IBM bekämpft mit Preissenkungen den Herausforderer Amdahl:

Ein frecher Zwerg lebt gefährlich

22.04.1977

Es war einmal ein Zwerg, der von einem Riesen abstammte. Und dieser Zwerg ärgerte seinen Vater, wo er konnte. Er zupfte und rupfte ihn, bis es dem Riesen schließlich zu bunt wurde. Er schlug zurück. So kann man in der schlichten Form der Märchenerzähler die nüchterne Meldung des Computergiganten IBM kommentieren, daß ein neuer, leistungsfähigerer und billigerer Großrechner auf den Markt kommen wird und daß gleichzeitig die Preise der laufenden Serie in der Bundesrepublik bis zu 20, in den USA bis zu 30 Prozent gesenkt werden.

Der Riese: IBM mit einem Jahresumsatz von über 16 Milliarden Dollar und einer phantastischen Gewinnquote von 14,7 Prozent vom Umsatz. Seit der Erfindung der elektronischen Rechner hat der in Armonk (New York) beheimatete Konzern mindestens jeden zweiten in aller Welt installierten Computer geliefert.

Der Zwerg: Die Amdahl Corp. in Sunnyvale (Kalifornien) mit einem Jahresumsatz von 93 Millionen Dollar, von denen letztes Jahr knapp 12 Millionen Dollar Gewinn blieben. Das Unternehmen hat bisher 37 Großrechner ausgeliefert. 1970 schied Gene M. Amdahl, der heute 54 Jahre alt ist, bei IBM aus, wo er die Abteilung "Fortgeschrittene Computer-Systeme" geleitet hatte. Er gilt als der Vater der berühmten Computer-"Familie" 360, mit der IBM þder Datenverarbeitung weltweit zum Durchbruch verholfen hat.

In seiner neuen Firma entwickelte er einen Größtcomputer, der dank moderner Halbleitertechnik mindestens 50 Prozent schneller ist als vergleichbare Konkurrenzprodukte. Mit einem Kaufpreis von 4,5 Millionen Dollar wurde er zudem bisher billiger angeboten. Dabei sparte sich Amdahl die Zeit und die Mühe, eigene Betriebssysteme (software) und Peripheriegeräte zu entwickeln; den Kunden wird empfohlen, sich diese von IBM zu besorgen.

Ein Sprecher des auf Computerberatung spezialisierten Unternehmens John Diebold meinte denn auch, der Amdahl-Rechner sei "sozusagen ein nackter Jumbo mit Dressuranweisungen von IBM". Und Eugene R. White, Präsident der Amdahl Corp., rühmte jüngst,- daß dieses Konzept dem Unternehmen zu bemerkenswerten Anfangserfolgen überwiegend im Kundenkreis des Computer-Giganten verholfen hat. "Mit einem Handgriff kann unser Großrechner direkt an IBM/Betriebssysteme, -Programme und -Peripheriegeräte angeschlossen werden." Im EDV-Jargon spricht man da von einem "plug-compatible-manufacturer", einem Hersteller, dessen Produkte per Steckdose mit denen eines Produzenten zusammengeschaltet werden können.

Um den Konkurrenzkampf mit IBM bestehen zu können, suchte Amdahl Mitkämpfer. Er fand den Japanischen Elektronikkonzern Fujitsu, der sich mit 29 Prozent beteiligte und inzwischen auch eigene Betriebssysteme für Amdahl-Rechner entwickelt hat. Neben der amerikanischen Venture Capital-Gruppe Edgar F. Heizer (24 Prozent Beteiligung) ist mit fünf Prozent auch der Deutsche Heinz Nixdorf dabei, selbst ein Senkrechtstarter der Computerbranche und mit seinem Paderborner Unternehmen Konkurrent von IBM.

Eine Absage erhielt Amdahl allerdings aus München. Zwar diskutierten zwei Siemens-Manager das Thema mit ihrem langjährigen - Partner Fujitsu, doch war dem größten deutschen Computerbauer das Amdahl-Konzept nicht geheuer. Im Hause Siemens hat man eine Abneigung gegen das "Nassauern" des Amerikaners bei IBM. "So ein Geschäft möchte ich nicht machen", sagt Anton Peisl, der neue Computerboß bei Siemens. "Das geht gegen die Geschäftsprinzipien unseres Hauses."

