Kongreß der Wiener medizinischen Computerschule

EDV im Spital: Vom Simulanten zum Simulator

08.01.1982

WIEN (eks) - Das Symposium "Medizinische Informatik" am 27. und 28. November in Wien bot erstmals im deutschen Sprachraum die Möglichkeit zur Diskussion der neuesten und unterschiedlichsten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Computereinsatz in der Medizin deckt ein weites Themenspektrum ab - von der Krankenhausadministration über Kleincomputer in der ärztlichen Praxis, Auswertung von Labor - , EKG- und EEG-Daten, über Diagnoseunterstützung bis zur Simulation physiologischer Vorgänge. Die Informatiker wollen sich jedoch nicht zu Medizinern machen, sie liefern Werkzeuge, über deren Einsatz der Arzt entscheidet.

Die medizinische Informatik hat zum Ziel, mit den Methoden der Informatik die individuelle Patientenbehandlung zu unterstützen und entsprechende vorhandene Systeme zu analysieren sowie neue aufzubauen und zu betreiben, definiert Klaus-Peter Adlassnig, einer der Veranstalter, die Disziplin.

Breiter Raum war dem EDV-Einsatz in der Krankenhausadministration gewidmet. Steigende Kosten je Krankenhausbett und insgesamt explodierende Kosten für Therapie und Medikation zwingen zur Rationalisierung. Spitalübergreifende Datenbanken, die einerseits den wiederholten Aufnahmeaufwand reduzieren und andererseits auch für Bewußtlose oder Vergeßliche die Krankengeschichte liefern sollen, seien in Vorbereitung. Professor Georg Grabner, Leiter des Instituts f& medizinische Computerwissenschaften der Wiener Universität gehört zu den Pionieren dieser Anwendungen. Eine 1963 begonnene Studie wurde 1970 zum offiziellen Forschungsprojekt und führte zur Entwicklung von "Wamis" (Wiener Allgemeines Medizinisches Informationssystem), das heute von 18 Universitätskliniken benutzt wird und 320 000 Patienten und 490 000 Krankengeschichten gespeichert hat. Monatlich kommen etwa 7000 hinzu. Mit Krankenhausinformationssystemen soll die rasante Entwicklung der Medizin, insbesondere der Diagnostik abgefangen werden, damit sich der Arzt wieder mehr Zeit für den einzelnen Patienten nehmen kann.

Offen bleibt die Frage, in welchem Umfang derartige Systeme zur weiteren Kostenexplosion im Gesundheitswesen beitragen werden. Denn wie bei allen EDV-Anwendungen wird auch hier im wesentlichen mit basismeßbaren quantifizierten Merkmalen (einfachstes und sicher billigstes Beispiel: Blutdruck) gearbeitet und nicht mit beschreibenden (zum Beispiel Hautfarbe, Gang), die der erfahrene Arzt fast unbewußt in seine Diagnose einbezieht. Dazu kommt, daß im Zweifel das Nichtbenutzen eines verfügbaren Instruments zum "Kunstfehler" führen könnte; dem versucht sich der Arzt dann durch überkomplette Computerdokumentation zu entziehen.

Praxiscomputer noch ein Wunschtraum

Hauptsächlich ökonomische Gründe seien es, die dem Arztcomputer den Weg in die Praxen versperren. Immerhin ergab eine Studie aus Hannover, daß niedergelassene Ärzte doch ganze 17 Anwendungsgebiete als Rechtfertigungsfaktoren für den EDV-Einsatz ansehen.

Was im Krankenhaus oder in der Groß- und Gruppenpraxis unter Umständen rentabel ist, erscheint natürlich dem einzelnen Arzt nur in Ausnahmefällen einsetzbar.

Computerunterstützte Diagnostik ist heute noch eher in der Grundlagenforschung vertreten. Die vielfältigen Beziehungsmöglichkeiten von Symptomen und Diagnosen sowohl zueinander als auch untereinander lassen den "Doktor Computer" noch unwahrscheinlich erscheinen. Für einzelne spezielle Gebiete jedoch stellen Diagnosesysteme bereits wertvolle Hilfsmittel dar. Und immerhin traute vor zehn Jahren niemand Schachcomputern zu, sich mit Spielern der Meisterklasse zu messen.

Mit der mathematischen Analyse biologischer Vorgänge können heute Simulationsverfahren beispielsweise zur Berechnung des Tumorwachstums oder der Magentätigkeit durchgeführt werden. Obwohl der Weg bis dahin weit scheint, die Pharmaforschung konnte sich eines Tages mit der medizinischen Simulation von Krankheiten durch EDV treffen. So setzen zum Beispiel heute schon pharmazeutische Firmen EDV zur Wirkungsvoraussage neuer Medikamente ein. Mit immer vollständigerer Darstellung physiologischer Systeme könnten manche Versuche am lebenden Objekt entbehrlich werden. Jedenfalls heißt es heute nicht mehr: "Der Simulant in Saal 7 ist gestorben", sondern: "Der Simulator im Rechner 7 ist abgestürzt."

Versuche am lebenden Objekt entbehrlich

Ein weites Betätigungsfeld finden die Informatiker auch in der Biostatistik. Enthält heute doch bereits die Hälfte aller medizinischen Originalarbeiten mindestens einen statistischen Test, der jedoch in 30 Prozent der Fälle falsch angewendet wurde. Folgerichtig befaßte sich das Symposium hauptsächlich mit Grundsatzproblemen der Objektivität, Repräsentativität und Übertragbarkeit der Ergebnisse medizinischer Studien.

Vorträge über Biosignalverarbeitung (EKG, EEG) sowie digitale Testverarbeitung (Röntgen, Szintigramme, Ultraschalldiagnostik, Zytologie) rundeten das Programm ab. Ein Tagungsband erschien in der Schriftenreihe der österreichischen Computergesellschaft und kostet 300 Schilling.

Informationen: OCG, Garnisongasse 7, A - 1096 Wien, Tel.: 42 41 21.