CIO-Umfrage

Ein bisschen bi schadet nie - ganz im Gegenteil, sagt Gartner

19.11.2015
Von 
Karin Quack arbeitet als freie Autorin und Editorial Consultant vor allem zu IT-strategischen und Innovations-Themen. Zuvor war sie viele Jahre lang in leitender redaktioneller Position bei der COMPUTERWOCHE tätig.
Wer die bimodale IT beherrscht, steht im digitalen Business besser da, hat das Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Gartner festgestellt. Vor zwei Jahren hatte es die IT der zwei Geschwindigkeiten ausgerufen. Jetzt wertete Gartner die ersten Erfahrungen seiner Kunden aus.
  • Viele CIOs verwechseln Agile Development und die interdisziplinäre Besetzung von Projektteams mit bimodaler IT
  • CIOs verhalten sich laut Umfrage noch eher zurückhaltend
  • Innovations-Management, echte Collaboration und die Zusammenarbeit mit Startups sind Mangelware

Anlässlich seiner diesjährigen CIO-Umfrage wollte Gartner unter anderem wissen, wie es in den Unternehmen um die Implementierung der bimodalen IT bestellt ist. Von 940 befragten IT-Chefs befinden sich demnach 38 Prozent "auf dem Weg", so die Studie.

Immerhin 360 CIOs zeigten sich fähig und willens, Aussagen darüber zu treffen, wie sich IT-Organisationen mit zwei unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Zielen aufbauen lassen. Im Durchschnitt investieren die Umfrageteilnehmer ein Viertel ihrer IT-Ausgaben für experimentelle, agile Systeme.

Was ist die bimodale IT?

Gartner-Analystin Mary Mesaglio hält viele CIOs für zu unentschlossen.
Gartner-Analystin Mary Mesaglio hält viele CIOs für zu unentschlossen.
Foto: Gartner

Eine kurze Begriffserklärung für alle, denen die Gartner-Terminologie fremd ist: Die zweigeteilte IT soll dem CIO helfen, den Spagat zwischen der Forderung nach sicheren und in ihrem Verhalten vorhersehbaren Kernsystemen (Modus 1) mit der Notwendigkeit für eher experimentelle, agile und Kunden sowie Partnern zugewandten Applikationen (Modus 2) zu vollführen. Diese flexiblere IT ist laut Gartner notwendig, um schnell an den zunehmend von den Kunden bestimmten Märkten teilhaben und damit die "Digitalisierung" des Unternehmens vorantreiben zu können.

Samurai und Ninja

Ursprünglich hatte Gartner hierfür die Analogie Marathonläufer versus Sprinter gewählt. Doch der Vergleich hinke, konstatierte die Analystin Mary Mesaglio in ihrer gut besuchten Präsentation auf dem diesjährigen Symposium/ITxpo in Barcelona. Geschwindigkeit beziehungsweise Ausdauer seien nicht die ausschlaggebenden Kriterien. Vielmehr gehe es um Zuverlässigkeit versus Agilität - letztere eventuell auch um den Preis eines "Regelbruchs" (siehe auch Projekte der zwei Geschwindigkeiten managen).

Deshalb suchte Gartner nach einem anderen Vergleich - und wurde fündig im mittelalterlichen Japan: Dort gab es die Kriegerkaste der Samurai, die einem strengen Ehrenkodex, Bushido genannt, verpflichtet war. Der brachte ihnen viel Achtung ein, stand dem Erfolg aber bisweilen im Weg. Anders die Ninja: Sie reüssierten, wo die Samurai aufgrund ihrer moralischen Restriktionen nicht weiterkamen, denn ihr Leitbild war der Erfolg um - nahezu - jeden Preis.

