Recaro Aircraft Seating nutzt XML-Standard Opentrans für Marktplatzanbindung

E-Procurement ohne großen Aufwand

01.02.2002
SCHWÄBISCH HALL (rg) - Das Bestellvolumen für C-Teile war bei der Recaro Aircraft Seating zu gering, als dass sich die Investition in eine E-Procurement-Software gerechnet hätte. Um dennoch Prozesskosten zu sparen, hat das Unternehmen sein ERP-System an einen elektronischen Marktplatz angeflanscht.

Das wurmte Jochen Weidner, den E-Commerce-Projektleiter bei Recaro Aircraft Seating, schon lange: Obwohl 65 bis 70 Prozent der Bestellungen bei Lieferanten einen Wert unter 25 Euro haben, ziehen sie einen Rattenschwanz an Einzelprozessen nach sich, der in Bezug auf Kosten und Dauer in keinem Verhältnis zum Preis der Produkte steht. Von der Bestellung bis zum Wareneingang und der Rechnungsprüfung hat Weidner insgesamt 17 Einzelschritte ausgemacht, wobei etliche Formulare viermal unterschrieben und in verschiedenen Abteilungen abgelegt werden müssen.

Marktplatz musste SAP-R/3-Anbindung bietenAlso suchte Weidner Ansätze, mit denen sich die Verschwendung von Zeit und Ressourcen eindämmen lässt. An die Einführung einer E-Procurement-Lösung - das Patentrezept der Softwarehersteller - verschwendete er nicht viele Gedanken. Das Bestellvolumen für C-Teile des in Schwäbisch Hall ansässigen Unternehmens ist zu klein, als dass sich eine derartige Investition auszahlen könnte. Der E-Commerce-Spezialist sah sich daher um, welche elektronischen Marktplätze in Frage kommen. Interessante Kandidaten mussten eine Anbindungsmöglichkeit für das SAP-R/3-System von Recaro Aircraft Seating bieten. "Nur wenn die ausgetauschten Daten direkt in das ERP-System einfließen und dort ohne weiteren Aufwand verarbeitet werden können, lassen sich nennenswerte Einsparungen bei den Prozesskosten erzielen", so Weidner.

Im Mai 2001 fiel die Wahl der Flugzeugsitzspezialisten schließlich auf die Quibiq.de Internet-Handels-Plattform GmbH, Stuttgart, die im Mai 2000 als Joint Venture der Baden-Württembergischen Bank AG mit der Unternehmensberatung Cap Gemini Ernst & Young und der Heiler Software AG gegründet worden war. Für den Marktplatzbetreiber sprach laut Weidner unter anderem das Abrechnungsmodell: "Da hier für jede einzelne Transaktion Gebühren erhoben werden, muss der Betreiber einen guten Service bieten, um die Zahl der Transaktionen möglichst zu steigern." Bei Plattformen, die sich rein über eine Grundgebühr finanzieren, habe er dagegen Bedenken.

Vorerst nur Beschaffung von C-TeilenUm es vorwegzunehmen: Bislang ist Weidner mit der Zusammenarbeit sehr zufrieden. Als wichtiger Referenzkunde erfährt er die Aufmerksamkeit, die er erwartet hat. Der spezielle Kundenstatus hatte auch den Vorteil, dass sich der Anbieter auf eine Deckelung der Projektkosten verpflichten ließ. Der Festpreis für die ERP-Anbindung lag beim Gegenwert von 30 Manntagen.

Für die Entwicklung eines Projektplans stellte Weidner ein internes Team zusammen, das sich aus Mitarbeitern der Fachabteilungen Einkauf, der DV sowie aus dem Controlling und der Finanzbuchhaltung zusammensetzte. Mit dieser Vorgehensweise hatte er bereits bei der Einführung des SAP-R/3-Systems gute Erfahrungen gemacht. In dieser ersten Phase wurden beispielsweise Freigabekonzepte erarbeitet und beschlossen, das Projekt vorerst auf die Beschaffung von C-Teilen zu beschränken. Die Bestellwertgrenze legte Recaro bei 400 Euro fest. Zum einen sollte die Kontrolle für hochpreisige Anschaffungen weiterhin in vollem Umfang gegeben sein, zum anderen existierten für derartige Produkte kaum geeignete Internet-Kataloge, so die Begründung. Auf jeden Fall sollten die Mitarbeiter nur auf Kataloge zugreifen können, die von den Zulieferern speziell auf Recaro Aircraft Seating zugeschnitten sind. Lediglich die Einkäufer erhalten den vollen Zugriff auf Anbieterinformationen, auch um die speziellen Angebote mit den normalen Preisen vergleichen zu können.

