Neues Kommunikationssystem löst X.25-Struktur ab

Ein Frame-Relay-Netz hilft der KKH die IT-Kosten senken

26.02.1999
Die Wiedervereinigung Deutschlands brachte der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) in Hannover mehr als 400000 neue Mitglieder. Dieser Zuwachs blieb nicht ohne Folgen: Da die Anforderungen an die organisatorischen und technischen Netzwerkstrukturen der Versicherung enorm stiegen, entschied sich die KKH für den Umstieg von ihrer bestehenden X.25-Struktur auf ein Frame-Relay-Router-Netz. Wie Gabi Visintin in ihrem Beitrag schildert, wirkte sich der Wechsel positiv auf die IT-Kosten aus.

Bei rund 2,3 Millionen Versicherten, die von gut viereinhalbtausend Mitarbeitern betreut werden, muß die KKH laut Klaus Breker, IT-Bereichsleiter bei der Assekuranz, jeden Tag rund 1,7 Millionen Transaktionen durchführen. Der Fall der Mauer und die damit verbundene Marktöffnung in die neuen Bundesländer drängten das KKH-Management zu einer grundsätzlichen Überlegung: Sollte die alte Geschäftsstellenstruktur einfach ausgedehntwerden, oder war ein kompletter Umbau vonnöten?

Das Unternehmen entschied sich schließlich dazu, in Ostdeutschland von Anfang an mit einer anderen Aufbauorganisation der Niederlassungen zu starten. Bei der Entwicklung einer neuen Organisationsstrategie verfolgten die Verantwortlichen das Ziel,das Geschäftsvolumen auf wesentlich weniger Standorte als bisher zu konzentrieren, um somit die Effizienz der Verwaltungsprozesse zu erhöhen. Die Verlagerung der Sachbearbeitung von den einzelnenGeschäftsstellen vor Ort in die neugeschaffenen Back-Office-Bereiche der Regionalgeschäftsstellen stellte eine Maßnahme in diesem Zusammenhang dar. Nach der Erprobungsphase im Osten Deutschlands strukturierten die Verantwortlichen der Versicherung ihre gesamte Organisation um: Heute nehmen die 470 kleineren Geschäftsstellen, die über die gesamte Bundesrepublik verstreut sind, nur noch Vertriebs- und Service-Aufgaben wahr. Für die Bearbeitung der Versicherungsfälle sind die 49 Regionalgeschäftsstellen im gesamten Bundesgebiet zuständig.

Die organisatorische Veränderung schlug auch auf die Technik durch: Angesichts der neuen Datenverteilungssituation des Unternehmens stellte sich die Frage, wie bei Weitverkehrsübertragungen Kosten eingespart werden könnten. Bereits 1992 hatte die KKH die Betreuung des WAN-Bereichs (und somit die Kommunikation zwischen den damals rund 500 Geschäftsstellen und der Hauptverwaltung) in die Hände des Outsourcing-Partners Debis Systemhaus gelegt, der ein X.25-Corporate-Network installierte.

Das kontinuierlich wachsende Datenvolumen zeigte jedoch schon bald die Grenzen dieser Lösung auf. Debis-Projektleiter Joachim Wolf erläutert: "Ein Upgrade der Leitungsgeschwindigkeit wäre am einfachsten gewesen - damit wären jedoch die Übertragungskosten beim volumenabhängigen X.25-Dienst immer weiter gestiegen." Das Debis-Team schlug deshalb vor, das Dilemma mit einem bandbreitenabhängigen Frame-Relay-Router-Netz zu lösen. Carl-Heinz Jakob, Leiter Service-Management des Stuttgarter Dienstleisters, bezeichnet diese Technik als "die logische Konsequenz für die Migration von X.25-Netzwerken".

Zwar schlägt die Installation eines Router-Netzes mit höheren Fixkosten zu Buche, diese fallen jedoch ab einer gewissen Menge der zu übertragenden Daten nicht mehr ins Gewicht. Frame Relay ist somit unterm Strich günstiger als X.25. Als weitere Vorteile der Datenübertragung über ein Frame-Relay-Netzwerk führt Wolf die flexibleren Bandbreiten des Dienstes an. So kommt man seiner Meinung nach durch die Nutzung der 64-Kbit/s-Technik im Access-Bereich in den Genuß einer wesentlich besseren Performance. Für den benötigten Datendurchsatz wiederum ist es möglich, die niedrigere, den tatsächlichen Erfordernissen des Kunden entsprechende Bandbreite - etwa 32 Kbit - auszuwählen und somit auch weniger zu bezahlen. Zudem seien innerhalb des technischen Levels - im KKH-Fall bis zu 64 Kbit/s Zugangsrate - Upgrades auf höhere Bandbreiten besonders schnell zu realisieren: "Ein höherer Datendurchsatz wird praktisch per Software eingestellt", erläutert der Projektleiter.

