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EAI entwächst der Bastelstube

28.05.2001
E-Business, C-Commerce und Supply-Chain-Management erfordern die Integration von Anwendungen und Prozessen. Enterprise Application Integration (EAI) soll den Anwendern dabei helfen. Erste Projekte versprechen Erfolg.

Von CW-Redakteur Bernd Seidel

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - E-Business, C-Commerce und Supply-Chain-Management erfordern die Integration von Anwendungen und Prozessen. Enterprise Application Integration (EAI) soll den Anwendern dabei helfen. Erste Projekte versprechen Erfolg.

"So wichtig EAI auch ist, es ist keine Erfolgsstory, die sich unternehmensintern gut verkaufen lässt", lautet das ernüchternde Fazit von Heiko Schinzer, Vorstand der Administration Intelligence AG, auf dem EAI-Forum 2001 des Kongressveranstalters IIR in Mainz: "Der sichtbare Teil eines Web-Shops kostet vielleicht 200.000 Mark, die dazugehörige Integration in das Backend sowie mit den Analyse- und CRM-Systemen oft mehr als das Zehnfache. Das ist aber nicht sichtbar, und kein Manager gibt gerne Geld für etwas aus, was er nicht sieht."

Praxisbeispiel Deutsche See

Handfeste Beweise des Nutzens in Mark und Pfennig können trägen Entscheidern in puncto EAI-Software aber Beine machen. So ist die Deutsche See GmbH & Co KG, Anbieter von Frischfisch und Meeresfrüchten, auf dem besten Weg, die Kosten für Schnittstellen-Programmierung und -pflege um fast 85 Prozent zu senken, wie Diedrich Schröder auf dem EAI-Forum berichtete. Er ist zuständig für die IT bei dem 1400 Mitarbeiter starken Unternehmen aus Bremerhaven. Bis dato beschäftigten sich dort allein rund 20 der insgesamt 40 IT-Mitarbeiter mit der Pflege der Interfaces: "Das machen künftig noch eine Handvoll", so sieht es der Plan vor. Um den Erfolg des Projektes sicherzustellen, hat Schröder von Beginn an darauf geachtet, dass die Geschäftsführung sowie IT- und Fachbereiche mit im Boot waren.

Die Aufgaben bei der Deutschen See bestehen darin, einen Web-Auftritt mit entsprechenden E-Commerce-Funktionen (Shop, Verfügbarkeitsprüfung etc. ) zu bauen. Dazu galt es, Anwendungen (darunter SAP R/3) zu integrieren, die auf rund 40 Unix-Systemen und 30 NT-Netzen an rund 26 Standorten laufen. Auch die Einbindung bestehender Mainframe-Applikationen sowie verschiedener Datenbanken gehörten zum EAI-Konzept. Basis dessen ist das EAI-Tool "Warehouse Workbench" (WWB) der Hamburger Systemfabrik GmbH.

Das Werkzeug bietet eine Metadaten-Engine, Adapter für die Kopplung von gängigen Softwareprodukten und Datenbanken, eine Workflow-Steuerung sowie die Möglichkeit, neue Geschäftsprozesse per Mausklick zu gestalten. Genau die Bausteine, die eine moderne EAI-Plattform liefern sollte, erklärt Richard Nußdorfer, Geschäftsführer des Münchner Beratungshauses CSA Consulting. Vor allem die Möglichkeit, Prozesse übergreifend modellieren zu können, sei eine Stärke von EAI-Tools, mit der sie sich von klassischer Transaktions- oder Message-basierter Middleware sowie Application-Servern abheben.

Das Internet - Rückschritt in die Steinzeit?

Wie dem norddeutschen Fischverarbeiter geht es derzeit vielen Unternehmen: "Das Internet bedeutet applikationstechnisch den Rückschritt in die Steinzeit", konstatiert Administration-Intelligence-Vorstand Schinzer. Der Mann sollte es wissen: In seiner mehrjährigen Tätigkeit als Assistent am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftsinformatik an der Universität Würzburg war er in zahlreiche Softwareauswahl- und Beratungsprojekte involviert: "Viele Entwickler waren und sind damit beschäftigt, eine noch größere Zahl von Applikationen zu bauen, von denen die meisten nicht miteinander kommunizieren", beschreibt er die fatale Situation bei E-Business-Projekten. Der Zwang vieler Betriebe, schnell ins Internet zu gehen, um dort Geschäfte zu machen, sowie die Konzentration auf Kernkompetenzen, nennt er als Ursache für diesen Software-Flickenteppich.

Im Rahmen von E- und C-Commerce sowie Supply-Chain-Management entstehe bei Anwendern nun zunehmend der Zwang, diese Anwendungsinseln zu integrieren. Schinzer: "Nur wer Prozesse innerhalb des Unternehmens durchgängig gestaltet hat und darüber hinaus seine Partner IT-technisch und organisatorisch einbindet ist im E-Business erfolgreich." EAI-Plattformen könnten dabei helfen.

EAI geht alle an

Diese Erkenntnis setzt sich bei vielen der rund 100 nach Mainz gereisten Anwendervertreter mittlerweile offenbar durch. Eine Spontanumfrage im Auditorium ergab, dass sich immerhin rund die Hälfte der Anwesenden mit dem Thema Integration-Software auseinander setzt. Deutlich ist, dass sich EAI weder auf eine bestimmte Unternehmensgröße noch auf bestimmte Branchen reduziert. Ob Giganten wie Siemens, EADS, Daimler-Chrysler, EON und Neckermann, Mittelständler wie Deutsche See oder junge Companys wie Loyalty Partner ("Payback"), Mytoys.de und Le Shop, sie alle beschäftigen sich mit EAI und haben zum Teil schon eine Plattform gewählt.

