KONSTRUKTION & FERTIGUNG / Offene Basisarchitektur gestattet individuellen Ausbau

Ein einheitliches Fundament fuer integrierte CAx-Systeme

08.01.1993

Die Anwender wuenschen sich seit langem offene Hard- und Softwaresysteme, die sie frei auswaehlen und kombinieren koennen. Sie fordern eine heterogene DV-Landschaft mit unterschiedlichen Teilsystemen, die miteinander Daten austauschen und deren Benutzer bereichsuebergreifend kooperieren koennen.

Waehrend jedoch auf der DV-technischen Seite in den vergangenen Jahren mit offenen Standards, Kommunikationsdiensten und kleinen, sehr leistungsfaehigen Systemen deutliche Fortschritte bei der Vernetzung von Systemen erzielt wurden, hinkt die Integration der Anwendungen hinterher. Um Geschaeftsprozesse ganzheitlich, also ohne Medienbrueche und Kommunikationsluecken, unterstuetzen zu koennen, benoetigt man mehr als technisch ausgereifte Einzelkomponenten.

In der Unternehmens-DV

ueberwiegt Trennendes

Entgegen vollmundiger Marketing-Schlagworte sieht die Realitaet in den meisten Unternehmen anders aus: Ueberall kommen heute unterschiedliche Rechner mit verschiedenen Anwendungssystemen zum Einsatz, die zwar Daten hin- und herschicken, diese aber aufgrund ueberlappender und sich widersprechender Strukturen nicht gegenseitig integrieren koennen. Dass die meisten Standardprogramme im Laufe der Jahre immer wieder veraendert, umgeschrieben, ergaenzt und nie gruendlich dokumentiert wurden, macht die Aufgabe, mit Hilfe einer integrierten und offenen Informations-Infrastruktur die Geschaeftsprozesse durch alle Abteilungen und Hierarchien zu fuehren, nicht leichter.

Typisches Beispiel, wie schwierig und verzwickt die Entwicklung einer anspruchsvollen DV-Loesung sein kann, ist der CIM-Bereich. Die Vernetzung der CAx-Systeme stellt noch ein ueberschaubares Problem dar. Viel schwieriger gestaltet sich hingegen die fachliche Integration der technischen Anwendungsgebiete. Die meisten CAx-Anbieter haben eingesehen, dass ein schluesselfertiges CIM-System aus einer Hand, das alle technischen Hauptkomponenten (CAD, PPS, BDE, CAQ) einschliesst, nicht realisierbar ist.

Die Folge: Insbesondere im fertigungsnahen Umfeld reissen die durchgaengigen Informationsketten ab, oder sie muenden in hochspezialisierten Inselanwendungen, die isoliert nebeneinander stehen und dem Bedarf in der Fertigungssteuerung sowie -ausfuehrung nicht gerecht werden. Von Anwendungsintegration also, wie sie von Fertigungsunternehmen im Interesse schnellerer Produktentwicklung, reduzierter Durchlaufzeiten und kuerzerer Liefertermine benoetigt werden, ist keine Spur.

Kein Wunder, dass sich CIM-enttaeuschte Fuehrungskraefte nun neuen Organisationskonzepten

zuwenden, die unter dem Schlagwort "Lean management" diskutiert werden. Einige saehen es gern, wenn die Computerintegration damit obsolet wuerde. Doch das Gegenteil ist der Fall: Schlanke Strukturen setzen durchgaengige Informationsfluesse voraus, mit deren Hilfe sich die Kommunikation verbessern und bereichsuebergreifende Teamarbeit herstellen laesst. Die Integrationsaufgabe wird also noch komplizierter.

Optimale Verfahren brauchen offene Systeme

Die Herausforderung fuer Berater, Software-Entwickler und Systemintegratoren heisst, neue Architekturkonzepte fuer die Informationsverarbeitung zu entwerfen, mit denen jedes Unternehmen seine Geschaeftsprozesse horizontal wie vertikal optimieren kann. Dazu muss der Markt offene Teilsysteme bereitstellen.

