Ein äußerst ernster Aufruf

19.02.1982

Pressemitteilung der Gesellschaft für Informatik e.V., Bonn*

Die Informationstechnologien Mikroelektronik, Informationsverarbeitung und Telekommunikation sind weltweit Spitzenreiter des Produktivitätsfortschritts. Dabei besitzen im internationalen Wettbewerb hochentwickelte Volkswirtschaften mit stärkeren Produktivitässteigerungen statistisch niedrigere Arbeitslosenquoten. Die Informationstechnologien schonen die Umwelt, ihre Anwendung senkt den Verbrauch von Energie und Rohstoffen. Hochentwikkelte, aber zugleich rohstoffarme und auf engem Raum existierende Wirtschaftssysteme - wie die der Bundesrepublik oder Japans - können die Zahl vorhandener Arbeitsplätze nicht halten und die Einrichtung neuer Arbeitsplätze nicht schaffen, wenn sie nicht eine Spitzenposition im beschleunigt sich entwickelnden Weltmarkt der Informations- und Kommunikationstechnik erkämpfen. Die junge Wissenschaft der Informatik, eine der Grundlagen der Informationstechnologien, nimmt hierbei eine Schlüsselstellung ein: Selbst bei einem geringen Wirtschaftswachstum wird sich bis 1985 ein hoher Bedarf an Diplom-Informatikern ergeben.

Nach Auffassung der Gesellschaft für Informatik e.V. hat die Öffentlichkeit derzeit die Schlüsselstellung der Aus- und Fortbildung in den Informationstechnologien noch nicht in ihrer vollen, lebenswichtigen Bedeutung erkannt; sie veranstaltet daher diesen ihr äußerst ernsten Aufruf.

Die Bundesrepbulik Deutschland kann sich nicht von der Entwicklung der neuen Informationstechnologien abkoppeln, die vom Weltmarkt in Zukunft noch beschleunigt vorangetrieben wird. Um die internationale Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes zu sichern, müssen bis zum Ende dieses Jahrzehnts

- 4 bis 5 Prozent aller Beschäftigten qualifizierte Fachkräfte auf dem Gebiet der Informationstechnologien sein,

- ungefähr 15 Prozent aller arbeitenden Menschen zusätzlich zu ihren fachspezifischen Fertigkeiten über gute Kenntnisse in Teilgebieten der Informationstechnologien verfügen und

- etwa 50 Prozent aller Erwerbstätigen mit Informationstechnologien soweit vertraut sein, daß sie diese als selbstverständliche Werkzeuge an ihrem Arbeitsplatz nutzen.

Auf jeden Fall können neue Arbeitsplätze nur dann geschaffen werden, wenn eine ausreichende Zahl qualifizierter Informatiker zur Entwicklung und zur Herstellung neuer Produkte sowie zur Erschließung neuer Anwendungsgebiete rechtzeitig zur Verfügung steht und die neuen Technologien von einer breiten Öffentlichkeit angenommen und getragen werden.

Quantitative Angaben über die derzeitige Struktur des Arbeitsmarktes liegen nur für Teilbereiche der Informationstechnologien vor. Allein aus den Daten der verfügbaren Teilbereiche ist schon zu erkennen, daß für die nächsten Jahre außerordentlich große Ausbildungsleistungen in den Informationstechnologien zu erbringen sind.

