EDV-Spezialisten brauchen Status und Titel

25.06.1976

- EDV-Spezialisten haben bei großen Projekten vielfach Schlüsselstellungen, -wenngleich sie in der Hierarchie des Unternehmens als Spezialisten relativ weit unten angesiedelt sind. Das schafft Probleme. Wie sieht das in der Praxis aus?

In großen EDV-Organisationen gibt es eine ganze Anzahl von Mitarbeitern, die Großprojekte voll verantwortlich steuern. Voll verantwortlich heißt, verantwortlich für Nutzen, Kosten und Ressourcen innerhalb des Projektes. Diese Mitarbeiter tragen ein hohes Maß an Verantwortung und sind Säulen der EDV-Organisation. Sie werden in bezug auf ihre Verantwortung, auf ihr Können und auf ihr Durchsetzungsvermögen bei ihren Kollegen auch entsprechend anerkannt. Woran es jedoch mangelt, ist, daß sie bei ihren Partnern, vielfach leitenden Mitarbeitern in den Unternehmensbereichen, als fachlich einseitige Spezialisten abqualifiziert werden.

- Haben die EDV-Fachleute nicht selber schuld, wenn sie mit ihrem Spezialwissen, ihrem modernen Wissen um künftige Techniken auf den Gefühlen der Fachableitungen herumtrampeln?

Sicherlich, es ist ein Problem jedes Innovators, daß im Verhältnis zu den anderen Mitarbeitern der Gesellschaft ein gewisser Eindruck von Arroganz und Besserwisserei unter Umständen nicht zu vermeiden ist. Ich rede aber nicht von diesen Fällen. Ich würde meinen, daß dies eine Frage des Alters und der Erfahrung ist. Ich spreche von erfahrenen, verantwortungsbewußten. auf das Unternehmensziel ausgerichtet arbeitenden Mitarbeitern. Die kennen aufgrund ihrer jahrelangen Erfahrung Unternehmenszusammenhängevielfach besser und bieten auch dem Manager einer Fachabteilung selbst in seinem eigenen Fach ein bezüglich der EDV-Aufgabenstellung ebenbürtiges Wissen, und das wird von den Fachabteilungen nicht immer gern gesehen beziehungsweise nicht gerne anerkannt.

- Eigentlich müßten die EDV-Profis damit leben können, denn so etwas ist Berufsrisiko.

In wenigen Berufen ist das Berufsrisiko so groß wie in der EDV. Es gibt i genug hochverdiente EDV-Leute. wie Sie wissen, die aufgrund von "Betriebsunfällen" in die Versenkung verschwunden sind. Im Mittelalter hatte der Hofnarr Wahrheiten zu sagen, die zu sagen andere sich nicht erlauben konnten. Ich kann mir nicht helfen, ich habe den Eindruck, daß ein EDV-Projektleiter manchmal in eine ähnliche Lage gedrängt werden kann.

- Gibt es nicht die Autorität durch Fachkenntnisse? Unterstellen wir einmal diese Reibereien an den Schnittstellen zu den Fachabteilungen. Letztlich gibt es doch immer nur eine objektiv richtige Lösung, und unterstellen wir, die wäre seitens der EDV-Organisation vorgeschlagen worden. Was anderes bleibt dem Großfürst übrig, als letztlich klein herzugeben?

Alle Dinge haben zwei Seiten, und die absolute Lösung gibt es nicht. Deshalb muß der EDV-Projektleiter bei der Diskussion um Lösungen vielfach artig zurückstecken.

- Warum? Weil der eine Direktor und der andere Systemanalytiker ist?

Diskussionen um Lösungen bei EDV-Großprojekten spielen sich nicht im luftleeren Raum zwischen zwei Personen ab. Dazu ist sehr viel Vorbereitung notwendig, und um Lösungen wird in großen Gremien gerungen. Bei solchen Arbeiten in Gruppen spielen Gesichtspunkte wie Prestige und Status eine sehr große Rolle. Von meinen Mitarbeitern ist mir bekannt, daß dieses Problem immer wieder auftritt, und ich weiß, daß sie darunter leiden. Denn obwohl sie oft genug sachlich im Recht sind, müssen sie bei Widerstand der Fachmanager Rückzieher machen. Zum Glück gibt es als Revisionsinstanz die EDV-Leitung.

- Wie äußert sich das im einzelnen?