Diese sind so zu konzipieren, dass die Informationsverarbeitung alle funktionalen Anforderungen abdeckt, jeden Arbeitsplatz mit den notwendigen Informationen versorgen kann und sich zudem die Ablaeufe in einem Unternehmen nach Wettbewerbsaspekten steuern laesst. Oberste Prioritaet hat hierbei die klare Beschreibung der betriebswirtschaftlichen, funktionalen Zusammenhaenge eines Systems, damit der Anwender die Informationssysteme in Einklang bringen kann mit der betrieblichen Organisation.

Einige Anbieter von Standardsystemen haben solche Konzepte entwickelt und erste Loesungen auf den Markt gebracht. Dazu gehoert das Standard-Softwarepaket R/3 der SAP AG und das Partnersystem

Open-CAM von Hewlett-Packard, das im weiteren naeher beschrieben werden soll.

Beide Systeme basieren auf dem Konzept von Professor Scheer fuer eine "Architektur integrierter Informationssysteme", das aus seinen wissenschaftlichen Arbeiten ueber Daten- und Anwendungsmodellierung hervorgegangen ist und das von dem von ihm gegruendeten Beratungs- und Softwarehaus IDS Prof. Scheer GmbH vermarktet wird.

Hewlett-Packard geht mit Open-CAM nach eigenem Bekunden "einen neuen Weg, der die Staerken spezialisierter CAM-Software-Anbieter verbindet und in integrierte CAM-Gesamtsysteme einbringt". Dabei betont der DV-Hersteller, dass es sich um "ein strategisches Programm" handele, "das auf der Basis offener Systeme den Anwendern ein umfassendes und integriertes CAM-Loesungsangebot bereitstellt".

Open-CAM ist also kein schluesselfertiges Kompaktsystem. Vielmehr kann der Anwender auf der Basis einer einheitlichen Architektur einzelne CAM-Anwendungskomponenten flexibel kombinieren und zu einem Gesamtsystem integrieren. Da diese Leistung bekanntermassen nur schwer von einem einzigen Hersteller zu erzielen ist, hat HP fuenf Softwarepartner gesucht, die ihr Know-how und ihre Spezialsysteme in diese Verbundloesung einbringen:

- IDS Prof. Scheer GmbH mit

dem Fertigungsleitstand FI-2,

- PLT mit dem Produkt Aprol fuer die Proze- eas mit Syqua fuer das Qualitaets-Management,

- mbp UNC mit der werkstattnahen NC-Software UNC 8500 + und

- A&B Systems mit dem Fertigungsinformationssystem FIT.

Komplexe Informationssysteme stehen und fallen mit einer gemeinsamen Verstaendigungsbasis. Neben den allgemein anerkannten technologischen Vorgaben fuer offene Systeme - Unix, Standard- Kommunikationsdienste wie TCP/IP, Arpa oder NFS, SQL-Datenbanken, Benutzeroberflaechen wie OSF/Motif, X Window und Phigs/PEX - muessen die Anwendungen nach einheitlichen Regeln erarbeitet werden. Sie stellen die Verbindung von der Planungs- zur Fertigungsebene sicher und ermoeglichen das nahtlose Zusammenspiel der diversen CAM-Bausteine.

Die Bedeutung derartiger Regeln ist um so groesser, je hoehere Ansprueche an die Integration gestellt werden. Hier liegt die Crux hochkomplexer DV-Systeme. Zu unterschiedlich sind die Begriffswelten der Hersteller, die Methodik und der Arbeitsstil von Entwicklern, zu unklar waren in der Vergangenheit die Beschreibungen und Zusammenhaenge von Daten, Funktionen, Prozessen wie auch das zugrundegelegte Organisationsverstaendnis.

Die Integration verlangt allgemein gueltige Regeln

Um einen Ausweg aus diesen DV-Widerspruechen zu finden, hat HP in Zusammenarbeit mit Professor Scheer ein Informationsmodell fuer Open-CAM entwickelt, das auf Aris beruht. Dieses Modell beschreibt die CAM-Anwendungslandschaft aus unterschiedlichen Perspektiven: Modelliert sind die wesentlichen Datenstrukturen, Funktionen, Prozesse wie auch der Organisationsaufbau, den Open-CAM in einer diskreten Fertigung unterstuetzt.

