Produkt-Hickhack bei lokalen Netzwerken durch Standardisierungsentscheidung eingedämmt:

ECMA will Ethernet auf die Sprünge helfen

02.07.1982

MÜNCHEN - Drei Standards für lokale Netzwerke auf der Basis des Xerox-Konzeptes Ethernet verabschiedete jetzt die European Computer Manufacturers Association (ECMA) in Genf. Die von fünfzehn namhaften DV-Herstellern getragene Entscheidung hatte sich in ihrer Endphase zu einem Politikum hochgeschaukelt: Dem Vernehmen nach habe sich vor allem die IBM massiv bemüht, ihr noch nicht angekündigtes Token-Ring-Netz durchzudrücken.

Ob sich mit der ECMA-Entscheidung nun ein echter Standard durchsetzen könnte oder nur eine neue Runde im Streit um das LAN-Territorium (LAN - Local Area Network) eingeleitet wurde, ist den Netzwerk-Gurus noch nicht ganz klar. Fest steht dennoch: In den Gremien der europäischen Herstellervereinigung bemühten sich unter "enorm aktiver" Beteiligung - so wird aus Genf berichtet - Unternehmen wie Siemens, Nixdorf, ICL, Digital Equipment, Olivetti und Rank Xerox um Fixierung einiger Regeln im derzeitigen Netzwerk-Dschungel.

Die internationale Unterstützung der neuen Standards umfaßt sowohl das bestehende ISO-Transportprotokoll als auch die neuen ECMA-Empfehlungen für die Leitungs- und Datenübertragungssteuerung in offenen lokalen Netzwerken mit Koaxialkabelverbindungen und der CSMA-CD-Übertragungstechnik.

Was sich so kompliziert anhört, kennzeichnet einen an sich einfachen Sachverhalt: Genormt wurde die physikalische Ebene, bei der es um Verkabelung, Schnittstellen und Protokollumsetzer geht. Neutrale Beobachter gehen denn auch davon aus, daß dieser ECMA-Vorstoß keine Marktkraft, wie etwa das SNA-Announcement der IBM, haben wird.

Die Diskussion um LAN-Standards begann bereits im Frühjahr 1980 unter der Projektnummer 802 beim amerikanischen "Institut for Electrical and Electronics Engineers" IEEE). Dort wurden erste Aktivitäten zunächst vom Ethernet-Trio Digital Equipment, Intel und Xerox (DIX) gestartet. Die Struktur der IEEE-Gremien, bei der die mitarbeitenden Unternehmen mit nahezu beliebig vielen Stimmen Einfluß nehmen können, führte jedoch nach Ansicht von IEEE-Kennern dazu, daß die Standardisierungsentscheidungen mehr und mehr verschleppt wurden. Vor allem deswegen, weil IBM - und anfangs auch Honeywell - aus unternehmenspolitischen Interessen gegen die DIX-Vorschläge angegangen seien. Einige Europäer, allen voran Siemens und ICL, hätten daraufhin den Normungsgedanken in die ECMA-Ausschüsse getragen.

Obwohl die erste ECMA-Sitzung erst im November vergangenen Jahres abgehalten wurde, habe bereits im Januar ein Entwurf für die Ethernet-Anlehnung vorgelegen. Dieser basierte noch voll auf den IEEE-Vorarbeiten. Inzwischen gebe es jedoch einige wesentliche Unterschiede im Bitmuster, wie ECMA-Mitglieder erläutern, die eine Inkompatibilität der beiden Netzwerkkonzepte bewirkten. Der von den europäischen DV-Anbietern akzeptierte Standard entspreche indes mit Ausnahme einiger geringfügiger Abweichungen dem von DIX entwickelten Ethernet-System. Peter von Studnitz, Sonderbeauftragter der Philips GmbH in Siegen und stellvertretender Vorsitzender des "TC-24-Gremiums", das bei der ECMA für Protokoll-Standards zuständig ist, meint denn auch, daß Ethernet mit der Genfer Entscheidung nunmehr international der Durchbruch gelungen sei.