Das sechsköpfige Projektteam aus KKH- und Debis-Mitarbeitern, das sich 1996 mit dem Ziel einer kostengünstigen Netzkonzeption zusammensetzte, notierte außerdem: "Das Frame-Relay-Protokoll ist das zur Zeit geeignete WAN-Protokoll zur Übertragung unterschiedlicher LAN-Protokolle." Schließlich ging es den IT-Strategen nicht nur um Kostenersparnisse: Die neue Infrastruktur sollte gleichzeitig den Weg für zukünftige neue computerunterstützte und vernetzte Anwendungen in Local Area Networks (LANs) ebnen. "Andere Netzlösungen kamen praktisch nichtin Betracht", winkt Jakob auf die Frage nach Alternativen ab. ATM stand zum damaligen Entscheidungszeitpunkt noch nicht zur Verfügung, bei annähernd zwei Millionen Transaktionen war das zeitabhängige ISDN uninteressant. Die gemeinsam erarbeitete Netzkonzeption sah folgendermaßen aus: Die in allen Geschäftsstellen geplanten LANs sind über das FR-Router-Netz mit dem Host-Rechner in der Hauptverwaltung in Hannover und dem Front-end "IBM 3745" mit Token-Ring-Interface verbunden. Diese "remoten" LANs, in denen PCs sowie "3270"-Terminals über "IBM 3174"-Cluster-Controller agieren, erscheinen im Netzwerk-Management der KKH genauso wie lokale Geräte und Token Ring innerhalb der Hauptverwaltung in Hannover.

Nach der Prüfung verschiedener ausgewählter KKH-Datenverbindungen kristallisierte sich rasch heraus, daß Anfang 1997 auf Anhieb neun Regionalgeschäftsstellen den Kosten-Nutzen-Schwellenwert eines Frame-Relay-Netzes erreicht hatten und umgestellt werden konnten. Die weniger ausgelasteten Datenstrecken der anderen Back-Office-Einheiten sollten noch so lange das X.25-Protokoll benutzen, bis auch sie in den kostengünstigen FR-Netzbereich kommen würden.

Als die wichtigsten Rahmenbedingungen der KKH für das Umstellungsprojekt auf ein Router-Netz formulierte das Projektteam: Die Umstellung durfte keine Online-Unterbrechung zwischen 9 und 15 Uhr zur Folge haben, und das Backup-Zentrum, das über ISDN automatisch bei einem Notfall angewählt wird, sollte ohne Funktionalitätsverlust angebunden werden. Die langfristigen Erwartungen an das Router-Netz zielten - neben den Kostenersparnissen - auf den Online-Benutzerkomfort: Sowohl die Verfügbarkeit der Anschlüsse sollte auf 99 Prozent angehoben und die Antwortzeit sollte wesentlich verbessert werden.

Wolf: "Für uns Techniker bedeutete es, eine möglichst effiziente Umschaltmethodik zu entwickeln." Dem KKH-Piloten in Stuttgart -der ersten Phase des Projekts - kam deshalb eine besondere Bedeutung zu, denn hier wurden die Verfahrensschritte getestet, verbessert und so lange gefeilt, bis sie als "wasserdichte" standardisierte Prozeßbeschreibung für die Umstellung sämtlicher Regionalstellen dienen konnten. Hier entstand auch der anspruchsvolle Zeitrahmen, die Umrüstung des X.25-Netzes auf das FR-Router-Netz in den einzelnen Geschäftsstellen innerhalb von 20 Minuten zu erledigen.