Die Vorteile der neuen Integrationsarchitekturen liegen auf der Hand: Standardbausteine verringern den Aufwand für die Programmierung von Schnittstellen zwischen Anwendungssystemen. Neue Geschäftsmodelle und die dazu nötigen Applikationen lassen sich rascher umsetzen und der Informationsfluss zwischen Programmen sowie über Unternehmensgrenzen hinweg ist leichter überwachbar. EAI bedeutet aber auch, Bewährtes weiter nutzen zu können, also Investitionsschutz: Dank generischer Konnektoren lassen sich beispielsweise bestehende Mainframe-Anwendungen einbinden - das freut die Controller. Ebenso können Kommunikationsstrukturen zu Geschäftspartnern, etwa auf Basis von EDI, integriert werden. Die meisten Tools halten dafür entsprechende Adapter bereit, auch wenn der allgemeine Trend in der übergreifenden Kommunikation mittlerweile in Richtung XML geht.

Die Qual der Wahl

Die Bewährungsprobe auf breiter Front müssen EAI-Tools in Deutschland aber noch bestehen. Lange, undurchsichtige Entscheidungswege in den Unternehmen und die fehlende Erkenntnis, dass die Wahl eines EAI-Tools strategisch sei, nennt Wolfgang Martin, als Senior Vice President Europe für die Application Delivery Strategies der Meta Group verantwortlich, als Hemmschuhe für die raschere Verbreitung dieser Softwaregattung.

So fällt beispielsweise beim Unternehmensbereich Siemens ICN eine solche Millionen Mark schwere Entscheidung für ein EAI-Werkzeug natürlich nicht über Nacht. Dass darüber allerdings mehr als ein Jahr vergeht, und am Ende das "Go" nochmal verschoben wird, nur weil nicht alle Entscheider mit im Boot waren, ist leider heute keine Seltenheit. Martin: "Die Entscheidung für ein EAI-Tool betrifft das gesamte Unternehmen." Insofern gehörten sowohl die Business-Verantwortlichen als auch die Personen mit ins Team, die die Software implementierten, auf Kriterien wie Performance und Skalierbarkeit achteten und am besten sogar testeten - also die IT.

Mangelnde Transparenz der Anbieter

Die Anbieter trifft laut Auguren allerdings eine Mitschuld an den unendlichen Warteschleifen: In der Vergangenheit diskutierten sie mit Vertretern der IT-Abteilung auf Bit-Ebene, über die "beste" Adapter-Technolgie oder über Features der darunter liegenden Middleware und Mapping-Tools. Heute stellen sie hingegen verstärkt den wirtschaftlichen Nutzen in den Mittelpunkt ihrer Marketing-Strategien.

Gerne präsentieren die Hersteller auch die gestalterischen Möglichkeiten und positiven Effekte für Geschäftsprozesse, die sich durch Einsatz der Tools ergeben. Dazu finden sie logischerweise Fachabteilungen und Business-Verantwortliche als Sparringspartner. Dagegen sei grundsätzlich nichts einzuwenden, waren sich die in Mainz angetreten Brachenkenner einig. Jedoch vernachlässigten die Hersteller dabei nun wieder die technische Machbarkeit, so dass zusätzliche Verhandlungen mit der IT zu führen seien. Hinderlich ist außerdem, dass viele Anbieter auf technische Details wie Anzahl der Transaktionen, die eine EAI-Plattform verkraftet, keine Antwort hätten: "Die Produkte sind halt zum Teil noch recht jung, und es gibt zu wenig Erfahrungsberichte", stellt CSA-Geschäftsführer Nußdorfer fest.

Warten kann teuer werden

Die Entscheidung für ein EAI-Werkzeug aber deswegen auf die lange Bank zu schieben, komme Unternehmen, so der Berater, teuer zu stehen: "Während Monate, manchmal sogar Jahre für den Auswahlprozess ins Land gehen, entstehen immer neue Softwareinseln, die mittels aufwändig programmierter Punkt-zu-Punkt-Verbindungen kommunizieren - wenn überhaupt." EAI-Tools seien zwar kein Allheilmittel, aber die konventionelle Art, Schnittstellen zu programmieren bedeute schlicht zuviel Aufwand, und darüber hinaus seien die Interfaces schlecht dokumentiert, also nur von den Spezialisten selbst zu warten.

Nach den Erfahrungen der Meta Group ist EAI "die E-Basis von E-Business". Die Gleichung dafür scheint logisch: Erfolgreiches E-Business heißt, bisherige Geschäftsprozesse zusätzlich nach außen zu erweitern. Das bedeutet Kooperation mit Lieferanten und Kunden, was wiederum dazu führt, dass unterschiedliche Anwendungen zu integrieren sind - mit einem Wort: zu EAI. Doch Analyst Martin warnt Unternehmen davor, die Integration allein um der Integration willen zu betreiben: Der Aufwand, der nötig sie, Systeme zu koppeln und Prozesse abzustimmen, müsse dem Nutzen oder der Wertschöpfung, die daraus resultiert, gegenübergestellt werden. Also zuerst den "Return on Integration" ermitteln.

Anwender haben Hausaufgaben vernachlässigt

Doch fehle es den meisten Anwendern an der dafür nötigen Basis: "Viele Unternehmen haben keine Hausaufgaben gemacht und ihre Prozesse nicht einmal intern durchgängig gestaltet, wie es Fachleute Mitte der 90er Jahre immer wieder predigten", bemängelt der Meta-Group-Analyst. Die Sünden der Vergangenheit holten die Betriebe nun wieder ein. "Wer D-to-D (D = Department/Abteilung) nicht beherrscht, lernt B-to-B oder B-to-C nicht mehr."