Es kam durchaus vor, daß Mitarbeiter mir berichten, sie seien aus Besprechungen entlassen worden mit der Maßgabe, beim nächsten Mal wolle man ihren Chef sprechen.

- Aber Sie können als EDV-Chef doch nur auf Einsicht bei den anderen drängen?

Ich muß den Leuten zum einen klarmachen, daß sie die Prinzipien des Matrix-Managements akzeptieren. Das genügt aber nicht. Wir brauchen Matrix-Organisation mit flankierenden Maßnahmen.

- Das klingt beeindruckend. Was heißt das im einzelnen?

Ein Grundprinzip gilt: EDV-Großprojekte sind ohne Matrix-Organisation nicht denkbar, also einerseits vertikaler Informationsfluß innerhalb der hierarchischen Strukturen, aber andererseits auch horizontale Kontakte, bei denen allein Fachwissen zählt. Dabei stehen aber folgende zwei Fragen zur Lösung an: Wie kann man den Status des Projektleiters in der kombinierten Matrix- und Formel-Organisation formulieren, zweitens, wie kann man erreichen daß dieser Status innerhalb der Formel-Organisation allgemein anerkannt wird?

Ich sehe dafür folgende Möglichkeiten:

1. eine gewisse Strukturierung der EDV-Organisation und damit eine organisatorische Aufwertung des Projektleiters, die eine zeitweilige Gleichstellung mit den Abteilungsleitern bringt;

2. zeitweilige Übernahme des Projektteams in den Organisationsplan der Unternehmung, der ja eh ständig geändert wird;

3. offizielle Gleichstellung der Projektleiter mit den Abteilungsleitern;

4. sonstige Maßnahmen, die die Meinungsbildung im Unternehmen bezüglich der Autorität eines Projektleiters politisch beeinflussen, wie beispielsweise ständige Einladung zu Policy-Meetings;

5. Verleihen firmeninternen Titel was sicherlich kein großes Problem ist, da EDV-Projektleiter im allgemeinen gut bezahlt werden, ebenso so gut wohl wie andere Mitarbeiter mit Titel und Würden.

Ein völlig anderer Weg wäre, mit der EDV-Organisation zur Gänze aus der bestehenden Unternehmensorganisation herauszugeben und sie in einer eigenständigen, organisatorischen Form zu konstituieren, etwa als Tochtergesellschaft. Damit unterliegt der EDV-Organisator nicht mehr den betriebsinternen Unter- und Überordnungen, er wäre sozusagen neutralisiert. Seine Autorität in Fachfragen käme so reibungsloser zum Tragen.

- Ist es denn wirklich notwendig, daß man Titel und Posten vergeben muß, Rangstufen und Statussymbol verleihen muß, nur damit der hierarchisch hochgestellte Manager mit dem hierarchisch frei schwebenden Spezialisten kommunizieren kann?

Das "frei schwebend" zeigt genau das Problem. Einerseits delegieren wir an die EDV-Spezialisten in hohem Maße Verantwortung, andererseits sind mir nicht bereit, ihnen die ihnen zustehende Dienststellenautorität, das heißt, allgemein im Unternehmen akzeptierte Autorität zu verleihen.

- Einerseits fordern Sie wie ein (...)triebsrat neue Titel, neuen Status, andererseits, als Manager einer EDV -Organisation, wissen Sie selber, daß das Unsinn wäre, weil man flexibel bleiben muß, da die Spezialisten nach einer gewissen Zeit wieder andere Aufgaben zu erfüllen haben.

Wie Sie wissen, hat auch die EDV-Organisation die Rationalität nicht für sich gepachtet. Ich muß akzeptieren, daß meine Mitarbeiter ihren Wunsch nach Institutionalisierung ihrer Funktion zu Recht vortragen.

Wilfried Köhler-Frost (42)

studierte Betriebswirtschaftslehre an der Universität Köln. Danach arbeitete er als EDV-Organisator bei der Phoenix-Rheinrohr-AG, Düsseldorf, und der August Thyssen-Hütte-AG, Duisburg. Dem folgten drei Jahre als IBM-System-Engineer. Heute ist Köhler-Frost im siebten Jahr Organisations und EDV-Manager in der österreichischen Stahlindustrie, zuletzt bei der Voest Alpine in Linz, seit Jahresbeginn als Direktor für den Bereich Organisation und Informatik bei der Vereinigte-Edelstahlwerke-Aktiengesellschaft, Wien. Köhler-Frost ist Regional-Correspondent des Austrian Guide.