E-Learning: Die richtige Auswahl ist die halbe Miete

25.06.2002
Von Günter Pees
Viele E-Learning-Anwendungen basieren auf einem didaktischen Grundgerüst, das zum Erwerb komplexer Sachverhalte nur bedingt geeignet ist. Dabei ist man mit den heute ver-fügbaren technischen Möglichkeiten in der Lage, einem Lernenden eine auf seine Bil-dungsbedürfnisse zugeschnittene Lernumge-bung anzubieten als diese auch so zu gestalten, dass der Einsatz von Technik als Hilfsmittel dienen kann.

Die Entwicklung des E-Learning-Marktes hinkt den traumhaften Prognosen des amerikanischen Meinungsforschungsinstitut IDC (International Data Corporation) deutlich hinterher. Das hat zwei Gründe: die schwache wirtschaftliche Entwicklung und die nicht erfüllten Erwartungen an die eingekaufte Software. Die Unzufriedenheit beruht hauptsächlich darauf, dass es an einer didaktisch sinnvollen Konzeption der aus diesen Softwarekomponenten resultierenden elektronischen Lernumgebungen mangelt.

E-Learning ist trotz seiner vielfältigen Möglichkeiten dadurch in unberechtigten Misskredit geraten. Um neue Kenntnisse erfolgreich zu verankern und zu festigen ist es notwendig, dass der Lernende sie vor dem eigenen Erfahrungshintergrund aktiv konstruiert. Im allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet man dies als das berühmte Aha-Erlebnis. Diese Lerntheorie (Konstruktivismus) ist nicht neu, und ihre Anfänge reichen zurück bis in den Beginn der siebziger Jahre. Sie erfährt aber vor dem Hintergrund der Pisa-Studie eine neue Belebung.

Die angestoßene Diskussion über eine Neugestaltung von Inhalten und Lehre wird sich auch über die verwendeten Unterrichtsformen erstrecken müssen. Derzeit überwiegt der Frontalunterricht im Klassenraum, der in speziellen Anwendungsfällen sicher auch seine Berechtigung hat. Ein methodischer Wechsel von diesem eher konsumierenden zu einem aktiven und selbstverantwortlichen Lernen ist ein notwendiger und wichtiger Schritt, den alle Bildungsinstitutionen gehen müssen.

Der Motivation der Teilnehmer kommt eine zentrale Bedeutung zu. Es lassen sich zwei Arten unterscheiden: Bei der einen Form veranlasst ein äußerer Zwang, beispielsweise eine bevorstehende Prüfung, den Menschen zum Lernen. Die Beschäftigung mit dem Lernstoff erfolgt fast ausschließlich aus gegebener Notwendigkeit. Demgegenüber kann der Antrieb zur Aneignung neuer Kenntnisse aus den von einer Aufgabe ausgehenden Anreizen geschehen. Es liegt auf der Hand, dass der Lernerfolg sowie die Effizienz bei einem aus eigenem Interesse motivierten Lernenden bessere Noten erzielen.

Die praktische Umsetzung eines E-Learning-Konzeptes muss deshalb beim Anwender eine gepannte Erwartung auf die nächsten Ereignisse auf dem Bildschirm erzeugen - ähnlich einem Computerspiel. Nicht nur die Art der Wissensvermittlung, auch das Umfeld spielt eine wesentliche Rolle auf dem Weg zum Erfolg. Was zeichnet eine gute mediale Lernumgebungen aus, und woran kann man eine solche erkennen? Gibt es Merkmale, die unabhängig von der Thematik keinesfalls fehlen sollten? Prinzipiell muss die mediengestützte Schulungsmaßnahme das Interesse des Anwenders wecken und ihm dadurch einen entsprechenden Anreiz zur Beschäftigung mit dem Lernstoff bieten.

Wichtige Kriterien hierfür sind die Folgenden:

Bildschirm: Eine übersichtliche Struktur sowie eine Anpassung der Inhalte an die Bildschirmgröße wirken einer Reizüberflutung entgegen.

Inhalte: Eine verständliche Darstellung, die sich sprachlich durch den Verzicht auf zunächst unverständliche Fachbegriffe auszeichnet, beugt der Frustration beim Anwender vor.

Navigation: Ein roter Faden zur Bearbeitung der Lerninhalte ist hilfreich, ein Zwang zu dessen Befolgung darf jedoch nicht bestehen. Eine freie Beweglichkeit durch das Programm wird den individuellen Bedürfnissen des Lernenden besser gerecht.

Aktivität: Eine aktive Auseinandersetzung mit dem Lernstoff fördert das Verständnis und verhindert das Ermüden durch Monotonie.

Lerneinheiten: Kleine, in sich geschlossene Lernabschnitte von jeweils fünfzehn- bis zwanzigminütiger Dauer ermöglichen das Arbeiten step-by-step mit sinnvollen Unterbrechungen.

Kommunikationsmöglichkeiten: Der Mensch als soziales Wesen ist auf Kommunikation angewiesen, insbesondere um bei fachlichen Fragen einen Ansprechpartner zu haben, der ihn beim Lernen unterstützt. Eine Kontaktperson ist deshalb wie im Präsenztraining auch beim E-Learning notwendig.

Technik: Der Einsatz von technischen Möglichkeiten ist immer an den Bedürfnissen des Lerners und den didaktischen Anforderungen der Lerninhalte orientiert.

Mittlerweile werden von vielen Anbietern entsprechende Anstrengungen unternommen, diesen Anforderungen zu genügen. Interessenten, die den Einsatz von E-Learning für Schulungszwecke erwägen, sollten immer im Blickfeld haben, welche Anforderungen und Lösungen es für ihre individuelle Aufgabenstellung gibt, und sich diese nicht, wie schon allzu häufig passiert, von Softwareanbietern aus einem Standardkatalog vorgeben lassen.

Ein Benutzer muss mit dem Lerninhalt interagieren können. Eigene Handlungen wie das Ausfüllen von Textfeldern oder die virtuelle Konstruktion von Netzwerksystemen am Bildschirm müssen ihn regelmäßig herausfordern und ihm gleichzeitig ein Feedback auf seine Aktionen geben. Das Wissen wird so anhand seines eigenen Erfahrungshintergrundes aufgebaut. Erst diese Kriterien machen das Lernen wirklich erfolgreich. 

Die Bedürfnisse der Lernenden wie auch die pädagogischen Voraussetzungen für einen erfolgreichen Lernprozess haben in der Vergangenheit viele Anbieter vernachlässigt. Erst allmählich setzt sich die Erkenntnis durch, dass die Bereitstellung von Kommunikations-Tools wesentlich zur Akzeptanz und zum Lernerfolg bei den Benutzern beiträgt. 

*Dr. Günter Pees ist Leiter des Competence Center E-Learning bei der ExperTeach Gesellschaft für Netzwerkkompetenz mbH in Dietzenbach.