Interview mit Yorai Linenberg

E-Business verlangt eine neue Form des Projekt-Managements

26.01.2001
Ohne Ziele können Unternehmen nicht erfolgreich wirtschaften. Ohne Kenntnis der treibenden Faktoren, die es ermöglichen, diese Ziele zu erreichen, auch nicht. Yorai Linenberg, Managing Director der auf "Alignment" spezialisierten Beratungsgesellschaft UMT in London, erläutert, wie Unternehmen ihre "Business Drivers" identifizieren und ihre Projekte entsprechend ausrichten. Seine Kernthese: Die treibenden Kräfte für das traditionelle Geschäft unterscheiden sich von denen für das E-Business - nicht aber die Unternehmensziele.

CW: Ihr Unternehmen beschäftigt sich mit dem Thema "Alignment". Was verstehen Sie genau darunter?

Linenberg: Für uns bezieht sich Alignment auf drei Aspekte: auf Prozesse, Technologien und die Menschen in den Unternehmen. Es geht darum, die Initiativen, die ein Unternehmen zur Verfolgung bestimmter Visionen und Ziele auf sich nimmt, aufeinander abzustimmen und optimal in Einklang zu bringen.

CW: Der erste Schritt in diesem Prozess ist demnach die Prüfung der Visionen und Ziele beziehungsweise deren Definition?

Linenberg: Genau. Es geht aber nicht nur um ihre Definition, sondern vor allem um die Priorisierung. Ein Management muss sich bewusst machen, dass es nicht immer alle Geschäftsziele erreichen kann. Das ist ein Nullsummenspiel: Wenn man mehr in ein Ziel investiert, wird man ein anderes vernachlässigen. Wenn sich also ein Unternehmen optimal auf die Geschäftsziele ausrichten will, dann geht es nicht nur darum, die Ziele klar herauszustellen - das allein ist schon eine große Aufgabe - sondern auch darum, sie zu priorisieren.

CW: Mit welchen typischen Unternehmenszielen werden Sie in Ihrer Beratungspraxis häufig konfrontiert?

Linenberg: Den Umsatz steigern, die Marktanteile erhöhen, die Kosten reduzieren ...

CW: Das klingt nicht sehr originell. Geht es nicht um individuellere Ziele?

Linenberg: Für uns interessanter als die übergeordneten Ziele sind die "Business-Driver". Das ist etwas Greifbares, Messbares - etwas, woran man den Vorteil eines bestimmten Projektes definitiv festmachen kann. Wenn sich Unternehmen ihre laufenden Projekte und Initiativen genau anschauen, dann können sie recht gut feststellen, inwieweit diese Vorhaben definierte Business-Driver unterstützen. Man kann sagen, ein Projekt unterstützt einen Business-Driver stark, geringfügig oder gar nicht.

CW: Nennen Sie mir bitte solche typischen Business-Driver.

Linenberg: Das könnte beispielsweise eine möglichst kurze Antwortzeit auf Kundenanfragen sein oder in einem Finanzinstitut eine sehr schnelle Bearbeitung von Kreditwünschen - das wären Driver, die eine Konkretisierung des Ziels höhere Kundenzufriedenheit wären.

CW: Sind im E-Business Ziele und Business-Driver grundsätzlich anders definiert als im normalen Geschäft?

Linenberg: Die übergeordneten Ziele bleiben dieselben: Marktanteile erhöhen, Umsatz steigern, Kosten reduzieren, Kundenzufriedenheit verbessern etc. In den meisten E-Business-Projekten geht es auch um nichts anderes. Entweder werden im Backoffice die Abläufe optimiert, so dass am Ende reduzierte Kosten dabei herauskommen, oder es geht im Front office um Kundenzufriedenheit, Umsatz und Kostenkontrolle. Auf dem Driver-Level reden wir in der Tat über andere Dinge.

CW: Aber das E-Business macht eine Neudefinition der wesentlichen Business-Driver notwendig?

Linenberg: Richtig. Es gibt im E-Business andere Driver und Projekte als im traditionellen Geschäft. Viele Firmen haben sich mit den neuen Herausforderungen des E-Business beschäftigt. In den meisten Fällen war die Konsequenz, dass das E-Business nun als separates Geschäft behandelt wird. Viele gründeten eine Internet- oder eine E-Commerce-Division. Wer das versucht hat, musste aber sehr schnell feststellen, dass man sich damit ein ernsthaftes Alignment-Problem einhandelt.

