Örtliche Nähe spielt nur eine untergeordnete Rolle

EDI: Die Pilotphase erfordert ein ausreichendes Datenvolumen

18.10.1991

Die Martinswerk GmbH, ein Unternehmen für chemische und metallurgische Produktion mit über 1000 Mitarbeitern in Bergheim und zur Alusuisse-Lonza Gruppe gehörend, befaßt sich seit Anfang 1991 mit dem Einsatz von EDI. Sabine Johnen* beschreibt die Planungsphase des Projekts.

In einer ersten strategischen Planung wurde mit der Lion GmbH, Köln, die Durchführung mehrerer Pilotprojekte innerhalb des Konzerns beschlossen, die durch ein konzerneinheitliches Projekt-Management-System (ALUPASS) unterstützt werden. Im Rahmen der ersten Phase, der Vorstudie wurden im Martinswerk neben dem Erwerb des nötigen EDI-Know-hows (EDI, Edifast, Cefic) Ansätze zur Umsetzung von Edifact in das Pilotprojekt erarbeitet.

Bezogen auf den Datenaustausch befindet sich ein Industrieunternehmen entweder in der Situation des Kunden oder in der des Lieferanten. Als Kunde werden Anfragen und Bestellungen verschickt, ferner Angebote, Auftragsbestätigungen und Rechnungen empfangen. Als Lieferant werden Anfragen und Aufträge empfangen, und Auftragsbestätigungen, Qualitätszertifikate, Speditionsanweisungen und Rechnungen versandt. In beiden Situationen ist die angewandte Technik gleich doch sind jeweils unterschiedliche Unternehmensbereiche mit verschiedene Anwendungssystemen konfrontiert.

Keine Nachteile aber viele Vorteile

Aus diesem Grund hat sich die Martinswerk GmbH entschieden, zunächst eine EDI-Anwendung mit einem Konzernexternen Geschäftspartner als Pilotprojekt aufzubauen, wobei aufgrund der geographischen Nähe ein Kunde favorisiert wurde. Eine Analyse ergab jedoch, daß sich dieser Kunde zwar schon mit EDI-Konzepten befaßte, aber das Datenvolumen für ein Pilotprojekt zu gering war und die räumliche Nähe kaum Relevanz hat. Die Wahl fiel deshalb auf eine belgische Vertretung des Martinswerkes, die derzeit rund 25 Kunden vertritt.

Eine Grund für den Einsatz von EDI ist, daß die elektronisch ausgetauschten Edifact-Nachrichten keiner oder nur geringer manueller Bearbeitung bedürfen, automatisch geprüft und auf direktem Weg an die richtigen Fachabteilungen beziehungsweise Sachbearbeiter weitergeleitet werden können. Im Vergleich dazu wird heutzutage im normalen Geschäftsablauf eine Flut von Papier erstellt, transportiert, korrigiert, kopiert und übertragen; und dies soll in kürzester Zeit und möglichst korrekt ablaufen. Nicht selten kommt es dabei zu fehlerhaften Zustellungen, so daß Bestellungen, Lieferscheine oder Rechnungen in den falschen Abteilungen landen. EDI ist mit keinem der Nachteile von Papierdokumenten behaftet; die Einführung bringt jedoch noch weitere Vorteile und Einsparungen mit sich:

- Die Genauigkeit der Daten, die unmittelbar durch die Anwendungssysteme erstellt und zwischen den Rechnern ausgetauscht werden, ist größer. Zusätzlich kann teilweise eine automatische Prüfung eingebunden werden.

- Die elektronische Datenübertragung ist wesentlich effizienter als der Versand schriftlicher Daten per Post.

- Es entstehen Einsparungen, da die Kosten für Kopien, Fax, Porto, Verteilung, Ablage und Datenerfassung entfallen. Edifact schafft darüber hinaus die Grundlage für eine funktionierende Just-in-Time-Logistik (JIT). Dies könnte wiederum Einfluß auf Lagerbestände, Durchlaufzeiten und damit auf eine Reduktion der Kapitalbindung im Martinswerk haben, wenn ein Produktionsplanungssystem im Einsatz wäre.