Bimodale IT: Gartner bemüht das Bild vom klassischen Kämpfer Samurai und vom agilen, zielorientierten Ninja.
Bimodale IT: Gartner bemüht das Bild vom klassischen Kämpfer Samurai und vom agilen, zielorientierten Ninja.
Foto: Gartner

Wie Gartner nicht müde wird zu betonen, gehören Samurai- und Ninja-Modus unbedingt zusammen. Auf längere Sicht könne kein Unternehmen überleben, wenn es nur einen dieser beiden Modi praktiziere. Mehr noch: Die beiden "Arbeitsweisen" stünden in einer Wechselwirkung zueinander. Ein Unternehmen, das die bimodale IT verstanden habe, öffne seine Modus-1-Systeme nach und nach, um Innovationen zu ermöglichen, während die Modus-2-Systeme nach einer Weile zurückgespielt würden, um sie automatisieren und industrialisieren zu können. Am Anfang gebe es noch wenig Austausch, präzisierte Mesaglio, doch der nehme kontinuierlich zu.

Praktiken, die einen Unterschied machen

Soweit, so plausibel. Die von Dave Aron, dem CIO-Spezialisten unter den Gartner-Analysten, geleitete Umfrage, förderte allerdings eine doch recht abwartende Haltung der IT-Chefs zu Tage: Die Mehrzahl der Befragten versteht unter Modus 2 vor allem Entwicklungen, die nur mittelbar mit dem Digitalisierungstrend zu tun haben. So setzen etwa drei Viertel agile Methoden ein, vier Fünftel haben ihre Teams multidisziplinär besetzt und etwas mehr als die Hälfte betreibt adaptives Sourcing.

Ein formales Innovations-Management, veränderte Metriken für die Erfolgsmessung und eine Strategie für die Arbeit mit Startups gibt es der Studie zufolge nur in einem von vier Unternehmen. Crowdsourcing ist für gerade mal für acht Prozent der Befragten eine anerkannte Methode.

Dort, wo es darauf ankäme, rühren sich Unternehmen zu wenig.
Dort, wo es darauf ankäme, rühren sich Unternehmen zu wenig.
Foto: Gartner

Dies aber seien "bimodale Praktiken, die den größten Unterschied bewirken", sagte Mesaglio. Dass sie vergleichsweise wenig genutzt würden, hält die Analystin für "fatal". Nur wer sich hier öffne, könne die "bimodale Performance" des Unternehmens vorantreiben.

Jedenfalls sei eine Korrelation feststellbar, so Mesaglio weiter, zwischen dem Einsatz solcher Praktiken und dem Grad, zu dem die Unternehmen IT und Business bereits nach den beiden unterschiedlichen Modi aufgestellt hätten. Die Softwareentwicklungsmethoden - Wasserfall oder agil - sagten hingegen kaum etwas über die Digitalisierung des Unternehmens aus. Agile Entwicklung werde zunehmend auch für Modus-1-Systeme verwendet.

Inseln als Experimentierfeld

Als Analystin wird Mesaglio häufig gefragt, wie ein Unternehmen eigentlich in die Two-Speed-IT einsteigen könne. Ihre Antwort klingt erst einmal banal: "Bimodal ist wie Schwimmen - man lernt es, indem man es tut. Fangen Sie einfach am flachen Ende des Beckens an." Genaue Planung sei zumindest am Anfang fehl am Platz. Praktische Erfahrung sei bei weitem lehrreicher als jede A-priori-Analyse. Außerdem sei es besser, klein anzufangen: "Es ist okay, erst einmal unter dem Radar zu fliegen."

Bimodales Denken für Manager - eine Anleitung für CIOs

  • Verändern Sie die Diskussion um das Thema Risiko. Hüten Sie sich vor Managern, die Präzision sagen, aber Details meinen.

  • Liefern Sie ständig Ergebnisse - so klein diese auch sein mögen.

  • Berücksichtigen Sie, was Business-Manager wichtig finden. Und das ist oft nicht die Technik.

  • Machen Sie immer wieder klar, dass in beiden (!) Modi Disziplin nötig ist, auch und ganz besonders im Ninja-Modus.