Die notwendigen Vorarbeiten hatten Techniker der KKH und der IBM in den Geschäftsstellen bereits erledigt. So erhielten etwa die Steuereinheiten der IBM-Rechner einen Token-Ring-Adapter, außerdem installierten die Techniker einen Hub oder in kleineren Geschäftsstellen einen Ringverteiler. Am Tag X ging dann alles sehr schnell: Der Techniker, der seiner Arbeitsanweisung jeden Schritt entnehmen konnte, konfigurierte die IBM-Steuereinheit mit Hilfe einer präparierten Diskette um und installierte den ebenfalls vorkonfigurierten Router, dessen spezifische Parameter Debis-Experten bereits im Vorfeld ein- und auf die Probe gestellt hatten. Das Ganze geschah unter dem wachsamen Auge eines Netzfachmanns im Fellbacher Rechenzentrum von Debis Systemhaus, der aus der Ferne den gesamten Vorgang einsehen und steuern konnte. Stellte der Debis-Fachmann bei der Umstellung prinzipielle Fehler fest, die nicht per Fernsteuerung zu beheben waren, blies er die Aktion ab und setzte einen neuen Umstelltermin fest. Solche Abbrüche blieben aber die Ausnahme. "90 Prozent der Geschäftsstellen konnten in der vorgegebenen Zeit umgestellt werden", freut sich Projektleiter Wolf.

Große Pannen blieben aus

Vor Überraschungen schützt allerdings auch die detaillierteste Planung nicht. Als typische Schwierigkeit in der Realisationsphase nennt Netzprofi Wolf Broadcast-Probleme im Router-Netz. Wenn sich zum Beispiel im Praxisbetrieb herausstellt, daß eine Verbindung auffallend stark genutzt wird, kann dahinter eine besonders "kommunikative" PC-Gruppe stecken, die das Netz stärker als geplant belastet.

Nach einer neunmonatigen Projektrealisation, die insgesamt 80 "Manntage" forderte, war das Netz zwischen 49 Regionalgeschäftsstellen - Ende 1997 hatten fast alle Back-Offices den "Break-even" für ein Router-Netz erreicht - und derHauptverwaltung in Hannover geknüpft. Zufrieden stellt KKH-Mann Breker fest: Die Netzkosten sind - trotz gestiegenem Datenvolumen- um einen "signifikanten zweistelligen Prozentwert gefallen". Selbst während der Umstellungsphase sei es nur zu minimalen Verschlechterungen der Verfügbarkeit gekommen, heute liege dieser Wert bei den angestrebten 99 Prozent. "Die Investition hat sich bereits in vier Monaten amortisiert", bemerkt der IT-Manager stolz. Für die Mitarbeiter in den Geschäftsstellen hat sich in der täglichen Arbeit praktisch nichts verändert - außer der benutzungsfreundlichen höheren Verfügbarkeit und den wesentlich schnelleren Antwortzeiten. Breker: "Die durchschnittliche Antwortzeit hat sich von ehemals einer Sekunde auf eine Zahl zwischen 0,3 und 0,7 Sekunden eingependelt."

Diese erhöhte Reaktionsfähigkeit des Systems spielt für die weitere Entwicklung der KKH eine besondere Rolle. Breker schwebt etwa vor, die heute noch üblichen 3270-Terminals, auf die die Sachbearbeiter in den Geschäftsstellen zugreifen, bald durch intelligente Endgeräte zu ersetzen. Geplant wird in Hannover auch die standortinterne Vernetzung wie auch die Vermaschung des Weitverkehrsbereichs über ein Intranet.

Für die Zukunft fühlt sich Breker nach den bisherigen Erfahrungend es gemeinsamen Projekt-Managements gut gewappnet. Der dreistufige Plan - nach dem Pilotbetrieb wurden zuerst neun und anschließend die restlichen 39 Regionalgeschäftsstellen umgestellt - habe sich bewährt: "Im Pilotbetrieb kamen nicht nur die Routerfunktionalitätund die Performance auf den Prüfstand, sondern auch die Kooperationsfähigkeit aller Beteiligten." Dazu zählten neben den Debis- und KKH-Fachleuten auch die Router-Spezialisten von Cisco sowie IBM-Techniker, die für die Umrüstung der Steuereinheit geradestehen mußten. Breker: "Mit dem Netz haben wir eine dauerhafte und flexible Infrastruktur gelegt, jetzt können wir nach und nach weitere Anwendungspotentiale erschließen..

KKH-Fakten

Mit rund 2,3 Millionen Versicherten einschließlich der anspruchsberechtigten Familienangehörigen zählt die KKH zu den größten der mehr als 600 Krankenkassen in Deutschland. Mehr als 500 hauptamtliche Niederlassungen sowie 3000 ehrenamtlich geführte Außenstellen sind Anlaufstelle für die Versicherten. Acht Landesverwaltungen und 49 Regionalgeschäftsstellen arbeiten im Hintergrund. Insgesamt beschäftigt die Versicherung rund 4500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Für 1998 rechnet die KKH mit Einnahmen in Höhe von 8,5 Milliarden Mark.

Gabi Visintin ist freie Journalistin in Stuttgart.