Auf dem Prüfstand: Heyde AG

E-Services-Spezialist will mit US-Deal seine Erfolgsstory krönen

03.11.2000
BAD NAUHEIM - Die seit September 1998 am Neuen Markt gelistete Heyde AG hat mit den zum Börsengang gemachten Versprechen bisher ernst gemacht. Stark durch Übernahmen im In- und Ausland gewachsen, hat sich der einstige Systemintegrator mittlerweile zum Anbieter von Internet-Professional-Services gewandelt. Bis zum Jahresende wollen die Hessen auch im US-Markt eine Akquisition an Land ziehen und dadurch mittelfristig zum Global Player avancieren. Von Andrea Goder*

Börsenexperten sind sich einig: Heyde gehört bis heute zu den intakten Erfolgsgeschichten am Neuen Markt. Trotz der hohen Bewertung empfehlen Analysten den Titel auch weiterhin zum Kauf, die Aktie gilt als Basisinvestment - für viele ist sie "Outperformer". Das nicht ohne Grund: Heyde verwöhnte die Anleger seit dem IPO nicht nur mit zwei Aktiensplits, auch die vor zwei Jahren erstellten Umsatz- und Gewinnprognosen hat das Unternehmen wiederholt übertroffen. So kletterten die Einnahmen 1999 auf 180 Millionen Mark - ein Plus von 137 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Nicht hinter dieser Entwicklung zurückgeblieben ist auch der Gewinn, der sich im gleichen Zeitraum mit 13,8 Millionen Mark mehr als verdoppelte.

Auch von der jüngsten Schwäche des Neuen Marktes, die das Heyde-Papier im Oktober auf ein Jahrestief drückte, hat sich der Titel rasch wieder erholt. Kursstabilität ist für die Hessen entscheidend, denn das bisherige Wachstum wurde stark durch die Akquisitionswährung Aktie finanziert. Insgesamt 19 Firmen hat sich der IT-Spezialist, der heute 1600 Mitarbeiter beschäftigt, seit dem Börsengang einverleibt und in der Folge die Struktur der Gruppe mehrmals umgekrempelt.

1971 vom heute 53jährigen Vorstandschef Dieter Heyde gegründet, war die vormalige Heyde & Partner zunächst ein Anbieter von Logistiklösungen. Erst 1996 vollzog das Unternehmen den Schritt zum Systemintegrator, der Banken, Industrie und Handel adressiert. Heute versteht sich Heyde als Generalunternehmer für komplexe Internet- und IT-Projekte. Das Konzept des One-Stop-Shopping basiert dabei auf strategischer Unternehmensberatung, Web-basierten Technologien und Systemintegration.

Etwa 60 Prozent der Umsätze wurden zuletzt mit Finanzdienstleistern erzielt. Von insgesamt 4000 Banken in Deutschland rechnen die Bad Nauheimer eigenen Angaben zufolge rund die Hälfte zu ihren Kunden. Um das rasante Wachstum in den Griff zu bekommen - das heißt: die neuen Tochtergesellschaften ohne größere Reibungsverluste zu integrieren - befand sich das Unternehmen seit dem IPO in einem fortwährenden Prozess der Umstrukturierung. In Zukunft soll Heyde aus fünf Divisions bestehen: Systemintegration SI, Consulting, Elaxy AG, Web und Venture Capital.

Kerngeschäft der Unternehmensgruppe ist nach wie vor die Systemintegration. Nahezu 100 Prozent der Einnahmen entfielen 1999 auf diese Sparte, über 65 Prozent sollen es auch in diesem Jahr noch sein. Heyde betreut hier Projekte im Front- und Back-Office-Bereich und steht mit großen Playern wie IBM, Atos, CSC Ploenzke oder Siemens Business Solutions in Wettbewerb.

Kräftig Kapazitäten aufgebaut wurde in den letzten Monaten im Geschäftsfeld Strategieberatung. Als wichtigen Schritt werten Analysten hier die Übernahme der Frankfurter Consulting Partner GmbH, ein Unternehmen, das Firmen beim Übergang von der Old zur New Economy berät. Auf Logistikberatung und -planung versteht sich dagegen die im Juni akquirierte Miebach Logistik Gruppe. Mit 200 Mitarbeitern und 40 Millionen Mark Umsatz (1999), davon die Hälfte im Ausland, gilt das Frankfurter Unternehmen als die bislang wichtigste Übernahme.

Das Engagement der Heyde-Gruppe in Sachen Logistik umfasst auch den Softwarebereich. Neben weiteren Zukäufen wurde gemeinsam mit der Fliege-Tochter F-Log AG, einem Logistikdienstleister, im September die F-Link GmbH gegründet. Ziel des Joint Ventures ist es, Logistik-IT-Lösungen zu konzipieren und zu vermarkten. In Sachen Supply-Chain-Management- und E-Fullfilment-Lösungen wollen die Hessen - im Wettstreit mit Firmen wie Siemens Business Solutions, der Berliner PSI oder der Schweizer Swisslog - bereits heute europaweit vorne mit dabei sein.

