Distributor kehrt klassischer Telefonie den Rücken

EBV Elektronik: Bei Anruf Internet Protocol

18.05.2001
Mut zur Lücke bewies die EBV Elektronik in München. Als das Unternehmen einen neuen Firmensitz brauchte, entschieden sich die IT- und Geschäftsleitung dafür, statt der klassischen Telefontechnik komplett auf IP-Telefonie zu setzen. CW-Bericht, Martin Seiler

Wenn ein Unternehmen ein neues Gebäude bezieht, ist dies nur selten etwas Besonderes. Anders schaut es jedoch im Fall der EBV Elektronik aus: Am neuen Firmensitz sucht man nämlich klassische Telefonanlagen vergebens, der Halbleiter-Distributor setzt seit seinem Umzug ganz auf die Sprachübertragung via Internet Protocol, neudeutsch Voice over IP (VoIP).

EBV Elektronik zählt zu den Großen seiner Branche in Europa. Das Unternehmen ist in den letzten fünf Jahren kräftig gewachsen, längst schon mussten verschiedene Mitarbeiter in zusätzliche Gebäude ausquartiert werden. Um alle Abteilungen wieder unter einem Dach zusammenzuführen, beschloss die Geschäftsleitung den Umzug in einen neugebauten Komplex im Industriepark von Poing bei München. In diesem Gebäude hat auch die Schwesterfirma WBC ihren Sitz und nutzt die komplette Infrastruktur der EBV.

Diesen Einschnitt nutzte das Unternehmen, um gemeinsam mit dem Netzdienstleister März Network Services GmbH die bisherige Kommunikationslandschaft auf Engpässe zu analysieren. In gemeinsamen Workshops definierten die Berater zusammen mit Experten von EBV darüber hinaus künftige Anforderungen an die IT.

Die wesentlichen Feststellungen waren: Das neue Netz sollte leistungsfähig, skalierbar, ausfallsicher und vor allem einfach zu verwalten sein. Daneben standen Aspekte wie die Einrichtung eines zentralen Remote-Access-Dienstes oder die Möglichkeit, Dienstequalitäten im Netz zu definieren, auf der Wunschliste des Unternehmens. Bei den Sitzungen widmeten sich die Spezialisten aber auch dem Thema VoIP. Bei den Vorbesprechungen wurden die für EBV wichtigen Merkmale der damals noch vorhandenen, klassischen TK-Anlage gesammelt und den Funktionen gegenübergestellt, die eine VoIP-Lösung bietet. Die Profis kamen zu dem Schluss, dass die Technik "definitiv" für die Anforderungen des Unternehmens geeignet ist.

Bei der Entscheidung, welches Equipment zum Einsatz kommen sollte, fiel die Wahl auf Cisco Systems. Nach Angaben von Gerhard Peschke, Manager IT-Operations und Systeme, hing dies unter anderem damit zusammen, dass die IP-Telefone des Herstellers in der Lage sind, mit nur einem gemeinsamen passiven Anschlusspunkt für PC und IP-Telefon auszukommen. Außerdem unterstützen die Switches der Baureihe "Catalyst 35xx" die Möglichkeit, die Stromversorgung der Telefone über die LAN-Verkabelung zu liefern.

Insgesamt orderte EBV Elektronik 360 Stück des IP-Tischtelefons "7960", außerdem zwei Exemplare des "Media Convergence Servers 7830". Die gesamten Kosten der VoIP-Anlage wurden allein durch die Ersparnis in Höhe von 600000 Mark bei der Verkabelung des neuen Gebäudes hereingebracht, denn es musste nur ein Netz mit der Hälfte an Anschlusspunkten für die Übertragung von Sprache und Daten aufgebaut werden. Im neuen Hauptgebäude befinden sich neben dem Rechenzentrum sieben Verteilerräume. Pro Verteiler sind zwischen zwei und fünf Switches der Baureihe "Catalyst 3524 PWR" von Cisco installiert.

Erst "spielen", dann beherrschenDie Arbeitsplätze der Mitarbeiter sind über Kupferkabel mit 100 Mbit/s angebunden. Für jeweils 24 User existiert ein Uplink an den Gigabit-Ethernet-Backbone, der auf redundanten Glasfaserleitungen beruht. Die zentralen Core-Switches der Baureihe "Catalyst 6509" bilden das Herzstück und sind ebenfalls redundant ausgelegt. Der Zugang zum öffentlichen Telefonnetz sowie die Bereitstellung von Remote-Access-Diensten für Außendienstmitarbeiter von EBV Elektronik erfolgt über zwei Cisco-Router des Modells "3660". Vor der Installation in dem neuen Gebäude wurden die gesamte Netzwerkhardware und das VoIP-Equipment bei März Network Services konfiguriert und getestet.

Die Spezialisten der EBV und künftigen Administratoren hatten bereits in dieser Phase des Projekts Gelegenheit, unter Anleitung mit ihrem künftigen Netzwerk und der VoIP-Anlage zu "spielen". Dadurch reduzierte sich die Einarbeitungszeit nach der Inbetriebnahme auf ein Minimum - die Verantwortlichen wussten vom ersten Tag an, was sie zu tun hatten.

Der Umzug verlief laut Peschke ohne nennenswerte Probleme, der Manager hat in den ersten Wochen "eigentlich nur positive Erfahrungen" mit der neuen VoIP-Installation gemacht. "Bis dato hatten wir keinerlei technische Probleme, auch akustisch arbeitet die Anlage einwandfrei", freut sich der Spezialist. Echos oder Aussetzer während der Gespräche gebe es keine.