- Da EDI die schnellere Bearbeitung der Kundenwünsche ermöglicht, steigt auch die Zufriedenheit der Kunden.

- EDI führt zu einer Verbesserung der Marktposition: Flexibilitätssteigerung, Produktdifferenzierung, Verbesserung des Servicegrades, Durchsetzung von nationalen und internationalen Wettbewerbsvorteilen. Immer mehr Firmen drängen auf papierlosen Datenaustausch, so daß Unternehmen immer mehr gezwungen werden, EDI einzusetzen, um dem Konkurrenzdruck standhalten zu können. Die branchenunabhängige und internationale Kommunikation wird auch durch den europäischen Markt, die zusammenwachsenden Weltmärkte und die Internationalisierung der Konzerne gefordert. EDI wird nicht nur in naher Zukunft große Bedeutung in der Geschäftswelt einnehmen, sondern spielt bereits heute eine wichtige Rolle.

Vorteile eines EDI-Einsatzes liegen mit Sicherheit in der Vereinfachung und Erleichterung bestimmter Arbeitsabläufe. Der hieraus zu realisierende Nutzen sowie die gewünschten strategischen Aspekte lassen sich auch im Martinswerk umsetzen - aber nur dann, wenn die Ablauforganisation in einigen Bereichen auf die EDI-Regularien abgestimmt wird.

In ihrem Rahmenkonzept empfiehlt die Lion GmbH in Abstimmung mit der Alusuisse-Lonza folgende schrittweise EDI-Einführung für den gesamten Konzern.

Die erste Stufe stellt eine Unternehmenslösung auf PC-Basis dar: Dabei wird je ein PC als Server für ein Unternehmen des Konzerns eingesetzt. Dadurch soll der EDI-Einstieg der einzelnen Geschäftsbereiche des Konzerns realisiert werden. Der Übergang zu einer konzernweiten Lösung über einen gemeinsamen Server (zum Beispiel auf Unix-Basis) ist erst dann ratsam, wenn sich EDI im Konzern etabliert hat.

Durch diese Konfiguration können auf Konzernebene gemeinsame und bereits bestehende Beziehungen ausgebaut werden. Voraussetzung ist jedoch die Einrichtung eines "EDI-Zentrums", das die zentrale Koordination für alle angebundenen Geschäftsbereiche übernimmt.

Die Vorteile einer PC-Lösung

Als Alternative zur PC-Lösung wäre der Einsatz eines EDI-Systemes auf dem Host denkbar. Doch bietet eine PC-Lösung gegenüber einer Host-Lösung folgende Vorteile:

- Ein EDI-System und EDI-Software auf dem PC-Server bedeuten nur eine geringe zusätzliche Belastung für den Host.

- Die Datensicherheit ist gewährleistet, da der Kommunikationspartner nur auf den Server, nicht aber auf den Host zugreifen kann.

- Die PC-Lösung benötigt nur ein EDI-System, bei einem Einsatz auf dem Host wäre für jeden Rechner (also auch für ASI 400) je ein EDI-System oder ein zusätzliches File-Transfer-System nötig.

- Der Umstieg auf konzernweite Server-Lösung ist einfacher.

Ein Nachteil der PC-Lösung gegenüber der Host-Lösung ist jedoch der zusätzliche Aufwand für einen File-Transfer zwischen Host und PC.

Im Telekommunikationsbereich bieten sich für EDI mehrere Möglichkeiten:

Der elektronische Datenaustausch über Teletex ist nicht zu empfehlen, da dieser Dienst zu wenig verbreitet ist und nur über eine geringe Anzahl Teilnehmer verfügt.

