Wenn die Rechenzeit knapp wird, können Supercomputer helfen:

Echter Crash erst nach Rechner Simulation

17.04.1987

OTTOBRUNN - Immer stärker hält Supercomputerleistung Einzug in Industrieunternehmen. So werden beispielsweise die Flügel des Airbus oder dessen Rumpfmittelteil Festigkeits- und Lebensdaueruntersuchungen auf einem Vektorrechner unterzogen. Uwe Harms, Systemanalytiker für Vektorrechneranwendungen bei der IABG, Ottobrunn, beschreibt Einsatzmöglichkeiten sogenannter Supercomputer in industriellen Anwendungen.

Der erste industrielle Anwender eines Vektorrechners war die Prakla-Seismos GmbH in Hannover, die eine Cyber 205 von Control Data im Jahre 1982 installierte. Das Unternehmen setzt diesen Rechner zur Lösung seismischer Probleme ein. Als zweiter industrieller Supercomputerbetreiber in der Bundesrepublik nahm die IABG im März l985 das Siemens/Fujitsu-System VP200 (Maximalleistung: 570 Millionen Gleitkommaoperationen pro Sekunde) in Betrieb. Die IABG bietet der Industrie die Nutzung dieses Vektorrechners an, um ihr einen einfachen Einstieg in die Welt der Supercomputing zu ermöglichen.

Ein Supercomputer ist kein Taschenrechner

Dies vermeidet die extrem hohen Anfangsinvestitionen für die Hardware des Supercomputers. Daneben entfallen zusätzliche Kosten im Bereich der Wartung, der System- und Lizenzsoftware, von denen gerade die letztere im Bereich der Supercomputer sehr teuer ist. Oft werden Personalkosten nicht berücksichtigt die bei der System- und Anwendungssoftware-Installation und -Pflege und insbesondere im Bereich der fachlichen Beratung und Ausbildung sowie bei der Erstellung der Dokumentation auftreten. Ein Supercomputer ist kein Taschenrechner, den man sofort effektiv bedienen kann.

Bei einer portablen Fortran-Anwendungsprogramm erreicht man schon mit Hilfe des sehr guten autovektorisierenden Compilers oft eine ausreichende Leistungssteigerung gegenüber der skalaren Verarbeitung. Will man aber in Spitzenbereiche vordringen, muß das Programm manuell geändert werden. Oft reichen schon Vektorisierungshinweise an den Compilern oder gewisse Umstrukturierungen in den rechnerintensiven Unterprogrammen. Hilfreich ist es, wenn man dabei auf fachliche Unterstützung zurückgreifen kann.

Ist der Anwender nun mit diesen Methoden vertraut und hat sich ein wachsender Bedarf herausgestellt, kann man an die eigene Beschaffung denken. Dann ist nämlich auch schon das Know-how und die Bereitschaft vorhanden, neue und innovative Wege zu gehen, vom Experiment zur Computational Science.

Nach diesem mehr grundsätzlichen Überlegungen soll natürlich auch über praktische Anwendungen berichtet werden. Diese kann man auf dem VP 200 der IABG in die Bereiche Aerodynamik, Crash-Simulation, Strukturoptimierung, allgemeine Finite-Element-Anwendungen (Programmpakete wie Nastran), Bildverarbeitung, Animation und theoretische Chemie unterteilen.

Zum Teil werden eigene Programme auf den VP 200 umgestellt, handvektorisiert und dann in Produktionsanwendungen eingesetzt. So wurden beispielsweise mit einem hochoptimierten Programm bei der Berechnung von transsonischen Strömungen an Flügeln ein Rekord von mehr als 400 MFlops erreicht. Solche Programme können im Unterschallbereich auch bei aerodynamischen Berechnungen von Autos eingesetzt werden. In diesem Fall wurden etwa 30 bis 120 MFlops gemessen.

Dem Ingenieur steht damit ein mächtiges Hilfsmittel zur Verfügung, den Flügel- oder Pkw-Entwurf zu modifizieren und die Auswirkungen rechnerisch sehr schnell zu überprüfen. Ein weiteres wichtiges Anwendungsgebiet ist die Crash-Simulation. Stehen entsprechende Programme zur Verfügung, die das Crash-Verhalten realistisch im Rechner abbilden, kann die Automobilindustrie einige Varianten durchrechnen. Aus den Ergebnissen kann dann ein quasi-optimaler Entwurf vorgeschlagen werden. Das danach realisierte Auto läßt man dann gegen die Wand fahren. Aus der Rückkopplung der gemessenen Ergebnisse beim Versuch und der berechneten Werte läßt sich das mathematische Modell weiter verbessern.

