Fortschritte meist hinter den Kulissen

E-Government kämpft mit vielen Hürden

17.08.2001
MÜNCHEN (rg) - Außer reinen Informationsangeboten oder dem Download von Formularen haben virtuelle Rathäuser meist wenig zu bieten. Drei prominente Beispiele zeigen, dass der Teufel in vielen Details steckt.

Im März 1999 standen Bremen, Esslingen sowie der Städteverbund Nürnberg, Erlangen, Fürth, Schwabach und Bayreuth als Gewinner des von der Bundesregierung ausgeschriebenen Städtewettbewerbs Media@Komm fest. Die mit Fördermitteln ausgestatteten Sieger konnten beginnen, kommunale E-Government-Lösungen zu entwickeln, die auch für andere Projekte Modellcharakter haben sollten. Der offizielle Startschuss für die Umsetzung fiel im Dezember 1999.

Mehr als eineinhalb Jahre später bieten die virtuellen Rathäuser dieser Städte viele Informationen, die es dem surfenden Bürger durchaus erleichtern, die richtige Anlaufstelle für sein Anliegen auszumachen. Da-rüber hinaus steht eine beachtliche Auswahl an Antragsformularen zur Verfügung, die sich zwar am Bildschirm ausfüllen lassen, dann jedoch meist ausgedruckt und unterschrieben per Post an die jeweilige Behörde zurückgeschickt werden müssen. Dies befreit die Bürger immerhin von einigen Behördengängen, den Ämtern selbst bleibt aufgrund des damit verbundenen Medienbruchs allerdings nur der persönliche Kontakt erspart. Der elektronische Rückweg der Dokumente ins Rathaus und die medienbruchfreie Übernahme in die IT-Systeme der Behörden funktionieren nur in Ansätzen.

Damit liegen die Vorzeigeprojekte weit hinter den in der Konzeptphase aufgestellten Zeitplänen zurück. "Was da mal formuliert wurde, ist ein hehrer Wunsch gewesen", bekennt Silke Abel, Leiterin Kommunikation der vom fränkischen Städteverband für die Realisierung gegründeten Curiavant Internet GmbH. Man habe allerdings auf der grünen Wiese anfangen müssen und dabei festgestellt, dass vieles nicht so einfach sei wie zu Anfang angenommen. "Da muss man sehr viel Entwicklungsarbeit leisten, und die lässt sich nur schlecht öffentlichkeitswirksam verkaufen." Eine Einschätzung, die Andreas Kraft, Projektleiter von Mediakomm Esslingen, teilt: "Der Bürger sieht nur 20 Prozent unseres Aufwands." Die meiste Arbeit verursache aber die Gestaltung der Abläufe hinter den Kulissen. Die bestehenden Prozesse in den Rechenzentren der Kommunen Web- und signaturfähig zu machen bedürfe großer Anstrengungen.

Sprung ins kalte WasserDabei betreten die Media@Komm-Gewinner bei der technischen Umsetzung fast immer Neuland. Erprobte IT-Lösungen existieren für das E-Government nicht. Geradezu beispielhaft sind hierfür die Erfahrungen mit der anfangs von allen drei Projekten favorisierten Brokat-Plattform "Twister". Diese Infrastruktur wurde in erster Linie für E-Banking-Anwendungen von Finanzdienstleistern entwickelt.

Der Nürnberger Städteverband hatte bereits in der Konzeption entschieden, eine modulare Systemarchitektur anzulegen. Hintergrund war, dass die fünf Städte verschiedene IT-Infrastrukturen mitbringen und darüber hinaus unterschiedliche Teilprojekte bevorzugt angehen wollten. Also hatte sich Curiavant entschlossen, Module wie "Authentifizieren", "Signieren" oder "Bezahlen" zu entwickeln und diese nach den Bedürfnissen der einzelnen Kommunen zusammenzusetzen. Dafür nahmen es die Betreiber auch in Kauf, für jedes Modul mehrere Schnittstellen zu programmieren. Dies erhöhe, so Abel, die Chance, anderen interessierten Kommunen eine passende Schnittstelle bieten zu können. Obwohl sich schnell herausgestellt hatte, dass sich der modulare Ansatz mit der proprietären Brokat-Plattform kaum umsetzen lässt, trennte sich Curiavant erst nach Diskussionen im Sommer 2000 von dem Softwarehersteller, da als Alternative nur der Sprung ins kalte Wasser, also eine Eigenentwicklung, in Frage kam.