Je nach der, Alternativen die man der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik bis 1985 zugrunde legt, ergeben sich folgende Abschätzungen.

a) Sollte sich die Wirtschaft bis 1985 ungünstiger entwikkeln als im Mittel der vergangenen Jahre - was auch für die Datenverarbeitung ein geringeres Wachstum mit sich bringen müßte - dann ergibt sich für die Jahre 1980 - 1985 insgesamt ein zusätzlicher Bedarf von ungefähr 36 000 qualifizierten Fachkräften vorwiegend mit Hochschulabschluß während im Bereich des Systembetriebs und der Datenerfassung durch technische Veränderungen um die 57 000 Arbeitsplätze betroffen sind, wobei insbesondere in den unteren Qualifikationsstufen auch in gewissem Umfang mit Freisetzungen zu rechnen ist.

b) Wächst die DV-Branche im bisherigen Umfange weiter sollten für die Jahre 1980 bis 1985 etwa 63 000 qualifizierte Fachleute zusätzlich bereitstehen. Selbst beim Systembetrieb und der Datenerfassung besteht dann - trotz des Einflusses durch technische Veränderungen - ein Mehrbedarf von ungefähr 27 000 Arbeitsplätzen.

Der zusätzlich beachtliche Personalbedarf etwa durch die Bereiche der Prozeßrechner, der Mikro- und der Minicomputer mit ihren Anwendungen sowie derjenige der Hersteller läßt sich derzeit kaum quenlifizierten, muß aber zu den oben genannten Zahlen noch hinzugefügt werden.

Die Gesellschaft für Informatik schlägt daher vor, die Auswirkungen der Informationstechnologien auf den Arbeitsmarkt mit dem Ziel zu untersuchen, die Anforderungen an die Ausbildungseinrichtungen transparent zu machen und geeignete Maßnahmen zu deren Erfüllung vorzuschlagen.

Als Beitrag der Gesellschaft für Informatik zu diesen Fragestellungen wird von dieser gegenwärtig eine Untersuchung über die Berufssituation und über die Ausbildungserfordernisse der im Beruf stehenden Diplom-Informatiker vorbereitet.

Mit derzeit mehr als 12 000 Studierenden sind die Ausbildungskapazitäten völlig überlastet: So stehen derzeit etwa nur 134 akademische Lehrer an den wissenschaftlichen Hochschulen für Lehre und Forschung zur Verfügung, so daß auf einen Professor mehr als 90 Studenten kommen.

In dieser akuten Notsituation der deutschen Informatikausbildung und -forschung fordert die Gesellschaft für Informatik eine sofortige wesentliche Erhöhung der Mittel für Forschung und Lehre in der Informatik an den Hochschulen sowie ein mittelfristiges Forderungsprogramm.

- Zur Abwendung des drohenden Numerus clausus sind sofort Mittel für Personal, Räume und Geräte bereitzustellen; auch ohne zusätzliche globale Mittelzuweisungen kann dies zumindest teilweise durch Umwidmen vorhandener Kapazitäten etwa bei der Ausbildung zum höheren Lehramt oder bei Studienrichtungen mit geringerer Nachfrage geschehen.

- Zur Schaffung eines der volkswirtschaftlichen Bedeutung der Informatik angemessenen Ausbildungs- und Forschungspotentials ist ein zweites "überregionales Forschungsprogramm Informatik (ÜRFI) notwendig, das ähnlich wie das erfolgreiche eine ÜRFI gemeinschaftlich vom Bund und den Ländern finanziert werden soll. Sein Ziel: Ausbau bestehender und Gründung neuer Informatik-Fachbereiche, wobei bestehende regionale Disparitäten im Ausbildungsangebot zumindest gemildert werden sollten. Langfristig muß an jeder Universität ein Informatik-Fachbereich eingerichtet sein, so wie heute keine Universität ohne einen Mathematik-Fachbereich existiert.

- Eine qualifizierte Informatik-Ausbildung setzt praktische Erfahrungen mit Rechensystemen unabdingbar voraus. Die gerätetechnische Ausstattung der Informatik-Institute in der Bundesrepublik zeigt bei einem Vergleich mit den Studieneinrichtungen in den Vereinigten Staaten einen großen qualitativen und quantitativen Nachholbedarf: Mittel für eine Modernisierung und einen Ausbau der Geräte-Ausstattung sind dringend erforderlich, soll die Informatik nicht in die Provinzialität zurückfallen.

*Gekürzte Fassung