Dennoch werden bereits neue Probleme von Kommissionsmitgliedern kolportiert: Obwohl während der ECMA-Arbeiten eine ständige Verbindung zu IEEE bestanden habe, würden die Amerikaner die Entscheidung der Europäer als verfrüht bezeichnen. Die US-Gremien befänden sich derzeit in neuen Abstimmungen und hätten als "Wegbereiter" ihre Ergebnisse gern zum gleichen Zeitpunkt präsentiert wie die ECMA. Insider befürchten deshalb, daß IEEE jetzt einen abweichenden Standard bringen könnte, der dann mit dem europäischen Konzept konkuriere.

Erklärt Ingrid Fromm, stimmberechtigte Siemens-Vertreterin in der TC-24-Gruppe und "Bindeglied" der Aktivitäten, die zwischen ECMA und IEEE abliefen: "Ein wesentlicher Faktor bei der Entscheidung für den Ethernet-Standard liegt in der Tatsache, daß das Xerox-Produkt das einzige ernsthaft erprobte Netzwerk ist." Da den meisten Systemen noch eine klare Definition fehle, könne man nur etwas standardisieren, von dem man sicher sein könne, daß es überhaupt einmal funktioniere.

Rosigen Zeiten sehen jetzt nach eigenen Aussagen vor allem die Xerox-Mannen entgegen. Jubelt Klaus Spiegel, Produktmanager für Netzwerksysteme in der Kölner Deutschland-Zentrale: "Wir können nicht ganz ohne Stolz sagen, daß sich unser Produkt jetzt als internationaler Standard durchgesetzt hat." Letztendlich sei aber auch der Druck der vielen Ethernet-Lizenznehmer bei der schnellen ECMA-Entscheidung ausschlaggebend gewesen, räumt Spiegel ein. Die europäischen Gremien hätten - im Gegensatz zur IEEE - bewußt das "politisch motivierte Streiten um das letzte Bit" vermieden und konsequent auf eine Standardisierung hingewirkt. Als Konsequenz der ECMA-Entscheidung sieht der Xerox-Manager, daß sowohl Hersteller als auch Anwender nun einen hohen Grad an Sicherheit gewonnen hätten. Die Unternehmen könnten sich jetzt ernsthaft orientieren, ohne Gefahr zu laufen, in eine Sache zu investieren, die sich später als "aufgepushter Herstellerstandard" erweise.

In die gleiche Kerbe haut Klaus-Peter Fähnrich, Netzwerkprofi beim Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart: "Die Ethernet-Anlehnung bedeutender Hersteller trägt dazu bei, daß ein wenig Ruhe an der Netzwerkfront eintreten wird." Trotzdem sei aber hier das letzte Wort noch nicht gesprochen, denn einige bekannte LAN-Anbieter hätten sich mit dem ECMA-Standard noch nicht identifiziert.

Spiegel spielt hier vermutlich auf die Wang Laboratories Inc. an, die auch nach Ansicht anderer Netzwerkspezialisten jetzt vor allem in Europa Probleme mit ihrem Breitbandkonzept bekommen werde. Wang habe zunächst über IEEE versucht, kurzfristig das eigene Produkt durchzupauken, sich aber dann nicht mehr an den ECMA-Diskussionen beteiligt. Dem Vernehmen nach wurde das "Wang-Net" abgelehnt, weil das Unternehmen aus Lowell/Massachusetts noch massive Schwierigkeiten habe, die Technik der Kollisionserkennung in den Griff zu bekommen.

Mit einer Übertragungsrate von, zwölf Megabit wollte Wang ursprünglich mit seinem System schneller sein als Xerox mit seinem Ethernet (zehn Megabit). Damit habe sich das Unternehmen jetzt aber nach Meinung von ECMA-Mitgliedern aufs "Abstellgleis" begeben.