Im Zusammenhang mit EDI wird in letzter Zeit sehr oft X.400 genannt, ein Standard auf der Anwendungsschicht, der den Austausch von Nachrichten ohne direkte Verbindung ("store and forward") zwischen Anwendungen in einem Rechnernetz ermöglicht. Derzeit hat X.400 noch nicht die erwartete Verbreitung gefunden und wird hauptsächlich für elektronische Post eingesetzt. In Zukunft wird X.400 aber die Transportmethode für Edifast-Nachrichten werden. Eine Cefic-Arbeitsgruppe arbeitet zur Zeit an der Verbindung zwischen Edifact und X.400. Gegenwärtig sind nur Übergangslösungen möglich; der Einsatz entsprechender Produkte ist jedoch anzustreben.

FTAM (File Transfer, Access und Management) bietet im wesentlichen Dienste zur Übertragung von kompletten Dateien. Eine Nutzung dieses Dienstes für EDI ist zwar möglich, hat jedoch Nachteile, da FTAM keinen Zeitstempel (Datum, Zeit) für Ein- und Ausgang der Nachrichten vergibt.

VANs (Value Added Networks) oder VADS (Value Added Data Services) werden von diversen Anbietern (u.a. Telekom, IBM, General Electric, Infonet) angeboten. Zur Zeit findet die EDI-Kommunikation im wesentlichen auf dem Weg der Nutzung solcher Mehrwertnetze statt. Auch für das Martinswerk ist es sinnvoll, einen VAN-Dienst zu nutzen. Grund: Während des Pilotprojektes bedeutet dies zwar einen höheren Kostenaufwand als eine Punkt-zu-Punkt-Verbindung, die Anbindung weiterer EDI-Partner wird jedoch erleichtert. Probleme können jedoch auftreten, wenn die Geschäftspartner unterschiedliche VANs nutzen, so daß eine Verbindung zwischen diesen Netzen realisiert werden muß. An dieser Problematik wird jedoch von den VAN-Anbietern zur Zeit gearbeitet.

Die Entscheidung für einen bestimmten Übertragungsdienst und ein entsprechendes Übertragungsprotokoll ist in der Vorstudie noch nicht möglich. Sie kann erst nach Absprachen mit dem Partner des Pilotprojektes getroffen werden.

Zur Realisierung des im "Lösungsansatz" erläuterten ersten Schrittes (PC-Lösung), wird ein 386-Rechner als Martinswerk-Server eingesetzt und an den Host-Rechner angebunden. Ferner wird ein Modem benötigt, das die Umsetzung der Daten und Signale zwischen dem PC und einem Telekommunikationsnetz (VAN) gewährleistet.

Die Entscheidung zwischen der Erstellung einer martinswerk-orientierten Individual-Software und einem Standardprodukt fällt im Falle EDI leicht. Auf dem Markt befinden sich bereits diverse EDI-Softwareprodukte, die auf die Anforderungen der Edifact-Gremien und der EDI-Anwender aufbauen. Diese Produkte sind schnell lieferbar, rasch installiert und decken im allgemeinen den gesamten EDI-Leistungsumang ab. Eine Eigenentwicklung würde sich für die Martinswerk GmbH nicht lohnen, weil erst das sehr spezifische Fachwissen aufgebaut und eine regelmäßige Aktualisierung - je nach Weiterentwicklung der Edifact-Nachrichten - erfolgen müßte. Zusätzlich wäre eine auf dem Markt befindliche Normdatenbank zu integrieren, die in den meisten Standardprodukten bereits enthalten ist. Demzufolge ist die Standardsoftware meist kosten- und zeitgünstiger sowie qualitativ umfassender als eine Eigenentwicklung.

Neben der EDI-Software wird eine Netzwerksoftware benötigt, die die Steuerung des Mehrwertnetzes realisiert. Der Kauf dieser Software ist jedoch vom Netzwerk-Betreiber abhängig.

Bezogen auf den EDI-Einsatz im Martinswerk wurde eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung durchgeführt. Da die Entscheidungen bezüglich bestimmter Softwareprodukte und Netzwerke erst in der Konzeptphase getroffen werden, ist die Kosten- und Nutzenanalyse in der Vorplanung nur grob möglich.