CW: Wo liegen konkret die Schwierigkeiten?

Linenberg: Die Neugründung kämpft in der Regel mit dem Stammhaus und anderen Projekten um dieselben Ressourcen, Menschen und Geldtöpfe. Es ist wichtig, dass die Ziele aufeinander abgestimmt werden und man gemeinsam zu der Erkenntnis kommt: Das treibt unser E-Business voran, das bringt unser Gesamtgeschäft vorwärts. Erst dann lassen sich die Ressourcen vernünftig zuordnen.

CW: Welche Rolle spielt das IT-Management beim E-Business?

Linenberg: Das Alignment von Business- und E-Business-Drivers ist nicht allein eine Aufgabe des Senior-Managements. Es geht hier auch sehr stark darum, Technologie zu kennen, zu beherrschen und zu nutzen. Damit kennen sich die meisten Top-Manager nicht aus. Sie brauchen starke Unterstützung vom IT-Team. Deshalb hat die IT-Organisation in den meisten Unternehmen an Bedeutung gewonnen. Sie hat jetzt die Chance, ihre Ideen zu verwirklichen und sie beim Senior-Management vorzubringen. Ihr Input fließt nun in die Definition der Ziele ein.

CW: Ist die Beobachtung richtig, dass viele Business-Manager nicht sehr zufrieden und vor allem nicht sehr geduldig mit ihren IT-Verantwortlichen sind?

Linenberg: Das stimmt. Das Problem rührt daher, dass die Chancen der Technologie ein Unternehmen und insbesondere seine Management-Etage unter Druck setzen. Normalerweise funktionieren Märkte nach dem Pull-Prinzip: Das Senior-Managing folgt in die Richtung, die der Markt vorgibt. Neuerdings ergeben sich jedoch durch Technologien Marktgelegenheiten, die nach diesem Prinzip nicht zu erschließen sind. Technologie übt eine Push-Funktion aus - dieser Tatsache wird oft zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Es kommt noch immer viel zu selten vor, dass IT-Leute kommen und sagen, dies oder jenes ist machbar, damit können wir im Markt einen erheblichen zusätzlichen Wert generieren. Allmählich ändert sich das.

CW: Welcher Schritt folgt, wenn die Driver von Business und E-Business festgelegt sind?

Linenberg: Wenn die grundsätzlichen Fragen geklärt sind, gilt es, die notwendigen Initiativen zu ergreifen. Eine Wunschliste an Projekten entsteht, und nun geht es darum, die einzelnen Vorhaben an die Business- beziehungsweise E-Business-Driver zu binden, die zuvor definiert und priorisiert wurden. Wenn das erledigt ist, müssen die Projekte priorisiert werden. Im nächsten Schritt sind die Budgets und Ressourcen so festzulegen, dass die Investitionen der Priorisierung beziehungsweise der Bedeutung des Projektes gerecht werden.

CW: Werden in einem solchen Prozess Projekte abgeblasen, die nicht oben auf der Prioritätenliste stehen?

Linenberg: Das kann passieren. Die Firmen sagen: "Dies ist mein Budget, ich habe 100 Projekte auf der Wunschliste, aber nur 60 kann ich stemmen und finanzieren. Also wähle ich die 60 Wichtigsten aus." In der Praxis werden allerdings meistens die Ressourcen auf Projekte mit höherer Priorität umgeschichtet, so dass die anderen laufenden Projekte mit geringerer Geschwindigkeit verfolgt werden.

CW: Was Sie hier beschreiben, gilt für Business- wie für E-Business-Projekte?

Linenberg: So ist es. Wesentliche Unterschiede zeigen sich erst in der Art und Weise, wie Ziele unterstützt werden und wie das Projekt-Management erfolgt. Bei E-Business-Produkten ist Time-to-Market immens wichtig. Sie müssen binnen sehr kurzer Zeit entstehen, weil die Kundenloyalität im Internet nicht sonderlich groß ist. Internet-Surfer shoppen dort, wo die Preise günstig sind oder sonstige Vorteile winken. Ihnen ist die Beziehung zum Anbieter völlig egal. Es interessiert sie nicht, ob sie bereits vor zehn Jahren Kunde waren oder nicht.