Wesentlich komplizierter als gedacht stellte sich jedoch der Einsatz von mehr als 60 Faxgeräten und deren Integration dar. Über Fax wird ein Großteil der Geschäftsprozesse von EBV abgewickelt. Da in den Büros keinerlei analoge Anschlüsse verfügbar waren, mussten alle Faxgeräte mit Hilfe von Cisco-"1750-4V"-Routern integriert werden. Bei den Dauertests im März-Testlabor gab es keine Probleme, erst als mit Vollast gesendet und empfangen wurde, stellte sich heraus, dass die Router-Software "Internetworking Operating System" (IOS) den Anforderungen nicht gewachsen war.

Nach Aussage von IT-Leiter Peschke zeigte sich Cisco an dieser Stelle wenig kooperations- und hilfsbereit. Dank einiger Tag-und-Nacht-Einsätze der Spezialisten von März Networks ließ sich das Problem jedoch schnell beheben, so dass das Geschäft normal laufen konnte.

Noch weist die VoIP-Lösung einige kleinere Einschränkungen gegenüber klassischen TK-Anlagen auf. Peschke berichtet jedoch, "bis auf ein paar Zuckerl und Schmankerl" seien alle Funktionen verfügbar, die man brauche, um komfortabel telefonieren zu können. Zu den Merkmalen, die sich mit einer VoIP-Anlage schwer abbilden lassen, gehören seinen Angaben nach Gruppenfunktionen. Hier seien herkömmliche Telefonanlagen gegenüber dem neuen Medium noch im Vorteil.

Dafür besitzt das VoIP-System aus Sicht des IT-Profis andere Vorzüge. "Wir wählen gerade mit den Spezialisten von März entsprechende Softwarelösungen aus, um die Sprachübertragung noch stärker mit dem PC zu verknüpfen. Ist das geschehen, dann haben wir hier eine tolle Geschichte, die nicht mit der gewohnten Telefonie zu vergleichen ist."

Direktverbindung zu ApplikationenDie Akzeptanz der VoIP-Lösung bei EBV Elektronik beschreibt der IT-Spezialist als "durchaus positiv". "Wir haben natürlich kräftig die Werbetrommel gerührt, um über die leichten Missstände hinwegzuhelfen", gesteht Peschke. Sehr positive Resonanz bekamen die IT-Spezialisten wegen der Möglichkeit, das Telefon direkt mit Applikationen zu verbinden. So ist es demnächst aufgrund der Rufnummernerkennung möglich, dass sich bei einem Anruf sofort ein Fenster am Bildschirm öffnet, in dem Informationen zu dem betreffenden Kunden angezeigt werden.

Auch das Wählen von Telefonnummern direkt aus dem Adressbuch von Outlook heraus oder die Möglichkeit, Gespräche mitzuschneiden und als Datei auf dem Rechner zu speichern, werde bei den EBV-Mitarbeitern gut ankommen, so Peschke. Als großen Vorteil sieht der Manager, dass die VoIP-Einführung ohne Schulung über die Bühne gehen konnte, was er auf die intuitive Bedienung der Telefone zurückführt.

Unified Messaging in PlanungDer Call-Manager kann aber auch benutzt werden, um über das Display der Telefone praktische Informationen abrufbar zu machen. Das könnte die aktuelle Speisekarte, aber beispielsweise auch der Fahplan der S-Bahn sein. Die VoIP-Anlage bietet zu den genannten Funktionen die Möglichkeit, Unified Messaging im Unternehmen einzuführen, also die Zusammenführung verschiedener Kommunikationsformen wie E-Mail, Fax oder Sprache. Das will EBV Elektronik aber erst in einem späteren Schritt im Juni oder Juli dieses Jahres angehen, wie der DV-Leiter erklärt: "Wir möchten die Anwender nicht überlasten und sie vorsichtig an die neuen Technologien heranführen."

Peschke ist überzeugt, "dass sich die neue Anlage innerhalb von einem Jahr mehr als nur amortisiert hat". Einsparungspotenzial sieht der Manager auch für die mehr als 60 Verkaufsniederlassungen, die EBV und WBC europaweit unterhalten. Diese sollen langfristig ebenfalls über bestehende Frame-Relay-Datenleitungen telefonieren. "Da lassen sich pro Jahr bestimmt Beträge in Millionenhöhe einsparen", schätzt der IT-Profi.

UnternehmensporträtEBV Elektronik und seine Schwesterfirma WBC gehören mit ihren über 800 Mitarbeitern zu den führenden europäischen Distributoren für Halbleiter und sind Tochterunternehmen der Avnet Inc., Phoenix, Arizona. EBV und WBC vertreten weltweit über 20 renommierte Hersteller wie Fujitsu, Infineon, Motorola, National Semiconductor, Texas Instruments, ST, Zilog oder Toshiba und bieten weit reichenden logistischen und technischen Support. Die Demand-Creation-orientierten Unternehmen offerieren zudem eine Reihe von Dienstleistungen im technischen und logistischen Bereich, welche die Kunden dabei unterstützen, ihre Wertschöpfungskette zu optimieren: Programmierung, Tape&Reel, Kanban, JIT und vieles mehr. Neben dem Hauptsitz in Poing bei München betreiben sie über 60 Niederlassungen in Europa, Israel und Südafrika.