Dieses Aris-Informationsmodell bildet zum einen die einheitliche Verstaendigungsbasis fuer die Open-CAM-Partner, um Widersprueche, Redundanzen und Ueberlappungen zu vermeiden sowie die noetigen Schnittstellen zwischen den Teilsystemen herzustellen. Zum anderen ist es fuer den Anwender eine anschauliche Dokumentation dessen, was das System leistet.

Transparenz ist Basis fuer integrierte Systeme

Eine solche transparente Darlegung von integrierten Anwendungssystemen schafft die Voraussetzungen fuer die arbeitsteilige Entwicklung integrierter Informationssysteme. Es soll sichergestellt werden, dass Datenfluesse und Ablaeufe trotz vieler Teilsysteme durchgaengig sind. Zudem ist der Anwender in der Lage, das Standardsystem nach seinen individuellen Anforderungen auszuwaehlen und zu konfigurieren.

Das ist um so wichtiger, als gerade in der Fertigung neue Organisationskonzepte eine immer groessere Rolle spielen. Dies hat auch Einfluss auf die Gestaltung der Informationssysteme. So haben die Architekten von Open-CAM einen betont dezentralen Ansatz zugrunde gelegt.

Das Konzept ist daran ausgerichtet, der Werkstatt wieder mehr Entscheidungsspielraum zu geben und in sie dispositive und arbeitsplanerische Funktionen zu reintegrieren. Das heisst, dass ganzheitliche Geschaeftsprozesse DV-technisch unterstuetzt werden muessen, um die Mitarbeiter mit allen Planungs-, Steuerungs- und Arbeitsinformationen aktuell versorgen zu koennen. Solche Systeme werden am ehesten der Tatsache gerecht, dass die Fertigung ein dynamisches Gebilde ist.

Das Scheer-Konzept eignet sich jedoch nicht nur fuer den Fertigungsbereich. Grundsaetzlich laesst sich die Architektur auf alle umfassenden DV-orientierten Gesamtkonzepte - neben CIM etwa Warenwirtschaftssysteme, Electronic Banking oder Buerokommunikation - anwenden.

Denn Aris ist ein allgemeines, branchen- und anwendungsneutrales Regelwerk zur ganzheitlichen Beschreibung von Informationssystemen. Die Architektur beschreibt erstens die einzelnen Bausteine, aus denen Informationssysteme bestehen, hinsichtlich ihrer funktionalen Eigenschaften und ihres Zusammenwirkens. Zweitens definiert sie eine Vorgehensweise zur Erstellung von integrierten Informationssystemen. Und drittens ermoeglicht Aris die Einordnung und Systematisierung von Software- Entwicklungsmethoden.

Das Konzept enthaelt zwei Komponenten: ein Zerlegungsmodell und ein Modell zur Definition unterschiedlicher Beschreibungsebenen. Das Zerlegungsmodell folgt dem Gedanken, dass ein Unternehmensprozess zu komplex ist, um ihn bei Planung und Realisierung eines Informationssystems stets ganzheitlich im Blick zu haben. Deshalb wird er in Teilaspekte zerlegt.

Wichtig ist, dass diese Teilaspekte alle Sichten des Informationssystems repraesentieren und keine Beziehungen zwischen diesen Sichten verlorengehen. Das Aris-Modell definiert als solche die Funktions-, Organisations- und Datensicht.

Eine Situationsanalyse aus mehreren Perspektiven

Im Unterschied zu anderen Architekturansaetzen umfasst dieses Modell zudem die Verbindung ueber die Steuerungssicht, was die unterschiedlichen Sichten wieder zusammenfuegt. Die besondere Betrachtung der Organisationssicht ist ungewoehnlich, sie traegt jedoch der Bedeutung neuerer Management-Konzepte Rechnung.

Aris ist ein typisches Life-Cycle-Konzept. Ausgehend von der Analyse des Unternehmens hinsichtlich der Wirkung von Informationssystemen in der gegebenen Organisation, wird zunaechst ein Fachkonzept erstellt, das unabhaengig von der kuenftigen DV- Plattform die Ablaeufe beschreibt. Danach erst erfolgt die informationstechnische Konzeption. Im letzten Schritt, auf der Ebene der Implementierung, beschreibt man mit Aris dann konkrete Systeme, die sich auf festgelegte Hard- und Softwarekomponenten beziehen.