Im diesem Jahr will Amdahl, der inzwischen in München auch eine Tochtergesellschaft (Amdahl Deutschland GmbH) etabliert hat, nun weltweit monatlich drei bis vier Systeme installieren. Bis zum zweiten Halbjahr sollen zudem die Kapazität erweitert und ein neues, noch stärkeres Modell gebaut werden.

Auch damit zielt der IBM-Emigrant wieder auf Großkunden, die bislang Großcomputer des Giganten benutzen. "Uns interessiert nur der Wettbewerb mit IBM", sagt White. Aber man will sich auch auf Großcomputer konzentrieren und "keine Mini-IBM" mit breiter Produktpalette sein. In der Bundesrepublik hat Amdahl inzwischen zwei bedeutende Referenzobjekte: Im Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching bei München und bei der Deutschen Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt in Oberpfaffenhofen stehen Amdahl-Jumbos und rechnen mit IBM-Betriebssystemen.

In Wallstreet, dem Finanzzentrum von New York, hatte man seit langem mit einem Gegenschlag, nämlich mit Preissenkungen bei IBM, gerechnet. Die Sensation besteht in dem Ausmaß der Preissenkung", meinte jetzt der Sprecher einer Investmentfirma. In New York, so berichtet "Zeit"-Korrespondent Jes Rau, deutet man die gewaltige Preisreduzierung bei IBM dahingehend, daß der Konzern jetzt damit rechnet, aus der gegen ihn laufenden Prozeßserie unversehrt hervorzugehen. Mehrere Konkurrenzfirmen haben gegen IBM ein Antitrustverfahren eingeleitet; und das amerikanische Justizministerium hat bei einem Bundesgericht in New York eine Klage erhoben, die auf die Zerschlagung des Konzerns abzielt.

Amerikanische Finanzexperten meinen, daß den IBM-Managern ein Rückgang der Gewinne durch die Preissenkung gelegen komme. Angesichts der Kartellklagen müsse ihnen die Gewinnflut fast schon peinlich sein. Andererseits hatten bisher unter dem von IBM hochgehaltenen Preisschirm auch die "Zwerge" im Computergeschäft prosperieren können. Nun werden auch sie - Sperry Rand, Burroughs, Honeywell oder auch NCR - ihre Preise senken müssen und damit ihre Gewinnchancen mindern. Nur Control Data, wie Amdahl auf Computer-Jumbos spezialisiert - ihr neuestes Modell Cyber 176 hat doppelt so viel Kapazität wie das neue IBM-Modell 303 -, bleibt fast außerhalb der Konkurrenz.

Der neue IBM-Großrechner mit der Typenbezeichnung 3033 soll in England gebaut und vom zweiten Quartal 1978 an ausgeliefert werden. Die Leistung dieses Rechners, der noch keineswegs zu dem mit Spannung erwarteten "Zukunftssystem" gehört, sondern zur "Familie" 370 zu zählen ist, soll um 60 bis 80 Prozent höher liegen als die des heutigen IBM-Spitzenmodells 370/168. Mit 9,5 Millionen Mark liegt der Preis zudem unter dem des Amdahl-Rechners (elf Millionen Mark). Das Ziel der Preisstrategie ist klar.

Mit einem Trick sucht IBM zudem Amdahl auszumanövrieren. Für das neue Modell werden ausgesprochen günstige Mietkonditionen geboten. Bei einem Vierjahresvertrag muß der Kunde monatlich nur ein Sechsundvierzigstel des Kaufpreises auf den Tisch legen; bei dem alten Spitzenmodell machte die Monatsmiete ein Siebenunddreißigstel des Kaufpreises aus.

Außerdem wurde für das neue System ein zusätzliches Betriebssystem entwickelt, das die Rechenvorgänge nochmals um schätzungsweise 20 Prozent beschleunigt und - so hat es jedenfalls den Anschein - nur den Kunden des Typs 3033 zur Verfügung stehen soll.

Das ist eindeutig gegen Amdahl und andere "Steckdosen-Anschluß-Hersteller" gerichtet. Amdahl reagierte schnell: Anfang der Woche kündigte das Unternehmen einen weiteren Mammutcomputer an, der bei einem Kaufpreis von 3,63 Millionen Dollar - also wieder billiger als IBM - eine größere Speicherkapazität habe als die neue IBM 3033 und 1,5- bis 1,7mal so schnell wie die bisherigen Amdahl-Computer sei.

Mit freundlicher Genehmigung des Autors haben wir diesen in der "Zeit" erschienenen Beitrag übernommen.

* Dr. Hermann Bößenecker ist Autor der "Zeit".