auf Ressourcen im Intranet und Internet zuzugreifen, und gleichzeitig die Pflicht, ihre Erfahrungen und ihr Wissen zur Verfügung zu stellen. Eine Bedingung für erfolgreiche Lern- und Wissensprozesse ist die Analyse und - wenn nötig - Anpassung der Unternehmenskultur. Als Kernfrage stellt sich dabei immer wieder, wie kontraproduktives Verhalten überwunden werden kann. Ein "Wissen-ist- Macht"-Gebaren kann durch geeignete Incentivierungs-Maßnahmen in eine kooperative Haltung gewandelt werden.

IT-Plattformen und -Infrastruktur müssen Inhalt, Kontext, Prozesse und Kultur miteinander verknüpfen. Ein besonders kritischer Erfolgsfaktor beim Einsatz von IT-Werkzeugen ist die Benutzerfreundlichkeit der Lösung, denn nur einfach und intuitiv bedienbare Systeme werden langfristig durch die Anwender genutzt.

Die IT-Systemplattform zur Realisierung von Knowledge-Management muss sich flexibel in vorhandene IT-Strukturen und Datenbanken integrieren lassen. Dadurch erhält der Anwender einfache Zugriffsmöglichkeiten auf das unternehmensweite Wissen. Wichtige Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der Inhalt nach vorher definierten Metadaten und Kategorien eingeordnet werden kann, die im Rahmen eines KM-Projektes erarbeitet werden.

Häufig basiert die Einführung von systemgestütztem Wissens-Management auf einem vierphasigen Vorgehensmodell.

Phase 1: Entwicklung einer Wissens-Management-Vision: Ziel dieser Phase ist die Entwicklung eines Idealzustands - einer Vision - bezüglich des Wissens-Managements. Das Visioning ermöglicht eine von der Ist-Situation losgelöste Betrachtung der Thematik und fördert so die Kreativität für das Aufzeigen von Gestaltungsoptionen. Dieser Ansatz nennt sich "ambition driven" im Gegensatz zu den klassischen Methoden ("condition driven"), in denen alle Rahmenbedingungen von Anfang an berücksichtigt werden. Als Ergebnis des Visioning entsteht eine "Wunschliste", die als geistige Leitlinie für spätere Phasen im Projekt fungiert.

Phase 2: Ist-Aufnahme und Anforderungsanalyse: Hier geht es darum, den Ist-Zustand des Wissens-Managements aufzunehmen sowie die Anforderungen einzelner Zielgruppen an eine künftige Wissens-Management-Plattform zu erheben. Darüber hinaus werden bestehende KM-Prozesse, aufbauorganisatorische Strukturen, kulturelle Faktoren sowie die Dimension Informationstechnologie systematisch und Tool-gestützt analysiert. Das Ergebnis dieses Audits fließt unmittelbar in die nächste, die Designphase, ein.

Phase 3: Design: Ziel dieser Phase ist die Festlegung des Soll-Zustands für das Wissens-Management. Zur Ableitung eines realisierbaren Soll-Zustandes werden Vision und Ist-Zustand zu einem "realistischen Soll" zusammmengeführt. Zielgruppenorientiert legen im Rahmen von Workshops Experten und Projektmitarbeiter die Wissens-Cluster sowie zugehörige Metadaten fest. Nach Erarbeitung einer Long-List erfolgt die detaillierte Auswahl der KM-Systeme und ihrer Produktlieferanten, wobei in der Regel zwei bis drei Anbieter auf der Shortlist einer umfassenden Bewertung anhand eines definierten Kriterienkataloges unterzogen werden.

Die Aktivitäten dieser Phase münden schließlich in einen Migrationsplan, der den Übergang von der bestehenden zur neuen Systemlandschaft umreißt.

Phase 4: Implementierungsplanung und Implementierung: In der Implementierungsplanung wird der Migrationspfad - also der konkrete Weg zur Zielerreichung in den einzelnen Projekten - festgelegt. Die notwendigen Arbeitspakete werden identifiziert, die Reihenfolge der Abarbeitung sowie die Zeitplanung bestimmt und die Auswahl der Projektbeteiligten getroffen. Im Rahmen der Implementierung wird der Startschuss für das operative Wissens-Management erteilt. Eine erfolgreiche Einführung kann erfahrungsgemäß nur durch den iterativen Aufbau der Zielarchitektur und den sukzessiven Aufbau von Wissensinhalten erzielt werden.

Erfolgsfaktoren aus KM-Projekten

Die spezifische Ausprägung eines KM-Projekts ist abhängig vom Unternehmen, seiner Kultur, den spezifischen Notwendigkeiten und Prioritäten und sollte auf jeden Fall alle fünf Dimensionen gleichzeitig angehen. Aus KM-Projekten ergibt sich eine Reihe von "Lessons Learned": Die Einführung von Knowledge-Management in Technologie-Unternehmen stellt auf Grund der Entwicklung der Branche eine komplexe Herausforderung dar. Der Dynamik des Markts hinsichtlich immer kürzerer Innovationszyklen und somit häufig kurzfristig zu treffender Entscheidungen auf Grundlage einer limitierten Wissensbasis ist oft eine Gratwanderung. Die Initiierung eines umfassenden Wissens-Managements kann nur durch eine ganzheitliche strukturierte Methodik begleitet werden. Derartige Projekte müssen sich über eine definierte Strategie und zugehörige Prozesse in die Unternehmenskultur integrieren. Eine lernende Organisation zu etablieren, die sich adaptiv an der Dynamik des Marktes orientiert, stellt somit ein ambitioniertes Ziel für Unternehmen dar. (bi)

*Hans-Peter Erl ist Manager im Practice Performance Improvement bei Arthur D. Little in München.

Grundlagen

- Die KM-Strategie mit der Unternehmensstrategie konsistent halten.

- Die Inhalte des KM-Systems empfängerorientiert strukturieren und aufbereiten.

- Die Prozesse und Rollen beim Wissens-Management bestimmen.

- Eine Kultur zur Nutzung von Inhalten des KM-Systems schaffen.

- Barrieren beim Bereitstellen von Wissen überwinden.

- Mit Anreizen Bereitschaft zur Unterstützung von Wissens-Management schaffen.

Abb.1: Dimensionen von Wissens-Management

Bei der Einführung von Wissens-Management sind fünf Dimensionen zu berücksichtigen: Strategie, Content, Kultur, Prozesse und Technologien. Quelle: ADL

Abb.2: Fragen und Antworten in KM-Projekten

Typische Fragestellungen und "Lessons Learned" bei der Einführung eines systemgestützten Wissens-Managements. Quelle: ADL

Abb.3: Vorgehensmodell zur Einführung von KM

Das Vorgehensmodell zur Einführung von systemgestütztem Wissens-Management integriert die "Dimensionen von Wissens-Management" in einem iterativen Prozess. Quelle: ADL