  • Kümmern Sie sich um die Finanzierung. Sie sollte irgendwann von "unter der Sichtbarkeitsgrenze" zu "differenziert und flexibel" hinüberwechseln.

Wichtig ist laut Mesaglio die Art der Projekte, mit denen der Ninja-Modus ausprobiert wird: Wählen Sie Inseln, keine Satelliten! Wer die neuen Praktiken zunächst an den Erweiterungen existierender Systeme erprobt, muss zahlreiche Verbindungen zum Gesamtsystem berücksichtigen. Und das geht zu Lasten der Änderungsgeschwindigkeit. Oder wie die Analystin ausführt: "Die Arbeitsweise kann sich nicht verändern, wenn immer wieder rückgekoppelt wird." Die einzige Verbindung zum "Mutterschiff" sollten Standards für den Datenaustausch sein.

In dem Maße, wie es mehr und mehr solcher Inseln gibt, werde sich die Unternehmenskultur verändern, prognostizierte Mesaglio. Und das sei unabdingbar: Verkrustete Organisationsstrukturen, aufgeblasene Egos und der "Middle-Management-Permafrost" stünden dem bimodalen Unternehmen im Weg. Genauso wie ein CEO ohne Vision , der nicht selbst vorangehen wolle. Last, but not least gelte es, die Mitarbeiter "mitzunehmen" - durch Coaching, Personalentwicklung und Neueinstellungen.

Ein fataler Irrtum …

"Selbstverständlich werden Sie irgendwann einmal gegen die Wand knallen", warnte Mesaglio ihre Zuhörer. Aber zumindest zwei Ursachen dafür ließen sich vermeiden: Die Analystin hat immer wieder beobachtet, dass die Unternehmen fundamentalen Irrtümern aufsitzen - technologischer wie unternehmerischer Art.

Der erste Irrtum bezieht sich auf den Modus 2: "Glauben Sie bloß nicht, in diesem Modus sei keine Disziplin notwendig", schärft die Gartner-Analystin den Führungskräften ein. Sicher, Microplanung habe hier nichts zu suchen: "Wenn jemand sagt, das finanziere ich nur mit einem detaillierten Business-Plan, dann wird es nicht funktionieren. Wer hier Details liefert, muss zwangsläufig in die Fiktion ausweichen. Und wenn die dann in den Projektplan einfließt, legt man vielleicht eine weiche Landung hin - nur auf dem falschen Flughafen."

Andererseits sei Experimentierfreude auch keine Entschuldigung für ständige Richtungsänderungen, machte Mesaglio klar: "Verwechseln Sie Kleinteiligkeit nicht mit Präzision und Stringenz!" Solche Art von Disziplin sei für das Ergebnis unverzichtbar.

… und noch ein zweiter

Der andere Irrtum ist ebenso häufig anzutreffen: Bimodale IT heißt keineswegs, dass der Samurai-Modus keinen Veränderungen unterliegt. Im Gegenteil! Voraussetzung für einen funktionsfähigen Ninja-Modus ist ein radikal vereinfachter und auf Flexibilität ausgerichteter Systemkern einschließlich neuer Methoden und schlanker Prozesse. Die technischen Schlagwörter in diesem Zusammenhang heißen: Service-orientierte Architektur, Standardisierung, Modularisierung, Virtualisierung.

Dazu gehört laut Mesaglio auch ein Wechsel des "Glaubensbekenntnisses": Die Köpfe der Manager müssen wie die Systeme von Widerstand auf Toleranz gegenüber dem Thema Collaboration gebürstet werden. Mesaglios Fazit: "Kulturwandel ist immer ein Risiko. Aber die Alternative ist nicht akzeptabel. Also steigen Sie ins Wasser und schwimmen Sie los. Renovieren Sie Ihre Kernsysteme. Und versuchen Sie doch mal Crowdsourcing.