Ebenso muss man einen anderen Ansatz verfolgen, um Projekte zu managen und zu implementieren. Das beginnt in der Projektprüfungsphase: In der Zeit vor dem E-Business war es nötig, mehrere Instanzen langwierig von den Vorteilen eines Projekts zu überzeugen, Budgets loszueisen etc. Dieser Prozess zog sich oft über ein bis drei Monate hin. Das funktioniert natürlich nicht, wenn ein Vorhaben binnen drei Wochen realisiert sein soll. Daher muss das Management weit reichende Verantwortlichkeiten an eine bestimmte Gruppe von hochqualifizierten Leuten delegieren, die das Projektziel binnen Tagen prüfen und die Initiierung und Organisation übernehmen. Das unterscheidet ein E-Projekt von anderen Projekten.

CW: Das bedeutet, dieses Team ist mit sehr weit reichenden Kompetenzen auszustatten.

Linenberg: Das ist unabdingbar. Sonst bleibt nicht nur die schnelle Realisierung, sondern auch die nötige Flexibilität auf der Strecke. Jeder Projektplan muss angesichts der ständig veränderten Bedingungen im Markt- und Technologieumfeld jederzeit modifizierbar sein, notfalls auch gecancelt werden können. Stellen Sie sich vor, Sie haben ein Projekt realisiert, und zwei Wochen später kommt Ihr Wettbewerber mit einem deutlich besseren Projekt heraus. Unter solchen Umständen muss man einen Plan auch in den Mülleimer werfen und etwas Neues anfangen können.

Dazu ist eine sehr flexible Planungsstruktur nötig, zumal es auch möglich sein muß, Projektansatz und -ziel zu modifizieren. In der Praxis ist das äußerst schwierig, denn die Moral der Projektmitarbeiter kann stark beeinträchtigt werden. Manchmal arbeiten sie wochenlang rund um die Uhr, um etwas zu implementieren. Ihnen dann zu sagen, "wir müssen das stoppen und etwas Neues starten" ist nicht einfach.

Ein anderer Aspekt des Managements von E-Projekten ist, eine klare Vorstellung vom Ziel zu haben und einen bestimmten Ansatz bei der Realisierung zu verfolgen. Werden Projektziele häufig geändert oder Vorhaben sogar abgebrochen, untergräbt das die Moral der Mannschaft, die unter sehr hohem Druck arbeitet.

CW: Bilden sich angesichts der unterschiedlichen Ansätze im Projekt-Management von Business- und E-Business-Vorhaben nicht zwei verschiedene, zum Teil unvereinbare Unternehmenskulturen heraus?

Linenberg: Das ist vor allem auf der Management-Ebene zu beobachten: Projekt-Manager entwickeln sich auseinander, das Management ist bis zu einem gewissen Grad gespalten. Bei den Entwicklern ist das weniger der Fall. Es ist jedoch interessant zu beobachten, wie schnell so mancher erfahrene Projekt-Manager sein Denken auf das E-Business umstellt und wie schnell er in Webspeed-Kategorien denken lernt.

Positiv ist, dass diese Projekte strategisch von hoher Bedeutung sind. Wer da mitarbeitet, genießt ein hohes Prestige. Voraussetzung für den Projekterfolg ist aber eine starke Motivation - daher sollte das gesamte Projektteam stets sehr gut über alles informiert sein, damit es nachvollziehen kann, warum Projektziele geändert werden müssen oder warum ein Projekt nicht fortgeführt wird. Es muss ferner die zugrundeliegende Vision kennen und wissen, warum es unter Hochdruck an einem Projekt arbeitet.

CW: Der IT-Arbeitsmarkt ist leer gefegt, insbesondere für Internet- und E-Business-Projekte gibt es kaum gutes Personal. Wie können Unternehmen darauf reagieren?

Linenberg: Es stimmt, dass IT-Projekte permanent um Ressourcen kämpfen müssen - ein weltbekanntes Problem. Dabei sind die hohen Kosten übrigens meistens nicht der wichtigste Aspekt - gesetzt den Fall, dass E-Business ganz oben auf der Unternehmens-Agenda steht und der CEO sagt: "Ich zahle, ihr realisiert das Ganze im vorgesehenen Zeitrahmen. Für unser Unternehmen ist es eine Frage des Prestiges, ob wir das gestemmt kriegen."