Bei der Strukturoptimierung soll die Frage beantwortet werden, ob eine gegebene Struktur (zum Beispiel Flügel oder Leitwerk) leichter - also gewichtsparender - und damit beim Flugzeug energiesparender gebaut werden kann, wobei aber die Festigkeit und Haltbarkeit erhalten bleibt. Diese Anwendungen werden immer wichtiger. Man kann natürlich diese Programme auch auf Auto- und Schiffsstrukturen anwenden, bei denen ja eine Gewichtsersparnis auch eine Senkung der Herstellungs- und Betriebskosten bringt.

Die beiden letzten Anwendungsbereiche sind natürlich auch zur Klasse der Finite-Element-Probleme zu rechnen. Viele Programmpakete erlauben auch solche Untersuchungen, sind aber zum Teil von den Methoden her überholt. Eine Nachfrage nach FEM-Paketen wie zum Beispiel Nastran besteht immer noch. Es ist ein "Muß", hochvektorisierte Anwendungssoftware anzubieten. Bei Nastran beispielsweise lassen sich dann sehr große Modelle schnell und kostensparend durchrechnen.

Bei den FEM-Paketen spielt aber nicht nur die Rechenzeit, sondern auch die Hauptspeichergröße eine wesentliche Rolle. Dann können nämlich die auftretenden Matrizen im Hauptspeicher gelagert werden; die langsamen und aufwendigen Plattenzugriffe werden vermieden.

Die IABG arbeitet schon seit vielen Jahren auf dem Gebiet der Bild- und Geländedatenverarbeitung. So existiert beispielsweise eine Topographie-Datenbank der Bundesrepublik Deutschland etwa im Raster 100 Meter mal 100 Meter, zum Teil auch feiner. Aus dieser digitalen Datenbank läßt sich mit. Zusatzinformation über Bewuchs oder Bebauung ein realistisches Bild der Bundesrepublik aufbauen. Diese Daten werden genutzt, um den Standort von Rundfunk- und Fernsehsendern so zu optimieren, daß ein möglichst großes Gebiet einen guten Empfang hat.

Ob nun Sender aus 100 Metern Höhe abstrahlen oder Pkw aus 1,5 Meter Höhe Lärm und Abgase von sich geben, ist im Rechenmodell und Programm ziemlich gleichgültig. Man kann also auch ökologische Auswirkungen von Autobahntrassen berechnen. Welchen Einfluß hat dann das Verlegen einer Autobahn auf das umliegende Gebiet.?

Werden jetzt noch Windeinflüsse und photochemische Reaktionen von Chemikalien an diese Datenbank geknüpft, können Schadstoffausbreitungen bei Unfällen von Chemiefasern vorab berechnet werden. Auch unter solchen Gesichtspunkten könnte der Standort einer neuen Fabrik geplant und bestimmt werden. Wenn man einmal den Abstraktionsschritt vom Rundfunksender oder den Autos vollzogen hat, kann man sich noch viele weitere Anwendungen im Zusammenhang mit der Geländedatenbank vorstellen.

Von der Bildverarbeitung zur Computeranimation ist es dann nur noch ein Katzensprung. Die Schadstoffausbreitung kann über die Zeit dargestellt werden. Aus reinen Zahlenkolonnen werden bewegte Bilder, die auch ein fachlicher Laie verstehen kann. Natürlich kann auch eine Crash-Simulation als zeitlicher Vorgang mit Hilfe der Animation gefilmt werden und dann mit einem Film des "echten" Crashvorgangs am existierenden Fahrzeug verglichen werden. Für Computerfilme werden in den USA schon seit einigen Jahren Supercomputer verwendet.

Eiren Schwerpunkt will die IABG im Bereich der theoretischen Chemie setzen. Als Koppelstelle zwischen universitären Forschung und industrieller Anwendung kann sie neue Ideen insbesondere beim Supercomputereinsatz einbringen und damit auch einen Wettbewerbsvorsprung für die Kunden erreichen.

Supercomputer in der Industrie heißt, neue Technologien und Methoden nutzen, Experimente durch mathematisch-numerische Verfahren und Berechnungen vorbereiten und optimieren, innovativ denken und damit neue Problemklassen und Lösungen erschließen. Ein Supercomputer-Einsatz ist immer dann sinnvoll, wenn die Rechenzeit zum Problem wird.