EDV und Recht/US-Weissbuch zur National Information Infrastructure (NII) Das Urheberrecht gilt auch bei der Nutzung von Online-Diensten

06.10.1995

Von Frank Koch*

Vor Kurzem ist das Weissbuch des US-Handelsministeriums zum Urheberrechtsschutz in der nationalen Kommunikationsinfrastruktur erschienen. Es nimmt zu vielen offenen Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem Internet und anderen Online-Diensten Stellung.

Unter dem Titel "Intellectual Property and the National Information Infrastructure" war zunaechst im Juli 1994 ein "Green Paper" erschienen(1), das vielfaeltig kommentiert und auch kritisiert wurde. Tausende Exemplare dieses Gruenbuches wurden elektronisch und in Papierform vertrieben. Mehr als 150 Einzelpersonen und Organisationen uebermittelten Kommentare. 60 Interessengruppen trafen sich seit einer Konferenz im September 1994 regelmaessig, um sich allein mit den Problemen eines zustimmungsunabhaengigen Werkgebrauches ("fair use") zu beschaeftigen.

Fuer Globale Informationsinfrastruktur (GII)

Alle diese Ueberlegungen sind nun in einem neuen "White Paper" zusammengefasst, das bei einem Umfang von rund 260 Seiten und 576 Fussnoten freilich treffender als "Weissbuch" zu bezeichnen waere. Die Ergebnisse haben um so groessere Bedeutung, als sie nicht nur die nationale Informationsinfrastruktur der USA betreffen, sondern zugleich auch fuer die in Zukunft anzustrebende Globale Informationsinfrastruktur (GII) eine Grundlage liefern.

Zunaechst haelt das Weissbuch fest, dass keine Veranlassung erkennbar ist, den Urheberrechtsschutz im Bereich neuer Formen der Online- Verbreitung von Werken einzuschraenken (Seite 15). Es gebe keinen urheberrechtsfreien Cyberspace (Seite 16). Jedoch machten wesentliche technische Neuerungen Anpassungen der Urheberrechtsbestimmungen des US-Rechts erforderlich, die sich aber auf kleinere Darstellungen und begrenzte Ergaenzungen beschraenken koennten.

Hierzu formuliert das Weissbuch entsprechende Vorschlaege zu Gesetzesaenderungen. Ein Blick auf die "minor clarifications" zeigt freilich, dass das Weissbuch Fragen anspricht, die fuer das Urheberrecht durchaus zentrale Bedeutung haben, und zwar auch fuer das deutsche. Deshalb seien kurz einige Aenderungspunkte etwas naeher dargestellt.

Zunaechst faellt auf, dass das Weissbuch einen recht weitgefassten Begriff der "Vervielfaeltigung" verwendet. Hierunter faellt nicht nur die Programm- und sonstige Werkkopie auf Diskette, CD-ROM etc., sondern auch die Kopie im Arbeitsspeicher (RAM), wenn sie ueber einen sehr kurzen Zeitraum hinaus besteht (Seite 29)(2). Mit jedem Up- und Downloading entsteht ein neues Vervielfaeltigungsstueck in diesem weiten Sinne, ebenso bei jedem Digitalisieren (Seite 70). Trotz verschiedentlicher Kritik scheint sich nun dieser weite, stark technikorientierte Vervielfaeltigungsbegriff durchzusetzen.

Das eigenstaendige, urheberrechtliche Verwertungsrecht des "Verbreitens" (meist in der Form des gewerblichen Vertreibens genutzt) ist nicht nur durch die Uebergabe koerperlicher Werkexemplare (wie Buecher, Platten, Disketten, CD-ROMs etc.) moeglich.

Auch eine Online-Uebertragung ist realisierbar, ohne dass also ein Werkexemplar physisch uebergeben werden muesste (Seite 233/234). Damit wird es moeglich, exklusive Rechte zum ausschliesslich online erfolgenden Vertrieb von Werken zu vergeben. Diese Aenderung hat unmittelbare Auswirkungen auf das hiesige Recht, da sich die Vertriebsrechte naturgemaess auch auf deutsches Vertriebsgebiet beziehen werden.

Insoweit ist schon aus diesem Grunde eine entsprechende Anpassung des bundesdeutschen Rechts erforderlich. Die Uebertragung eines Werkes soll, so stellt das Weissbuch klar, die bestehende Reproduktion verbreiten (durch Abspeichern auf dem Rechner des Empfaengers), nicht aber etwa einer Auffuehrung zugaenglich machen.

Fuer Multimedia-Anwendungen wichtig

Die Uebertragung dient also zur Verbreitung von Werkexemplaren, nicht zur Auffuehrung eines Werkes (wie etwa bei Rundfunk- und Fernsehuebertragungen). Damit stellt die Uebertragung kein neues Verwertungsrecht dar, sondern nur eine neue technische Form des ohnehin bestehenden Verbreitungsrechts. Aehnlich soll auch eine Werkveroeffentlichung nicht nur unkoerperlich etwa durch Ausstellen oder Vorfuehren (beziehungsweise koerperlich durch Verbreiten zum Beispiel von Druckexemplaren), sondern mittels online erfolgender Verbreitung von Werkkopien moeglich sein (Seite 240), ebenso ein online uebertragenes Ausstellen oder Vorfuehren des Werkes (Seiten 74, 76), - eine insbesondere fuer Multimedia-Anwendungen wichtige Ergaenzung des Urheberrechts.

* Dr. Frank Koch ist Rechtsanwalt in Muenchen.

(1) Verfuegbar seit dem 13. September 1995 ueber telnet iitf.stuc.gov oder ueber Compuserve/Legal+ beziehungsweise co terri a.southwick, Office of Legislative and International Affairs, U.S. Patent and Trademark Office, Box 4, Washington, DC 20231 USA.

(2) Dieser weite Vervielfaeltigungsbegriff wurde freilich schon in seiner Fassung des Gruenbuches von P. Samuelson (in CommACM, Dezember 1994, Vol. 37/No. 12, S. 21 und 23 ) mit dem Argument kritisiert, dann stellte es auch eine Verletzungshandlung dar, einen Spiegel vor ein Buch zu halten, da das Spiegelbild ebenfalls fuer mehr als einen Augenblick wahrgenommen werden koenne.