Eine nur untergeordnete Rolle spielte bei Heyde noch vor zwei Jahren auch die Softwareentwicklung. Da E-Business-Produkte aber ein wichtiger Teil des Full-Service-Konzepts sind, kauften die Hessen die hierfür notwendige Technologie komplett zu. Unter dem Dach der neu gegründeten Elaxy AG wurden vor kurzem die erst 1999 übernommenen Tochtergesellschaften Atzlinger GmbH, Finec GmbH, IT Warehouse AG und Turck GmbH verschmolzen. Ziel dieser Maßnahme ist es, eine so genannte "Bank-out-of-the-Box"-Lösung anbieten zu können, die alle für den Betrieb einer Bank erforderlichen E-Finance-Funktionalitäten enthält. Im Einzelnen sind das Tools für Finanzplanung, Anlage, Kredit, Baufinanzierung, Versicherung und Brokerage.

Umsatzmäßig noch kaum ins Gewicht fällt bis heute die neu gegründete Internet-Division, deren wichtigster Baustein die Novolabs GmbH ist. Das in Düsseldorf ansässige Unternehmen entwickelte mit "Dice 4" eine Plattform für Internet-Portale, mit der Unternehmen gleichzeitig auf Internet-, Intranet- und B-to-B-Geschäftsprozesse zugreifen und Transaktionen abwickeln können.

Ganz dem Branchentrend folgend, mischen die Hessen - wie im Übrigen viele Companies am Neuen Markt - auch im Risikokapitalgeschäft mit. Mit der Frankfurter Value Partner GmbH wurde im September eine Venture-Capital-Gesellschaft übernommen, die bislang über 30 Millionen Mark in acht Startups in Deutschland, Großbritannien und Israel investierte. Laut Unternehmenschef Heyde laufen die VC-Aktivitäten - erste IPOs sind für das Jahr 2001 angedacht - jedoch "nur am Rande" mit.

"Unser Business-Modell ist kein Flickenteppich, der von überall etwas enthält. Die Schwerpunkte des Unternehmens liegen klar auf E-Finance-Frontend- und Logistiklösungen", verteidigt CEO Heyde seinen Kurs, der es außenstehenden Betrachtern zumindest schwer macht, alle Verästelungen der Aktivitäten im Überblick zu behalten und nachzuvollziehenen. Doch die bisherige "Story" scheint den Bad Nauheimern Recht zu geben. Jetzt soll es bereits in die nächste "Runde" gehen: Die fünfköpfige Vorstands-Crew will sich intensiver auf dem internationalen Parkett umsehen. Bereits 1999 hat Heyde den britischen Risk-Management-Anbieter Tantus Plc sowie den in Madrid ansässigen Systemintegrator Nekkar übernommen. Letztgenannter Deal eröffnete beispielsweise den Zugang zum südamerikanischen Markt. Der Auslandsanteil am Umsatz konnte durch diese Investments im vergangenen Jahr von sechs auf 18 Prozent gesteigert werden; 40 Prozent sind für dieses Jahr angepeilt.

Ein weißer Fleck auf der Heyde-Landkarte ist indes nach wie vor "der schwierige US-Markt". "Wir wollten zunächst die Chancen vor der Haustür nutzen", macht CEO Heyde deutlich, der für sein Business derzeit im europäischen Markt die größte Wachstumsdynamik sieht.

Den für dieses Jahr bereits zweimal angekündigten US-Coup wollen die Hessen trotzdem noch in diesem Jahr landen. Laut Vorstandschef stehen die Übernahmeverhandlungen mit "relativ großen Logistikfirmen" kurz vor dem Abschluss. "Es macht keinen Sinn, sich im US-Markt eine 50-Leute-Bude anzulachen. Gewicht kann man nur bekommen, wenn man in den vorderen Rängen mitspielt", insistiert Heyde. Langfristig wolle das Unternehmen auch im US-Markt zu den Top ten gehören.

Unabhängig vom Erfolg in den Staaten glaubt Firmenchef Heyde, langsam in Umsatzregionen vorzustoßen, die man als kritische Größe bezeichnen könne. 365 Millionen Mark hat die hessische Company für das laufende Geschäftsjahr als Umsatzziel ausgegeben. Das wäre abermals eine Verdoppelung der Einnahmen gegenüber dem Vorjahr - bei einem organischen Wachstum von 40 Prozent. Nicht punktgenau festnageln lassen sich die Bad Nauheimer allerdings beim Ergebnis, da die regen Übernahmeaktivitäten natürlich auch unverhoffte Risiken bergen können.

*Andrea Goder ist freie Journalistin in München.

Abb: Wachstum: Bei Heyde geht es nicht nur mit den Umsätzen, sondern auch mit den Gewinnen nach oben. Quelle: Heyde AG