Auch beim Esslinger Projekt war Brokat anfangs mit im Boot. Frühzeitiges Ausschlusskriterium waren für Projektleiter Kraft die hohen Anforderungen, die Twister an die kommunalen Rechenzentren gestellt hätte. Die Plattform setze wegen ihrer E-Banking-Ausrichtung eine permanente Online-Kommunikation voraus, was die kommunalen Rechenzentren jedoch nicht leisten könnten. Im Esslinger Wettbewerbskonzept sei vorrangig die Entwicklung von Lösungen für kleinere Kommunen verankert. Für deren Infrastrukturen eigne sich eine derart komplexe Plattform schlichtweg nicht.

Ein schmerzvoller LernprozessDie für das Bremer Projekt gegründete Bremen Online Services GmbH & Co. KG (BOS) setzte am längsten auf die Lösungen des E-Banking-Spezialisten Brokat. Hier sollte neben Twister auch dessen Bezahlsystem "X-Pay" eingesetzt werden. Der im Oktober letzten Jahres gestartete Probebetrieb erfüllte jedoch nicht die Anforderungen der Bremer. Der Versuch, die Online-Banking-Plattform für das E-Government zu adaptieren, wurde anschließend wie in Esslingen und Franken abgebrochen. Ulrich Horst, Produkt-Manager von BOS, resümiert: "Nach einem für alle Seiten schmerzvollen Lernprozess im letzten Jahr haben wir das gesamte System wieder eingestellt und Anfang des Jahres begonnen, eine eigene Lösung zu entwickeln." Diese Entscheidung dürfte nicht unproblematisch gewesen sei, ist doch Brokat mit fünf Prozent als Kommanditist an Bremen Online Services beteiligt.

Bei Brokat war denn auch die anfängliche Freude, ein neues Geschäftsfeld entdeckt zu haben, rasch verflogen. "Wir haben schnell gemerkt, dass wir in diesem Bereich sehr viel investieren müssten", so Unternehmenssprecher Rainer Jung. Diese Kosten, unter anderem für den Aufbau eines Mitarbeiterstabes und die Entwicklung geeigneter Anwendungen, hätten Brokat bewogen, nicht auf E-Government als strategisches Geschäftsfeld zu setzen. "Da sich einige Projekte zudem stark verzögert haben, war für uns nicht ersichtlich, wie schnell sich unsere Investitionen rechnen", begründet Jung den Entschluss, sich bis auf einige kleinere Projekte aus diesem Bereich zurückzuziehen.

Ende Mai ging die Bremer Web-Seite mit der selbst entwickelten Kommunikationsplattform online und bietet die Möglichkeit, rund 30 Vorgänge wie beispielsweise Handelsregister-Auskünfte komplett über das Web abzuwickeln. In Kürze wird auch die Ummeldung innerhalb Bremens realisiert sein. Außerdem haben die Betreiber im Januar dieses Jahres begonnen, ein Geldkarten-kompatibles Lesegerät an interessierte Bürger auszugeben. Der "Kaan Professional" von Kobil Systems erlaubt nicht nur den Einsatz digitaler Signaturkarten, sondern soll künftig auch die Online-Bezahlung von Gebühren ermöglichen, die für die Dienstleistungen der Behörden anfallen. Hierfür verhandeln die Betreiber noch mit einem externen Payment-Dienstleister. Derzeit nutzt BOS als Bezahlverfahren die elektronisch signierte Lastschrift, die lediglich den Gebrauch der digitalen Signatur voraussetzt: Ähnlich wie beim Bezahlen mit EC-Karte im Supermarkt, berechtigt der Bürger den Dienstleister mit einer autorisierten Nachricht, den Betrag von seinem Konto abzubuchen.

Warten auf die EC-SignaturkarteIn Nürnberg setzt man dagegen auf die "Flipchip"-Karte, eine von der dortigen Sparkasse ausgegebene Geldkarte, die auf der Rückseite den Chip mit der digitalen Signatur der Deutsche-Post-Tochter Signtrust trägt. Die Geldkartenfunktion wurde kontounabhängig realisiert, damit sie nicht nur von Sparkassenkunden genutzt werden kann.

