Trends bei IT-Dienstleistungen/Fourth Party Logistics: Ein Supply-Chain-Management-Beispiel

E-Commerce fordert neue Koordinierung der Prozesse

13.08.1999
Die "Kompatibilität" von Geschäftsprozessen entscheidet über das Dabeisein, wenn der E-Commerce-Kuchen verteilt wird. Olaf Störmer* skizziert Unternehmenslandschaften, die Wertschöpfungsprozesse optimieren könnten. Grundvoraussetzung ist die Bereitschaft, die vorhandenen Organisationen in Frage zu stellen.

Der König ist tot - es lebe der König! Etwa so könnte es dem unbeteiligten Beobachter vorkommen, betrachtet er den jeweiligen Paradigmenwechsel von einem Business-Buzzword zum nachfolgenden. Gegenwärtig ist zweifellos das ehedem unscheinbare "E" der globale Schlager: E-Commerce, E-Business, E-Procurement, E-Trade, E-Everything. Doch ein guter Manager bewahrt kühlen Kopf und läßt sich von den neuesten Trends nicht beirren. Wer Re-Engineering und Just-in-Time überlebt hat, an dem wird der Kelch mit dem "E" auch vorübergehen. Wird er das wirklich?

Wurde bislang so manches "Schlagwort" erfolgreich ausgesessen, erscheint diese Vorgehensweise im Bereich der elektronisch gestützten Geschäftsabwicklung wenig angeraten. Der Grund: Die Kultur des Wirtschaftens erlebt gerade einen grundlegenden Wandel. Die digitale Kompatibilität der Unternehmensprozesse ist deren wesentliches Element. Frühere Management-Trends zielten auf die Optimierung - oder gelegentlich Neugestaltung - von Strukturen. Wettbewerbskritische Unternehmensparameter wurden so effizienter oder effektiver gestaltet.

Heute dagegen handelt es sich um den Scheidepunkt zweier Welten: der mit und der ohne digitaler Kompatibilität, der des Dabeiseins und der des Nicht-Dabeiseins. Die digitale Kompatibilität, umfaßt mehr als ein bloßes Plug-and-Play, nämlich die konzeptionelle Neuausrichtung des Geschäftsmodells. Sie wird zur Eintrittskarte für die globale Wertschöpfungsgesellschaft der Zukunft, die sich bereits heute herausbildet.

Dem Credo der alten Gesellschaft entsprach es, schlank zu sein und nur das zu tun, was man am besten konnte. Auch das Zeitalter der E-Begriffe ist geprägt von der Konzentration auf Kernkompetenzen. Immer mehr Unternehmen erkennen jedoch, daß sich die Frage des "Make-or-Buy" nicht auf einzelne Komponenten oder Aktivitäten reduzieren läßt: Komplette Wertschöpfungsbereiche, wie etwa sämtliche Beschaffungsprozesse und/oder die komplette Logistik, stehen auf dem Prüfstand. Der ebenfalls zu beobachtende Trend des Insourcing steht dem nicht entgegen, sondern führt in neuartigen Kooperationsformen vielmehr zu Wertschöpfungsnetzwerken; sie können als das Nachfolgemodell klassischer Wertschöpfungsketten aufgefaßt werden.

Getrieben durch die schöne neue Welt des E-Commerce dient das Aufbrechen der Ketten als Initialzündung für das Entstehen der neuen Netzwerke. Kommunikationprozesse werden vereinfacht, Informationen gezielter gefunden und somit Reaktionszeiten verkürzt. Kurz: Informationstechnologie erlaubt wie nie zuvor, globale Ressourcen in Form flexibler und agiler Wirtschaftseinheiten in der jeweils schlagkräftigsten Kombination zusammenzufügen.

Es bieten sich hier drei voneinander zu differenzierende Begriffsebenen an:

-E-Enterprise: Ein Unternehmen, das in der Lage ist, Werte (Geld, Güter, Dienstleistungen oder Informationen) auf elektronischem Wege auszutauschen.

-E-Commerce: Durchführung von Geschäftstransaktionen zwischen Handelspartnern (E-Enterprises und Konsumenten) unter Abstimmung von Organisation, Prozessen und Technologie auf die durch E-Commerce geprägte Geschäftsstrategie.

-E-Economy: Weitgefaßte globale Geschäftswelt der in sich und untereinander kommunizierenden Wertschöpfungsnetzwerke. Diese neue Wirtschaftsform unterscheidet sich so grundlegend von der früheren industriellen Geschäftswelt wie die Industriegesellschaft von der Agrarwirtschaft.

Vernetzung der Partner als Kernkompetenz

"Wertschöpfungspartnerschaft" ist folglich das Code-Wort, das sich Eingeweihte zuraunen. Nur durch partnerschaftliche Kooperation lassen sich Wertschöpfungsketten zu funktionierenden Wertschöpfungsnetzwerken umgestalten. Es liegt auf der Hand, daß im Zuge der Technologisierung der Transaktionswelten neue Dienstleistungsmuster auftreten, welche die Vernetzung der Partner selbst als Kernkompetenz entwickeln.

Speziell die Unternehmenslogistik ist ein Beispiel dafür, wie sich Partnerschaften gestalten beziehungsweise vernetzen lassen, um Systemsynergien über typische Kosten- oder Volumeneffekte eines klassischen Outsourcing hinaus zu erschließen.