Somit umfasst dieses Konzept alle Komponenten eines Informationssystems von der Ideenfindung bis hin zur Realisierung. Wie weitgehend die Systeme modelliert werden, haengt von der Motivation des Entwicklers ab.

Bei Open-CAM beispielsweise ist nicht jedes Teilsystem komplett beschrieben, sondern es werden nur die uebergeordneten Datenfluesse und die groben Prozesse zwischen den technischen Anwendungsgebieten dargestellt.

Wichtig in dem HP-Projekt ist die gemeinsame Sicht der Partner auf den Fertigungsdurchlauf. Hierfuer wurden gemeinsame Daten- und Prozessmodelle entwickelt, die den Auftragsdurchfluss und parallel dazu das komplette Ressourcen-Management abbilden. Auf dieser Grundlage ordnen die Partner ihre Loesungen ein.

Der Fertigungsleitstand der IDS, ein fester Bestandteil von Open- CAM indes ist komplett auf der Grundlage von Aris entwickelt. Saemtliche Datenstrukturen und Funktionen sind damit eindeutig und nachvollziehbar dokumentiert. Dem Anwender erleichtert dies, sofern er die Prozesse in seiner Werkstatt ebenfalls detailliert beschrieben hat, Organisation und Informationssystem in Uebereinstimmung zu bringen.

Schlanke Systeme fuer schlanke Unternehmen

Da das Entwerfen von integrierten Informationssystemen ein ueberaus komplexer Vorgang ist, hat die IDS eine Familie von Aris- Werkzeugen auf den Markt gebracht. Die "Aris-Consulting- Assistants" unterstuetzen den gesamten Planungsprozess in einer durchgaengigen Methodik und stellen die Ergebnisse grafisch dar.

Die Familie besteht aus:

- "Aris-Projectmanager", der Planung, Steuerung und Ueberwachung des gesamten Projektablaufs unterstuetzt und die Klammer fuer die uebrigen Produkte bildet,

- "Aris-Analyzer" fuer die Untersuchung und Bewertung der aktuellen Unternehmenssituation; das System liefert ein grobes Soll-Konzept und zeigt Schwachstellen auf; die Analyse wird erleichtert durch exemplarische Referenzmodelle, die der Anwender gemaess seinen spezifischen Situation abaendern kann;

- "Aris-Modeller" fuer die Detailkonzeption integrierter Informationssysteme entwickelt aus dem Soll-Konzept ein detailliertes Unternehmensmodell, das aus einem Daten-, Funktions- , Prozess- und Organisationsmodell besteht;

- "Aris-Navigator" hat die DV-gestuetzte Dokumentation des Unternehmensmodells zum Ziel - und zwar auf der betriebswirtschaftlichen Ebene; das heisst, es werden die fachlichen Zusammenhaenge der Teilmodelle grafisch und leicht verstaendlich dargestellt. Die Praesentation ist so aufgebaut, dass der Benutzer frei zwischen den entwickelten Modellen navigieren, also ohne Beschraenkung in unterschiedliche Ebenen springen, kann.

Ziel von Aris ist es, Entwicklern und Anwendern den Aufbau integrierter Informationssysteme zur Unterstuetzung ganzheitlicher Geschaeftsprozesse zu erleichtern. Die Architektur traegt dazu bei, modulare und in aller Regel zwischen mehreren Partnern entwickelte Standardsysteme zu erstellen. Sie ermoeglicht dem Anwender, solche Standardsysteme nach Massgabe seiner Vorstellungen auszuwaehlen und mit anderen Teilsystemen zu kombinieren. So entstehen verteilte Anwendungen mit durchgaengigen Informationsfluessen und ganzheitlichen Prozessketten, ohne redundante Datenhaltung - schlanke Systeme fuer schlanke Unternehmen.

*Dr. Alexander Pocsay ist Geschaeftsfuehrer, Stefan Eichacker Bereichsleiter fuer die Aris-Consulting-Assistent-Produkte bei der IDS Prof. Scheer GmbH, Saarbruecken.

Abb: Aris entwickelt schrittweise aus vier sogenannten Sichten die Umsetzung einer DV-Loesung nach den jeweiligen unternehmerischen Zielsetzungen.