Insgesamt entpuppt sich jedoch die von den Media@Komm-Gewinnern gehegte Hoffnung, Banken und Sparkassen würden die nächste Generation ihrer EC-Karten mit digitalen Signatur-Chips austatten, als unhaltbar. Brancheninsider rechnen auch im kommenden Jahr nicht mit einem Durchbruch, obwohl die elektronische Signatur seit 1. August dieses Jahres der Unterschrift von Hand rechtlich weitgehend gleichgestellt ist und Commerzbank, Deutsche Bank, Dresdner Bank sowie Hypo-Vereinsbank ein gemeinsames Trust-Center (TC Trustcenter) unterhalten. Zum einen sei die Zahl der Kunden, welche die Möglichkeiten nutzen würden, noch zu gering, um die hohen Kosten für die Ausgabe von kombinierten EC-Signaturkarten zu rechtfertigen. Zum anderen stellt die Inkompatibilität der mittlerweile acht bei der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (Reg TP) akkreditierten Signatursysteme für die Finanzdienstleister einen Unsicherheitsfaktor dar. Doch nicht nur bei den digitalen Signaturen mangelt es an Standards. Auch für E-Government-Anwendungen fehlen diese, so dass es für große Softwarehersteller kaum Anreize gibt, entsprechende Applikationen zu entwickeln. Bremen hat zwar kürzlich mit der Schnittstellen-Spezifikation "Online Services Computer Interface" (OSCI) einen Standard veröffentlicht. Wer diesen nutzen möchte, muss jedoch auch die von BOS entwickelte und vermarktete Implementierung "Online Services Computer Interface Architecture" (Oscar) erwerben, da andere Umsetzungen bislang fehlen. Die Architektur ermöglicht laut BOS verschlüsselte und optional auch signierte Online-Transaktionen sowie die Steuerung, Vermittlung und Nachvollziehbarkeit der übermittelten Nachrichten.

Außerdem nutzt Oscar nahezu plattformunabhängige Technologien wie Java und XML. Parallel dazu investieren aber auch andere Kommunen und Firmen in die Entwicklung von Lösungen, die zum Teil bereits eingesetzt werden. "Und so sind wir im normalen IT-Geschäft", stellt Kraft nüchtern fest. "Solange der Druck von Bürgern und Unternehmen nicht vorhanden ist, versuchen alle Beteiligten ihre Pfeiler einzurammen." Pessimismus liegt dem Projektleiter dennoch fern. Sobald der Markt den Standard wirklich fordere, werde sich dieser schnell durchsetzen.

Standortvorteil als DruckmittelDer Druck dürfte vor allem von den Unternehmen ausgehen, haben diese doch deutlich mehr Behördenkontakte als die Bürger. So arbeiten die Nürnberger beispielsweise mit Hochdruck an einem System für Online-Meldeauskünfte. Laut Abel profitieren davon sowohl die Kommunen als auch die Unternehmen. Diese schicken ihre Anträge bislang in Papierform ein, legen einen Blankoverrechnungsscheck bei und warten bis zu zwei Wochen auf eine Antwort. "Bei 600- bis 700000 Meldeauskünften pro Jahr allein in Nürnberg sehe ich da ein großes Einsparpotenzial." Im November soll die Anwendung ihren Betrieb aufnehmen.

Das umfangreichste Teilprojekt der Curiavant Internet GmbH ist - wie auch bei der Mediakomm Esslingen - die "elektronische Bauakte". Die Bearbeitung herkömmlicher Bauanträge kann bis zu einem halben Jahr dauern, da diese teilweise 25 Dienstellen durchlaufen müssen. Die elektronische Eingabe erlaube hingegen die parallele Bearbeitung in mehreren Ämtern und verkürze so die Verfahrensdauer deutlich, so Abel. Aufgrund der hohen Komplexität des Unterfangens läuft das Projekt voraussichtlich bis Mitte 2002, bevor es in den Echtbetrieb gehen kann. Der vom Esslinger Kraft beschworene Druck dürfte sich aber erst aufbauen, wenn derartige Lösungen erprobt sind und für die jeweiligen Kommunen einen echten Standortvorteil darstellen.