Um neue Projekte von einem Tag auf den anderen aufsetzen zu können, sollte jedoch die Idee eines Ressourcen-Pools erwogen werden. Man führt die Ressourcen zusammen, ohne einen detaillierten Ressourcenplan zu haben. Diese Leute stehen immer für ad hoc aufgesetzte Projekte zur Verfügung, und man muss nicht mit anderen Projekten um ihre Freigabe kämpfen.

CW: Lassen sich E-Business-Projekte angesichts der kurzen Zeiträume sowie der schnellen und chaotischen Abwicklung überhaupt planen?

Linenberg: Eine detaillierte Planung ist ein ganz wichtiger Erfolgsfaktor. Gewöhnlich sagt man bei Projekten, wir veranschlagen sechs oder acht Monate mit, sagen wir, 30 oder 40 Arbeitsstunden je Woche. Das ist im E-Business nicht möglich. Man hat eine kurze Gesamtdauer, die durchschnittliche Wochenarbeitszeit ist bedeutungslos. Entscheidend ist, genau zu rechnen und dabei Ferien, Abwesenheitszeiten, Feiertage oder Aktivitäten einzelner Mitarbeiter innerhalb und zum Teil auch außerhalb des Projekts einzukalkulieren.

Der Alignment-Prozess

Die Unternehmensberatung UMT hat Verfahren und Software-Tools entwickelt, mit denen traditionelle wie auch E-Business-Projekte daraufhin untersucht werden können, ob und inwiefern sie zu den Unternehmenszielen beitragen. Im Folgenden wird die Methode kurz beschrieben.

1. Identifizieren der Business-Driver

-Definition der Unternehmensziele;

-Identifizieren der Erfolgsfaktoren (Business-Driver), die für das Erreichen dieser Ziele ausschlaggebend sind (zum Beispiel gute Kundenbeziehungen, hohe Servicequalität, geringe Produktionskosten, genaue Kontrolle von finanziellen und operativen Risiken etc.).

2. Priorisieren der Business-Driver

-Konsens auf der Management-Ebene über die zentralen Business-Driver herstellen;

-relative Wichtigkeit jedes einzelnen Business-Drivers ermitteln und in eine Matrixgrafik einordnen, so dass jeder Driver gegen jeden anderen gewichtet und priorisiert wird. Dieses Verfahren führt zu einer sehr fruchtbaren Diskussion der beteiligten Management-Ebenen und erlaubt schließlich ein eindeutiges Ranking der Business-Driver.

3. Ermitteln, wie sich laufende Projekte auf Business-Driver auswirken

-Basierend auf den priorisierten Business-Drivern wird ermittelt, ob sie von den einzelnen Projekten jeweils "sehr stark", "stark", "mäßig" oder "geringfügig" unterstützt werden;

-anhand einer zweiten Matrix wird nun jedes Projekt mit jedem Business-Driver abgeglichen. Mittels genauer Projektbeschreibungen ist das beteiligte Management zuvor über jedes Projekt detailliert informiert worden. Die Skala der Bewertungen reicht von "keine Unterstützung" über "geringe", "moderate" und "starke" bis hin zu "sehr starke Unterstützung". Außerdem wird in diesem Schritt geklärt, inwiefern ein Projekt einen Driver unterstützt, so dass am Ende klar sein sollte, welche Projekte wichtig sind und welche nicht;

-Ergebnis dieses Schrittes ist eine priorisierte Projektliste.

4. Optimieren des Projektportfolios und Machbarkeitsanalysen

-Analysieren der Einschränkungen und Bedingungen, unter denen Projekte laufen (Personal, Kosten, Projektleiter-Know-how etc.);

-Festlegen des optimalen Projektportfolios unter Berücksichtigung der verfügbaren Ressourcen;

-Simulation möglicher Projektszenarien bei Verlagerung der Ressourcen;

-Anfertigen eines "magischen Quadranten" mit den Achsen "Business-Wert" und "Kosten", in den sich alle Projekte eintragen lassen.