Nach einer Abstimmung des Konzepts mit Quibiq trat das Projekt in die Umsetzungsphase. Ein wichtiges Kernelement war dabei der "SAP-Business Connector", eine Schnittstelle, die das von Quibiq verwendete Standardformat Opentrans (siehe Kasten) in das von Recaro Aircraft Seating festgelegte Datenschema umsetzt. Der Plattformbetreiber installierte den Connector auf die einzige neue Hardware, die Recaro anschaffen musste - einen handelsüblichen Pentium-3-Rechner für rund 1000 Euro. Anschließend wurde das Gerät mit dem SAP-System verbunden, um erste Tests zu fahren.

Auch wenn kleinere Probleme schnell ausgeräumt wurden, habe sich eine gewisse Wachsamkeit schon ausgezahlt, so der Projektleiter. So seien im ersten Katalog eines Zulieferers die Preise in Mark ausgezeichnet gewesen, in der zwei Wochen später überspielten Version dann in Euro, jedoch ohne dass die Beträge umgerechnet worden seien. Nennenswerte Verzögerungen habe dies aber nicht verursacht. Die entstanden an anderer Stelle: Um das neue System ohne Wartezeiten beim Verbindungsaufbau nutzen zu können, musste die Bandbreite der Internet-Anbindung von zunächst 64 Kbit/s deutlich erhöht werden. Recaro entschied sich für einen ADSL-Anschluss der Deutschen Telekom mit 1,5 Mbit/s. Der Carrier konnte jedoch seine Zusagen nicht einhalten, den Standort Schwäbisch Hall termingerecht mit dem ADSL-Netz zu verknüpfen. "Mittlerweile steht der Anschluss, aber das hat uns zweieinhalb Monate gekostet", so Weidner.

Seit Januar dieses Jahres nutzen rund 40 User insgesamt fünf elektronische Kataloge über den elektronischen Marktplatz. Die Zahl der Einzelprozesse hat sich von 17 auf fünf verringert, der durchschnittliche Zeitbedarf sank von 104 auf 28 Minuten. Die ersten Ergebnisse übertreffen damit die von Weidner für seine Rentabilitätsrechnung angenommenen Erwartungen. Er war von einer Einsparung ganzer 20 Prozessminuten ausgegangen. Der Return on Investment hätte sich nach dieser Rechnung bei der Nutzung nur eines wichtigen Zuliefererkatalogs innerhalb eines Jahres eingestellt. Da Lieferanten durch den Einsatz der Online-Plattform ähnliche Einsparungen verzeichnen, haben diese die Artikelpreise um zehn bis 15 Prozent gesenkt. Insgesamt rechnet Weidner jetzt mit einer Amortisation der Ausgaben innerhalb von sechs Monaten.

Pro und KontraVorteile und Nachteile einer Marktplatzteilnahme im Vergleich zur Einführung einer E-Procurement-Software

+ geringere Projektkosten und -dauer

+ rechnet sich auch bei kleineren Bestellvolumina

+ Lediglich eine Schnittstelle vom ERP-System zum Marktplatz

- Abhängigkeit vom Marktplatzbetreiber

- Zulieferer müssen ebenfalls mit dem Marktplatz zusammenarbeiten.

OpentransWenn die ERP-Systeme zweier Unternehmen via Internet Informationen austauschen wollen, muss sichergestellt sein, dass dieselben Datenformate zugrunde liegen. Das E-Business Standardization Committee (EBSC) hat Ende 1999 mit "BMEcat" bereits einen Standard für den elektronischen Produktdatenaustausch vorgelegt. Diesen hat das Gremium mittlerweile durch den ebenfalls XML-basierenden Transaktionsstandard "Opentrans" ergänzt. Er ermöglicht die weitgehende Automatisierung von Standardbestellvorgängen, wodurch sich die Prozesskosten sowohl für Einkäufer als auch Lieferanten senken lassen. In der ersten Version "Opentrans V1.0" sind Dokumente für folgende Einkaufsabläufe enthalten: Aufforderung zur Angebotsabgabe; Angebot, Auftrag, Auftragsänderung und -bestätigung sowie Lieferavis, Wareneingangsbestätigung und Rechnung. Eine 200-seitige Spezifikation und Praxisbeispiele können unter www.opentrans.org abgerufen werden. Zur Opentrans-Arbeitsgruppe zählen neben Fraunhofer IAO und dem Bundesverband Materialwirtschaft Einkauf und Logistik e.V. (BME) 26 große Industrieunternehmen.