Kempinski in der Cloud

Eigene IT-Infrastruktur ist für Kempinski Luxus

09.01.2013
Von 
Karin Quack arbeitet als freie Autorin und Editorial Consultant vor allem zu IT-strategischen und Innovations-Themen. Zuvor war sie viele Jahre lang in leitender redaktioneller Position bei der COMPUTERWOCHE tätig.
Die Hotel-Gruppe verlagert ihre IT in die Cloud - mit einem maßgeschneiderten Business-Plan, der 40 Prozent Einsparung über fünf Jahre vorsieht.

Wir sind doch kein IT-Unternehmen. Diese Antwort bekommt häufig, wer nach der Motivation für die Auslagerung von IT-Services fragt. Auch Jeremy Ward, Senior Vice President Information Technology bei der Hotel-Gruppe Kempinski, formuliert seine Beweggründe mit diesen Worten.

Das Traditionshaus Adlon in Berlin ist wohl das Flaggschiff der Kempinski-Hotels.
Das Traditionshaus Adlon in Berlin ist wohl das Flaggschiff der Kempinski-Hotels.
Foto: Kempinski

Das IT-Team des Hospitality-Unternehmens ist denn auch wirklich überschaubar. Neben den acht IT-Spezialisten im schweizerischen Genf hat Kempinski zwar noch drei regionale IT-Verantwortliche und mindestens einen IT-Manager in jedem der knapp 80 angeschlossenen Hotels installiert, doch die Manpower, die für die Administration der knapp 40 physischen und rund 100 virtualisierten Server notwendig ist, würde Ward lieber anders einsetzen.

Feste Buchung und Pay as you go

Vor etwa vier Jahren hat Ward als IT-Chef bei der Luxushotel-Gruppe angeheuert. Er unterzog die IT des Unternehmens einer intensiven Prüfung - und entschied sich dann für die radikalste Form des Outsourcings: die Nutzung von Infrastruktur- und Datenbankservices aus der Amazon-Cloud.

Jeremy Ward, Senior Vice President Information Technology bei Kempinski Hotels.
Jeremy Ward, Senior Vice President Information Technology bei Kempinski Hotels.
Foto: Kempinski

Die Amazon Web Services (AWS) haben aus Sicht von Ward einige Vorteile gegenüber der Konkurrenz. Dazu zähle die Möglichkeit, einen Teil der Kapazität für einen gewissen Zeitraum fix zu buchen und im Gegenzug günstigere Stundenpreise zu erhalten. Diese Option zahlt sich vor allem aus, wenn es um Routineaufgaben wie Domain Control für das Active Directory geht. Für Lastspitzen und Sonderaufgaben, beispielsweise zu Trainingszwecken, kauft Kempinski Hotels Instanzen nach dem "Pay-as-you-go"-Modell.

Migration über vier Stufen

Bereits 2009 fiel der Startschuss für das Projekt, das demnächst in die vierte und abschließende Phase gehen soll. Die erste bestand hauptsächlich in einem Proof of Concept, die zweite im Aufbau der Sicherheitsinfrastruktur sowie der Migration von weniger kritischen Anwendungen.

Der Übergang der geschäftskritischen Anwendungen und Daten wurde auf zwei Phasen verteilt. Derzeit laufen laut Ward bereits 50 Prozent der Services in der "Virtual Private Cloud", wie Amazon das Konstrukt nennt. Ab Februar soll die andere Hälfte folgen, wobei auch die Integration der Services untereinander noch ein hartes Stück Arbeit werden dürfte.

Bis auf Weiteres wird sich sich das Vorhaben nicht auszahlen. "In den ersten beiden Jahren müssen Sie erst einmal investieren", räumt Ward ein. Selbstverständlich bedeute die Cloud vordergründig weniger bis gar keine "Upfront-Investitionen" in Hard- und Software. Aber diese Ersparnis mache sich erst bemerkbar, wenn die nächste Hardware-Auffrischung ins Haus stehe.

Drei Jahre Durststrecke

Die Frequenz des Hardwareaustauschs veranschlagt Ward mit fünf Jahren. Da Kempinski erst 2010 neue Server und Virtualisierungssoftware angeschafft habe, sei mit einem Return on Investment wohl nicht vor 2014 zu rechnen.

Aus diesem Grund hält der CIO auch nichts davon, den Cloud-Anbieter alle naselang zu wechseln. Wer von den externen Services profitieren wolle, müsse schon einen längeren Atem haben. Dann aber seien die Potenziale aus eingesparten Beschaffungs-, Administrations- und Maintenance-Kosten erheblich: Über die kommenden fünf Jahre gerechnet, will Ward 40 Prozent der IT-Kosten einsparen. Diese Summe hat er sich im Vorfeld des Projekts ausrechnen lassen - von dem auf Cloud Computing spezialisierten Beratungsunternehmen Cloudreach mit Sitz in London.

Intensive Evaluierung

Wie der IT-Chef beteuert, fällte Kempinski die Entscheidung für Amazon aufgrund eigener Evaluierung. Das Unternehmen habe auch die Konkurrenz intensiv unter die Lupe genommen. Dass Google darunter war, bestätigt er nicht, es liegt aber nahe, weil Kempinski hinsichtlich der E-Mail-Services auf "Google Apps" setzt.

Die Wahl des Beratungsunternehmens sei aufgrund einer Empfehlung von Amazon gefallen, sagt Ward. Cloudreach ist ein zertifizierter Amazon-Partner und AWS-Spezialist. Mit dem "AWS Deployment Framework" haben die Briten auch ein Migrationsmodell entwickelt, das nicht nur den Prozess unterstützt, sondern auch bei der Berechnung des Business Case hilft.

Die Berater hätten quasi ein "Review" der IT-Landschaft vorgenommen und nicht nur die augenscheinlichen Einsparungen berechnet, sondern eine Total-Cost-of-Ownership-Analyse vorgenommen, lobt Ward. Zudem ständen sie anschließend für den Betrieb der Umgebung zur Verfügung.

Frei für andere Aufgaben

Die von den administrativen Aufgaben befreiten IT-Mitarbeiter sollen sich jetzt dar-um kümmen, die vorhandenen Applikationen besser auszunutzen. "Sie müssen sich das vorstellen wie bei Microsoft Office", erläutert Ward: "Die meisten Anwender nutzen nur zehn Prozent der Möglichkeiten, die in der Software stecken." So ähnlich verhalte es sich auch mit den Anwendungen, die Kempinski fast sämtlich "von der Stange" beziehe. Das IT-Team müsse den Mitarbeitern helfen, aus den zehn Prozent bald 20 oder sogar 50 zu machen.

Eigenentwicklung kommt für den Kempinski-CIO nicht in Frage. Als Modell für einen funktionierenden Branchensoftwaremarkt sieht er ohnehin nicht die Co-Existenz von unzähligen Insellösungen, sondern Kooperationen wie "Hotel Technology Next Generation" (www.htng.org). Dort arbeiten Hoteliers und Softwareanbieter gemeinsam daran, Software zu entwickeln, die die wirklichen Bedürfnisse der potenziellen Kundschaft abdeckt. (mhr)