Diese Kosten sind zunächst nur bezogen auf das Pilotprojekt mit einem Geschäftspartner und einem Anwendungsbereich (zum Beispiel Anfrage, Angebot, Bestellung, Auftragsbestätigung) des Martinswerkes. Nicht erwähnt wurden in dieser Aufstellung die Kosten, die während der Geschäftsreisen beziehungsweise Absprachen mit den entsprechenden Geschäftspartnern anfallen. Wird an das Pilotprojekt ein erweitertes EDI-Projekt angeschlossen, ist für jeden weiteren Geschäftspartner ein EDI-Vertrag abzuschließen, das heißt, daß die Rechtanwaltskosten wiederum anfallen.

Bei Integration weiterer Nachrichtenformulare müssen zusätzliche Cefic-Subsets beschafft (ca. 100 Mark pro Nachricht) und eine Implementationsberatung durchgeführt werden.

Laufende Kosten:

- VAN-Kosten (pro Nachricht/ Formular) ca. 1 Mark

- Übertragungskosten (pro Nachricht) ca. 0,05 Mark

- Wartung EDI-Software pro Monat ca. 225 Mark

Bei Betrachtung dieser Aufstellung wird deutlich, daß die VAN- und Übertragungskosten in etwa den Portokosten der Nachricht entsprechen. Doch würden diese nach einer EDI-Realisation, die über das Pilotprojekt hinausreicht, entfallen.

Die Einsparungen durch niedrigere Übertragungskosten im Vergleich zu den Portogebühren sind zu vernachlässigen. Bezogen auf ein Dokument oder eine Nachricht ist die Papierersparnis niedrig. Bei entsprechendem Volumen und auch unter den Gesichtspunkten des Umweltschutzes kann dieser Punkt jedoch bedeutend sein.

Eine Gegenüberstellung der Übertragungszeiten von Brief, Telex und Fax geht eindeutig zugunsten von EDI aus. Vergleicht man nicht nur die momentane Kostenstruktur, sondern auch die Entwicklung der Kosten, sieht das Bild noch positiver aus.

Zusätzlich wird die Freisetzung von Rationalisierungspotentialen ermöglicht, da sich die Erfassungsarbeiten der Sachbearbeiter verringern. Die entsprechenden Zeitersparnisse können für andere Aufgaben aufgebracht werden. Auch dies ist ein wichtiger Faktor, da die Personalkosten in Zukunft weiter steigen, die Rechnerkosten jedoch fallen werden.

In der zweiten Phase des Projektes wird die Kommunikationsanalyse zwischen Martinswerk und der belgischen Vertretung durchgeführt. Da es sich bei der Einführung von EDI nur zu 20 Prozent um die Realisierung einer Technik und zu 80 Prozent um eine Veränderung der Geschäftsprozesse handelt, müssen die Geschäftsabläufe vor Einführung von EDI so organisiert werden, daß eine straffe, einfache und wirtschaftliche Wahrnehmung der Aufgaben gewährleistet ist. Erst darauf baut die Implementierung innerhalb der Computersysteme auf. Zusätzlich ist eine Überprüfung der rechtlichen Aspekte von großer Bedeutung.

Die Langsamen werden den Schnellen zum Opfer fallen

In der Konzeptphase erfolgt eine Evaluation der erwähnten Hard-, Soft- und Orgware. Außerdem wird die EDI Nachrichtenstruktur erstellt, bei der die auszutauschenden Daten den einzelnen Edifact-Nachrichten zugeordnet werden. Abschließend wird die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung aktualisiert und ein Aktivitäten- und Zeitplan konkretisiert.

Fazit: In der Vorstudie wurde deutlich, daß die Einführung von EDI nicht nur eine neue Technik oder den Ersatz der Kommunikation auf Papier bedeutet, sondern vor allem Anpassungen und Verbesserungen der organisatorischen Geschäftsabläufe umfaßt. Nur so kann EDI die langfristige Entwicklung im Martinswerk verbessern. Denn: Nicht die Großen werden die Kleinen fressen, sondern die Langsamen werden den Schnellen zum Opfer fallen. +