Im klassischen Marktmodell überbrückt Logistik die physische Lücke zwischen zwei Parteien, Anbieter und Nachfrager. Bei Fremdvergabe dieses Prozesses wird eine dritte Partei am Leistungsaustausch beteiligt, der Logistikdienstleister. Im anglo-amerikanischen Sprachraum hat sich hierfür der Begriff der "Third-Party Logistics" (3PL) gebildet. Demnach kann 3PL alles umfassen, was Transport, Transport-Management, Lagerhaltung, Bestands- und Materialführung, Auftragsabwicklung, Kundenservice, Ex- und Import-Management, Informationstechnologie oder integriertes Logistik-Management beinhaltet.

Gegenwärtig läßt der Trend der Fremdvergabe von Logistikdienstleistung eine neue Art der Unternehmensorganisation entstehen: Hersteller, Logistikdienstleister und ein prozeßtreibendes Beratungsunternehmen kooperieren langfristig. Partnerschaftlich restrukturieren und betreiben sie die Supply Chain auf Basis einer Risikoteilung. Zunehmend wird für diese Kooperationsform der Begriff der "Fourth Party Logistics" verwendet. Anderson Consulting hat für seine Aktivitäten ein Akronym für Fourth Party Logistics (4PL) als geschützten Begriff eintragen lassen.

Die Grundzüge des Ansatzes bestehen in einer Partnerschaft eines oder mehrerer Kunden logistischer Dienstleistungen mit einem globalen/regionalen Agenten beziehungsweise Dienstleister. Dieser koordiniert in Zusammenarbeit mit einem oder mehreren 3PL-Anbietern die gesamte Supply Chain. Zusätzlich bringt er Wissen um kontinuierliche Verbesserung (KVP), Technologien und Best Practices in die Partnerschaft ein. Der Dienstleister ist damit Eigner aller Supply-Chain-Management-(SCM)-Prozesse, ohne selbst zwangsläufig eigenes Anlagevermögen einzusetzen. Die Abbildung gibt einen Überblick über die Entwicklungsstufen des Supply-Chain-Managements und die Bedeutung dieses Ansatzes in diesem Zusammenhang.

Im Rahmen eines solchen Ansatzes hat Ford Spanien einen Lieferantenpark nahe dem Werk in Valencia errichtet. Ziel war die Entwicklung und Implementierung einer Supply Chain, die dem zunehmenden Flexibilitätsdruck seitens des Modellmixes gerecht wurde. Der neu gegründete Dienstleister "Clasa" (gemeinschaftlicher Betrieb von Fords Hauptspediteuren Hamann, Gerposa und Transfesa) war für die Steuerung sämtlicher in die Endmontage eingehender Materialströme verantwortlich. Die zu steuernden Materialströme umfassen sowohl die Lieferumfänge der im Lieferantenpark ansässigen Betriebe als auch die Umfänge aus entfernten Standorten.

Das Leistungsspektrum eines solchen Arrangements kann umfassen:

-Logistikstrategie

-Gestaltung des Supply-Chain-Netzwerkes, insbesondere Optimierung der Transportketten/ -schnittstellen

-Global-Sourcing-Programme, Lieferantenkommunikation

-IT-Lösungs- sowie Management-Kompetenz

-Wareneingangs-/-ausgangs-Management und Distribution

-Mitarbeiterqualifizierung, -weiterbildung

-Continuous Improvement

-Reengineering-Know-how

-Prognosen- und Kapazitätsplanungskompetenz

-Kundenservice

-Start-up-Know-how.

Üblicherweise wird eine 4PL-Organisation als ein Joint-venture gebildet, bei dem Wissen und Kapital zusammengeführt werden. Sie fungiert als Schnittstelle zwischen Kunden und 3PL-Anbietern und erreicht ein Gesamtoptimum hinsichtlich des Ressourcen- und Wertmanagements über die gesamte Supply Chain.

Dem Kunden gegenüber tritt der Anbieter, der das gesamte Leistungsspektrum abdeckt, als eine Einheit auf. Die Servicequalität der 3PL-Anbieter wird durch den 4PLer gewährleistet und geprüft. Die Zusammenarbeit in der Partnerschaft beschränkt sich nicht notwendigerweise auf eine singuläre Beziehung Kunde-Anbieter. Neben einem Primär-Kunden können weitere Kunden mit vergleichbarer Bedürfnisstruktur bedient werden.

Zusammenfassend läßt sich 4PL als Supply-Chain-Integration definieren. Diese führt Ressourcen, Know-how und Technologien unterschiedlicher Unternehmen in einer Organisation zusammen, um ganzheitlich optimierte SCM-Lösungen zu gestalten. Dabei liegt die Prägung dieses Umfeldes durch Informationstechnologie und deren effektivem Einsatz durch das Partnernetzwerk nahe. Hierin unterstützen sich beide Effekte - der forcierte Kooperationsgedanke im Bereich des Supply-Chain-Managements zum einen sowie die zunehmend geforderte digitale Kompatipbilität möglichst umfassender Anwendungsbereiche zum anderen.

Angeklickt

Zwei Grundtendenzen sind erkennbar: Wertschöpfungsketten werden zunehmend aufgebrochen und zu partnerschaftlich kooperierenden Wertschöpfungsnetzwerken zusammengefügt. Dabei stellen die Ressourcen-Koordination und das Netzwerk-Management einen eigenständigen, zunehmend von eingebundenen Dienstleistern durchgeführten Wertschöpfungsanteil dar. Zusätzlichen Schub erfährt diese Entwicklung durch die Möglichkeiten des E-Business. Dieses forciert eine Neudefinition des eigenen Geschäftsmodells und weist damit bedeutend mehr als eine Enabler-Funktion auf.

*Olaf Strömer ist Consultant für Supply-Chain-Management bei Andersen-Consulting. Sulzbach/Frankfurt.