Wang-Manager Ralf Bengsch sieht das Marketingkonzept seines Hauses indes nicht gefährdet. Bis heute sei es Ziel der DV-Industrie gewesen, die bestehende Verwirrung bei der Bürotechnologie abzubauen, konstatiert der Frankfurter Marketingprofi. Und weiter: "Was die ECMA jetzt angekündigt hat, ist ein Ethernet-ähnlicher Standard, der noch mehr zur Verwirrung der Benutzer beiträgt und die Abneigung gegenüber den Informationstechnologien verstärkt."

Eine "knallharte Politik" bei der Ethernet-Entscheidung hat nach Aussagen einiger ECMA-Mitglieder vor allem IBM betrieben, die ihr Token-Ring-Netz forcieren wollte. Der Marktführer habe versucht, sein Produkt ebenso schnell "durchzudrücken" wie die jetzt verabschiedeten Standards. Obwohl beide Netzwerke zwar nicht miteinander konkurrierten, weil das eine für reine Bürokommunikation und das andere (IBM) für anspruchsvollere Anwendungen vorgesehen sei, bestünden seitens Big Blue Bedenken, daß sich eine "Verspätung" auf die Akzeptanz der Benutzer bemerkbar machen könne. Noch bei der letzten ECMA-Konferenz Ende Juni in Genf habe es heftige Diskussionen zu diesem Thema gegeben. Die Masse der Teilnehmer soll sich mit der Begründung gegen das IBM-Konzept ausgesprochen haben, es sei noch zu wenig ausgereift und existiere in seinen wesentlichen Zügen lediglich auf dem Papier. Schließlich habe die Abstimmung über die Eingabe des Marktführer ergeben, daß das Token-Ring-Netz frühestens im Juni nächsten Jahres anerkannt werden könne. LAN-Marktbeobachter vermuten, daß IBM nun, an der ECMA-Entscheidung vorbei, früher als geplant in den Markt gehen werde.

ECMA kontra IBM?

Die DIX-Gruppe will IBM, Wang und Datapoint auf die LAN-Reservebank verbannen. Unter den ECMAnern haben DEC, Intel und Xerox Verbündete gefunden, die sich für die Ethernet-Basistechnologie als europäischen Industriestandard für Local Area Networks stark machen. Geändert hat sich dadurch de facto nicht viel. Nixdorf und Siemens etwa, im ECMA-Kreis besonders aktiv, sind seit längerem Ethernet-Lizenznehmer.

Der ECMA-Entwurf lehnt sich nun in der Tat, was die unteren Protokolle der Nachrichtenübertragung, die Transportprotokolle, betrifft, eng an die Physik des Ethernet-Grundkonzepts an. Diese Ebene liegt unterhalb der eigentlichen Benutzerschnittstelle. Viel Wirbel also um nichts? Ja und nein.

Erstens: Das Transportproblem tangiert sowieso nur die Anbieterseite - Ethernet-like zu sein bei Kabeln, Schnittstellen, Protokollumsetzern, bringt folglich fürs Datenendgerätegeschäft noch keine Wettbewerbsvorteile. Mit anderen Worten: Die ECMA-Empfehlung stellt kein Präjudiz dar, daß sich Ethernet-Produkte von Xerox, DEC, ICL, Siemens oder Nixdorf von allein verkaufen. Für IBM und die anderen bleibt der Markt offen. Das mag LAN-Interessenten beruhigen, die sich eine Kommunikationswelt á la Xerox partout nicht vorstellen können.

Daß die IBM, zweitens, in künftigen Datenstationen unter Umständen auf Verbindungsebene ECMA-, sprich: Ethernet-Anpassungen, wird vornehmen müssen, kann der Marktentwicklung nur förderlich sein. Wie so etwas geht, hat der Marktführer bei X.25 vorexerziert.